Pre post privacy

Was mich an der „Post Privacy“-Debatte nervt ist die gnadenlose Überhöhung des Ist-Zustandes. Die „Spackeria“ tut so, als seien Twitter und Facebook der größte revolutionäre Akt, der die Lebensverhältnisse auf den Kopf stellt. Die Datenschutz-Anhänger hingegen halten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hoch, als sei es ein direktes Ergebnis der Aufklärung und in jeder Verfassung der westlichen Welt direkt neben Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen zu finden.

Ich hingegen frage mich: wenn jetzt das post privacy-Zeitalter eingeleitet wird, wann hatten wir jemals das privacy-Zeitalter? Im Mittelalter, als jeder in die Dorfgemeinschaft so eng zusammenlebte, dass niemand aufs Klo gehen konnte ohne dass es die Nachbarn sahen? Oder in der frühen Neuzeit, als die Arbeiter sich in den Mietskasernen ihre Toiletten teilten? In den 70ern, als der Terrorismus-Wahn die Rasterfahndung gebar?

Heute habe ich in der New York Times ein Stück über das Problem Sexting gelesen:

“Ho Alert!” she typed. “If you think this girl is a whore, then text this to all your friends.” Then she clicked open the long list of contacts on her phone and pressed “send.”

In less than 24 hours, the effect was as if Margarite, 14, had sauntered naked down the hallways of the four middle schools in this racially and economically diverse suburb of the state capital, Olympia. Hundreds, possibly thousands, of students had received her photo and forwarded it.

Zwei Dinge fallen mir auf: Es brauchte weder Facebook, noch Twitter oder ein sonstiges Internetangebot, um das gesellschaftliche Leben dieses Mädchens zu zerstören – es genügte der Mobilfunk. Eine Technik, die uns so selbstverständlich geworden ist, dass wir ihren revolutionären Charakter in weniger entwickelten Ländern gar nicht mehr in Augenschein nehmen.

Zweiter Aspekt: Wann hätte ein Mädchen ungestraft Nackbilder von sich weiter geben können? In meiner Schulzeit hatten wir keine Handys, aber es gab Kopierer und ein Foto zu reproduzieren hätte selbst ich in zwei Stunden im Fotolabor geschafft. Die technische Schwelle ist sicher niedriger — aber das grundsätzliche Handlungsmuster ist nicht alleine durch die Technik gegeben. Wer Nacktfotos von sich verteilt, gibt sich ganz in die Hand des Empfängers.