Mehr Pseudonym wagen

Es ist allgemeiner Sprachgebrauch: Wenn mit Daten nicht unmittelbar der bürgerliche Name des Urhebers, Besitzes oder Objektes verknüpft ist, dann wird das Wort „anonym“ verwendet. Doch in einer Mehrzahl der Fälle ist dies ungenau, irreführend oder einfach falsch. Wir sollten uns endlich an das Wort „pseudonym“ gewöhnen.

Wo ist der Unterschied? Nun, es ist ein ganz gewaltiger: Anonyme Daten können nicht mehr mit einzelnen Personen verknüpft werden, pseudonyme Daten hingegen schon.

Cookies kennen Deinen Namen

Ich schreibe viel über Online-Werbung und quasi alle Daten dort sind nicht anonym, sondern pseudonym. Wenn auf Eurem Bildschirm zum nächsten Mal ein Cookie-Banner aufpoppt, klickt Euch einfach durch die Einstellungen. Ihr müsst nicht alles lesen oder verstehen, lasst einfach mal den Blick schweifen. Dort stehen so Phrasen wie „Ein personalisiertes Inhaltes-Profil erstellen“, „Personalisierte Inhalte auswählen“ oder sogar „Geräteeigenschaften zur Identifikation abfragen“.

Sprich: Die Werbeindustrie verfolgt Eure Schritte von Website zu Website, von Gerät zu Gerät, verknüpft Euer Smartphone mit Eurem Fernseher. So entsteht ein sehr vollständiges – wenn auch ein kommerziell verzerrtes – Profil. In den jeweiligen Datensätzen ist vielleicht nicht Euer Name enthalten. Vielleicht aber doch. Es reicht, dass Ihr Euch irgendwo eingeloggt habt, irgendwo etwas gekauft habt, landen auch Euer Name und Eure Adresse in einer Datenbank. Diese mögen zwar nicht immer mit Euren Cookies verknüpft sein, aber es reicht schon, wenn die verschiedenen Datenbestände nur ganz selten abgeglichen werden. Deshalb: Heute ist die meiste Werbung nicht anonym, sondern pseudonym. Erst recht, wenn Werbefirmen solche Slogans wie „privacy first“ verwenden.

Währungen mit Nummernschild

Auch Bitcoin-Halter erleben derzeit unschöne Überraschungen, wenn sie ihre Digitalware verkaufen wollen. Theoretisch kann Bitcoin verdammt anonym sein: Jeder kann beliebig viele Konten anlegen, die quasi nur durch eine Kontonummer gekennzeichnet sind. Es gibt da aber einen ganz großen Haken: Die Bitcoins selbst haben auch eine Identität. Da alle Zahlungen unlöschbar auf einer öffentlichen Blockchain stehen, ist diese Anonymität schnell verflogen. Was nützt es 2000 namenlose Konten zu haben, wenn Du Dir einen Tesla kaufen willst? Du musst das Geld wieder zusammenführen, Tesla will eine Lieferadresse, etc, pp.

Schlimmer noch: Ein deprimierend großer Teil von Kryptowährungen war mal Teil eines kriminellen Geschäfts. Wer also nach dem nächsten Kurssprung schnell Kasse machen will, könnte sich einem Dilemma gegenübersehen. Ein mit neuen Finanzregulierungen konfrontierter Bitcoin-Dienstleister sagt: Sorry, dafür können wir Ihnen keine Dollar, Yen oder Rubel geben, dieses Bitcoin ist Hehlerware. Wer so unvorsichtig war, einen „Mixer“ benutzt zu haben, könnte mit einer Wallet enden, in der haufenweise kriminelle Bitcoin-Splitter gelandet sind: Ransomware, Betrug, Staaten auf internationalen Sanktionslisten, etc pp. Das ist der Grund, warum Kriminelle früher kofferweise Bargeld transportiert haben: Woher die Geldscheine kommen, ist meist nicht mehr zu ermitteln. Was nutzt eine scheinbar anonyme Kontonummer, wenn alles Geld eindeutig identifizierbar sind? Also, merken: Die meisten Kryptowährungen sind nicht anonym, sondern pseudonym.

Damit will ich nicht sagen, dass es gar keine anonymen Daten gibt. Es gibt sie und es gibt valide technische Umsetzungen, die Anonymität von Individuen zu schützen. Bevor man das Wort verwendet, sollte man aber zumindest nachfragen, ob es sich denn tatsächlich um Anonymität handelt oder ob das Gegenüber schlicht den Unterschied nicht kennt.

Das iPhone wurde nicht verlacht

Es ist ein beliebtes Argument von Start-ups, die ein undurchdachtes, unvollständiges, vielleicht sogar ein unmögliches Produkt herausbringen wollen: Ja, es gibt Probleme, aber schließlich wurde ja auch Steve Jobs mit seinem iPhone verlacht. Macht Euch nur lustig, übt nur Kritik, aber ich trete das Erbe von Steve Jobs an und zeige Euch Neidern schon, wie es denn funktioniert. Irgendwann. Die Begeisterung für diesen Mythos ist so hoch, dass sich Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes sogar zu einer Steve-Jobs-Kopie umstylte, um ein nicht existentes Produkt zu vermarkten. Mit gewaltigem Erfolg.

Es ist aber eine Geschichtsfälschung, wenn man behauptet, Steve Jobs sei für sein iPhone verlacht worden. Allein schon die Prämisse ist albern: Apple war schon lange kein Start-up mehr, als das iPhone vorgestellt wurde. Es war keine vage Idee, sondern ein jahrelang gründlich vorbereiteter Produktstart eines milliardenschweren Konzerns, der seine Dominanz in bestimmten Märkten auf einen neuen Markt übertragen wollte. Damals genügte es nicht, die Baupläne an einen Auftragsfertiger in Shenzen zu schicken und dann auf einen vollen Schiffscontainer mit der Ware zu warten. Zu Innovation gehört nicht nur eine Idee und ein Design, sondern auch die Fähigkeit, diese Idee umzusetzen und zu vermarkten.

Schauen wir doch einfach mal ins Presse-Archiv, das mir meine Stadtbibliothek zur Verfügung stellt. Was schrieb die Weltpresse, nachdem Steve Jobs im Januar 2007 das iPhone der Öffentlichkeit vorgestellt hatte?

Fangen wir der Einfachheit halber an mit der Pressemeldung, die Apple selbst ausgesandt hat:

Apple(R) today introduced iPhone, combining three products-a revolutionary mobile phone, a widescreen iPod(R) with touch controls, and a breakthrough Internet communications device with desktop-class email, web browsing, searching and maps-into one small and lightweight handheld device. iPhone introduces an entirely new user interface based on a large multi-touch display and pioneering new software, letting users control iPhone with just their fingers. iPhone also ushers in an era of software power and sophistication never before seen in a mobile device, which completely redefines what users can do on their mobile phones.

„iPhone is a revolutionary and magical product that is literally five years ahead of any other mobile phone,“ said Steve Jobs, Apple’s CEO. „We are all born with the ultimate pointing device — our fingers — and iPhone uses them to create the most revolutionary user interface since the mouse.“

Was auffällt: Viele Features, die wir heute mit dem iPhone verbinden, kommen nicht vor. Etwa ist der App Store nicht erwähnt, dafür aber einige wenige Programme wie Google Maps und die eingebaute Suchfunktion von Google und Yahoo. Apple schließt mit einem wichtigen Absatz: Die Firma ist kein Anfänger, sondern hat die Kompetenz, Neuerungen nicht nur zu denken, sondern auch umzusetzen. Und sie hat eine kampferprobte Rechtsabteilung:

Apple ignited the personal computer revolution in the 1970s with the Apple II and reinvented the personal computer in the 1980s with the Macintosh. Today, Apple continues to lead the industry in innovation with its award- winning desktop and notebook computers, OS X operating system, and iLife and professional applications. Apple is also spearheading the digital music revolution with its iPod portable music players and iTunes online store.
NOTE: Apple, the Apple logo, Mac, Mac OS, Macintosh, iPod, iTunes, Apple TV and Safari are trademarks of Apple. Other company and product names may be trademarks of their respective owners.

Die Financial Times schrieb am 10. Januar 2007:

Apple yesterday laid out ambitious plans to broaden its early lead in the digital entertainment business, announcing an iPod mobile phone and an Apple TV set-top box that together could extend the US technology company’s reach into big new consumer electronics markets.
Speaking at Apple’s annual MacWorld trade show in San Francisco, Steve Jobs, chief executive, claimed the widely anticipated cellular device, the iPhone, represented a breakthrough.
„Apple is going to reinvent the phone,“ he declared, showing off a thin, handheld device with a3.5-inch screen that displays touch-screen controls.

Der britische Guardian:

An sleek black device, almost certain to be found in thousands of handbags and pockets before the end of the year was seen for the first time yesterday when Apple unveiled its widely anticipated iPhone.
The touchscreen handset will combine internet access and iPod music with a built-in 2 megapixel digital camera and video playback features.
Apple’s chief executive, Steve Jobs, launched what he called a „magic“, „super-smart“, super-hyped device, which also provides the more mundane functions of the traditional phone.

Die New York Times:

With characteristic showmanship, Steven P. Jobs introduced Apple’s long-awaited entry into the cellphone world Tuesday, pronouncing it an achievement on a par with the Macintosh and the iPod.
The creation, the iPhone, priced at $499 or $599, will not be for everyone. It will be available with a single carrier, Cingular Wireless, at midyear. Its essential functions — music player, camera, Web browser and e-mail tool as well as phone — have become commonplace in hand-held devices.
But it was the ability to fuse those elements with a raft of innovations and Apple’s distinctive design sense that had the crowd here buzzing.

Schauen wir nach Deutschland:

Heise:

Apple steigt mit dem iPhone in einen Markt ein, der im Gegensatz zu den Musikplayern bei Einführung des iPod bereits viele starke Konkurrenten aufweist und streckenweise nahezu gesättigt erscheint. Marktbeobachter glauben dennoch, Apple könne auf dem Handymarkt zu einem wichtigen Faktor werden – und nicht nur hier Maßstäbe setzen. Die neuartige Bedienoberfläche, bei der offenbar einige Neuentwicklungen zum Tragen kommen, die in den vergangenen Monaten beispielsweise als Patentanmeldungen bekannt wurden, eignet sich nicht nur für Mobiltelefone.

Der Spiegel:

Noch ist Apples neue Umsatz-Geheimwaffe (wenn sie denn dazu wird) nur ein Prototyp. Was man anderen Herstellern als zu früh angekündigte heiße Luft vorwerfen würde, wirkt auf Apple-Fans wie eine die Konsumlust befeuernde Verheißung.

Etc, pp, usw.

Wichtiger jedoch als die anfänglichen Berichte war die Intensität der Berichterstattung. In den kommenden Wochen erschien kaum eine Ausgabe irgendeines Print-Massenmediums, in der das iPhone nicht thematisiert wurde. Nicht alles davon war positiv: Cisco stritt sich mit Apple um den Namen iPhone. Es gab einige ungeklärte Probleme mit der Börsenaufsicht SEC. Und einige Analysten bezweifelten, dass das iPhone den erfolgreichen Blackberry sofort wegfegen würde. Überhaupt bemühte sich jeder Hersteller von Mobiltelefonen darum, Hoffnung zu verbreiten: Ja, das iPhone ist spannend, aber und unsere Produkte sind solide. Was für sich genommen schon ein riesiges Kompliment für Apple war: Bisher hatte man das mysteriöse iPhone schließlich nur in der Hand des Chefverkäufers gesehen, während die Geräte von Nokia, Blackberry und sonstigen überall auf der Welt von Millionen Leuten benutzt wurden. Warum sollten sie überhaupt über ein Produkt reden, das nicht am Markt war?

Kurzum: Das iPhone war ein unbeschreiblicher Medienhype. Dass man heute ohne Probleme Kolumnen und Analysen von damals findet, die das iPhone kleinredeten und Steve Jobs überhaupt sehr fragwürdig fanden, liegt daran, dass quasi alles Vertretbare gedruckt wurde, solange nur der Publikumsliebling iPhone in der Schlagzeile erwähnt werden konnte. Sie waren jedoch krasse Außenseitermeinungen – zu einer Zeit, als krasse Außenseitermeinungen noch nicht der Kern vieler Geschäftsmodelle waren, aber in der sich neue Blogs irgendwie vom Mainstream abheben mussten.

Wenn Euer Pläne und Visionen also verlacht oder schlicht ignoriert werden, ist Steve Jobs und das iPhone so relevant für Euch wie Mahatma Gandhi.

Impeachment-Podcasts

Es gibt wohl kein besseres Themas für Podcasts als das Impeachment-Verfahren gegen US-Präsident Donald Trump. Jeden interessiert das Thema irgendwie und trotz eines Überangebots an Berichterstattung gibt ein großes Bedürfnis nach einzelnen Stimmen, die Ordnung ins Chaos bringen. Zudem: Der Werbemarkt floriert und man kann endlich gutes Geld mit Podcasts verdienen. Ergebnis: US-Medien haben in den letzten Wochen eine ganze Flut an Spezial-Podcasts gestartet – von CNN bis zu Buzzfeed. Sogar Rudy Guiliani plante einen eigenen Podcast.

Ich habe mir alle angehört und fand die Erfahrung spannend. Denn obwohl sich mittlerweile ein recht einheitliches Podcast-Format herausgebildet hat — vom musikalischen Intro über die Anzahl der Gäste bis zum Tonfall des Moderators — sind die Ansätze sehr verschieden. Sie illustrieren, wie Medienunternehmen funktionieren, wie sie mit Standpunkten und Neutralität umgehen und welches Publikum sie suchen, um Geld zu verdienen. Ein Überblick.

 

Buzzfeed und iHeartRadio: Impeachment Today

Buzzfeed und iHeart Radio haben in ihrem Impeachment-Podcast die gesammelte Kompetenz zur Millenial-Bespaßung zusammengeworfen. Moderiert wird die Sendung vom Buzzfeed-Redakteur Hayes Brown, der ständig viel zu gut gelaunt zu sein scheint. Seine Attitüde: Er trifft seine Zuhörer auf ein IPA-Bier und erzählt ihnen, was heute wieder voll krasses passiert ist. Es ist ein wenig so, als ob er dem Hörer die letzte Folge von Games Of Thrones nacherzählt. Dabei lässt er kaum ein Klischee aus. Um die Abfolge der Zeugen zu erklären, greift Brown etwa zu einem Pokémon-Vergleich.

Trotz der kumpeligen Attiüde ist der Podcast sehr professionell: prägnant, auf den Punkt, durchformatiert. Nach ein paar Minuten, in denen Brown das Tagesgeschehen zusammenfasst gibt es den „Nixon-O-Meter“, auf dem jeweiligen Tag eine Wertung verpasst wird. Dann ein Studiogespräch mit einem Reporter oder einem Experten. Oder ein Hintergrundstück zu einer Person. Am Schluss gibt es dann noch den „Kicker“, also ein Share-Quote, ein Tweet oder ein Meme, das den Tag möglichst prägnant zusammenfassen soll.

Alles in allem ist der Podcast sehr gut produziert und versucht zwischen „News“ und „Noise“ zu unterscheiden. Die allzu gute Laune, die dabei verbreitet wird — Slogan: „Impeachment. What a time to be alive! 🍑“ — stößt mit manchmal etwas störend auf. Der Informationsgehalt hält sich aber deutlich in Grenzen — viel zu bemüht, versucht das Format zu vermeiden, dass die Aufmerksamkeit abschweift und die Hörer einfach auf den nächsten Podcast wechseln. Deshalb lohnt eher für Leute, die sich noch nie mit den Unterschieden zwischen Senat und Repräsentenhaus befasst haben und dringend eine positive Attitüde suchen.

 

Washington Post: Impeachment Inquiry

Deutlich anders ist die Herangehensweise der Washington Post — wenn auch nicht weniger professionell. Die Hauptstadt-Zeitung baut hauptsächlich auf eigene Reporter und das eigene Motto: „Democracy dies in darkness“. Statt um die Unterhaltung der Zuhörer geht es um pure Information und Analyse. Wer hat was gesagt? Was bedeutet das im Kontext des Verfahrens? Welche Bezüge muss der Zuhörer ziehen, um die gesamte Tragweite zu verstehen?

Der Podcast ist deutlich mehr aktualitätsorientiert — deshalb kann es auch schon mal passieren, dass gleich zwei Folgen an einem Tag veröffentlicht werden. Zielgruppe sind offenbar die Polit-Junkies, die sich dauernd auf dem Laufenden halten wollen. Gleichzeitig muss man sagen: Die Investitionen von Jeff Bezos ins Digitale und Multimediale haben sich gelohnt. Wir haben es mit Reportern zu tun, die am Mikrofon trainiert sind, zuweilen untermalt Hintergrundmusik die aktuelle Zusammenfassung.

Während der Buzzfeed-Podcast zu gut gelaunt, kommt die Washington Post stellenweise etwas zu trocken rüber. In Gesprächen mit den eigenen Reportern wird ab und zu etwas Persönlichkeit eingebracht, was dann teilweise wieder zu Lasten der Genauigkeit geht.

 

NBC News: Article II: Inside Impeachment

Wie sehr das Ursprungs-Medium auf einen Podcast wirkt, kann man bei NBC verfolgen. Wir kennen den Vorwurf seit vielen Jahren, dass Journalisten und insbesondere Fernseh-Nachrichtenprogramme eine Pseudo-Neutralität entwickelt haben: Sie wollen grundsätzlich beide Seiten eines Konflikts darstellen — selbst wenn es eigentlich nur eine Seite gibt. Ergebnis: Experten für den Klimawandel mussten sich konstant den Bildschirm mit Leuten teilen, die aus eigener Überzeugung oder gegen Bezahlung die Realität negierten und deren einziges Arguiment daraus besteht, die andere Seite niederzuschreien. Oder anders gesagt: Good TV.

Diese Haltung merkt man auch noch im Jahr 2019 und auch in einem Podcast, der sich ja nicht an die Konventionen des Bildschirms halten müsste. Schließlich gibt es hier auch keine Splitscreens wo bis zu acht Leute durcheinander reden. Dennoch zeigt sich der Gedanke, dass sich journalistische Fairness in Sendeminuten manifestiert, auch hier. Oft hören wir etwa erstaunlich lange die Einlassungen von Devin Nunes, selbst wenn der absolut nichts Erhellendes sagt. Denn schließlich hat auch der Podcast lange O-Töne von den Zeugen und Demokraten.

Immerhin: Im Podcast tut niemand mehr so, dass alles legitime Standpunkte wären. In einer Episode rechtfertigt sich der für das Weiße Haus zuständige Korrespondent Geoff Bennett sogar, dass seine Analyse so einseitig ausfällt.

And when I say that, I realize that we live in an era in which the President has cast the pursuit of truth as a partisan enterprise. And so saying things that are steeped in my own reporting and my own just knowledge of how this whole thing has worked because I’ve been so close to it for three months, it sounds as if I’m editorializing. It sounds as if I’m being partisan. But it really is not. It’s a reflection of the now 15 witnesses who have provided 112 hours of testimony, our reporting based on that testimony, and then the 11 transcripts that we’ve read so far.

Man kann aus dem Eingeständnis eine positive und eine negative Erkenntnis ziehen. Über Jahrzehnte haben Medien aus falsch verstandener, institutionalierter und ineffektiver Neutralität immer extremeren Positionen eine Plattform geboten, während der gesellschaftliche Diskurs immer mehr von Leuten bestimmt wird, die keinerlei Neutralitätsgebot mehr kennen. Der Impeachment-Prozess ist auf viele Weise das Ergebnis dieser Entwicklung: So sind es auch Artikel in etablierten Medien wie Politico, The Hill und The New York Times, auf die sich die Verschwörungstheorien stützen, die Trump und Konsorten zu ihrem Vorgehen in der Ukraine inspiriert haben. Die positive Nachricht: Die institutionalisierten Journalisten bemerken es nun.

CNN: The Daily DC: Impeachment Watch

CNN hatte dieses Neutralitätsproblem in den vergangenen Jahren auf die Spitze getrieben. Man lädt nicht nur die eifrigsten und lautesten Partisanen in die eigenen Sendungen ein, man engagiert sie direkt. Dies gipfelte in einem Anstellungs-Vertrag für Trumps Kampagnen-Manager Corey Lewandowski, obwohl der eine Breitbart-Reporterin sogar physisch angegriffen haben soll und offensichtlich keinerlei Interesse an einer faktenbasierten oder ehrlichen Berichterstattung hat.

Screenshot CNN-Podcast

In „Impeachment Watch“ zeigt CNN, das eine solche Drehtür zwischen Politik und Massenmedien nicht nur Schreihälse nach vorne holt, sondern auch institutionelles Gedächtnis nutzbar macht. Dies wird zum Beispiel klar, wenn Samantha Vinograd auftritt, die unter Obama im National Security Council gearbeitet hat. Diese Perspektive bietet durchaus interessante Punkte. So kennen die ehemaligen „political operatives“ das Geschäft und verschwenden keine Zeit damit, sich darüber zu amüsieren, dass Republikaner einem Zeugen wie David Holmes keine Fragen stellen, sondern die TV-Übertragungen lieber für eigene Statements nutzen. Denn natürlich spielt der Zeitablauf des Verfahrens eine große Rolle und man will der amerikanischen Öffentlichkeit über Thanksgiving die wichtigsten Talking Points mitgeben.

 

Vox: Impeachment, Explained

Ezra Klein hat einen ähnlichen Weg gewählt. Seine Karriere startete er als Wahlkämpfer für die Demokraten, sattelte aber recht schnell zum Politjournalismus über. Mit VOX.com hat er das onlinejournalistische Äquivalent der TED-Talks geschaffen: Hier bietet er dem Publikum nicht nur einen Point Of View an, sondern erklärt auch in langen Hintergrundstücken, wie man zu diesem Standpunkt gelangen musste. Wöchentlich spricht Klein in seinem Podcast mit Autoren über ihre neuen Bücher über Politik und Gesellschaft, indem er über mehr als eine Stunde den Eindruck erweckt, jedes Buch tatsächlich gelesen zu haben. Kleins Fairness-Doktrin lässt sich so beschreiben: Wer ein Argument vorzubringen hat, hat einen Platz im öffentlichen Diskurs. Dabei lädt er auch konservative Denker ein, zieht dort aber eine Grenze zum „Denker“. Sprich: Trump-Fans wird man bei ihm nicht hören. Klein hat die These der Demokraten, dass „government“ eine positive Kraft ist, die das Leben der Menschen verbessern soll, auf seinen Journalismus übertragen.

In Impeachment, Explained gibt es zirka einmal pro Woche einen Podcast, der die Hintergründe des Impeachment-Prozesses erläutert. Es ist in gewisser Weise ein Best Of der Berichterstattung der vergangenen Woche bei VOX. So erklärt Klein in „What’s wrong with the Republican Party?“ eine seiner liebsten Thesen: Der politische Prozess hat sich hauptsächlich geändert, weil sich die republikanische Partei geändert hat — von einer werteorientierten Partei nach europäischem Vorbild zu einem prinzipienfreien Kampagnentool, das mal von Abtreibungs-Gegnern, mal von der NRA, mal von radikalen Steuer-Gegnern genutzt wird und sich zu ständig neuen Extremen aufschaukelt.

Klein beleuchtet die Situation aus demokratischer Perspektive, separiert sich aber klar von den institutionellen Demokraten selbst. Dadurch, dass er immer einen Schritt vom aktuellen Geschehen zurücktritt, kann er Unterschiede klarer benennen. So wird bei ihm deutlicher als bei anderen, dass EU-Botschafter Gordon Sondland, einen wichtigen Punkt für eine Impeachment-Anklage gerade nicht unterstützt wollte — nämlich, dass die Militärhilfe für die Ukraine aus politischen Gründen zurückgehalten werden sollte.

 

Crooked Media: Rubicon – The Impeachment of Donald Trump.

Ein Gegenstück zu Ezra Klein ist Crooked Media. Doch statt sich dem Journalismus zu verschreiben, haben die Gründer, die allesamt Posten in der Obama-Regierung hatten, eine andere Strategie gewählt: Sie betreiben politischen Aktivismus mit den Mitteln des Journalismus. So wie Trump-Anhänger sich einst stolz als „deplorables“ präsentierten, hat „Crooked Media“ den Vorwurf angenommen, dass die Medien immer auf Seiten der Demokraten seien. Und produziert Shows, die sich durchweg an „the Resistance“ reden.

Immerhin macht Chefredakteur Brian Beutler aus diesem Umstand kein Geheimnis. Trumps Getreue werden etwas durchweg als „henchmen“ bezeichnet. Wenn er einen O-Ton von David Nunes einspielt, blendet er auch gleich künstliches Gelächter ein, um keinen Zweifel daran zu lassen, wie lächerlich er die Argumente der Gegenseite findet. Das zentrale Thema des Podcasts ist eine unbändige Wut. Wie der Titel sagt: Donald Trump hat den „Rubicon“ überschritten. Und wie vermutlich jeder mit großem Latinum weiß, war das der Punkt, als Julius Caesar mit seiner Armee die römische Republik beendete und aus dem Imperium ein Kaiserreich machte.

Die Wut ist das Erfrischende an dem Podcast. Zuweilen machen Beutler und sein Gast einen Punkt, der im Wirrwarr der aktuellen Berichterstattung unterging. Etwas lähmend wird es dann jedoch meist im zweiten Teil der Sendung, wenn es nicht mehr um Empörung geht, sondern um eine Art Brainstorming: Wie kann man die Blöße des Präsidenten am effektivsten im politischen Prozess gegen ihn einesetzen? Es ist eine kleine Planungs-Session inoffizieller demokratischer Strategen. Und wenn man Wut im Bauch hat — will man dann wirklich durch den legislativen Kalender blättern? Hier zeigt sich, dass Crooked Media nicht etwa das Geschöpf von Aktivisten wie AOC ist, sondern eine Bastion im Clinton-Lager darstellt: Zentristisch, institutionell, leidenschaftlich und zutiefst awkward.

 

WNYC: Impeachment: A Daily Podcast

Brian Lehrer ist ein Urgestein des NPR-Rundfunks in den USA. Seit 1989 hat er eine Call-In-Show, in der die insbesodnere politischen Themen des Tages besprochen werden. Dabei hat er Autoren zu Gast, Experten und einmal die Woche den Bürgermeister von New York City Bill de Blasio. Die Gesprächspartner dürfen zuerst über ihre Arbeit sprechen und müssen sich dann einigen Hörerfragen stellen.

Screenshot Brian Lehrer Podcast

Lehrers Heimatstation WNYC ist grade voll auf den Podcast-Zug aufgesprungen und hat auch meinen Lieblings-Podcasts-Client Pocket Casts gekauft. Deshalb gibt es nun einen eigenen Impeachment-Podcast. Der ist freilich nur eine Auskopplung aus Lehrers täglichen Sendung, die sich in mindestens einem Segment mit der Amtsenthebung und dem Neuen aus Washington beschäftigt.

Wer wissen will, was an dem Tage grade die Geschichte ist, über die jeder sagt, dass jeder über sie spricht, ist bei Brian Lehrer richtig. Seine väterliche, immer freundliche Stimme geht leicht ins Ohr, er leitet die Gäste gekonnt durch alle wichtigen Argumente und bringt auch mal Widerspruch an, wenn dieser bereits medial hörbar war. Beim Anruf-Part muss man sich aber auch auf Schocks gefasst machen. Denn wie die scheinbar so klaren Narrative bei dem anrufenden Publikum aufgenommen werden, ist oft genug überraschend. Hier hat die Redaktion sogar eine neue Form der Interaktion gefunden: Hörer sollen ihren eigenen „Article Of Impeachment“ gegen Trump schreiben, auf die dann die Trump-Unterstützer und Konservative schließlich live auf Sendung antworten können sollen.

„Inseratenkorruption“

Eine meiner Grundthesen, die ich immer wieder ausbreite: Werbung und Werbefinanzierung hat einen erheblichen Einfluss auf unsere öffentliche Diskussion. Ich rede da meist von strukturellen Einflüssen. Wenn etwa YouTube entscheidet, die Werbekunden vor vermeintlich kontroversen Themen zu schützen, dann finden sich plötzlich auch eigentlich erwünschte Inhalte wie Aufklärungsvideos auf der Verliererseite. YouTube hat hier keine Agenda gegen gesundheitliche Aufklärung. Die Verantwortlichen schrauben halt am System herum und bekommen es nicht besser hin.

Dass es auch direktere Einflüsse gibt, erklärt Helmut Brandstätter in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Während in unserem Land die staatliche Parteienförderung ständig erhöht wird – auch Kurz hat das getan – werden die vom digitalen Wandel ohnehin betroffenen Medien ausgehungert. Ausnahme sind die Zeitungen und Zeitschriften, die lieb schreiben. Die bekommen viele Millionen in Form von Anzeigen. Die Regierenden, nicht nur ÖVP und FPÖ, sondern auch die SPÖ, versuchen also, Medien durch öffentliche Gelder – sagen wir es freundlich – positiv zu stimmen. Darum verwende ich – weniger freundlich, aber treffend – das Wort „Inseratenkorruption“.

Assange und die Pressefreiheit

Nach all den Jahren des Wartens hat die US-Justiz heute nach der Verhaftungs Julian Assanges endlich die Anklage veröffentlicht, die auf den Australier wartet. Und es sieht nicht gut für ihn aus.

Es geht um seine Zusammenarbeit mit Chelsea Manning, die unter anderem in der Veröffentlichung „Collateral Murder“ gemündet ist. Und wenn die Ankläger ihre Beschuldigungen beweisen können — und die Chancen stehen dafür gut, da die Ankläger offenbar den kompletten Chatverlauf zwischen Manning und Assange haben — sieht es nicht gut für den Wikileaks-Gründer aus.

Laut Anklage hat sich Manning mit einem Linux-System Zugang zu seinem Arbeitsrechner verschafft, der ihr eigentlich nicht zustand. Damit hat sie dann den Hashwert eines Passwortes eines anderen Nutzers ausgelesen, um Zugriff auf größere Dokumentenmengen zu erlangen, als Manning bereits übermittelt hatte. Und jetzt kommt der wichtige Part: Die Entschlüsselung dieses Hashwertes sollte Assange übernehmen.

Es scheint trivial, aber dieser Vorwurf ist vermutlich der, der juristisch jede Frage nach der Pressefreiheit beiseite wischen wird.

Ich bin Journalist, Artikel 5 garantiert mir Pressefreiheit. Dazu gehört auch der Informantenschutz. Das heißt: Ich kann zum Beispiel Dokumente annehmen, die aus nicht-legaler Quelle stammen. Ich kann auch drüber schreiben, solange ich sorgfältig arbeite und beispielsweise die Dokumente soweit wie möglich verifiziere. Und ich muss dem Staat nicht dabei helfen, meine Quelle zu finden.

Dieser Quellenschutz hat aber Grenzen. Wenn ich beispielsweise die Motorwerte von Volkswagen haben will, darf ich mich natürlich nicht in die internen Volkswagen-Server hacken, um die Dokumente zu bekommen. Ich darf nicht heimlich Mailboxen von VW-Mitarbeitern abhören. Ich darf auch keine aktive Hilfe leisten, wenn jemand anders diese Dokumente hackt, um sie mir zu übermitteln.

Am einfachsten ist diese Trennung für Journalisten, wenn sie die Dokumente im berühmten braunen Briefumschlag in ihrem Briefkasten finden – ohne Nennung der Quelle. Wenn ich meinen Informanten nicht kenne, kann ich ihn nicht verraten. Eigentlich nicht. Problem dabei: Woher weiß ich, dass da jemand nicht totalen Unsinn zusammengeschrieben hat?

Woher weiß ich, dass die Dokumente authentisch sind? Also ist es gut, wenn ich dem Informanten dazu einige Fragen stellen kann. Mittlerweile haben einige Redaktionen digitale Briefkästen für Informanten eingerichtet. Diese ermöglichen einerseits die anonyme Übermittlung von Dokumenten, aber auch den direkten Kontakt mit recherchierenden Journalisten.

Hier kommt aber die rote Linie: Wenn ich mit Informanten im Gespräch bin, darf ich sie nicht auffordern, das Gesetz zu übertreten. Und erst recht darf ich ihnen nicht dabei aktiv Hilfe leisten. Die Pressefreiheit wird natürlich in jedem Land anders gehandhabt — aber die rote Linie muss überall existieren.

Wenn Assange wie dargestellt diese rote Linie überschritten hat, dann hat er den Anklägern ein riesiges Geschenk gemacht. Denn es ermöglicht ihnen — Pressefreiheit oder nicht — Assange wie einen gewöhnlichen Computer-Einbrecher zu behandeln.

Ob die Vorwürfe reichen, eine Auslieferung zu erreichen und am Ende dann eine Verurteilung — das steht allerdings noch in den Sternen. Mit großem Misstrauen sehe ich zum Beispiel den Part der Pressemitteilung der US-Regierung, in der die Höchststrafe von fünf Jahren für das vorgeworfene Verbrechen angemerkt wird. Denn wenn Assange sich einmal im Zugriff der US-Justiz befindet, gibt es wenige Hindernisse, die eine Erweiterung der Anklage ausschließen könnten.

Nachtrag: Tatsächlich ist das Auslieferungsabkommen zwischen UK und USA ein großes Hindernis, weswegen das US-Justizministerium schließlich doch mit der kompletten Anklage herausrücken musste, bevor die Auslieferung verhandelt werden konnte. Und bei den nachgereichten Punkten ist ziemlich klar, dass die Anklage auch die allgemeine Pressefreiheit angreift.

Das Scheitern des Urheberrechts

Urheberrechtsvertreter feiern die Abstimmung im Europaparlament gestern als wichtigen Erfolg. Ich als Urheber sehe sie als Desaster. Denn leider hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass es nicht wirklich drauf ankommt, wie man das Urhebrrecht reformiert — es muss schließlich irgendetwas gemacht werden. Doch was da beschlossen wurde, ist ein Maßnahmenbündel, das aus einem Haufen falscher Annahmen und Überzeugungen beruht.

Wie das Scheitern von De-Mail ist auch die EU-Urheberrechtsreform mehr als nur ein gescheitertes Projekt. De-Mail hat das E-Government in Deutschland um Jahre zurückgeworfen, bei Artikel 13 und dem Rest gehe ich eher von einem Jahrzehnt aus.

Nicht nur, dass die meisten Urheber erst in zirka fünf Jahren feststellen müssen, dass das versprochene Geld ausbleibt. Es müssen auch mit viel Aufwand teure Strukturen geschaffen werden, die bald wieder obsolet sind. Nicht jede Verwertungsgesellschaft wird das überleben.

Unterdessen geht der Kahlschlag in den Medien weiter. Waren zu Beginn meines Berufslebens bei jedem Ortstermin mindestens drei andere Kollegen dabei, bin ich heute oft alleine. Stattdessen sitzt am Pressetisch das Content-Team eines PR-Dienstleisters.

Dabei muss Silicon Valley eigentlich nichts weiter tun, um das Projekt gegen die Wand fahren zu lassen. Facebook hat die Verlagerung auf Messenger bereits vor Jahren eingeleitet. Google hat Google+ zugemacht. Und Amazon hat eh eine Garantie bekommen, nichts zahlen zu müssen. Apple hat ein Lizenzmodell für Apple News+ aufgesetzt und beansprucht mal eben 50 Prozent des Umsatzes.

Das ist nur der Ist-Zustand – zwei Jahre bevor die Reform tatsächlich in Landesgesetzen umgesetzt sein muss. Sollte „GAFA“ hingegen aktiv gegen die Reform arbeiten, wird es sehr schmerzhaft. Die Mittel wurden ihnen gelassen. Facebook hat ja schon letztes Jahr die Verbreitung von Nachrichten eingeschränkt. Folge: Entlassungswellen bei Medien in den USA. Kleine und mittlere Anbieter haben längst das Mittel der Geosperre entdeckt. Wir müssen uns nicht mit Europa rumärgern, wenn wir nicht wollen. China ist sowieso ein viel wichtigerer Markt.

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Die Blockchain ist ein Stempel

Da der Bitcoin-Kurs grade abgestürzt ist, gibt es grade in den Breitenmedien eine ganze Reihe von Artikeln und Berichte zum Thema Bitcoin und Blockchain. Was war die Idee hinter Bitcoin? Ist sie nun gescheitert? Und: Ist die Technik nicht sehr viel größer als diese Exotenwährung? Leider rollen sich mir bei vielen Berichten die Zehennägel auf, weil die Kollegen zwar allerhand Leute interviewen, aber diese Äußerungen nicht in Kontext setzen können.

Sie haben sich offenbar damit abgefunden, dass die Blockchain nicht nur etwas ist, was sie ihrem Publikum nicht erklären können: Mehr als das: Sie selbst sehen sich außerstande das Grundprinzip zu begreifen. Blockchain ist Krypto. Und Krypto ist fortgeschrittene Mathematik. Und wer versteht schon fortgeschrittene Mathematik?

Für diese Kollegen habe ich eine einfache Formel, die ihre Fragen im Allgemeinen und auch im Speziellen erklärt.

Die Blockchain ist ein Stempel.

Es klingt allzu einfach, ist aber so. Die Blockchain ist eine Technologie, die einem Stempel gleicht, oder eher: einem System von Stempeln. Noch einfacher: Eine Blockchain ist — ganz wie das Wort aussagt — nichts weiter als eine Kette aus Datenblöcken. Jeder dieser Blöcke bekommt einen kryptographischen Stempel aufgedrückt. Und nun kommt der Clou dieser Stempeltechnik: Mit jedem weiteren Stempel wird die Authenzität der gesamten Kette abgesichert.

Das Prinzip ist eigentlich schon alt. Wer mit Verträgen umgeht, wird es vielleicht ab und zu schon gesehen haben: Eine Ecke eines Papierstapels wird umgeknickt, und ein Stempel darauf gedrückt. Folge: Statt nur die erste Seite wird so der ganze Stapel abgestempelt. Niemand kann einfach ein Blatt Papier nachträglich ohne weiteres hinzufügen oder entfernen.

Der Trick hinter der Währung Bitcoin ist: Alle Bitcoins stehen quasi auf einem gemeinsamen Kontoauszug. Die „Miner“ speichern diesen gewaltigen Kontoauszug und stempeln ihn in Etappen immer wieder neu ab. Wie das genau geht, ist nicht so wichtig – diese Erklärung reicht schon, um zu verstehen, wie Bitcoin und weitere Crypto-Währungen funktionieren.

Die Blockchain ist ein Stempel.

Ein großer Teil des Unverständnisses, das ich in der alltäglichen Berichterstattung sehe: Die Blockchain hat den Ruf dezentral zu sein. Nun — das sind Stempel auch. Wenn wir zum Beispiel früher die Kopie eines Zeugnisses beglaubigen lassen mussten, konnten wir zu jedem Menschen mit einem Amtssiegel gehen, um aus der Kopie quasi ein Original zu machen: Das Bürgeramt, der Schulleiter oder gar der Gemeindepfarrer haben Zeugnisse von mir beglaubigt. Keiner davon war graphologisch ausgebildet, keiner hätte gemerkt, wenn ich mein Zeugnis mit einem teuren Farbdrucker und einer rudimentären Bildverarbeitung manipuliert hätte. Wir als Gesellschaft vertrauen Stempeln — selbst wenn sie gefaxt werden.

Dieses Prinzip wurde auf die Blockchain übertragen. Zwar stempeln die Miner diesen riesigen Kontoauszug ab – es kümmert sie aber nicht, was darauf steht. Das erklärt auch die vielen spektakulären Diebstähle und Betrugsnummern, die immer wieder Schlagzeilen machen. Sofern die vorgelegten Werte dem richtigen Format entsprechen, dann drücken die Miner ihren Stempel drauf und bekommen dafür Stempelgeld. Deswegen dauert es immer eine gewisse Zeit bis Bitcoin-Transaktionen abgeschlossen sind. Man schreibt die Transaktion auf den einen riesigen, riesigen Kontoauszug und wartet, bis genug Stempel darauf sind. Ob nun auf dem Kontoauszug die Erpressungsgelder eines Krypto-Trojaners oder der Kaufpreis einer Pizza stehen, ist den Stemplern ziemlich egal.

Ein Stempel

Die Blockchain ist ein Stempel.

Oder: Ein ganzen Haufen Stempel. Eine Idee aus der Frühzeit von Bitcoin ist es, dass sich quasi jeder an der Berechnung der Blockchain beteiligen kann. Das kann man zwar noch immer – um tatsächlich zu stempeln, muss man aber so viel Rechenzeit investieren, dass Privatleute ohne Profitmotiv längst ausgebootet worden sind.

Es ist ganz wie mit Amtssiegeln. Theoretisch könnte man auch ein System schaffen, wo jeder Bürger so ein Siegel hat und die Leute sich gegenseitig einen Stempel geben, wenn sie etwas richtig bescheinigt haben. Doch wer will sich schon die Arbeit machen für jeden Stempel riesige Bände mit Stempelkarten durchzugehen? Es kam, wie es kommen musste: Die Blockchain von Bitcoin ist mittlerweile hoch zentralisiert – viel zentraler als unser deutsches System von Amtsstempeln.

Neue Blockchains sind in der Regel komplett zentralisiert. Ein Konzern entscheidet, was er abstempeln will und welche Preise er dafür verlangen will. Ganz selten mal findet sich ein Konsortium zusammen, das mehrere gleichwertige Stempel untereinander verteilt und verspricht, sie gegenseitig anzuerkennen. Der Normalfall ist aber inzwischen: Eine Organisation bestimmt die ganze Blockchain.

Die Blockchain ist ein Stempel.

Viel wird darüber orakelt, ob nun für die Blockchain neue Anwendungsmöglichkeiten gefunden werden. Kann höhere Mathematik unser Leben verändern? Wer will das schon ausschließen? Kann jedoch neue Stempeltechnologie unser aller Zusammenleben umkrempeln? Ich glaube, die meisten würden sagen: Stempel sind nützlich, aber nicht grade neu. Eine Revolution erwarte ich hier also nicht.

Und in der Tat muss man sich nicht lange fragen, ob die Technik hinter Blockchains nützlich sein kann. Denn sie ist es schon viele Jahre. Seit 2005 zum Beispiel gibt es das Programm Git, das vom Linux-Schöpfer Linus Torvalds geschaffen worden war, um die vielen Millionen Zeilen Programmcode von Linux besser zu verwalten. Und kryptografische Signaturen – sprich: Stempel — gehören so selbstverständlich zum System, dass es lange Zeit niemandem aufgefallen ist.

Glaubt jemand, dass Git den Handel mit Online-Medien revolutionieren wird? Natürlich nicht. Wird es unser Zusammenleben revolutionieren? Nun, für Softwareentwickler hat Git eine enorme Bedeutung. In der Nische sind Stempel wichtig. Aber dafür braucht man ein System, in dem sich Leute aufeinander verlassen können.

Die Blockchain ist ein Stempel.

Die Grundphilosophie von Bitcoin war, dass die komplexe Mathematik Vertrauen unter Menschen ersetzen können. Die Werbemasche der Blockchain-Buden: Smart Contracts sollen (korrupte) Mittelsmänner ablösen. Was die Buden nicht verraten: Sie selbst wollen die neuen Mittelsmänner sein. Und bei vielen würde ich das Wort „korrupt“ nicht in Klammern schreiben.

Eine Masche ist zum Beispiel, dass die Stempler gar nicht mehr offen Provisionen oder Stempelgeld verlangen. Stattdessen verkaufen sie eine weitere Krypto-Währung, mit denen man die Stempler künftig bezahlen soll. Das vorgebrachte Kalkül: Die Kunstwährung wird mehr und mehr wert, weil der Markt ja wächst. Die Realität: Die Kunstwährung wird so schnell wie möglich unter Spekulanten gebracht, die dann jeweils neue Kreise suchen, denen sie die neue Kunstwährung unterjubeln können. Jeder macht dabei satte Gewinne, bis der letzte Käufer schließlich in die Röhre guckt.

Die Blockchain ist ein Stempel.

Ja, es gibt durchaus auch Leute, die tatsächlich an die Anwendung von Blockchains glauben und nicht korrupt und gekauft sind. Wobei: gekauft sind sie meist doch: Denn dank des Buzzwords Blockchain können sie Investorengelder einsammeln, die sie für eine langweiligere Datenbanktechnik nicht bekämen. Die langweilige Technik wäre in den meisten Fällen sinnvoller, sparsamer, problemloser als eine Blockchain, könnte aber mangels Investoreninteresse nicht verwirklicht werden. Aber wenn das Endprodukt im Prinzip Sinn ergibt — warum nicht? Nachher kann man das Projekt immer noch auf eine bessere technische Basis stellen. Vielleicht.

An alle Kollegen — und auch an Politiker — appelliere ich daher: Nehmt jeden Vorschlag, der Euch unterbreitet wird und ersetzt überall das Wort „Blockchain“ durch „Stempel“. Klingt der Vorschlag dann lächerlich, dann ist er es höchstwahrscheinlich auch. Klingt der Vorschlag nicht lächerlich, fragt Euch, ob denn die Begleitumstände stimmen. Braucht dieser neue Stempel-Startup-Sektor wirklich eine komplett neue Gesetzgebung? Ist die neue Stempel-Technik von Walmart nicht exakt das gleiche, was ALDI Süd schon seit zehn Jahren auf seine Frischfleischpackungen stempelt? Hat der brandneu innovative Stempelanbieter die Kompetenz und Infrastruktur, um die Werte, die er abstempeln will, tatsächlich zu garantieren? Lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen.

Die Blockchain ist ein Stempel.

Missverständnisse zu #efail

Heute morgen hat uns die Electronic Frontier Foundation ganz schön erschreckt, als sie plötzlich verkündete, dass man PGP-Plugins deinstallieren solle. Nachdem ich das zugrunde liegende Papier gelesen habe, das aufgrund der übereilten EFF-Veröffentlichung einen Tag früher als geplant online gestellt wurde, kann ich diese Empfehlung nach wie vor nicht nachvollziehen.

Ja, es sind gravierende Sicherheitslücken. Was die Forscher in ihrem Paper beschreiben, ist ein Aushängeschild für den schlechten Zustand der Verschlüsselungslösungen für Endnutzer. Was mir bei der Berichterstattung allerdings etwas übel aufgefallen ist: Einige Kollegen erzählten eine Geschichte, wonach nun plötzlich ein super-sicheres System zum ersten Mal geknackt worden sei.

Der übliche Einwand darauf ist: Die Verschlüsselung wurde nicht geknackt, sondern nur umgangen. Das trifft auch hier zu. Für den Anwender mag das im Ernstfall wenig tröstlich sein. Aber treten wir mal einen Schritt zurück und sehen, worum es wirklich geht. Eine der Voraussetzungen des heute veröffentlichten Angriffs-Szenarios ist es, dass der Angreifer bereits die E-Mails des Opfers erfolgreich abfangen konnte, und nun dringend noch den Schlüssel braucht. Und sich überhaupt nicht drum schert, dass der Angriff morgen einfachst nachvollzogen werden kann.

Auf deutsch: Edward Snowden sollte heute morgen wirklich nicht Thunderbird mit den untersuchten PlugIns verwenden. Was er wohl eh nicht tat. Die meisten(!) anderen Nutzer sollten sich aber eher Gedanken drum machen, dass sie ihre E-Mail- und Verschlüsselungs-Software updaten und die Voreinstellungen überprüfen.

Eine der wichtigen Lektionen von heute ist: Verschlüsselte Daten sind nur so sicher, wie das System, auf dem sie gespeichert sind und verarbeitet werden. Es hat immer hunderte Wege gegeben und es wird immer hunderte Wege geben, an PGP-verschlüsselte E-Mails zu gelangen, wenn denn der Empfänger seine IT-Systeme nicht wirklich unter Kontrolle hat. Man kann versuchen, auf dem Rechner einen Trojaner zu installieren. Man kann Backup-Daten klauen und drauf hoffen, dass der betreffende seine wichtigen E-Mails, Passworte oder Cache-Daten im Klartext abgespeichert hat. Man kann den Bildschirminhalt und Prozessorenaktivitäten über erstaunliche Entfernungen abhören. Oder schlicht drauf warten, dass irgendjemand den falschen Knopf drückt und einen langen E-Mail-Thread im Klartext versendet. Und, und, und… Die Möglichkeiten der Gegenwehr sind vorhanden, aber nicht unerschöpflich. Um IT-Systeme sinnvoll absichern zu können, muss man einschätzen können, wie sehr und von wem man denn bedroht ist.

Die konkretere Lektion ist: E-Mail-Programme sind nicht so sicher, wie wir es gerne hätten oder bis heute angenommen haben. Jeder sicherheitsbewusste Nutzer sollte mittlerweile gehört haben, dass man E-Mails nicht Daten aus dem Internet nachladen lässt. Denn so fängt man sich nicht nur finstere Verschlüsselungsknacker ein, sondern auch Spammer und Möchtegern-Hacker. Nun haben die Forscher einige Wege gefunden, wie E-Mail-Programme ungewollt nach außen kommunizieren. Einige sind nicht ganz so neu — aber dennoch nicht abgeschafft. Andere waren zumindest weniger bekannt und müssen nun ganz gezielt ausgemerzt werden.

Was mich auch etwas nervt, wie wenig Kontext durch die Skandalisierung transportiert werden konnte. Wenn man ganz laut ALARM!!!! schreit, bleibt halt wenig Platz für Erklärungen. Wenn E-Mail-Programme Informationen nach außen leaken lassen, können Angreifer dies nicht nur dazu nutzen, um verschlüsselte E-Mails zu entschlüsseln. Man kann die gleiche Technik verwenden, um jemanden zu enttarnen, der sich hinter einer vermeintlich anonymen E-Mail-Adresse verbirgt. Man schickt dem Betreffenden eine präparierte E-Mail und wenn er sie öffnet, hat man die IP-Adresse und vielleicht noch zwei bis drei andere Datenpunkte, mit dem man ihn identifizieren kann. Das ist gängige Praxis. Selbst abgefeimteste Profis fliegen so auf. Und wenn weder Gesetzeshüter, noch Geheimdienste die Lücke nutzen: Spammer und Abobetrüger greifen sicher gerne zu.

Ein weiterer Kontext, der mir deutlich zu kurz kam: Die in Großunternehmen verwendete Verschlüsselung S/MIME schneidet im Papier wesentlich schlechter ab als die OpenSource-Lösung PGP. Und das ist ein großes Problem. Updates für Thunderbird sind schon veröffentlicht, weitere folgen in Kürze und können von Einzel-Nutzern schnell installiert werden. Ein Update der E-Mail-Software und Verschlüsselungslösungen etwa für 100000 Angestellte weltweit auszurollen, ist jedoch etwas, was nicht ganz so schnell passiert.

Auch Kontext: Die Veröffentlichungsstrategie. Der Hashtag #efail — muss das wirklich sein? Er ist zwar schön griffig, aber er transportiert vor allem Häme. Und das ist einfach #facepalm.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wünschte, wir könnten etwas abgeklärter, und informativer über solche Probleme reden.

Ich will neue Narrative

Grade geht ja wieder eine Debatte darüber los, wie man mit der Berichterstattung um Serienmörder an Schulen umgehen soll.

Ich würde die Diskussion gerne etwas erweitern. Ich glaube ja, dass Fiktionen Realität auf verschiedene Weisen widerspiegeln und auch neue Realitäten formen. Wenn jeden Abend fünf CSI-Folgen mit jeweils mindestens einem grausamen Mord laufen, wenn Mankell seine schlechten, deprimierenden Bücher verkaufen konnte, weil er absurde Gewalttaten in ihren Mittelpunkt stellt, wenn auch die Kritikerlieblinge auf Netflix im Blut ersaufen — dann ist es kein Wunder, wenn die Mörder im realen Leben auch eine Obsession sind.

Es ist Zeit für neue Narrative. Ich wünsche mir zum Beispiel endlich mal wieder Krimiserien über Leute, die Sachen klauen. Eine provokative neue Serie aus Finnland, in der es um *trommelwirbel* die Steuerfahndung geht. Anstelle des üblichen Musters ein Mord pro Folge und ein Serienmord pro Staffel möchte ich Trickdiebe, Korruptionsermittler — vielleicht sogar eine neue Serie über Journalisten.

Citation needed

Die erste Woche Trump war in einem Aspekt besonders erfolgreich: Er hat das Niveau der Debatte gesenkt. Habe ich früher vielleicht einmal pro Woche einen Hoax aus meinen Timelines getilgt, musste ich es in der vergangenen Woche gleich mehrfach täglich tun. Wurde das Visa Waiver-Programm für Deutsche aufgehoben? Nein. Hat Mike Pence behauptet, Frauen würden sich vergewaltigen lassen, wenn man ihnen dann Abtreibungen gewährt? Nein. Hat Trump in einem offiziellen Foto seine Hände vergrößern lassen? Wohl nicht, es spricht nichts dafür. Menschen die ich schätze, haben all das in sozialen Netzwerken verbreitet – und noch viel mehr.

Die meisten meiner Leser kennen wahrscheinlich den XKCD-Comic von dem „Wikipedian Protester“, der dem mächtigen Mann auf der fahnenstrotzenden Bühne ein simples Schild entgegenhält: [Citation needed]. Diese Warnung wurde in Wikipedia-Artikeln angebracht, wenn Behauptungen nicht belegt waren und dringend eine glaubwürdige, überprüfbare Quelle brauchten. Wurde die nicht in angemessener Zeit nachgeliefert, wurden die entsprechenden Abschnitte aus dem Wikipedia-Artikel entfernt. Die utopische Vorstellung, man könnte an die hohe Politik ähnliche Ansprüche stellen, ist mir höchst sympathisch.

SEMI-PROTECT THE CONSTITUTION

Es ist wichtig, den Mächtigen dieses Schild entgegenzuhalten. Wenn Donald Trump erst behauptet von einem — überhaupt nicht wahlberechtigten — Profi-Golfer von Wahlbetrug erfahren zu haben und sich anschließend einen Verschwörungstheoretiker als Quelle aussucht, dann müssen Journalisten festhalten, dass dies Lügen sind. Und sie müssen die Abgeordneten verantwortlich machen, die über die Gesetze abstimmen. Und die Leute, die für sie stimmen.

Das mit der Verantwortung ist aber keine Einbahnstraße. Wir dürfen uns nicht ausschließlich darauf verlassen, dass Snopes, die Washington Post oder Correctiv die Wahrheit schon zu Tage fördern wird. Denn in einem Umfeld, in dem Bullshit dominiert, ist es einfacher, weiteren Bullshit anzuhäufen. Trump mag keine Fakten auf seiner Seite haben. Die Unterstützung der meisten seiner Wähler ist ihm für Maßnahmen wie dem nun vollzogenen Einreiseverbot sicher. Zwar liefert der Präsident seinen Wählern keine unmittelbare Verbesserungen ihres Lebens, er liefert ihnen aber etwas fast Gleichwertiges: Die Leute, die systematisch als Feindbild aufgebaut wurden, regen sich furchtbar auf. Wenn „die Medien“ Trump beschimpfen, muss der ja irgendetwas richtig machen. Wenn Clinton gegen ihn ist, muss er ja etwas gegen die Korruption in Washington tun.

But she is Madonna!

Fakten zu delegitimisieren ist relativ einfach. Millionen Menschen beteiligen sich am Women’s March? Eine dumme Rede von Madonna reicht für viele vermeintlich Konservative aus, um dieses Ereignis als irrelevant, gar als Bestätigung von Trumps Politik zu betrachten. Zeigt man ihnen unwiderstreitbar, dass eine ihrer Überzeugungen falsch ist, zucken sie mit den Achseln und verweisen auf zehn andere Fake-Stories, die die „liberals“ erfunden haben. Ab einem gewissen Punkt kann man diese Leute nicht mehr erreichen. Aber die Leute, die noch nicht so abgestumpft sind, kann man nicht erreichen, wenn man mit schlechtem Beispiel vorangeht.

Statt nur von den Mächtigen Quellen und Glaubwürdigkeit zu verlangen, müssen wir uns auch mehr auf unsere eigene Glaubwürdigkeit Gedanken machen. Gerade das mediale Stille-Post-Spiel kostet unendlich viele Ressourcen und führt die Debatte immer wieder auf Abwege. Gerade bei Journalisten sehe ich immer mehr die Unart, dass Textausschnitte getwittert werden, die irgendein skandalöses Zitat oder eine Schlussfolgerung enthalten – der Kontext oder die Quelle fehlen jedoch. Zwar mag das Zitat am Tag des Tweets noch einfach auffindbar sein, verschwindet es mit immer größerer Wahrscheinlichkeit schon bald hinter einer Paywall. Die GIF-Sucht hat auch andere Folgen. Mehrfach habe ich in den vergangenen Tagen gesehen, dass jemand einen falschen Tweet korrigiert und das falsche Original sogar gelöscht hat – doch jemand anders hatte das GIF mit der Falschbehauptung schon kopiert und unter eigenem Namen weiter verbreitet.

Stille Post mit Photoshop

Unsere Erinnerung macht Nichtigkeiten groß. In einem Jahr werden sich noch viele Leute an die Geschichte erinnern, wie Trump seine Hände vergrößern ließ — sie ist einfach zu sexy. Gerade dieses Beispiel zeigt auch, wie wichtig Quellenkritik geworden ist. Mit viel Energie hatten Trump-Gegner Fotos verglichen und kleine sogar Animationen daraus gebaut, um die empörende und absolut sinnlose Manipulation zu beweisen. Die Washington Post ist der Sache nachgegangen, und hat festgestellt dass das Bild, das auf Twitter so viel Verbreitung fand, gar nicht aus dem Weißen Haus selbst stammte. Wer die Quelle mit Verstand und Hintergrundwissen betrachtete, musste das bemerken. Wer nur retweetet, sieht hingegen nur die Story, die so sexy erscheint.

Lange Rede, kurzer Sinn:

Retweetet nicht alles, was Euch grade am Empörendsten vorkommt. In den meisten Fällen reicht eine Minute, um einen Gegenbeleg zu finden.

Wenn ihr Zitate als Grafik teilt, gebt bitte auch eine Quelle an. Retweetet keine Zitate ohne Quelle.

Wenn ihr einen Fehler macht — und das ist in dem Klima nur allzu verständlich — dann korrigiert den transparent. Es reicht nicht aus, einen Tweet oder ein Posting hinterherzuschicken. Löscht Eure Falschbehauptungen unmissverständlich. Und informiert Eure Quellen. Wenn die darauf bestehen ihren Irrtum online zu lassen, sind sie es nicht wert, dass man sie weiter anhört.