Rettung für den physischen Journalismus

Alle haben es gewusst, jetzt ist es amtlich von der Financial Times gedrucktpixelt: die Verlage bremsen sich selbst aus, wenn es ums Digitale geht.

Ja, wie auch sonst? Die Trennung von der physischen Welt, der Quantensprung zur die Information mit der man weder Blumen noch frische Fische einwickeln kann – das überfordert die Internetausdrucker. Das iPad mag als goldener Content-Käfig die Illusion der Druckerpresse aufbauen, aber wieso sollte man dem Ganzen trauen? Steve Jobs, unser Retter! Messias! Teufel! Steve Jobs, wir trauen Dir nicht! Wir wurden von Google verraten, warum solltest es bei Dir besser sein?

Liebe Verlage, ich habe eine Idee. Wir retten den physischen Part des Journalismusbevertriebs, revolutionieren die Geolokalisation und die Geeks rennen uns die Türen ein. Sicher – es wird einige Milliarden kosten, aber ihr habt über Jahrzehnte Traumrenditen erwirtschaftet. Schließlich konnten die Atomstrom-Produzenten den Mobilfunk nach Deutschland bringen, warum ihr nicht eine neue Lese-Kultur?

Die Idee, die mir vorschwebt ist ganz einfach: ein Cafe. Nein: Tausende! Überall in Deutschland. Ich liebe es, am Wochenende ins Cafe zu gehen und in den herumliegenden Zeitschriften zu schmökern. Stunde um Stunde verrinnt, wenn die FAZ, die SZ, der Kölner Stadt-Anzeiger ausliegen. Gastronomiebetriebe mit Lesezirkel-Abo meide ich, ich will den unmittelbaren Zugang zu dieser archaischen Leseform, die Papierzeitungen nun Mal sind. Brauereien haben über Jahrzehnte in Kneipen investiert, warum sollten Verlage nicht in Cafes investieren? Selbst in Thalia-Buchhandlungen kann man sich die Spiegel-Bestsellerliste bei einem staubigen Cappucino durchlesen.

Jetzt kommt der Clou. In den Lese-Cafes – die Markenanwälte finden sicher einen eingängigen Namen, der für ein paar Hunderttausend Euro zu haben ist – liegen nicht nur die Verlagsprodukte aus. Sie sind auch ein Rückkanal. Ich weiß: alle Anstrengungen im letzten Jahr zielten darauf, den kleingliedrigen Lokaljournalismus zu verbilligen und zu banalisieren: ein paar Redakteure in der Zentrale – das sollte reichen. Doch die unterbezahlten Amateure vor Ort – sie kaschieren die Leere nicht wirklich.

Hier kommt der revolutionäre Aspekt meines Konzepts. Denn der Kellner in meinem Content-Cafe ist nicht nur der unmotivierte Koffeindistributor, der zwischen Kaffeemaschine und Trinkgeldannahme hin- und herscharwenzelt. Er ist ein Content-Agent. Sprich: er hat vorher die Verlagsprodukte studiert und weiß, dass in meiner Nachbarschaft ein Mann niedergestochen schwere Stichverletzungen hatte. Mit kurzen Fragen erkundet er meine Interessensgebiete – eventuell gebe ich ihm auch einfach mein Facebook-Profil – und er serviert mir die Nachrichten aus der Nachbarschaft brühwarm, während der Capuucino kalt wird. Aber das ist mir egal – ich greife gerne zu der Zeitung, die er mir mit der Tasse gereicht hat und versinke in der Welt der journalistischen Erzählung. Objektiv. Überparteilich. Und unterhaltsam wie ein Sack Flöhe. Und pro Tasse Koffein gibt es 30 Cent für FAZ, SZ und De:Bug. An dem Bionade-Umsatz werden Neon und Bravo beteiligt.

Und nun zum zweiten Twist in meinem Pitch: in jedem der Cafes sitzt ein Lokalredakteur. Keine Bange – die meisten werden froh sein den Newsdesks zu entkommen – und werkt so vor sich hin. Um authentisch zu sein, muss der Journalist heute nicht Mal mehr Kette rauchen oder betrunken sein: Kaffee, ein Laptop und Internetzugang reichen aus, um voneinander abzuschreiben. Für eigene Recherchen sollte auch ab und zu ein Croissant drin sein oder gar ein frischer Salat.

Der Redakteur vor Ort dient als unmittelbarer Rückkanal, eine Revolution des Verlagswesens. Wir müssen nicht warten, bis ein Herr Sauerland zurücktritt – der Cafedakteur hört von den umgebenden Tischen, dass der Sündenbock gefunden ist und schreibt das auf. Eine Geo-Information dazu und die Content-Agents in den Cafes der Umgebung können die Botschaft gleich weitertragen. Und falls sie nicht anschlägt, schreibt der Cafedakteur halt was anderes.

Natürlich darf der Leser auch andere Vorschläge machen, Rechercheaufträge erteilen. Warum soll er auch googlen, wenn das ein Profi übernimmt. Über Jahre wurde Medienkompetenz jedes Einzelnen gepredigt. Ein Irrweg, wie wir heute wissen: das Erfolgsprinzip unserer Gesellschaft ist die Arbeitsteilung – wenn also nicht mehr jeder seinen Grünkohl selbst anbaut, wieso sollte jeder wissen, wie der Ministerpräsident seines Bundeslandes heißt. Die Cafedakteure sind Infoarbeiter an vorderster Front und werden den Part gerne übernehmen, den sie schon immer spielten: besser wissen und belehren. Und vielleicht können sie nebenher ein paar Volkszahnbürsten verkaufen.

Ach ja: das Leistungsschutzrecht kommt natürlich trotzdem. Denn schließlich können die Leute auch zu Hause Kaffee und Bionade trinken. Und das wollen wir doch nicht einreißen lassen. Zur Sicherheit sollten wir auch das Mitführen von Computern und computer-ähnlichen Geräten in Cafes verbieten.

Plumpe Werbung unter der Dorflinde

Der „Deutsche Knigge-Rat“ widmet sich in einer Pressemitteilung der mondänen Welt von Facebook, Twitter und Co hin. Zwar hat die Konkurrenz von der „Deutschen Knigge-Gesellschaft“ grade für die Deutsche Telekom auch ganz viele tolle Ratschläge aufgeschrieben, aber seien wir nicht kniggerich. Rainer Wälde handelt aus höherem Antrieb:

Für Rainer Wälde, Leiter des Deutschen Knigge-Rats, übernehmen die Netzwerke für den postmodernen Menschen „die Funktion der Dorflinde, unter der sich früher die Bewohner zum täglichen Austausch getroffen haben.“

Nicht Stammkneipe, Sportverein oder der Friseursalon sind die Referenz für sozialen Austausch, sondern die Dorflinde. Was mich zur Schlussfolgerung verleitet: Entweder hat Herr Wälde 150 Jahre in einem Schneewittchenschlaf verbracht oder er bezieht seine guten Sitten aus der Welt der Rosamunde Pilcher.

Immerhin hat er es geschafft die Selbstverständlichkeiten des digitalen Umgangs miteinander in zwölf schön anzuschauende Thesen zusammenzuschnüren. Banal? Ja, vielleicht – aber sicher ein Anlass über sein Digitales Ego zu reflektieren. Eine wirklich nette Story.

Allerdings ist der Schluss etwas kurios:

12. Business-Tipp: Vorsicht vor plumper Werbung
Belasten Sie „Freundschaften“ nicht mit plumper Werbung. Wenn Sie nur platt verkaufen wollen, werden Sie schnell ignoriert. Denken Sie langfristig und vermeiden Sie es als „nervender Nachbar“ ausgegrenzt zu werden.

Rainer Wälde ist Vorsitzender des Deutschen Knigge-Rats und Autor des neuen Ratgebers „Personal Branding. Natürlich erfolgreich – auch bei Facebook, Twitter & Co.“. (ISBN 978-3927825048)

Ja, plumpe Eigenwerbung sieht ganz anders aus…