NFTs und magisches Denken

Es fällt schwer, DAS eine Problem von NFTs zu benennen. Oft konzentrieren sich Leute darauf, dass es eine CO2-verschwendende, umweltschädliche Technologie ist. Doch ich glaube, dieser Vorwurf geht viel zu kurz. NFTs sind eine Querschnitts-Technologie, die eine ganze Reihe von Gesellschaftsproblemen vereint. Man kann sie vielleicht unter dem Schlagwort institutionalisierte Ignoranz oder magisches Denken zusammenfassen.

Der immer wieder vorgebrachte Glaube ist: NFTs werden immer im Wert steigen und gleichzeitig eine neue Egalisierung der Kreativen und ihrer Fans erzeugen. Diese beiden Ziele weisen jedoch in fundamental andere Richtungen: Kunstwerke, die immer mehr an Wert gewinnen, schließen natürlich die Schöpfer weitgehend von diesen Erträgen aus. Irgendwann müssen sie ihr Gemälde, ihre Skulptur, ihr pandimensionelles Fraktal verkaufen, um Miete und Essen zu zahlen – und ab diesem Zeitpunkt sind sie an der Wertentwicklung nicht mehr beteiligt. Van Gogh verstarb in bitterer Armut, seine Werke werden heute für über 100 Millionen Dollar gehandelt.

Es ist kein Zufall, dass der Kunstmarkt explodiert, wenn ein Künstler stirbt. Ein naheliegender Grund: Er kann nicht keine neuen Werke mehr produzieren, sodass jede Nachfrage auf ein Angebot stößt, dass nicht mehr wachsen kann. Ein anderer Faktor ist: Der Künstler kann keine Anteile mehr verlangen. Der Gewinn durch Preissteigerungen geht somit komplett in die Kasse der Händler und sie müssen nicht befürchten, dass der Künstler beim nächsten Werk einen kräftigen Aufschlag verlangt.

Zum anderen: Der Kunstmarkt, der sich nun vermeintlich der breiten Öffentlichkeit öffnet, zeichnet sich vor allem durch eins aus: Die prominentesten als NFT verkauften JPEGs sind von ausgesuchter Hässlichkeit. Es handelt sich wohlgemerkt um keine Hässlichkeit, die den Zustand der Welt oder einen Gemütszustand widerspiegelt. Sie sind unkreativ, massenproduziert, beliebig und… nunja… hässlich. Sicher: Es gibt sicher auch tolle Werke, die als NFT gehandelt werden. Nur wissen die Künstler nicht unbedingt davon.

Die Hässlichkeit ist Teil des Konzepts. Wenn niemand wirklich begreifen kann, ob sich etwas um eine gedankenlose Schmiererei oder um das geilste Kunstwerk der Welt handelt, liegt die komplette Werkschöpfung beim Marketing, beim Händler. Man muss keinen Künstler bezahlen, der sich ständig was Neues ausdenkt, der irgendetwas von sich preisgibt. Das kommerziell ideale NFT hat alle Eigenschaften eines einzelnen Zeichentrickfilm-Blattes: Sie sind sofort wiedererkennbar, liegen zu Zehntausenden vor und wer auch immer sie gezeichnet hat, hat niemals individuelle Rechte daran erworben. Die kämen der Spekulation nur in die Quere.

Nun zum zweiten Ziel: Werden NFTs nicht immer im Wert steigen? Spezifischer: Wird das Werk, das ich als NFT vermeintlich kaufe, nicht immer weiter im Wert steigen? Ich habe noch irgendwo ein Album mit wirklich schönen, limiertierten und ungenutzten Telefonkarten liegen, das sagt: Nein.

Die zentrale Säule für vermeintliche Gewinne in vielen Crypto-Anlagen ist: „Scarcity“ – zu Deutsch: Knappheit. Die Idee ist: Solange man etwas wirklich Einzigartiges oder zumindest Seltenes hat, muss es wertvoller werden. Leute sind mit dieser Idee zu Milliardären geworden. Etwa Ty Warner, der mit seinen „Beanie Babies“ in den USA eine wilde Spekulationsblase ausgelöst hatte. Viele Leute haben ihre Ersparnisse verloren, Warner hingegen ist Milliardär. Und so einige werden einen guten Schnitt gemacht haben, die früh in den Trend eingestiegen und ebenso früh wieder ausgestiegen sind.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass man die oben beschrieben widerstreitenden Ziele der Egalisierung und des Wertgewinns irgendwie vereint oder einen Kompromiss findet. Twitter zum Beispiel nutzt NFTs, um für den kostenpflichtigen Twitter-Blue-Account zu werben. 3 US-Dollar pro Monat – das klingt nicht wirklich nach einem hyperkapitalistischen Plot, oder? Nun: Würden die Leute auch ihre NFTs für 3 oder gar 20 Dollar kaufen, gäbe es kein Problem, das ich entdecken kann.

Wenn jedoch magisches Denken hinzukommt, ist da plötzlich ein Problem. Wer sich ein Angebot auf Opensea ansieht und dort entdeckt, dass ein hässliches Bild eines hässlichen Turnschuhs erst zum Gegenwert von 2000 US-Dollar, dann für 5000 Dollar, dann für 10000 Dollar weiterverkauft wurde – und das alles in nur einem Monat! – dann extrapolieren wir natürlich. Im nächsten Monat ist es sicher 20000 Dollar wert. Schließlich haben wir mit Covid Exponentialfunktionen gelernt.

Wenn man jedoch einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Warum sollte jemand dieses, und nicht eins der 50000 gleichwertigen NFTs kaufen, dann weiß niemand eine Antwort. Dann beginnen die Ausflüchte: Du hast NFTs eigentlich nicht verstanden. Sieh doch nur. 10000 US-Dollar. Die Underpants Gnomes hatten keine Ahnung. FOMO!

Das ist auch vermutlich der Grund, warum NFTs nicht zu einem umweltschonenderen Verfahren umgestiegen sind, was technisch absolut kein Problem wäre. Nur wenn man das Erstellen von NFTs ins Astronomische künstlich verteuert, kann man das Angebot klein genug halten. Doch ein Echtheitszertifikat kann jeder kostenfrei mit Open-Source-Mitteln erstellen.

Deswegen führt auch die Frage, ob nun die Blockchains zentral (sie sind es) oder dezentral sind (sie könnten es sein), nicht wirklich weiter. Das Wertvollste an einem Opensea-Item ist nicht der Link auf irgendein JPG, es ist die Kaufhistorie. Hier steckt der ganze Wert eines NFT. Hier steckt die ganze Fantasie. Hier steckt die ganze Magie.

Glaubt ihr an Magie? Dann spielt Quidditch.

PS: Ich wurde auf Gegenbeispiele aufmerksam gemacht, die auf der anderen Grundprinzipien basieren als OpenSea und daher für einige meiner Kritikpunkte oben nicht anfällig sind. Sie basieren beispielsweise auf der Tezos-Plattform, die pro Mint-Vorgang nicht unheimliche Mengen CO2 verbraucht und auch für Künstler sehr günstige Tarife anbietet.

Das Problem mit diesen Beispielen ist: Der Tezos-Kurs hat laut Coinbase am 4. Oktober 2021 einen Peak erlebt und war da umgerechnet 7,86 Euro wert. Heute sind es 2,65 Euro, ziemlich genau ein Drittel. Der real existierende NFT-Markt hat also eine klare Präferenz gegen diese Modelle, die nach oben skizzierten Gesichtspunkten günstiger für Künstler wären.