Assange und die Pressefreiheit

Nach all den Jahren des Wartens hat die US-Justiz heute nach der Verhaftungs Julian Assanges endlich die Anklage veröffentlicht, die auf den Australier wartet. Und es sieht nicht gut für ihn aus.

Es geht um seine Zusammenarbeit mit Chelsea Manning, die unter anderem in der Veröffentlichung „Collateral Murder“ gemündet ist. Und wenn die Ankläger ihre Beschuldigungen beweisen können — und die Chancen stehen dafür gut, da die Ankläger offenbar den kompletten Chatverlauf zwischen Manning und Assange haben — sieht es nicht gut für den Wikileaks-Gründer aus.

Laut Anklage hat sich Manning mit einem Linux-System Zugang zu seinem Arbeitsrechner verschafft, der ihr eigentlich nicht zustand. Damit hat sie dann den Hashwert eines Passwortes eines anderen Nutzers ausgelesen, um Zugriff auf größere Dokumentenmengen zu erlangen, als Manning bereits übermittelt hatte. Und jetzt kommt der wichtige Part: Die Entschlüsselung dieses Hashwertes sollte Assange übernehmen.

Es scheint trivial, aber dieser Vorwurf ist vermutlich der, der juristisch jede Frage nach der Pressefreiheit beiseite wischen wird.

Ich bin Journalist, Artikel 5 garantiert mir Pressefreiheit. Dazu gehört auch der Informantenschutz. Das heißt: Ich kann zum Beispiel Dokumente annehmen, die aus nicht-legaler Quelle stammen. Ich kann auch drüber schreiben, solange ich sorgfältig arbeite und beispielsweise die Dokumente soweit wie möglich verifiziere. Und ich muss dem Staat nicht dabei helfen, meine Quelle zu finden.

Dieser Quellenschutz hat aber Grenzen. Wenn ich beispielsweise die Motorwerte von Volkswagen haben will, darf ich mich natürlich nicht in die internen Volkswagen-Server hacken, um die Dokumente zu bekommen. Ich darf nicht heimlich Mailboxen von VW-Mitarbeitern abhören. Ich darf auch keine aktive Hilfe leisten, wenn jemand anders diese Dokumente hackt, um sie mir zu übermitteln.

Am einfachsten ist diese Trennung für Journalisten, wenn sie die Dokumente im berühmten braunen Briefumschlag in ihrem Briefkasten finden – ohne Nennung der Quelle. Wenn ich meinen Informanten nicht kenne, kann ich ihn nicht verraten. Eigentlich nicht. Problem dabei: Woher weiß ich, dass da jemand nicht totalen Unsinn zusammengeschrieben hat?

Woher weiß ich, dass die Dokumente authentisch sind? Also ist es gut, wenn ich dem Informanten dazu einige Fragen stellen kann. Mittlerweile haben einige Redaktionen digitale Briefkästen für Informanten eingerichtet. Diese ermöglichen einerseits die anonyme Übermittlung von Dokumenten, aber auch den direkten Kontakt mit recherchierenden Journalisten.

Hier kommt aber die rote Linie: Wenn ich mit Informanten im Gespräch bin, darf ich sie nicht auffordern, das Gesetz zu übertreten. Und erst recht darf ich ihnen nicht dabei aktiv Hilfe leisten. Die Pressefreiheit wird natürlich in jedem Land anders gehandhabt — aber die rote Linie muss überall existieren.

Wenn Assange wie dargestellt diese rote Linie überschritten hat, dann hat er den Anklägern ein riesiges Geschenk gemacht. Denn es ermöglicht ihnen — Pressefreiheit oder nicht — Assange wie einen gewöhnlichen Computer-Einbrecher zu behandeln.

Ob die Vorwürfe reichen, eine Auslieferung zu erreichen und am Ende dann eine Verurteilung — das steht allerdings noch in den Sternen. Mit großem Misstrauen sehe ich zum Beispiel den Part der Pressemitteilung der US-Regierung, in der die Höchststrafe von fünf Jahren für das vorgeworfene Verbrechen angemerkt wird. Denn wenn Assange sich einmal im Zugriff der US-Justiz befindet, gibt es wenige Hindernisse, die eine Erweiterung der Anklage ausschließen könnten.

Nachtrag: Tatsächlich ist das Auslieferungsabkommen zwischen UK und USA ein großes Hindernis, weswegen das US-Justizministerium schließlich doch mit der kompletten Anklage herausrücken musste, bevor die Auslieferung verhandelt werden konnte. Und bei den nachgereichten Punkten ist ziemlich klar, dass die Anklage auch die allgemeine Pressefreiheit angreift.

Wikileaks – Substanz und Inszenierung

Mittlerweile ist es ein mediales Dauerfeuer – Wikileaks hier, Wikileaks da, hier, da, hier, da, hier, da und dort sowieso. Doch leider geht unter dem Aktualitätsdruck das Gefühl dafür verloren, was eine relevante Entwicklung ist und was nur Theaterdonner. Alle Seiten in dem Konflikt inszenieren, was das Zeug hält — doch gleichzeitig geht es auch um höchst wichtige Fragen zur Informationsfreiheit, zur internationalen Politik und auch zum digitalen Zusammenleben.

Ein Beispiel: Julian Assange hat sein Schweizer Bankkonto verloren. Skandal oder Anekdote? Ich meine: letzteres. Wikileaks und Julian Assange haben manchmal einen bemerkenswert hohen Verpeilungsfaktor. Schon mehrmals musste Wikileaks Nachteile in Kauf nehmen, weil sich Assange und seine Mitarbeiter sich nicht um Formalien scherten.

MasterCard, PayPal und VISA sperren Wikileaks die Konten? Sehr relevant. Denn hier geht es um das finanzielle Äquivalent zur Netzneutralität. Dass PayPal dauernd Konten sperrt, gehört zwar seit Jahren zum Alltag — in diesem Fall wird jedoch klar der illegale Charakter von Wikileaks angeführt. Dafür liegt aber nichts weiter vor außer ein paar vagen Behauptungen der US-Regierung. Wenn eine Anklage vorläge, könnten die Dienstleister zumindest ihre Rechtsgutachter prüfen lassen, wie sich die Rechtsvorschriften auf sie als vermeintliche Mitstörer auswirkt. Da die amerikanische Regierung dies jedoch bisher vermieden hat, ist klar: Hier wird mit politischem Druck wird hier ein unbequemer Kritiker behindert – ein Armutszeugnis für jeden Rechtsstaat. Man muss jedoch auch fragen, ob tatsächlich die derzeitige amerikanische Regierung die treibende Kraft ist oder gerade das andere politische Lager.

Wikileaks.org ist down? Absolut irrelevant – den Domainnamen hat Wikileaks entweder mutwillig oder grob fahrlässig selbst riskiert. Theaterdonner, um die Unterstützer zu mobilisieren. Die gerichtliche Auseinandersetzung zur Abschaltung von Wikileaks.org gab es schon Anfang 2008 im Streit mit dem Bankhaus Julius Baer. Ergebnis: Wikileaks bekam den Domainnamen zurück. Auch die Aktion Wikileaks auf über 1000 Servern zu verteilen ist vorrangig Fassade – Backups sind einfach gemacht, Ausweichquartiere schnell gefunden.

Das führte aber zur Debatte deutscher Provider, ob das Spiegeln von Wikileaks-Akten gemäß den AGB erlaubt ist. Dies sollte eigentlich nicht relevant sein, weil die Rechtslage eigentlich relativ klar ist. Hier gilt die gleiche Situation wie bei den Finanzdienstleistern — die Haftung der Provider für vermeintlich illegale Inhalte ist wieder in der politischen Diskussion. Solange nirgendwo ein Referenzfall, eine Anzeige oder gar ein Urteil existiert, können Hosting-Provider nicht zu den Richtern über legal oder illegal gemacht werden. Sie haben aber freilich die Möglichkeit eine eigene Entscheidung zu treffen.

Eine der Frauen, die Assange angezeigt hatte, hat um drei Ecken irgendwie mit bösen Ex-CIA-Extremisten zu tun? Derzeit absolut irrelevant. Diese guilt-by-association-Methode wird gewöhnlich gezückt, wenn man nichts Substantielles in der Hand hat und man den Gegner anschwärzen will. Doch bei jedem politisch aktiven Menschen kann man solche Verbindungen aufbauen, wenn man böswillig genug sucht.

Ein britisches Gericht lehnt Kautionszahlungen für Assange ab? Spannend im Moment, aber substanziell absolut irrelevant. Denn der Promi-Auflauf zur Unterstützung von Assange machte eine Kaution eigentlich unmöglich: Die ach so großzügigen Spender riskierten ja nicht einmal die Einschränkung ihres Lebensstils, wenn die Kaution denn verfallen wäre. Wichtig ist vor allem eins: das britische Gericht muss zügig entscheiden, ob die Vorwürfe, die auch von zwei schwedischen Gerichts-Instanzen validiert werden, für eine Auslieferung reichen. Der Prozess um die Auslieferung des „UFO-Hackers“ Gary McKinnon zeigt die vielen Fallstricke in solchen Verfahren. Wichtiger ist hingegen wie zügig die Auslieferung läuft. Wenn Assange seinen Prozess in Schweden hinter sich gebracht hat, bevor die US-Staatsanwälte eine Anklage formuliert haben, ist das Verfahren in erster Linie sein persönliches Problem.

Die australische Regierung prüft, ob man Assange den Prozess machen kann? Auf den ersten Blick Theaterdonner, auf den zweiten Blick aber durchaus im Interesse von Assange, wenn er denn je in sein Geburtsland zurückkehren will. Daniel Elsberg, der die pentagon papers veröffentlicht hatte, stellte sich damals dem Prozess in den USA und konnte auch nur so langfristig die Gesetzgebung beeinflussen.

Die Untiefen des schwedischen Sexualrechts? Spannend für die gesellschaftliche Debatte, nicht wirklich für Wikileaks. Wenn ein Mann mit einer schlafenden(!) Frau, die er kaum kennt, gegen ihren erklärten Willen ungeschützten Geschlechtsverkehr beginnt, kann (und sollte) er in allen westlichen Ländern Ärger bekommen. Ob es denn tatsächlich so war, müssen aber nun Richter entscheiden.

Mastercard.com ist down? Auf den ersten Blick eine weitere Aktion des niemals endenden shitstorms, ohne den sich netizens wohl nicht mehr zu einer Teilhabe entscheiden können. Man attackiert ein paar Stunden MasterCard und sonnt sich im vermeintlichen Erfolg. Doch: das haben die Leute wahrscheinlich auch gedacht, die Wikileaks.org seit zwei Wochen massiv attackieren. Statt dem Cyber-War der Nationalstaaten könnte es schon längst um einen digitalen Bürgerkrieg der Onliner gehen, die mit 4Chan und Co die digitale Lynchjustiz zum Spiel erhoben haben und nun als Machtmittel entdeckt haben.

Ach ja — eine relevante Sache bekommt zur Zeit relativ wenig Aufmerksamkeit: die Inhalte, die auf Wikileaks veröffentlicht wurden.

Wikileaks muss nicht gerettet werden, Amerika schon

Es ist wahr, Wikileaks sieht sich herben Attacken ausgesetzt: DDOS-Angriffe, gekündigte Accounts und Geschäftsbeziehungen, sogar merkwürdige Kollateralschäden bei anderen Organisationen werden berichtet. Aber muss Wikileaks jetzt unbedingt gerettet werden? Derzeit wohl eher nicht.

Auch wenn es schwer fällt — analysieren wir die Lage nüchtern: Amazons Cloud war nie der Haupt-Provider von Wikileaks. PayPal hatte den Wikileaks-Account schon vor knapp einem Jahr gekündigt. Der Bezahlservice, der einerseits für Einfachheit und andererseits für willkürliche Kündigungen berühmt ist, war zuletzt auf Platz 5 der Wikileaks-Spendenseite. Selbst wenn dieses Konto die Haupt-Einnahmequelle von Wikileaks gewesen sein sollte, ist der Einfluss aufs operative Geschäft von Wikileaks nicht unmittelbar spürbar. Wie bereits vor ein paar Monaten berichtet, rief Wikileaks die Spenden, die bei der Wau-Holland-Stiftung eingingen über lange Zeit nicht ab, da die gemeinnützig anerkannte Stiftung auf steuerlich verwertbare Belege bestand. Auch die Drohungen mit Gerichtsverfahren und Anklagen gegen Julian Assange scheinen vorerst leeres Geschwätz zu sein, wie die neue (untaugliche) Gesetzesinitiative zeigt.

Der unmittelbare Eindruck einer Attacke, eines Informationskriegs um Wikileaks entsteht daher, dass die Haupt-Domain wikileaks.org derzeit nicht erreichbar ist. EveryDNS soll die Domain blockiert haben, berichten viele. Das Unternehmen selbst besteht darauf, dass es lediglich die grassierenden DDOS-Angriffe nicht im kostenlosen Service bewältigen kann. Bleibt die Frage: Warum hat Wikileaks überhaupt die Dienste eines Kostenlos-Providers mit Sitz in den USA in Anspruch genommen? Und: warum zieht man den Domainnamen nicht einfach um, wie es ja bei wikileaks.ch problemlos möglich war?

Dies erinnert an das Pseudo-Drama um die Domain wikileaks.de, die sich im Frühjahr 2009 abgespielt hatte. Wikileaks gerierte sich hier als Opfer des deutschen Bundesnachrichtendienstes, der die Sperre der deutschen Domain erwirkt haben sollte. Die Wahrheit jedoch war anders: ein Wikileaks-Enthusiast hatte die Domain registriert und danach versucht illegal die Domain des Bundesnachrichtendienstes zu übernehmen. Daraufhin kündigte ihm sein Provider fristgerecht die Verträge und stellte die Domain nach mehreren Monaten Wartezeit ab. Die Domain konnte anschließend problemlos an einen anderen Anbieter übertragen werden, trotzdem ging Wikileaks mit einer Revolverstory über den vermeintlichen BND-Angriff an die Presse.

Hilfe wird aber derzeit wirklich gebraucht, in meinen Augen aber vor allem jenseits des Atlantiks. Dass die Library Of Congress Wikileaks sperrt, hat eher anekdotischen Charakter — besonders wenn man die Diskussionen um Sperren an Bibliotheks-Computern des letzten Jahrzehnts kennt. Wenn aber tatsächlich Studenten der Columbia University gewarnt werden, dass alleine man seine Jobchancen riskiert, wenn man sich die Wikileaks-Inhalte ansieht oder gar über Wikileaks spricht, dann ist etwas faul im land of the free. Und wenn man im Kontrast dazu sieht, dass die Washington Times einen unverhohlenen Mordaufruf ohne Kontext oder Distanzierung abdruckt, dann stimmt es nicht nur mit der Meinungsfreiheit nicht, dann ist auch die Ethik schwer verrutscht.

Gesetz gegen Wikileaks (und alle anderen?)

Joe Lieberman, der sogar Glückwünsch-Telegramme in Form eines Gesetzes packt, hat den „Shield Act“ vorgestellt, mit dem er dem finsteren Dr. Leaks Wikileaks den Garaus machen will.

Doch was steht drin im Gesetz? Es soll eine Erweiterung des § 798 des Band 18 des United States Code werden. Ich versuche mich mal an einer Begradigung. Die vorgeschlagenen Neuerungen sind fett, Streichungen gestrichen.

Disclosure of classified information

(a) Whoever knowingly and willfully communicates, furnishes, transmits, or otherwise makes available to an unauthorized person, or publishes, or uses in any manner prejudicial to the safety or interest of the United States or for the benefit of any foreign government or transnational threat to the detriment of the United States any classified information—
(1) concerning the nature, preparation, or use of any code, cipher, or cryptographic system of the United States or any foreign government; or
(2) concerning the design, construction, use, maintenance, or repair of any device, apparatus, or appliance used or prepared or planned for use by the United States or any foreign government for cryptographic or communication intelligence purposes; or
(3) concerning the communication intelligence activities of the United States or any foreign government; or
(4) concerning the human intelligence activities of the United States or any foreign government;
(5) concerning the identity of a classified source or informant of an element of the intelligence community of the United States; or.

(46) obtained by the processes of communication intelligence from the communications of any foreign government, knowing the same to have been obtained by such processes—

Shall be fined under this title or imprisoned not more than ten years, or both.

Eine wesentliche Neuerung in Liebermans Entwurf ist der Begriff „transnational threat“. Es ist nicht mehr nur der ein Verräter, der gegnerischen Regierungen zuarbeitet, auch wer „transnationalen Bedrohungen“ Staatsgeheimnisse jeder Art enthüllt, muss bestraft werden. Statt der „communication intelligence“ werden auch die „human intelligence activities“ geschützt, ebenso jede Quelle, die den US-Geheimdiensten zuarbeitet.

Der Term „transnational threat“ scheint — soweit ich es beurteilen kann — in der US-Gesetzgebung neu zu sein. Zwar wurde er in Anhörungen und Debatten öfters gebraucht, um insbesondere Terrorgruppen zu bezeichnen, aber was sollen Gerichte darunter verstehen?

Zum Glück liefert der „Shield Act“ Definitionen mit.

TRANSNATIONAL THREAT.—The term ‘transnational threat’ means—
(A) any transnational activity (including international terrorism, narcotics trafficking, the proliferation of weapons of mass destruction and the delivery systems for such weapons, and organized crime) that threatens the national security of the United States; or
(B) any individual or group that engages in an activity referred to in subparagraph (A).

Diese Defnition ist ein kleines Kunststück. Zwar werden hier sehr verwerfliche Dinge wie Terrorismus, Drogenschmuggel, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und organisierte Kriminalität aufgezählt, aber man muss keiner dieser Tätigkeiten nachgehen, um als „internationale Bedrohung“ zu gelten. Kein Zufall: denn das Wikileaks Terrorismus betreibt oder Massenvernichtungswaffen verschickt, hat bisher noch niemand behauptet.

Um als „transnationale Bedrohung“ zu gelten, reicht es also aus, dass die Aktivität über nationale Grenzen hinaus geht und die nationale Sicherheit der USA gefährdet. Unter diese sehr breite Definition fällt freilich nicht nur Wikileaks, sondern zum Beispiel auch internationale Konzerne. Mir fällt da zum Beispiel der Name Rupert Murdoch ein, der wie Julian Assange (gebürtiger) Australier ist und Medienunternehmen auf aller Welt in seinen Händen bündelt. Doch während der sich wahrscheinlich auf die Pressefreiheit berufen kann, sieht es für andere transnationale Organisationen wie Amnesty international oder das Rote Kreuz schon anders aus.

John F. Kauder

Ich appeliere an jeden Verleger, jeden Redakteur unseres Landes, die eigenen Standards kritisch zu untersuchen und sich die unmittelbare Gefahr für unser Land vor Augen zu führen. In Zeiten des Kriegs haben sich Regierung und Presse schon früher gemeinsam in Selbstdisziplin geübt um unautorisierte Enthüllungen an den Gegner zu verhindern. In Zeiten einer erhöhten Gefährdungslage haben die Gerichte entschieden, dass selbst das privilegierte Recht auf freie Meinungsäußerung hinter dem öffentlichen Interesse nach Sicherheit zurücktreten muss.

Siegfried Kauder John F. Kennedy — zehn Tage nach dem Beginn der CIA-gesteuerten Invasion der Schweinebucht.

Es muss nicht immer China sein…

Clark Hoyt berichtet in der New York Times über einen Kotau des Schwesterblatts International Herald Tribune gegenüber der Familie des Präsidenten Singapurs:

Lee Kuan Yew once testified, according to The Times, that he designed the draconian press laws to make sure that “journalists will not appear to be all-wise, all-powerful, omnipotent figures.” Four years ago, The Times quoted his son as saying, “If you don’t have the law of defamation, you would be like America, where people say terrible things about the president and it can’t be proved.”

Zensur? Nein, nur kreatives Medienrecht.

Stammtisch-Hochrechnung

Die Wahl-Twitter-Geschichte wäre eigentlich längst gegessen: die Behörden klopfen bei einem vermeintlich indiskreten CDU-Lokalpolitiker an, ansonsten geht alles seinen normalen Gang. Ein Schaden ist realistischerweise nicht entstanden, wie jeder bestätigt, der sich nach dem Stress des Wahlsonntags ein bisschen mit den Fakten beschäftigt hat.

Aber halt – es ist immer noch Wahlkampf. Mit Fakten beschäftigen wir uns nicht, wir wollen Taten sehen. Oder zumindest starke Worte hören. Und so fällt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ein, dass er ja was fordern kann: ein Umfrage-Verbot am Wahlsonntag. Die Begründung hat er direkt vom Stammtisch:

Die meisten Menschen werden gut damit leben können, wenn es wie früher die erste Hochrechnung erst gegen 18.30 Uhr gibt

Sehen wir mal davon ab, dass das eine absolut unbegründete Einschränkung von Presse- und Gewerbefreiheit wäre. Jeder halbwegs politisch Interessierte weiß, dass Exit-Polls einige Daten mehr erbringen als nur die reine Vorhersage der Wahlergebnisse um 18 Uhr. Die Umfragen erfassen auch demografische Daten, Wählerwanderungen, Motivationen – also genau die Daten, die Herrmanns Partei vor Kurzem ziemlich genau studiert hat, um zu erfahren, warum sie die absolute Mehrheit verloren hat. Diese Umfragen können auch wichtige Indizien auf Wahlfälschungen liefern.

Wenn die dpa Herrmann richtig zitiert, stehe ich vor der Frage, wie man ohne solche grundlegenden Kenntnisse ein Ministeramt begleiten kann. Oder ob Herr Herrmann schlichtweg damit rechnet, dass seine starken Worte sich im sonstigen Wahlkampfgetöse rasch verlieren und die dummen Wähler ihm schon nicht drauf kommen. Beide Alternativen sind nicht ermutigend.

PS: Frau Zypries verbreitet die selbe Polemik in grün.

Ja, die dritte Alternative haben wir jetzt noch nicht angesprochen und das ist die Alternative, dass man gar nicht mehr solche Nachbefragungen macht bei der Wahl und dementsprechend auch keine Vorab-Bekanntmachung mehr macht. Das würde bedeuten, dass wir das Wahlergebnis nicht schon bereits abends um viertel nach sechs haben, sondern dann vielleicht erst um 20 Uhr. Wäre, glaube ich, auch kein großer Schaden für die Demokratie.

Sie lässt sich aber eine Hintertür offen:

Es ist selten, dass ich mit Herrn Bosbach einer Meinung bin, aber ich würde auch nie sagen, dass man sie jetzt gleich nun verbieten sollte, sondern mein Petitum ist ja eher, erstens, lassen Sie uns gucken, ob sowas noch mal vorkommt oder ob das ein einmaliger Ausrutscher war, und zweitens, wenn, dann sollte man sich sorgfältig überlegen, was man macht und da gibt es eben verschiedene Alternativen.

PPS: Nachdem viel zu viele Kollegen den Blödsinn unkritisch und ohne Nachfrage weiter verbreitet haben, hat Jörg Schönenborn den Kollegen von tagesschau.de doch mal einen Tipp gegeben:

Schönenborn betonte, dass die Wähler-Nachbefragung nicht nur für die Erstellung von Prognosen wichtig sei, sondern auch Grundlage sämtlicher wissenschaftlicher Analysen über das Wählerverhalten. „Wenn man darauf verzichten würde, verzichtet man auch auf verlässliche Informationen darüber, wie bestimmte Wählergruppen gewählt haben oder welche Motive sie angeben“, sagte Schönenborn. Das könne sehr wohl zum Schaden der Demokratie sein.

Eigentlich hielt ich das ja für Allgemeinwissen, das man sich gemeinhin durch eine zumindest flüchtige Wahrnehmung der Wahlberichterstattung jenseits von Dienstwagen und Skiunfällen erwirbt.

Twitterfreiheit

Viel ist über den Twitter-Nutzer geschrieben worden, der illegal den Polizeifunk abgehört und Nachrichten über eine Geiselnahme gleich getwittert hat. Und sich unverschämt auf die Pressefreiheit berufen wollte.

Nun kann man lange über Bürgerjournalismus und Ethikfragen debattieren – aber in meinen Augen ist das hier nicht der Skandal. Das Problem ist viel mehr, dass die Polizei heute immer noch unverschlüsselt sensible Informationen in die Gegend sendet. Dass der Täter die Informationen mit einem kleinen Funkscanner direkt mithört war in diesem Fall wahrscheinlicher als dass er es über Twitter mitliest. Unter der Ägide von Herrn Schäuble und seinen Vorgängern wurden Milliarden Euro verjubelt ohne bis heute zu einem vorzeigbaren Ergebnis zu kommen. Dass der Twitter-Nutzer mitgeschrieben hat, macht nur deutlich wie viele andere heimlich und unbehelligt mithören konnten.

Das Problem: Wenn Polizeireporter und Funkamateure nicht mehr mithören können, geht ein Stück Transparenz und Kontrolle verloren. Hier wäre es an der Zeit, dass Deutschland einführt, was woanders selbst verständlich ist: Einsatzberichte und Alarme so offen und frei wie möglich zu machen. Als in Amsterdam ein Flugzeug abstürzte, ging die offizielle Alarmmeldung der Feuerwehr ganz legal über Twitter, in den USA kann man in öffentlichen Registern nachschlagen, wann und wo denn ein Polizist im Einsatz war.