Tote sind sexy

Newsjunkies haben es schwer: in der Medienmetropole Köln ist das Stadtarchiv eingestürzt, Großeinsatz der Polizei und Feuerwehr. Und gerade jetzt brechen die Server des Medienkonzerns Dumont-Schauberg offenbar zusammen. Express.de ist nur noch schwer zu erreichen, die Webseite des Kölner Stadtanzeigers wirft fast nur noch Fehlermeldungen aus.

Doch warum unbedingt bei der Lokalpresse nachlesen? Der WDR ist doch auch in der Stadt? Nun, die Nachrichten dort sind zu langweilig: Keine Nachrichten über Tote, vermutlich sogar nur leicht Verletzte. Ausgeschlossen werden kann natürlich nichts. Aber langweilig. Dagegen ist die Untergangsstimmung auf express.de doch sexy:

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30 Tote! Der Express ist am Ball, weiß mehr als alle anderen. Oder doch nicht? Im Artikel ist jedenfalls plötzlich nicht mehr von Toten die Rede. Im Gegenteil:

Über Tote oder Verletzte gibt es noch keine Erkenntnisse. Todesopfer sind zu erwarten, bislang wurde kein Mensch geborgen.

Wer etwas anderes vermutet oder befürchtet haben könnte, verrät uns der Express nicht.

Alles kein Problem. Schließlich ist der Express eine Boulevardzeitung, die mit der BILD zu konkurrieren muss und bei einem Brand in der Brauerei mal eben von „explodierenden Bierfässern“ fabuliert, um die Nachrichten etwas interessanter zu machen.

Nur leider ist die Vermutung von den 30 Toten auch zu dem seriösen Schwesterblatt Kölner Stadtanzeiger rübergewandert – wie beim Express sind die Toten nur in der Überschrift zu finden, wandern im Laufe des Nachmittags aber runter in den Teaser. Quellen für diese spektakuläre Zahl werden nicht genannt.

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Aber das reicht schon aus, um die Kunde von den 30 Toten quer durch die Republik weiterzureichen.

PS: Ursprung des Gerüchts ist offenbar ein Anwohner, der einem n-tv-Reporter aus zweiter Hand erzählt hat, dass er etwas gehört habe. Dass dessen Aussage in der Überschrift und die offiziellen Auskünfte unten im Text landen – eigentlich nur logisch. Oder?

PPS: Die Fehlinformation Latrinenparole wurde inzwischen bei allen Medien gelöscht – bei fast allen.

RTL2 muss nicht sein, Arroganz aber auch nicht

Spannende Idee: Ein Fernseh-Programm ohne RTL2, dafür mit einem Radio-Programm. Bei den Verlagen sind die Macher abgeblitzt, nun suchen sie im Internet Abonennten.

Prinzipiell würde ich zum sehr interessierten Kreis gehören. Aber warum kann man die wenigen Muster-Seiten nicht lesen? Gerade die Programmauswahl ist angesichts immer neuer Digitalkanäle die Quadratur des Kreises. Wenn die Programm-Macher nicht mal verraten, welche dieser Kanäle sie denn bemerkenswert finden oder dem künftigen Leser die redaktionelle Aufarbeitung des Programms eines beliebigen Tages zeigen können, sollen wir wohl die Katze im Sack kaufen. Oder erwarten sie, dass wir uns ins Layout verlieben?

Zudem scheint mir das Konzept überladen und ein wenig etepetete. Autoren-Texte von Charlotte Roche über Simone de Beauvoi interessieren mich nicht. Die sonstigen Themen: Dschungelcamp und Radio-Tatort. Nicht vielversprechend.

Und ist es nicht arrogant, wenn die Jungverleger zwar im Internet um Abonnenten werben, im Heft-Konzept die „neuen Medien“ aber komplett ignorieren? Stattdessen wird ein bundesweiter Theater-Kalender auf zwei Seiten gedruckt. Wohl für Leute, die auf dem Weg nach Bayreuth mal eben die Medienentwicklung verschlafen.

PS: Ich hab mir jetzt einen digitalen Videorekorder bestellt. Wozu brauche ich überhaupt noch Tageslistings?

De Twitterus fantasticus

Im JoNet tobt mal wieder die Diskussion, um Twitter, Blogs, Facebook und Co. Und wie zu erwarten wiederholen sich immer wieder die alten Argumente. Zwei simple Feststellungen:

  • Natürlich wird Twitter gerade gehypt. Die Firma hat keine Einnahmequellen, von einem gangbaren Geschäftsmodell habe ich nichts gehört. Und Twitter hatte bei der Notwasserung im Hudson exakt keinen Mehrwert gegenüber den klassischen Medienkanälen. Die deutschen Twitterer haben die Tweets des twitternden Augenzeugen erst entdeckt, als der schon CNN (oder MSNBC?) ein Live-Interview gegeben hatte. Das Flugzeug ist vor DER Medienhauptstadt der Welt notgewassert. Da Spiderman grade in Washington beschäftigt war, hatte der Daily Bungle diesmal nicht als erstes Exklusivfotos. Who cares?
  • Und natürlich sollten sich Berufskommunikatoren für neue Kommunikationsformen interessieren. Dass die derzeit meist besuchten Plattformen wie Facebook oder StudiVZ in der Regel nicht mal taugen um eine simple Geburtstagsparty zu organisieren, sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hier neue Kommunikationsmechanismen etablieren. Wer das ignoriert, wird das Nachsehen haben. Wer diese Medien jedoch als Allheilmittel verkaufen will, belügt sich selbst. Die Brechtsche Radiotheorie ist eine Theorie, YouTube ist die Praxis.

Die neue politische Arena?

Auf Netzpolitik findet sich die dritte Kurzstudie zur Politik im Web 2.0. Was mir fehlt: eine erste Erfolgsbilanz. Was kann ein deutscher Politiker in welchem Forum gewinnen? Nicht nur ich frage mich: Braucht ein Bundestagsabgeordneter einen Facebook-Account?

Was haben die Bürger davon, wenn der Spitzenkandidat herumtwittert? Und was hat der Politiker davon? Betrachten wir die ach so sympathischen Experiment einiger Spitzenpolitiker mit Twitter. So sorgt zuletzt Thorsten Schäfer-Gümbels Microblog für Mini-Aufsehen. Inhalte werden nicht wirklich transportiert, im Kurz-Wahlkampf kann der hessische Spitzenkandidat den Rückkanal der Wähler kaum nutzen. Er war nicht mal für einen Hack wichtig genug. Die Follower passen in ein Bierzelt und müssen wohl kaum noch von ihm überzeugt werden. Und falls sie es müssten: Mit den Micro-Frotzeleien macht er keinen Stich. Eine lustiger PR-Stunt – mehr nicht.

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Warum also überhaupt auf jeder Hochzeit mittanzen? Politiker sind Berufskommunikatoren – sie müssen auf allen Ebenen mit Dutzenden von Kanälen umgehen. Sicher gehören neue Medien dazu – aber muss man unbedingt auf Facebook sein? Denn Inhalte können dort kaum kommuniziert werden, zur Mobilisierung der Anhänger funktioniert auf eigenen Plattformen besser. Überhaupt sind die sozialen Plattformen in Deutschland bemerkenswert unbemerkenswert. Und die gesammelten Twitteraner konnten nicht mal Twitter dazu bringen, die IM-Anbindung wiederherzustellen oder OAuth zu implementieren.

Liberal media bias für Fortgeschrittene

Für Leute, denen Jon Steward zu repetitiv und Stephen Colbert zu nervtötend ist, habe ich einen Tipp. Die Sendung This American Life.

Die Sendung ist der feuchte Traum eines pundits: eine von Ostküsten-Intellektuellen produzierte Show über abartiges Verhalten, garniert mit verblendeter Regierungskritik. Die Autoren sind Juden, Kanadier, schwul oder gar Frauen. Damn liberal media bias!

Nein, im Ernst: die Sendung präsentiert für mich das Ideal eines Feuilletons. Im Radio. In literarischen Reportagen werden Lebensläufe, Kuriositäten und Skizzen aus dem amerikanischen Leben präsentiert. Jeweils eine Stunde lang, jeweils zu einem bestimmten Thema. Ich hab in den letzten Wochen immer wieder mal reingehört und habe viele sehr interessante Geschichten gehört.

So zum Beispiel die über die Sub-prime-Krise, die das Phänomen besser zusammenfasste als alles, was ich bisher gehört habe. Eine Preisverleihung für absurde Finanzprodukte. Barkeeper, die plötzlich miese Hypotheken handeln und haufenweise Geld verdienen. Nachdenklicher ist die Episode Mistakes were made, in denen ein Pionier der cryonics vorgestellt wird, der in aufopfernder Weise die Idee umsetzte, Menschen einzufrieren, um sie in Zukunft wieder zu beleben. Doch dann nimmt die Geschichte eine überraschende Wende. Grade erst zur Hälfte gehört habe ich die Folge über den amerikanischen Hausmeister. Darin wird unter anderem die Geschichte von Bob erzählt, der Gebäude in NYC verwaltete, auf die Glühbirnen achtete und jedem erzählte, dass er in Brasilien Immunität besitze und sogar den Präsidenten töten könne ohne bestraft zu werden. Und wie sich heruasstellte, dass das keine Erfindung war. Einen ganz anderen Blick auf den Irak-Krieg liefert die Folge Big Wide World, in der ein Diplomatensohn erzählt, wie er erst für Saddams Regime, dann für die US-Armee und die Medien arbeitete, um schließlich in die USA auszureisen.

Den Bürger über’s Knie gelegt

Ein sehr lesenswertes Interview Ex-Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem über Medien, Internet und die innere Sicherheit:

Hoffmann-Riem: Da habe ich überhaupt nicht den Eindruck, dass der Staat stärker geworden ist. Stärke heißt für mich, dass er in der Lage ist, die Probleme mit geringst möglichen Nachteilen zu bewältigen. Er hat viele neue Instrumente, aber noch nicht gelernt, sie so einzusetzen, dass mit geringster Beeinträchtigung der Bürger ein größtmöglicher Erfolg eintritt. Wenn ein Vater seinen Sohn schlägt oder ein Staat seine Bürger übermäßig beeinträchtigt, ist das für mich Machtausübung und keine Stärke.

Bekennt es endlich!

Es macht grade in vielen Blogs die Runde: Das Kommando Tito von Hardenberg behauptet, der Sendung Polylux einen falschen Interviewpartner untergeschoben zu haben. Der war zwar nicht besonders wichtig, sagte auch nichts wirklich Originelles, aber er war falsch. Das sagt zumindest das „Kommando“.

Big deal, ihr Anfänger!

Ich warte schon seit Jahren auf ein Bekennervideo der wirklich großen Medienhacker. Die, die es geschafft haben, über Jahre die TV-Landschaft und die politische Kultur zu beeinflussen. Ich habe nämlich Grund zur Annahme, dass sämtliche Gäste bei Sabine Christiansen Fakes waren. Bis auf Oskar Lafontaine natürlich – der ist so.

Liebes Kommando Sabine Christiansen, bitte steht endlich zu euren Taten. Mir fiele wirklich ein Stein vom Herzen!

Medienrealität

Wenn ich die vierte Zusammenfassung von Associated Press zum Brand im Chemiepark Dormagen lese, könnte ich annehmen, das Feuer sei gelöscht.

Der Gastank wurde mit Wasser gekühlt, angrenzende Gebäude evakuiert. Die Gasflamme sei am Abend gelöscht worden, berichtete Sprecher Hochweller. Über dem brennenden Tank sei schwerer, schwarzer Qualm entstanden, der weiterhin zu starker Rauchentwicklung geführt habe.

Es mag eine Gasflamme gelöscht worden sein – aber wenn ich durch das Fenster sehe, sind da immer noch die „haushohen Flammen“ von heute Nachmittag. Das Ganze spielt sich zwar 20 Kilometer entfernt ab, aber das Feuer ist sehr gut sichtbar.

Bei Spiegel Online brennt es zwar noch, dafür herrscht in der ganzen Region der Ausnahmezustand. Warum hat mir niemand Bescheid gesagt, dann hätte ich im Supermarkt noch ein paar Panikkäufe machen können. Aber auch im Ausnahmezustand herrscht in der Region Köln halt der ganz normale Ladenschluss. Nicht mal das Verkehrsinformationssystem NRW weiß von der akuten Notlage, die durch die Umleitung ausgelöst wurde.