Kann man gegenüber der Muttergesellschaft wirklich neutral sein? Oder werden Redaktionen nur zum Ausleger der wirtschaftlichen Interessen der großen Medienkonzernen?
Das populäre Blog Techcrunch fordert: Digg Should Sue Wired. Hintergrund: Wired hat wiederholt negativ über Digg berichtet und als letztes eine Geschichte gebracht, wie man gezielt Digg manipulieren kann – so die Darstellung von Techcrunch-Blogger Michael Arrington. Der angebliche Hintergrund: der Muttergesellschaft von Wired News gehört ein Digg-Konkurrent.
Hat also CondéNet die Wired-Redaktion ausgesandt, den mißliebigen Konkurrenten Digg in Grund und Boden zu schreiben? Der Eintrag von Michael Arrington ist reine Interpretation, er hat keine Recherche durchgeführt, die den verdacht stützen könnte. Der Blogger hat schlicht einige Fakten zusammengetragen und sie so interpretiert, dass Wired beziehungsweise CondéNet unfair spielt.
Doch als ich die Wired-Story selbst gelesen habe, habe ich einen anderen Eindruck gewonnen. Anders als Arrington behauptet, hat Wired keine Story erfunden, sondern schlichtweg einen Service getestet, der die Manipulation von Digg-Abstimmungen anbietet. Diesen Service gab es auch ohne Wired und er wurde auch vor dem Bericht genutzt. Wired hat sogar die Schwächen des Service gezeigt: So garantiert der Anbieter nicht für eine Platzierung und die Nutzer des Services sind relativ simpel zu ermitteln. Und er benannt konkret, welcher Digg-Mechanismus das Kaufen von Stimmen ermöglicht.
Dass diese Wired-Geschichte in eine ganze Reihe von negativen Berichten über Digg fällt, kann kaum überraschen. Wenn eine Redaktion mal an einem Thema dran ist, erwarten nicht zuletzt die Leser auch eine weitere Berichterstattung. Und der Wired-Autor greift explizit vorherige Recherche-Ergebnisse auf.
Noch ein anderer Aspekt: Dass die Wired-Redaktion vom Mutterkonzern Weisung bekommen hat, gegen Digg zu schießen ist möglich. Hier hat Wired jedoch Mechanismen enthüllt, die letztlich auch dem eigenen Service schaden könnten. Und lässt man das gesamte Geschäftsmodell auffliegen, nur um dem Konkurrenten zu schaden? Andere Frage: Sollte Wired auf Berichte über jede Firma verzichten, die mit dem Mutterkonzern auf irgendeine Weise in Konkurrenz steht?
Fazit: Arrington spricht einen Verdacht aus, für den es keinerlei Grundlage gibt – und das weiß er auch selbst. Alleine aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen unterstellt er der Wired-Redaktion einen journalistischen Sündenfall. Was die Frage aufwirft: Ist Arrington nicht selbst ein Wired-Konkurrent? Überschreitet er nicht selbst die Grenze journalistischer Unabhängigkeit, wenn er einem Konkurrenten ohne jeden Beweis Unehrlichkeit unterstellt?