Sperrfristen FTW

Ich bin wirklich beeindruckt: Obwohl heute inzwischen jeder vom Eklat bei der Verleihung des Deutschen Fersnehpreises berichtet, rückt niemand damit heraus, mit wem der große Marcel Raich-Radetzky nicht in einer Reihe stehen wollte.

Auswahl gibt es ja genug: Vom unsäglichen Kerner über den leider zur Räuberpistole abgedrifteten Kriminaldauerdienst bis zu vielen Leuten und Sendungen, von denen ich nie gehört habe – und falls ich davon gehört habe, würde ich sie nicht einschalten.

Ist das Ganze ein Debakel? Kaum. Mehr Berichterstattung hat dieser Preis wohl nie gehabt, selbst ZDF-Verweigerer wollen heute abend einschalten.

Die Mainzer planen übrigens schon eifrig an der versprochenen Sendung. Ob die parallel zu Schmidt und Pocher auf Sendung geht? Falls ja: im Anschluss könnte das ZDF doch bitte diesen Film zeigen.

PS: Eine wollte dann doch Spielverderberin sein. Elke Heidenreich verrät auf FAZ.Net, zum Beispiel, dass „Deutschland sucht den Superstar“ zur besten Unterhaltungssendung gekürt wurde und wo ihre Prioritäten liegen, in dem sie von sich selbst nicht nur ersten, sondern auch in der zweiten Person spricht:

12. Oktober 2008 Ich kann mich auf meinen Sechsten Sinn verlassen. Er sagte mir: geh’ hin zum Deutschen Fernsehpreis, schließlich kriegt den Marcel Reich-Ranicki, dem hast du viel zu verdanken, zeig’ und sag’ ihm das, aber geh’ nicht zu früh, es ist immer grässlich da, und du bist selbst fernsehberühmt, und sie setzen dich in Reihe vier und filmen ununterbrochen deine Reaktionen.

Ich kam also schön zu spät, nachdem das Stehpalaver vorbei war, meine Plätze (ja! Reihe vier!) zum Glück vergeben waren, und ich konnte mit meinem Mann ganz friedlich und von Kameras unbelästigt irgendwo hinten sitzen. So.

PPS: Auf Spiegel Online erinnert Christian Buß daran, dass Reich-Ranicki mit seinem literarischen Quartett selbst der Unterhaltungsmaschinerie zuzurechnen ist, der er sich so mutig medienwirksam widersetzt hat. Zurecht. (Der Gag mit Atze Schröders Schamhaarperücke ist aber unnötig.)

Ob der Auftritt des erzünten Kritikers tatsächlich so kalkuliert war wie Buß nahe legt – ich weiß es nicht. Es interessiert mich aber auch nicht wirklich. Wer in der Inszenierung das Wahre sucht, findet halt oft nur den besseren Schauspieler.

Regiogeld rettet uns vor Spekulanten!!!

In den letzten Jahren machen immer wieder die Anhänger der Freiwirtschaftslehre von sich reden. Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Unternehmer Silvio Gsell erdacht, war diese Ideenschule zuerst revolutionär und richtungsweisend, verharrte sie in den folgenden 100 Jahren beharrlich auf einer Außenseiterposition.

Ihr Credo ist – vereinfacht ausgedrückt: Wenn man das Geld durch ein sich selbst entwertendes „Freigeld“ ersetzt, kann man so ziemlich alle Probleme lösen: Die Leute werden zu Investitionen animiert, niemand hortet mehr Geld und entzieht es dem gesunden Geldkreislauf. Einmal eingeführt, setzt das Freigeld eine Kettenreaktion in Gang, die quasi alle wirtschaftlichen Probleme wie von selbst lösen kann.

Grade sehe ich wieder einen Telepolis-Artikel zum Thema. Und verheißungsvoll heißt es im Vorspann: „Und ein derartiges Geld sollte bereits einmal – in der Weltwirtschaftskrise von 1929 – die Rettung vor dem Finanzkollaps bringen“.

Der Autor Rudolf Stumberger erläutert das:

Erfolgreich ausprobiert wurde dieses Prinzip bei der Weltwirtschaftskrise 1929. So ließ der Bürgermeister der österreichischen Stadt Wörgl 1932 eine Parallelwährung zum damaligen Schilling drucken, das nur im Gemeindegebiet galt. Das Schwundgeld verlor monatlich einen Prozent an Wert und bewirkte wahre Wunder: Der Wirtschaftskreislauf kam in Gang, die lokale Wirtschaft blühte auf und die Arbeitslosigkeit ging innerhalb eines Jahres um 25 Prozent zurück. Das erfolgreiche Experiment, das weltweit Aufsehen erregte, wurde allerdings aus politischen Gründen verboten, als sich 200 andere Gemeinden für das Alternativgeld interessierten.

Und damit sind wir schon beim Punkt: Es gab ein einziges Experiment, in der die Freigeld-Theorie ausprobiert wurde. Und scheinbar sehr erfolgreich. Ein Jahr lang konnte sich eine kleine Gemeinde scheinbar dem Abwärtstrudel der Weltwirtschaft entziehen. Das Ende des Experiments: eine Verschwörung, Befehl von oben. Könnte uns das Freigeld also heute auch gegen die Schäden helfen, die die gewissenlosen Spekulanten angerichtet haben?

Die enttäuschende Antwort: Nein, kann es nicht. Wenn die Krise im Gang ist, ist es für Systemwechsel eh zu spät. Wichtiger ist aber: das Experiment von Wörgl funktionierte nicht trotz der Weltwirtschaftskrise, es funktionierte alleine nur in der Weltwirtschaftskrise. Die Währungen – damals gab es noch keine reinen Papierwährungen – wahren im Tiefflug, Hyperinflation entwertete die Verdienste quasi sofort. Die Lohntüte musste ganz schnell in die Geschäfte getragen werden – am nächsten Tag war die Butter vielleicht doppelt so teuer.

Und genau das ist der Punkt von Wörgl: Dieses Experiment bestätigt nicht die Wirksamkeit des Freigeldes – es spricht eher gegen sie. Mit purer Gedankenkraft kann ich einen Amboss zum Schweben bringen – vorausgesetzt ich befinde mich in einem Fahrstuhl, der sich zufällig grade im freien Fall befindet. Ist der Fahrstuhl hingegen im normalen Betrieb – oder beschleunigt ein wenig langsamer als die Erdbeschleunigung, bleibt der Amboss auf dem Boden liegen. Was ich denke, ist ihm dabei ziemlich egal.

Anders ausgedrückt: in Wörgl hätte man Geldscheine durch Nüsse oder Lebkuchen ersetzen können, die Effekte wären wahrscheinlich die selben gewesen – eine entsprechende Überzeugungskraft der Initiatoren vorausgesetzt.

In Wahrheit würde eine konsequente Freigeld-Währung nämlich nicht die Spekulation eindämmen, sondern ihr Tür und Tor öffnen. Wenn das Geld automatisch verfällt, dann muss ja jeder selbst sehen wo er bleibt. Und wo investiert man dann? In Sparkonten oder in die lukrativen Immobilen-Anleihen, deren Wert auf ewig zu steigen scheint?