Netzneutralität? Gesundheit!

Die Pressearbeit der Deutschen Telekom hat sich zur Verteidigung des Angriffs auf die Netzneutralität ein schönes Thema ausgesucht: Gesundheitsanwendungen über das Internet. Wer würde auch gegen Gesundheit sein wollen?

Wo könnte latenzfreie Verbindungen wichtiger sein als bei Herz-OPs, bei denen der Operateur ein paar Tausend Kilometer entfernt ist, wie es in den weiten Steppen Deutschlands immer wieder der Fall ist. Wo?

Richtig: im Finanzsektor. Hier wird Diskriminierungsfreiheit und Latenz so groß geschrieben, dass die New Yorker Börse die Länge der Netzwerkkabel überprüfen muss, damit niemand eine Millisekunde mehr herausschlagen kann.

Warum hat die Finanzbranche also noch nicht den Abbau der Netzneutralität verlangt? Sonst sind die Ackermänner doch gar nicht schüchtern, wenn es um Forderungen geht.

Nun, einen Hinweis bietet eine Pressemitteilung von Level3, die mich heute erreichte.

Frankfurt/Main, 17. August 2010 – Level 3 bietet ab sofort eine direkte Anbindung an BATS Europe, den Betreiber einer europäischen Multilateral Trading Facility (MTF). Damit erhalten Level 3-Kunden aus der
Finanzdienstleistungsbranche Zugang zum internationalen Tier-1 Glasfasernetz von Level 3 und profitieren von niedrigen Latenzzeiten bei der Ausführung von europäischen Aufträgen in Nordamerika.

„Bei Finanztransaktionen zählen häufig Bruchteile von Sekunden, deshalb haben wir unsere Lösungen so ausgerichtet, dass sie auch den extrem hohen Ansprüchen der Finanzindustrie genügen“, erklärt James Heard, President European Markets bei Level 3. „Die an BATS angeschlossenen Händler haben jetzt Zugang zu Lösungen, die neun von zehn Top-Banken im Tagesgeschäft nutzen. Dazu gehören der Handel mit geringer Verzögerung, skalierbare Hochgeschwindigkeitszugänge und die Datenübertragung auf einem Sicherheitsniveau, das die wichtigen Industriestandards erfüllt.“

Aber über dieses Netz kann man sicher keine Herz-OPs ausführen. Welches Herz ist auch so viel wert, wie eine Million Finanzobligationen, die man 20 Sekunden später für einen Cent mehr weiter verkaufen kann?

Die Propaganda der anderen

Große Aufregung um den Artikel Schnell gelöscht? Von wegen!. Für Andre Meister ist es klare Propaganda für Netz-Sperren, für Thomas Stadler ist der Autor nur ein gewisser Stefan Tomik. Beleuchtet wird der Artikel alleine unter der Vorgabe: Nutzt er dem Ziel, Netzsperren zu verhindern?

Dabei hat Tomik in seinem Artikel – neben einigen Mängeln – sehr valide Punkte gemacht. Wenn die INHOPE-Statistiken wenig wert sind, gehört das zur öffentlichen Diskussion. Man kann sich nicht über Statistik-Tricks bei Ursula von der Leyen echauffieren und das Hinterfragen der Statistiken verweigern, die einem selbst in den Kram passen.

Dass der etwas plumpe Slogan „Löschen statt Sperren“ unter den alten Prämissen, ohne konkrete Maßnahmen und Zielvorgaben einfach so funktionieren würde, war einfach nicht zu erwarten. Wieso eine simple Parole als Alternativvorschlag nicht funktionieren konnte, habe ich hier schon im Februar begründet.

Tomik hat aber nicht schlicht die INHOPE-Angben zerpflückt, er hat auch weiter nach Gründen gefragt:

Die Provider direkt informieren, im Netz-Slang heißt das „Notice and Takedown“, das dürfen manche Hotlines gar nicht. Nationale Regeln verbieten es ihnen. Andere schieben juristische Gründe vor. Sie gäben in ihrer E-Mail ja Hinweise auf illegale Websites weiter. Also Verbreitung von Kinderpornographie. Dabei unterhält jeder anständige Provider einen speziellen Abuse-Kontakt. Was soll man denn dort sonst melden, wenn nicht Hinweise auf illegale Inhalte?

Das ist ein ernstes Problem. Durch die hysterische Gesetzgebung ohne Blick auf die Folgen wurde schon viel Porzellan zerschlagen. So mach zum Beispiel Udo Vetter darauf aufmerksam, dass ein besorgter Bürger keinesfalls den gut gemeinten Vorschlägen der Polizei folgen sollte, wenn man nicht selbst angezeigt werden will. Wenn nicht einmal mehr Beschwerdestellen sich trauen, Links weiterzusenden, hat der Kampf gegen Kinderpornografie sich selbst ins Knie geschossen. Die gut gemeinten Gesetze sind eine Fassade, hinter der sich Verbrecher verstecken können.

In Deutschland ist der Gesetzgeber bereits vor zwei Jahren viel zu weit gegangen, als er die Jugendanscheinspornografie unter Strafe stellte. Wollte die Polizei dieses Gesetz wirklich durchsetzen, könnte das Bundeskriminalamt nichts anderes mehr tun – denn für den juristischen Laien ist ja schon das Fernsehprogramm von VIVA im jugendpornografischen Graubereich.

Lange Rede, kurzer Sinn: die Fakten zeigen wieder einmal, dass man – wenn man denn das Problem Kinderpornografie angehen will – nur mit Koordination und einem Funken Menschenverstand Erfolg haben kann. Simple Parolen sind nicht zielführend – egal von welcher Seite sie kommen.

P.S.: Andere wachsame Geister haben sich die Fakten genauer angesehen und ernste Fehler entdeckt.

Lösung für das Street-View-Problem

Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt sie zu wiederholen. Während alle Welt nach einer neuen Balance zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit sucht, habe ich in die Geschichtsbücher gesehen und die Lösung gefunden. Der brtitische Locomotive Act von 1865, auch bekannt als der Red Flag Act:

Das Gesetz schrieb vor, dass ein Gefährt ohne Pferde bzw. ein Automobil mit einer Geschwindigkeit von maximal 4 Meilen (~ 6,4 km/h) in der Stunde fahren durfte. Innerhalb der Ortschaften betrug das Limit 2 Meilen pro Stunde.. Bei jedem Automobil mussten 2 Personen zum Führen des Fahrzeugs anwesend sein und ein Fußgänger hatte vorauszulaufen, der zur Warnung der Bevölkerung eine rote Flagge tragen musste. Diese Vorschrift wirkte sich 31 Jahre äußerst hinderlich auf den Verkauf, auf die Entwicklung und den Bau von Automobilen in Großbritannien aus.

Aber genug mit der Polemik.

Einer der Vorbehalte gegen Google Street View ist, dass das Google-Auto die Menschen unvorbereitet erwischt. Mal nicht Richtung Straße geguckt und schon wird ein Kinderspiel zum weltweiten Medienereignis. Das ist eine andere Dimension als der Tourist, der mit seinen Fotos das Lokalkolorit einfängt oder das Pressefoto, das in Altpapier und nie mehr aufgerufenen Archiven verschwindet.

In meiner Heimat gab es den tollen Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ – Wochen bevor die Jury durch das Dorf schritt wurden Blumenbeete aufgefüllt, Fahnen aufgehängt und Fassaden gestrichen, eine Kehrwoche eingelegt. Man wollte sich im besten Licht zeigen, wenn der Bürgermeister die weit angereisten Juroren herumführte.

Irgendwie klappt das bei Google nicht richtig. Ich erfuhr, dass Google Köln abfotografiert, als ich den Kamerawagen in der Aachener Straße sah. Nicht gerade versteckt, aber nicht so auffällig, dass es einem hätte auffallen müssen. Vor allem, wenn man auf dem Balkon grade anderen Beschäftigungenen nachgeht.

Vielleicht sollte Google neben dem Widerspruchsfomular auch einen Antrag online stellen, das eigene Haus nochmal besser fotografieren zu lassen. Wenn eh ganze Straßenzüge Widerspruch einlegen wollen, rentiert sich vielleicht die Korrekturfahrt. Für künftige Kameratouren könnte Google ja auch einen Benachrichtigungs-Service anbieten. Sie wollen wissen, wann das Google-Auto vorbeifährt? Kein Problem – Google schickt eine Mail.

Flattr To-Do

Flattr ist aus der Beta-Version entwachsen. Herzlichen Glückwunsch.

Hoffentlich einer der ersten Einträge auf der To-Do-Liste: Baut einen Flattr-Button, der etwas weniger datenschutzunfreundlich ist als Facebooks „I-Like“-Button oder Google Analytics. Es geht.

Ach ja: Eine „social micropayment plattform“ sollte Zahlungsmethoden anbieten, die nicht Mal eben mehr als 10 Prozent abkassieren. Auch das geht.

Netzneutralität für Fortgeschrittene

Drüben auf dem Planeten Rot-Grün gibt es grade eine Petition Unterschriftenliste Pro Netzneutralität. Und es geht um wichtiges:

Ein freies und barrierefreies Internet ermöglicht es, dass innovative Produkte und Dienstleistungen überall auf der Welt angeboten werden können. Dies fördert Innovationsprozesse.

Das ist zwar korrekt – ohne Netzneutralität hätten wir heute in Deutschland vielleicht ein stark ausgebautes BTX an Stelle des Internets. Niemand will das. Aber Netzneutralität kann man auf so viele Weisen interpretieren, dass letztlich auch René Obermann den Appell unterschreiben könnte. Machen wir es daher etwas konkreter: Statt dem gefälligen „Seid ihr für Netzneutralität?“ sollte man vielleicht spezifischer fragen:

  • Wer soll ein Internet „ohne staatliche oder wirtschaftliche Eingriffe“ durchsetzen, wer entscheidet wann sie von einem Provider gebrochen wurde? Die Bundesnetzagentur nach den Vorgaben von Enquette-Kommission, Bundestag und Wirtschaftsministerium? Eine amerikanische Regierungsbehörde?
  • Darf die Telekom Bandbreite für ihr T-Entertain-Multicast reservieren oder soll im Zweifel das Fernsehbild gestört werden, wenn ein besonders großer Download läuft?
  • Darf mein Voice-over-IP-Telefon meinem Provider signalisieren, dass ein Telefongespräch unfreundlicher auf Verzögerungen im Datenfluss reagiert als die E-Mail, die ich parallel abschicke?
  • Darf ein Mobilfunkprovider gesonderte Datentarife für das neuste iPhone erheben? (Zusatzfrage: wenn ihr dagegen seid, warum kauft ihr es dann massenhaft?)

Don’t blame Wikileaks

Die New York Times hat ein Portrait über Bradley Manning veröffentlicht, der mutmaßlich militärische Geheimdokumente an Wikileaks übergeben hat. Die Quellenlage ist dünn, die Reporter konnten offenbar nur Ansprechpartner aus dem weiteren Umfeld Mannings interviewen. Dennoch fügt sich ein Bild zusammen:

He spent part of his childhood with his father in the arid plains of central Oklahoma, where classmates made fun of him for being a geek. He spent another part with his mother in a small, remote corner of southwest Wales, where classmates made fun of him for being gay.

He was hired and quickly fired from a small software company, where his employer, Kord Campbell, recalled him as clean-cut and highly intelligent with an almost innate sense for programming, as well as the personality of a bull in a china shop. Then his father found out he was gay and kicked him out of the house, friends said. Mr. Clark, the Cambridge friend, said Private Manning told him he lived out of his car briefly while he worked in a series of minimum-wage retail jobs.

Meanwhile, his military career was anything but stellar. He had been reprimanded twice, including once for assaulting an officer. He wrote in e-mails that he felt “regularly ignored” by his superiors “except when I had something essential, then it was back to ‘Bring me coffee, then sweep the floor.’ ”

Ein Teenager, der nie im Leben eine wirklich feste Bindung hatte, der von einem sozialen Umfeld ins nächste gestoßen wird und offenkundige Probleme mit Autorität hat. Ein junger Mann, dessen sexuelle Identität der US-Army immer noch solche Angst einjagt, dass nicht darüber zu sprechen als die einzige Alternative erscheint. Er bekam trotz allem die Berechtigung zwischen Bodenwischen und Kaffeekochen Geheimakten einzusehen. Und das in einem Umfeld, in dem Soldaten Datenträger unbehelligt hinausschmuggeln können. Wer so mit vermeintlichen Geheimnissen umgeht, kann sie gleich im Radio verlesen lassen und darauf hoffen, dass niemand die richtige Frequenz einstellt.

Wikileaks möchte unterdessen 700.000 Dollar haben, um zu brisante Informationen aus unveröffentlichten Dokumenten zu streichen. Ein bemerkenswerter Wechsel im Business-Plan.

PS: Die US-Armee hat nun auch etwas gemerkt.

Medienkompetenz, Lektion 2

Erstaunlich wenige Menschen wollen Dich tatsächlich anlügen. Das bedeutet aber nicht, dass sie die Wahrheit sagen.

Sie werten anders, sie priorisieren Informationen, die aus ihren Augen zu kurz kommen, sie schwimmen gegen den Strom. Und die Wahrheit – das ist ja schließlich mehr als die Summe der Fakten, oder? Aus der Wahrheit wird die einzige Wahrheit(TM).

In den allermeisten Fällen irren sich die Menschen aber auch schlicht.

Theorie und Anwendung

Der Spiegel hat einen Artikel über die Arbeit des Wirtschaftshistorikers Eckhard Höffner veröffentlicht. Grundthese: durch die spätere Einführung beziehungsweise Durchsetzung des Urheberrechts profitierte Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien.

Höffners Fleißarbeit ist die erste wissenschaftliche Arbeit, in der die Auswirkungen des Urheberrechts über einen vergleichbar langen Zeitraum und anhand eines direkten Vergleichs zweier Länder untersucht wird. Seine Erkenntnisse sorgen in der Fachwelt für Aufregung. Denn bislang galt das Urheberrecht als große Errungenschaft und Garant für einen florierenden Buchmarkt. Demnach werden Autoren nur dann zum Schreiben animiert, so die Lehrmeinung, wenn sie ihre Rechte gewahrt wissen.

Doch die Geschichte zeigt ein ganz anderes Bild:

In Deutschland hingegen saßen den Verlegern Plagiatoren im Nacken, die jede Neuerscheinung ohne Furcht vor Strafe nachdrucken und billig verkaufen durften. Erfolgreiche Verlage reagierten mit Raffinesse auf die Abkupferer und ersannen eine Form der Publikation, wie sie noch heute üblich ist: Sie gaben edle Ausgaben für Wohlhabende heraus und günstige Taschenbücher für die Masse.So entstand ein ganz anderer Buchmarkt als in England: Bestseller und wissenschaftliche Werke wurden in großer Stückzahl und zu Ramschpreisen unters Volk gebracht."So viel tausend Menschen in den verborgensten Winkeln Teutschlands, welche unmöglich, der theuren Preise wegen, an Bücher kaufen denken konnten, haben nach und nach eine kleine Bibliothek mit Nachdrucken zusammengebracht", notierte der Historiker Heinrich Bensen verzückt.

Die Engländer mit ihren Nobel-Bänden versinken in Lethargie, die Taschenbuch-Deutschen hingegen werden die Meister des Wissens, deutsch wird zur Sprache der Gelehrsamkeit weltweit. Die Lehre ist klar: Macht Bücher billig und ihr könnt das Weltwissen erobern. Danke, Herr Höffner, das ist ein wichtiger Hinweis.

Ach ja, was kostet die Langfassung dieser Botschaft? Kauft man beide Bände einzeln, zahlt man 138 Euro – im Verlag Fifo Ost (Gesellschafter: Eckhard Höffner) gibt es beide Bände zum Schnäppchenpreis von nur 100 Euro – natürlich zuzüglich Versand. Eine elektronische Fassung oder eine Taschenbuch-Ausgabe scheint es nicht zu geben.

Die Leaks der anderen

Whistleblower sind Vorbilder, Vorreiter der Demokratie, Helden – solange man selbst nicht betroffen ist. Auf der Antragsseite zur Piratenpartei-Vorstandssitzung von gestern zeigt sich diese Dualität sehr schön:

Antrag Nummer 1:

Der Bundesvorstand möge beschließen, Wikileaks Unterstützung anzubieten und dementsprechend auch eine Pressemitteilung rauszubringen.

Begründung

Die schwedische Piratenpartei bietet mittlerweile Unterstützung für Wikileaks an [1]. Würden wir dasselbe machen, würden wir einerseits auch das Projekt unterstützen und andererseits auch unseren Programmpunkt „Whistleblowing“ aktiv besetzen.

Wie die Unterstützung genau dann ablaufen soll/wird, müsste geklärt werden. Wichtig ist jedoch, dass wir nicht noch weiter warten können, bis das Rechtliche/Technische „Gebilde“ steht, wir müssen aktiv werden. Es reicht doch schon nur seine Unterstützung zuzusagen und entsprechend eine Pressemitteilung rauszubringen. Der Rest sollte dann allerdings nicht in Vergessenheit geraten!

Antrag Nummer 2:

Hier beantrage ich gegen den Beisitzer im Bundesvorstand Christopher Lauer, eine Verwarnung gemäß §6(1) Bundessatzung der Piratenpartei Deutschland auszusprechen.

Begründung

Christopher Lauer hat mich am 28. Juli um 21:14 in meiner Eigenschaft als Richter am BSG gebeten, ihm ein Urteil vorab zukommen zu lassen um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen. Er sandte mir dazu eine Direktnachricht per Twitter mit dem Wortlaut „also vielleicht könntest du mir dann das Urteil leaken, damit wir wissen welcher Server am Start sein muss“.
Gerade für ein Mitglied des Bundesvorstandes ist es eine Ungeheuerlichkeit, entgegen besseren Wissens zu versuchen, ein Urteil vorab erhalten zu wollen. Er ist aufgrund dieses Verhaltens zu verwarnen.