Wo Korruption enthüllt wird, wird Datenschutz plötzlich wichtig

Während sich alle Welt fragt, wie Sony für das Leaken seiner Playstation-Datenbank angemessen bestraft werden kann, macht Indien Nägel mit Köpfen. Ein neues Datenschutzgesetz ist auf dem Weg und es sieht sogar Haftstrafen vor:

The UPA government is planning to set up a three-member Data Protection Authority of India, whose main functions would include monitoring and enforcing compliance of the proposed data protection laws and to “investigate any data security breach”. […] The Act proposes a maximum punishment of five years and/or fine of Rs 7 lakh for the first offence and Rs 10 lakh for every subsequent offence.

Endlich kümmert sich jemand um die skandalösen Umgang der Industrie mit den Daten der Bürger. Es ist schon zum Mäusemelken, wenn selbst die Unesco Bewerberdaten in die Welt pustet. Privatsphäre ist kein Privileg, sondern ein Recht. Und der Staat muss es schützen!

The Bill, a copy of which is with The Sunday Express, proposes to put in place a system to protect not just the privacy of an individual and secure all intercepted material, including phone taps, but also his “honour and good name”. The proposed law also aims to empower an individual or group of individuals to take legal recourse to protect the “confidentiality of his private or family life”; seek protection from “search, detention or exposure of lawful communication”: have privacy from surveillance: ensure confidentiality of his banking and financial transactions as well as his/her medical and legal information.

Ja, der indische Gesetzgeber denkt noch an die Familie. Jedermann wird in Zukunft geschützt von diesen Halunken, die in Indien offenbar wahllos Telefone abhören und das Privatleben des einfachen Mannes und seiner Familie in den Schmutz zerren. Intimste Details: die Akne der Tochter, der Bankauszug der Kreditkarte der Mutter.

Work on drafting the Bill began in December last year after the uproar over selective leakage of intercepted phone conversations between corporate lobbyist Niira Radia and her clients.

Auf Deutsch: alles oben Geschriebene ist reine Fantasie. Das Interesse für Datenschutz ist erst ausgebrochen, als die grassierende Korruption im Lande wieder einmal publik wurde, die mittlerweile immer mehr Menschen zum entschlossenen Protest antreibt. Nach einem Hungerstreik eines Aktivisten und breiter öffentlicher Unterstützung sah sich die Regierung zu einem Anti-Korruptionsgesetz genötigt. Das geplante Datenschutz-Gremium kann aber einen Deckel drauf halten, wenn die Korruption aufgedeckt wurde. Mitgeschnittene Gespräche, mitgefilmte Geldübergaben? Privat! Überweisungen auf das Firmenkonto der Ehefrau? Geht die Öffentlichkeit nichts an!

Manchmal fällt es echt schwer, nicht zynisch zu werden.

(via)

Filter-Paradoxon

Die Leute, die sich über den Hype um die Hochzeit von William und Kate empören, sind die einzigen, die das Ereignis in mein Leben bringen. Ich gucke kaum noch Live-TV, spule über Werbeblöcke. Die Panorama/Aus aller Welt-Seiten überblättere ich geflissen. Ich war schon drei Wochen nicht beim Friseur. Ich folge keinen Glamour-Royalisten oder überlese ihre Begeisterung. Ab und zu schwimmt ein Link vorbei und verschwindet ungeklickt hinterm Horizont. Ein paar Pressemitteilungen kamen und belegen ein paar Kilobyte auf meiner Festplatte.

Was ich lese, sind begeisterte Hinweise auf Parodien. Ich höre Leute, die sich darüber beschweren, dass CNN die Speisenfolge der Hochzeit zum Thema gemacht hat. Jon Stewart und Stephen Colbert haben sich drüber lustig gemacht und ebenso wohl Extra3. Und das ist mir so egal wie das Ereignis selbst. Prominenz verkauft sich halt. Es gibt wirklich schlimmeres.

Kulturelle Teilhabe

Über Ver.Di habe ich vom Kölner Kabarett-Festival kommende Woche in Köln erfahren, bei dem sich Top-Kabarettisten der sozialen Ungerechtigkeit im Land widmen. Zu den Veranstaltungen gehört Die große Hartz-IV-Gala:

Hochkarätige Kabarettisten zünden ein Pointen-Feuerwerk auf dieser „Gala von unten“. Charity, Spenden, Hartz IV – Almosen der Reichen für die Armen? Unter dem Motto „Lacht kaputt, was euch kaputt macht!“ wird heute zurückgewitzt. Gegen Sozialabbau, schlechte Bildungschancen, Zwei-Klassen-Medizin und den sonstigen Klassenkampf von Oben.

Da haben die vielen Hartz-IV-Empfänger im Publikum endlich Mal etwas zu lachen. Oder auch nicht:

Preis: 24,- Euro (ermäßigt 18,- Euro für Schüler, Studierende, Auszubildende, KölnPass-Inhaber)

18 Euro sind für Bedürftige ein stolzer Preis — gerade für Hartz-IV-Empfänger. Es ist fast die Hälfte dessen, was für einen ganzen Monat Freizeitgestaltung und Kultur zur Verfügung steht. Und das obligatorische Kölsch wurde ja auch gestrichen. Die „Gala von unten“ wird daher wohl eine Gala aus der Mitte sein. Und Merkel-Westerwelle-Witze ziehen da immer.

Kulturwertmark – 20 Jahre zurück

Der CCC hat heute ein „zeitgemäßes Vergütungsmodell“ für Kreative vorgestellt. „Zeitgemäß“ heißt hier aber: Wir wollen 20 Jahre zurück und hoffen, dass wir die Fehler nicht wiederholen.

Schon der Name „Kulturwertmark“ ist ein Zeichen dafür. Wir haben die Mark vor 10 Jahren abgegeben,. Ab und an inseriert ein Teppichhändler oder ein Resteverkauf, dass er an einem Wochenende tatsächlich noch die gute alte Deutsche Mark als Zahlungsmittel akzeptieren will – und dann werden Schubladen durchwühlt und mäuseangefressene Geldscheine hervorgeholt. Die Mark ist eine ferne Erinnerung, sie steht für eine gute alte Zeit, in der das Geld stabil und unsere Lebensentwürfe in Stein gemeißelt waren. In der ein Sparbuch und eine Arbeitsstelle auf 40 Jahre sicher waren.

Doch über den Namen hinaus zeugt der CCC-Entwurf von der Sehnsucht nach vergangener Zeit. Der institutionelle Hintergrund der neualten Währung sieht so aus:

Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält (oder alternativ mit den ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließt). Die Besetzung des Exekutivgremiums der Stiftung sollte hälftig per allgemeiner Wahl unter den Teilnehmern und Künstlern erfolgen, so daß die Interessen beider Seiten adäquat repräsentiert sind. Stimmberechtigt ist, wer mindestens für eine festzulegende Zeit (etwa drei Monate) in das System eingezahlt hat. Wenn die Anzahl der Benutzer um eine signifikante Zahl gestiegen ist, sind Neuwahlen durchzuführen. Eine Besetzung analog der Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten hat sich nicht bewährt und ist undemokratisch.

Stiftungsposten sollten zeitlich beschränkt werden. Das Budget der Stiftung soll schmal gehalten und auf die technische Durchführung ausgerichtet sein. Der Verwaltungs-Overhead sollte aus den Zinsgewinnen des Stiftungsvermögens gedeckt werden, so daß eine hundertprozentige Auszahlungsquote der erhobenen Beiträge an die Künster erreicht wird und keine Transaktionsgebühren erhoben werden müssen. Eine privatwirtschaftliche Lösung ist nicht erstrebenswert, Interessenskonflikte wären hier vorprogramiert, die Auszahlungsquote sänke.

Eine zinsfinanzierte Stiftung in demokratischer Hand. Vor 20 Jahren hätte ich das vielleicht toll gefunden, als ich noch keine Ahnung hatte, wo die Zinsen denn her kamen. Als die zwei Prozent auf dem Sparbuch sicher und die Inflation kaum vorhanden waren. Doch gerade die letzten Jahre haben uns gezeigt: Zinsen kommen nicht aus dem Nichts. Wer sich vom Geldmarkt abhängig macht, kann darin umkommen. Und: Woher kommt das Stiftungsvermögen, dass die Zinsen abwerfen soll? Vom reinen Umlaufvermögen kann das nicht abgezweigt werden, schließlich soll ja eine hundertprozentige Auszahlung garantiert werden. (Und eine staatliche Anschubfinanzierung kommt letztlich auch nur aus den Taschen des Kulturvolks.)

Der institutionelle Rahmen ist von der Illusion geprägt, dass wir das Erfolgsmodell parlamentarischer Demokratie (O-Ton Bundespräsident Christian Wulff) verlustfrei ausdehnen können. Der CCC schlägt eine neue GEMA vor, eine bessere GEMA, in der die Interessen von Künstlern und Nutzern unbestechlich und ohne Reibungsverluste vertreten werden. Die dann entscheidet, wie die Leistung eines kompletten Orchesters gegen das eines lispelnden 16jährigen Superstar-Gewinners abzuwägen ist. Doch wer heute durch die Straßen deutscher Städte geht, sieht die Plakatwände vollgepflastert mit dem Aufruf zur Sozialwahl. Kennt ihr irgendjemanden, der sich dort informiert hat, um eine kompetente Wahlentscheidung zu treffen?

Doch auch an anderer Stelle ist der Vorschlag durchdrungen von einer Rückwärtsgewandtheit, einer Sehnsucht nach der guten alten Zeit, als die Welt noch in Ordnung war:

Wir wollen an dieser Stelle voraussetzen, daß ein zukünftiges System kein Recht auf Reichtum impliziert. Es geht nicht darum, den Britney Spears dieser Welt ihre zukünftigen Millionengagen zu sichern. Es geht um den Erhalt einer breiten, bunten, schöpferischen Kulturlandschaft mit möglichst großer Vielfalt. Und es geht um den möglichst niederschwelligen, für alle erschwinglichen Zugang zu den Werken, die in dieser Landschaft erblühen.

Es ist fast deprimierend zu sehen, dass es nicht Mal zur Nennung von Lady Gaga gereicht hat – der aufreizende Kostüme und Vermarktungs-Maschinerie sind doch der viel größere Schrecken für die Spießbürger. Wann war Britney Spears ein Skandal? Vor 10 Jahren? Als man „dass“ noch mit ß schrieb?

Aber im Ernst: die Kulturwertmark ist ein nationalstaatliches Konzept, dass das Ausscheren Deutschlands aus dem internationalen Kreativmarkt vorschlägt. Wir wollen uns nicht von US-Mayors die Preise diktieren lassen. Wir wollen, dass unsere Bürger nicht verfolgt werden können, wenn sie Britney Spears herunter- und hochladen. Und wir wollen ein gesondertes, inkompatibles Urheberrecht. Denn wenn Britney und Gaga ihre Tantiemen aus Deutschland abholen wollen, sagen die demokratischen Kulturräte: wie steht es denn mit der Allmende? Entweder ihr gebt Eure Musik kostenfrei heraus oder wir bezahlen Euch nichts. Wohin solche Regelungen führen, wissen wir leider zur Genüge: „Dieses Video ist in Deinem Land nicht verfügbar“.

Aber vielleicht ist genau das das Ziel des CCC-Modells. Drehen wir Globalisierung und Kulturimperialismus zurück. Sie haben versagt. Lasst uns etwas neues aufbauen — ohne Rücksicht auf Verluste. Oder einfacher: gehen wir 20 Jahre zurück. Nach dem Ende des Kalten Krieges hätten wir die Systemfrage stellen müssen um das Beste aus Kapitalismus und Sozialismus zu vereinen. Für ein besseres, gerechteres Heute.

Wer baut die Zeitmaschine?

Energiewende

Ich lese überall: über Ostern wird das Benzin knapp. Ich glaube, dann werde ich mein Fahrrad wohl schieben müssen.

Von Polizist zu Polizist

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter, Landesverband Niedersachsen informiert seine Mitglieder und die interessierte Öffentlichkeit über das neuste verbale Scharmützel zwischen dem niedersächsischen Innenminister Schünemann und der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Das liest sich dann so:

Am 06.04.2011 berichtete die Presse über einen verbalen Angriff des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann CDU gegen die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung. „Sie muss sich hier bewegen. Es ist mehr als problematisch, dass wir hier noch keine Regelung haben”, sagte Innenminister Schünemann am 06.04.2011 in Hannover und wurde dafür als Hardliner gescholten, der über das Ziel hinausgeschossen sei.

Die Rollen sind klar verteilt: der ausgewogen-rationale Landes-Polizeiminister und das keifende liberale Berlin.

Doch irgendwie hatte ich das Wortgefecht anders in Erinnerung. Oder um die dapd zu zitieren:

Im Streit um die Vorratsdatenspeicherung attackiert Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als „Sicherheitsrisiko“. „Die Justizministerin schützt durch ihre ideologische Blockadehaltung Pädophile und Terroristen und wird damit selber zu einem Sicherheitsrisiko in unserem Land“, sagte Schünemann der Zeitung „Die Welt“

Solche allzu zielgruppenorientierte Information macht mich regelmäßig ratlos. Glaubt der BDK-Landesverband, dass seine Mitglieder keine Nachrichten hören, keine Zeitung lesen? Oder gilt die Parole, dass sich die braven Beamten nur klammheimlich über die Tiraden ihres Arbeitgebers freuen dürfen? Oder will man sich von der Wortwahl distanzieren, möchte dem politischen Gegner aber keinen Fußbreit entgegen kommen?

Die analoge Gesellschaft

Die analoge Gesellschaft druckt E-Mails aus.

Die analoge Gesellschaft hat Angst vor dem grenzenlosen Internet.

Die analoge Gesellschaft spielt gerne mit Knöpfen.

Die analoge Gesellschaft schreibt Leserbriefe.

Die analoge Gesellschaft redet hinter Deinem Rücken.

Die analoge Gesellschaft steht vor Bauzäunen bei Stuttgart 21.

Die analoge Gesellschaft hat massig Geld.

Die analoge Gesellschaft ist pleite, nicht zukunftsfähig und ohne Ideen.

Die analoge Gesellschaft hat Lobbyisten.

Die analoge Gesellschaft hat Schlagstöcke, Gummigeschosse.

Die analoge Gesellschaft ist so schrecklich ahnungslos.

Die analoge Gesellschaft spielt X-Box, hat iPhones, klickt Facebook und schert sich einen feuchten Kehricht.

Die analoge Gesellschaft schreibt Worte wie „Medienkompetenz“.

Die analoge Gesellschaft guckt Fußball und Tatort.

Todeskrake Facepalm!

Gestern wurde auf der re:publica darüber gesprochen, wie diskriminierend Wörter wie „Internet-Aktivist“ oder „Datenkrake“ gegenüber der Internet-Gemeinde doch sind. Das konnte die „BILD“ natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Wer heute in Berlin seine Brötchen holen geht, wird von dieser Schlagzeile begrüßt:

Nachhaltiger Straßenbau

Lehre ein Hungernden das Fischen und er wird nie wieder hungern.

Stell das Schild „Straßenschäden“ auf und Du musst nie wieder Schlaglöcher ausbessern.