Das Ende des Verkehrsfunks

Es ist die Medienstory des Tages. Der Deutschlandfunk sendet keine bundesweiten Verkehrsmeldungen mehr. Mit viel Tamtam und Videos wird dieses überalterte Sendeformat beerdigt.

Aus meiner Sicht ist diese Episode ein plastischer Beleg dafür warum DAB+ keine Chance hatte. Wenn man schon den Rundfunk digitalisiert, dann hätten die Verkehrsnachrichten an erste Stelle gehört. Statt alle Verkehrsnachrichten für alle auszustrahlen, könnte man ein Opt-In realisieren. Technisch ist das ohne weiteres möglich – man hat es halt nicht getan.

Heute ginge es sogar besser: Autofahrer könnten auch wählen, ob sie nur die Nachrichten auf seiner Strecke hören will. Stattdessen wird ein enzyklopädisches Wissen aller Autobahn-Ausfahrten vorausgesetzt. Man stelle sich vor: Bahnpendler könnten auch auf Knopfdruck Informationen bekommen, wie es auf den Bahnstrecken aussieht.

Verpasste Chance. DABplus darf nicht mehr sein als ein UKW plus Faxabruf. Stattdessen mixt nun Spotify Nachrichten mit Musik individuell zusammen.

„Verbot“ ist verboten

Heute gibt es mal wieder eine besonders verquaste Sommerloch-Mediendebatte. Carsten Linnemann, Vize-Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, hat ein Interview mit der Rheinischen Post geführt. Die dpa-Zusammenfassung führte zu heftiger Kritik, weil die Nachrichtenagentur in der Überschrift von einem „Grundschulverbot“ sprach. Dieses Wort war in dem Interview aber gar nicht gefallen.


Die dpa hat sich entschuldigt und eine neue Meldung hinterhergeschickt. Also eigentlich alles wie üblich und erledigt, oder?

Das Kuriose ist aber: Linnemann hat tatsächlich ein Verbot gefordert. Ja, die dpa hat diesen Aspekt in der Überschrift zu sehr zugespitzt und der Bundestagsabgeordnete hatte sich nicht ganz zu unrecht beschwert. Aber wenn man sich die Korrektur durchliest, geht es um Präsentation und weniger um die Substanz:

Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) weist den Begriff „Grundschulverbot“ für seinen Vorstoß zurück. Ihm gehe es darum, dass es Konsequenzen haben müsse, wenn Kinder vor der Schule die sogenannten Sprachstandstests nicht bestünden. Wenn dann trotzdem eingeschult würde, hätten weder die Kinder aus deutschsprachigen noch die aus nicht-deutschsprachigen Haushalten etwas davon, sagte Linnemann am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Die dpa hatte in der Überschrift einer Meldung vom Montag den Begriff „Grundschulverbot“ verwendet und dies am Dienstag nachträglich korrigiert.

Der „Rheinischen Post“ hatte Linnemann gesagt: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“ Er schlug für betroffene Kinder eine Vorschulpflicht vor. Notfalls müsse eine Einschulung auch zurückgestellt werden, sagte er.

Also: Linnemann mag den Begriff nicht, den die dpa gewählt hat. Aber seine Forderung ist: Wenn ein Kind den „Sprachstandstest“ nicht besteht, muss es eine Konsequenz geben. Diese Konsequenz heißt: Das Kind darf nicht in die Regelschule. Oder in anderen Worten: Es geht um ein Verbot.

Auch die entscheidenden Textstellen des Ursprungs-Interviews, die zum Beispiel Thomas Knüwer online stellt, da sich der Volltext hinter eine Paywall verbirgt, lassen eben den gleichen Schluss zu.

„Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden.“

Das gleiche wie oben: Kinder sollen zu einem Test verpflichtet werden. Und wer den Test nicht besteht, darf nicht auf die Schule. Ein klassisches Verbot. Wenn ich den Führerschein nicht bestehe, ist es mir verboten, Auto zu fahren. Wenn ich den Alterstest bestehe, darf ich keine Zigaretten kaufen. Das Wort „Verbot“ alleine mag den Nuancen und Details des Vorschlags nicht gerecht werden, es bleibt aber ein Verbot.

Trotzdem hat sich erstaunlich schnell herumgesprochen, dass man Verbot nicht „Verbot“ nennen soll. So kommentiert Gökalp Babayiğit bei Süddeutsche.de:

Nein, als „Grundschulverbot für Kinder, die kein Deutsch können“, wie es die Deutsche Presse-Agentur anfangs umschrieb, lässt sich die Forderung von Carsten Linnemann nicht bezeichnen.

Einen Absatz später heißt es aber:

„Linnemann, immerhin stellvertretender Unionsfraktionschef im Bundestag, will Kindern mit ungenügenden Sprachkenntnissen die Einschulung verwehren.“

Also kein Verbot, sondern ein Verwehren? Ich bin mir ziemlich sicher, beide Worte sind in diesem Kontext Synonyme.

Auch Patrick Gensing hat sich im Tagesschau-Faktencheck verzettelt, indem er ebenfalls das Grundschulverbot dementiert. Aber dieses Interview ist — selbstverständlich — ein klassischer „Testballon“. Ein Politiker aus der zweiten Reihe bringt eine womöglich unpopuläre Maßnahme ins Spiel und die Partei wartet die Reaktionen ab, so dass sich die Politiker aus der ersten Reihe dem Thema entweder widmen oder es lieber auf die lange Bank schieben können. Natürlich ist der Vorschlag in Details äußerst vage. So will sich der Bundestagsvizefraktionsvorsitzende nicht wirklich im Detail äußern, da er beim Länderthema Schule eh keine Zuständigkeit hat und die super-teure Vorschule nicht aus seinen Etats bezahlen will. Wie es bei Testballons üblich ist, erscheinen die Reaktionen der politischen Kontrahenten darauf wieder überhitzt. Das kann man zurecht kritisieren.

Aber kann man es auf Fakten prüfen? Es wäre vielleicht eine andere Interpretation möglich: Herr Linnemann improvisierte in dem Interview und ihm fiel gar nicht auf, dass er in der Aufzählung seiner Gedanken zum Thema in der Konsequenz ein Verbot forderte. Es kann auch sein, dass er ein wesentliches Detail vergessen hat — etwa, dass die reguläre Einschulung maximal ein Jahr verschoben werden kann. Die Kernfrage wäre also: Wusste Herr Linemann, was er dort sagt und wie es ankommen wird? Ich vermute: ja. Aber das ist halt kein Fakt, den man so einfach zweifelsfrei checken kann.

Alles in allem: Die dpa hat ihre Meldung überspitzt und einen Fehler gemacht. Sie hätte in der Überschrift ein echtes Zitat verwenden können oder zum Beispiel die verpflichtenden Sprachtests thematisieren können. Im kollektiven Zurückrudern haben die vernetzten deutschen Journalisten aber dann auf bemerkenswerte Weise vergessen, was denn das Wort „Verbot“ bedeutet und dass man tatsächlich Schlussfolgerungen aus verquast formulierten Forderungen ziehen darf, sofern man denn den Leser mitnimmt. Eine klassische Überkorrektur.

PS: Eine Lehre kann ich vielleicht für meine Arbeit daraus zieht: Wann immer jemand eine unbestimmte Einschränkung wie „noch“ ins Spiel bringt, muss eine Nachfrage kommen: Wie lange denn? Was heißt das konkret?

„Inseratenkorruption“

Eine meiner Grundthesen, die ich immer wieder ausbreite: Werbung und Werbefinanzierung hat einen erheblichen Einfluss auf unsere öffentliche Diskussion. Ich rede da meist von strukturellen Einflüssen. Wenn etwa YouTube entscheidet, die Werbekunden vor vermeintlich kontroversen Themen zu schützen, dann finden sich plötzlich auch eigentlich erwünschte Inhalte wie Aufklärungsvideos auf der Verliererseite. YouTube hat hier keine Agenda gegen gesundheitliche Aufklärung. Die Verantwortlichen schrauben halt am System herum und bekommen es nicht besser hin.

Dass es auch direktere Einflüsse gibt, erklärt Helmut Brandstätter in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Während in unserem Land die staatliche Parteienförderung ständig erhöht wird – auch Kurz hat das getan – werden die vom digitalen Wandel ohnehin betroffenen Medien ausgehungert. Ausnahme sind die Zeitungen und Zeitschriften, die lieb schreiben. Die bekommen viele Millionen in Form von Anzeigen. Die Regierenden, nicht nur ÖVP und FPÖ, sondern auch die SPÖ, versuchen also, Medien durch öffentliche Gelder – sagen wir es freundlich – positiv zu stimmen. Darum verwende ich – weniger freundlich, aber treffend – das Wort „Inseratenkorruption“.

Das Scheitern des Urheberrechts

Urheberrechtsvertreter feiern die Abstimmung im Europaparlament gestern als wichtigen Erfolg. Ich als Urheber sehe sie als Desaster. Denn leider hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass es nicht wirklich drauf ankommt, wie man das Urhebrrecht reformiert — es muss schließlich irgendetwas gemacht werden. Doch was da beschlossen wurde, ist ein Maßnahmenbündel, das aus einem Haufen falscher Annahmen und Überzeugungen beruht.

Wie das Scheitern von De-Mail ist auch die EU-Urheberrechtsreform mehr als nur ein gescheitertes Projekt. De-Mail hat das E-Government in Deutschland um Jahre zurückgeworfen, bei Artikel 13 und dem Rest gehe ich eher von einem Jahrzehnt aus.

Nicht nur, dass die meisten Urheber erst in zirka fünf Jahren feststellen müssen, dass das versprochene Geld ausbleibt. Es müssen auch mit viel Aufwand teure Strukturen geschaffen werden, die bald wieder obsolet sind. Nicht jede Verwertungsgesellschaft wird das überleben.

Unterdessen geht der Kahlschlag in den Medien weiter. Waren zu Beginn meines Berufslebens bei jedem Ortstermin mindestens drei andere Kollegen dabei, bin ich heute oft alleine. Stattdessen sitzt am Pressetisch das Content-Team eines PR-Dienstleisters.

Dabei muss Silicon Valley eigentlich nichts weiter tun, um das Projekt gegen die Wand fahren zu lassen. Facebook hat die Verlagerung auf Messenger bereits vor Jahren eingeleitet. Google hat Google+ zugemacht. Und Amazon hat eh eine Garantie bekommen, nichts zahlen zu müssen. Apple hat ein Lizenzmodell für Apple News+ aufgesetzt und beansprucht mal eben 50 Prozent des Umsatzes.

Das ist nur der Ist-Zustand – zwei Jahre bevor die Reform tatsächlich in Landesgesetzen umgesetzt sein muss. Sollte „GAFA“ hingegen aktiv gegen die Reform arbeiten, wird es sehr schmerzhaft. Die Mittel wurden ihnen gelassen. Facebook hat ja schon letztes Jahr die Verbreitung von Nachrichten eingeschränkt. Folge: Entlassungswellen bei Medien in den USA. Kleine und mittlere Anbieter haben längst das Mittel der Geosperre entdeckt. Wir müssen uns nicht mit Europa rumärgern, wenn wir nicht wollen. China ist sowieso ein viel wichtigerer Markt.

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Elementary

Als ich vor einigen Jahren „Elementary“ entdeckte, war ich fasziniert. Eine Adaption von Sherlock Holmes in New York ist heute nur folgerichtig. Denn New York ist heute das, was Ende des 19. Jahrhunderts London war. Und: Anders als so viele New York-Serien ist diese nicht in Los Angeles gedreht worden. Andererseits: Wenn US-Sender sich europäischen Stoffen widmen, dann wird das Ergebnis schnell banal.

Und dennoch: Was ich sah, gefiel mir. Lucy Liu als Watson war eine interessante Wahl. Sherlocks Neuerfindung als Junkie ist gerade heute sehr relevant. Die ersten Fälle waren spannend erzählt, gekonnt verwoben und die Regisseure geizten nicht mit Ausblicken auf diese faszinierende Stadt. Ich war hooked: Ich freute mich nach einer Folge schon auf die nächste. Nach zirka zwei Staffeln hatte sich mein Verhältnis zu der Serie wieder deutlich abgekühlt. Ich sah keinen Sinn mehr, die nächste Folge einzuschalten. Und tat es deshalb auch nicht mehr.

In letzter Zeit habe die Serie auf Netflix entdeckt und wieder reingeschaut. Und wieder war ich fasziniert. Diesmal nicht von der Serie an sich, sondern weil ich herausfinden wollte, was mich stört. Ich bin ein Anhänger der These, dass Fiktionen auf viele Weise unsere Realität widerspiegeln – und in der Masse verändern die Fiktionen wiederum unsere Realität. Und dass in der Realität einiges schiefgelaufen ist, steht nicht wirklich zur Debatte. Was also hat mich von der Serie abgeschreckt, obwohl sie nach kommerziellen Kriterien ein gewaltiger Erfolg ist und bald in die sechste Staffel geht?

Eine gelungene Kombination?

Fangen wir zuerst nochmal mit den positiven Aspekten an: Obwohl eine Staffel aus 24 Fällen besteht, ist Elementary clever geschrieben und schafft es immer wieder, aktuelle Themen mit den alten Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle zu verknüpfen. Drohnen. Mrs Hudson. Das Bienensterben. Lestrade. Anonymous. Drogensucht. Dabei steht die Serie Konkurrenten wie The Good Wife, Castle oder White Collar in nichts nach. Dass Holmes nun auf Verkleidungen verzichtet und stattdessen ein unglaubliches Sprachtalent mitbekommen hat, ist nur folgerichtig. Dass die Red Headed League sich nicht mehr nach zu einem Tresor durchbuddelt, sondern zu einem Transatlantik-Datenkabel – Kudos. Dass Moriarty nun mit Irene Adler kombiniert wurde – nun, das ist zumindest wagemutig.

Doch die anfänglich Kreativität ist nach 40, oder 50 Folgen in Stagnation und Lethargie umgeschlagen. Beispielsweise war das Hacker-Kollektiv „Everyone“ mal eine anregende Idee. Zwischenzeitlich wird es aber zum Joker, der in fast jeder Folge gezückt wird, wo ein kleines Plot-Loch besteht: Sherlock müsste etwas ermitteln, was eigentlich nicht zu ermitteln ist? Keine Sorge: „Everyone“ ist unfehlbar und immer verfügbar.

Ein Grund-Defekt vieler Serien mit dem Schauplatz New York ist, dass die gezeigten Apartments immer zu groß sind. Bei Elementary fiel das zunächst nicht so auf. Mit seinem Brownstone in Williamsburg/Harlem hat sich Holmes eine extraterritoriale Oase geschaffen, seine Ermittlungen führen ihn meist an den Arbeitsplatz von Zeugen, selten mal in eine Wohnung. Doch wenn man die Serie länger schaut, erkennt man schnell: So lebt man nicht wirklich in New York. Weite Strecken sehen mittlerweile wie ein Werbespot für Luxus-Immobilien aus. Das wirkt sich irgendwann auch auf den Plot aus. In unwirklichen Wohnungen leben unwirkliche Menschen. Auf der einen Seite die besserverdienenden Abziehbilder: Anwälte, CEOs, Unternehmensberater. Auf der anderen Seite die untere Klasse, die in geradezu Dickins’scher Armut gezeigt wird. Werden sie in Apartments ermordet, fällt die Farbe von den Wänden.

The other half

Dass etwas nicht stimmt, dass das nicht reicht, haben die Autoren in Staffel 3 selbst gemerkt. Joan Watson ist hier schon kein Gegenpart mehr, die den vermeintlichen Übermenschen Sherlock auf den Boden zurückholt. Stattdessen mutiert sie immer mehr selbst zur Überfliegerin, die Wissen aus reiner Luft bezieht und jahrealte Mysterien im Handumdrehen löst.

Man kann es an der Flut neuer Figuren bemerken, die schnell eingeführt werden und wieder verschwinden. Der London-Import Kitty bleibt merkwürdig unvollständig. Grade als man in den Versuch kommen könnte, sie zu verstehen, verschwindet sie wieder. Gleiches passiert mit dem Sponsor und Autoknacker Alfredo. Mit dem Bruder von Sherlock. Mit dem Vater von Sherlock. Irene. Storybögen werden gespannt — und verschwinden im Nichts. Immer wieder verliert sich Elementary in kreativen Sackgassen. Joan zieht aus, Joan zieht wieder ein. Der Job beim NYPD ist vorbei, der Job beim NYPD ist wieder da. Sherlock wird empathisch und Sherlock kehrt wieder zu seinem rüden Selbst zurück. Sherlock beginnt eine Liebesbeziehung. Und sie verfliegt.

Gleichzeitig flüchten sich die Autoren in Narrative, die man seit Jahrzehnten erfolgreich einem nicht-denkenden Publikum verkaufen kann: Der absolut einzige Weg aus Abhängigkeit sind Selbsthilfegruppen mit dem 12-Punkte-Programm. Es gibt das absolut Böse. Braune Menschen sind kriminell oder mit Kriminellen verwandt. Folter wirkt. Wenn wir nur überall Kameras aufhängen, ist quasi jedes Problem lösbar. Der Rechtsstaat hindert nur. Superhelden stehen über dem Gesetz.

No Law, But Order

Gerade diese tiefe Verachtung für den Rechtsstaat irritiert mich zunehmend. Holmes muss nie in einem Strafprozess aussagen, er zerstört immer wieder jegliche Beweiskette, erpresst Zeugen, bricht ein. Am Anfang konnte man das noch mit seinem Außenseitertum begründen — auf die Dauer wird es jedoch ermüdend. Richtig skurril wird es, wenn Detective Bell eine Romanze mit einer anderen Polizistin entwickelt. Als er erfährt, dass seine Freundin für die Internen Ermittlungen — the rat squad — arbeitet, versteigert er sich in moralische Tiraden über Spitzel, die echte Polizisten verraten, mit voller Unterstützung von Holmes und Watson. Da stand wohl die Serie Blue Bloods Pate. Denn das Department, der ehrliche Cop hat letztlich immer recht.

Auch die Konstruktion der Fälle wird zunehmend nachlässig und simpel. Egal ob es um Diebstahl, Betrug oder Entführung geht: Es muss immer jemand ermordet werden. Echte Gründe braucht dazu kaum ein Täter. Es ist egal wie komplex die Pläne sind, die zum Erfolg führen. Wachmänner, Zeugen, Geschäftspartner und Ehepartner werden ohne Skrupel oder Reue beseitigt. Was ist das nur für ein Menschenbild?

Und hier bin ich wohl am Punkt angelangt, der mich bei Elementary zunächst unbewusst gestört hat. Aus einem intellektuell anregenden Spiel ist durch bloße Wiederholung und dem Beharren auf simplen Denkmustern etwas geworden, was nur noch dazu eignet, sein Gehirn abzuschalten. Und wenn wir unser Gehirn abschalten und uns dauernd mit Zynismus berieseln lassen, dann verschwindet dieser Zynismus nicht so einfach wieder aus unseren Köpfen. Sondern setzt sich fest. Fiktionen spiegeln auf viele Weise unsere Realität wider – und in der Masse verändern sie unsere Realität.

Ich will neue Narrative

Grade geht ja wieder eine Debatte darüber los, wie man mit der Berichterstattung um Serienmörder an Schulen umgehen soll.

Ich würde die Diskussion gerne etwas erweitern. Ich glaube ja, dass Fiktionen Realität auf verschiedene Weisen widerspiegeln und auch neue Realitäten formen. Wenn jeden Abend fünf CSI-Folgen mit jeweils mindestens einem grausamen Mord laufen, wenn Mankell seine schlechten, deprimierenden Bücher verkaufen konnte, weil er absurde Gewalttaten in ihren Mittelpunkt stellt, wenn auch die Kritikerlieblinge auf Netflix im Blut ersaufen — dann ist es kein Wunder, wenn die Mörder im realen Leben auch eine Obsession sind.

Es ist Zeit für neue Narrative. Ich wünsche mir zum Beispiel endlich mal wieder Krimiserien über Leute, die Sachen klauen. Eine provokative neue Serie aus Finnland, in der es um *trommelwirbel* die Steuerfahndung geht. Anstelle des üblichen Musters ein Mord pro Folge und ein Serienmord pro Staffel möchte ich Trickdiebe, Korruptionsermittler — vielleicht sogar eine neue Serie über Journalisten.

Sommerloch geht immer

Ich bin wirklich beeindruckt. Trotz politischer Dauerkrise in Europa, Sicherheitsbehörden, Bundestag und -regierung, trotz Naturkatastrophen, Syrien, iranischen Viren, trotz Steuer-CDs, Amokläufen und dem kapitalistischen Gesellschaftssystem in Flammen, trotz alledem haben wir immer noch Zeit für das Sommerloch.

Wir suchen Geschichten hinter „shitstorms“ — und selbst wenn wir sie nicht finden, drucken wir sie ab und debattieren sie erregt. Wir erregen uns, wenn jemand in einer Talkshow etwas sagt, statt nur zu sprechen. Und die großen politischen Skandale sind Sitzordnungen und Sommerfeste.

Ach ja: Die trivialste Story im Sommerloch sind Beschwerden über das Sommerloch.

Die sind nicht gaga bei Kress

Eben geht die Nachricht durch sämtliche Timeline: Bild.de wurde bei den Awards des Branchendienstes Kress ausgezeichnet. Typische Reaktion hier von Jürgen Kuri:

Nein, Kress ist nicht gaga. Die Entscheidung ist nur konsequent. Denn die Awards-Gala dient vor allem einem Zweck: Sie soll Gewinne einspielen. Ein festlicher Saal muss mit gut zahlenden Gästen gefüllt werden. Deshalb ersinnt man ganze 18 Preiskategorien, für die man jeweils bis zu sechs Finalisten einlädt.

Nun – das mit der Einladung ist so eine Sache: Umsonst kam nämlich niemand zu dem hochklassigen Branchenevent:

Sprich: Sogar die Finalisten mussten ihr Essen selbst bezahlen. Und den Saal. Und die Unterhaltung. Und wer richtig was zu präsentieren hatte, buchte am Besten gleich einen Achtertisch. Dafür gab es immerhin einen satten Rabatt von knapp unter 10 Prozent. Für einen repräsentablen Auftritt macht das immer noch 1808 Euro. Plus Anfahrt, Übernachtung und die sonstigen Annehmlichkeiten einer Firmensause kommt man durchaus auf einen nicht unerheblichen Betrag. Wenn dann ein Außenseiter mit dem Preis nach Hause fährt, sparen sich die Verlage eine solche Ausgabe.

Der Jury Bestechlichkeit vorzuwerfen, wäre ein billiger Reflex. Aber natürlich ist ein auf Ertrag angelegter Award, der beim Kress-Eigentümer Haymarket ein etabliertes und wahrscheinlich lukratives Geschäftsmodell ist, einer anderen Dynamik als die Preise, die durch Sponsoren ohne Preisambitionen, Spenden oder gar öffentliche Gelder finanziert werden. Die Veranstalter von Preisverleihungen sind nie altruistisch, sondern wollen immer etwas erreichen: Eine Botschaft in die Medien bringen, eine Branche in eine bestimmte Richtung beeinflussen, für Öffentlichkeit sorgen. Und im Fall Kress ist das Ziel die Rentabilität. Und niemand ist rentabler als Bild.de.

Medienethik zum Sonntag

Ein Promienter ist tot. Freitod. Selbstmord.

Verschweigt man den Menschen, was nicht zu leugnen ist?

Oder ignoriert man, dass nach prominenter Selbstmord-Berichterstattung die Zahl der Nachahmer sprunghaft ansteigt?

Es gibt natürlich auch Abstufungen: die taz klemmt die Todesart in den letzten Absatz des Artikels.

Bild.de hingegen:

Und Express.de:

A Punkt. Das ist keine medienethische Übersprungshandlung, um wenigstens ein Detail nicht auf die Titelseite zu setzen. Es ist ein Zitat aus dem Abschiedsbrief. Die Botschaft: wer Alzheimer hat, wer Worte verliert, sollte sein Gut bestellen, reinen Tisch machen, den Schlussstrich ziehen. Solange er noch kann.

Sprachverlust, diese Diagnose muss die Redakteure bei Express.de hart treffen. Denn unter dem Screenshot des Briefes lesen wir die Aufforderung: ZUM LESEN GROSS KLICKEN.

Keine Bange, es handelt sich nicht um Alzheimer. Diese Leute gehen mit der Sprache immer so um. Es ist kein Symptom, es ist ihr Broterwerb.

PS: Es geht immer etwas schlimmer.

Das ist wirklich unterhaltsam. Entertainment!

Das Gutten-Fake-Mysterium – eine einfache Erklärung

In den letzten Tagen möchte ich immer mal wieder Schläge auf Hinterköpfe verteilen. Die Pro-Guttenberg-Gruppen auf Facebook beschäftigt viele Köpfe, nur das Denken scheint dabei etwas kurz zu kommen.

So gibt es die Guttenberg-Kritiker, die mit durchweg unstichhaltigen Argumenten Indizien für einen großen Fake herbeireden wollen und damit viel Applaus bekommen. Dann gibt es Leute wie Sascha Lobo und Marcus Schwarze, die zwar lobenswerterweise Fragen stellen, aber schon an der Fragestellung scheitern. Sascha Lobo wird mit seinem Crowdsourcing-Experiment lediglich zeigen können, wie wenig seine Leser mit Guttenberg, BILD und Merkel sympathisieren. Und Marcus Richter Schwarze hat letztlich nur festgestellt, dass die Facebook-Statistik weder Fakes noch gekaufte Accounts ausweist.

Nachdem die meisten groß angekündigten Pro-Guttenberg-Demonstrationen im wohl verdienten Gelächter untergegangen sind, ist die Fraktion, die mit dem Brustton der Überzeugung vom Facebook-Fake spricht wieder besonders lautstark. Problem: diese Leute haben so wenige Beweise oder Indizien wie vorher.

Versuchen wir es einfach mal mit einer einfachen Erklärung, beziehungweise mit drei Thesen:

  • Die meisten Leute, die bei „Pro Guttenberg“ auf den Like-Knopf geklickt haben, sind keine fanatischen Guttenberg-Fans. Sie haben schlichtweg genug von der andauernden Berichterstattung. Dem leidigen Thema noch einen Samstagnachmittag hinterherzuwerfen, fällt ihnen nicht ein. Der Pro-Guttenberg-Klick ist ein Klick gegen Massenmedien, Politik-Betrieb und Sensationslust. (Das muss aber nichts heißen: in sozialen Netzwerken beschweren sich viele Leute über die bösen Medien, die Charlie Sheen immer neue Gelegenheit geben sich zu demontieren. Dennoch hatte er auf Twitter an nur einem Tag eine Million Follower oder genauer: Gaffer gefunden.)
  • Demonstrationen zu organisieren benötigt Zeit. Netzwerke aufzubauen benötigt Zeit. Eine diffuse Masse ist eine diffuse Masse. Wer am Samstag auf Abruf bereit steht, ist vielleicht nicht der fotogenste Streiter für die eigene Sache.
  • Facebook ist ein lausiges Medium für politischen Diskurs. Statt Vielfalt abzubilden, ist Facebook das Äquivalent zum US-Fernsehmarkt geworden. Extrempositionen werden gepusht, weil sie Klicks und Zuschauer bringen. Hintergründe, Zusammenhänge oder gar Sacharbeit sind auf der Plattform kaum möglich – und werden auch nicht gefördert. Besonders in der Masse wird die individuelle Initiative beerdigt. Wer soll 5 Stunden Arbeit in etwas investieren, was im Zweifel nach fünf Minuten weggescrollt ist?