Zirkeldiskussion mit und ohne Facebook

Wenn es um Facebook und den Datenschutz geht, wiederholen sich irgendwie die selben Gespräche immer wieder.

„Wozu braucht Facebook das?“
„Du hast das Netz nicht verstanden“
„Das mag sein. Wozu braucht Facebook das?“
„Na, um Daten zu erfassen.“
„Aha. Und was bringt mir das?“
„Anders klappt Facebook nicht.“
„Aha. Und was bringt mir das?“
„Anders klappt Facebook nicht.“
„Aha. Und was bringt mir das?“
„Anders klappt Facebook nicht.“

Zu gleicher Zeit an anderer Stelle.

„Wieso soll ich nicht Facebook verwenden dürfen?“
„Du hast den Datenschutz nicht verstanden.“
„Das mag sein.Aber wovor will mich der Datenschutz bewahren?“
„Na, Deine Daten.“
„Aha und was passiert mit denen?“
„Die gehen an Facebook. In den USA!“
„Aha und was passiert mit denen?“
„Die gehen an Facebook. In den USA!“
„Aha und was passiert mit denen?“
„Die gehen an Facebook. In den USA!“

Netzrealpolitik

Wir hören immer wieder die Definitionskämpfe um den Begriff Netzpolitik. Netzpolitik ist wichtig. Netzpolitik ist gut. Und ich bin viel Netzpolitiker als Du.

Doch wie ist die Realität?

Netzrealpolitik bedeutet mit dem Fuß aufzustampfen und zu behaupten, dass der andere die gesellschaftlichen Umwälzungen Umwälzungen nicht begreift.

Netzrealpolitik heißt, Meme zu finden, die man gegen die anderen in Stellung bringen kann. Kinderpornografie, Zensur, Katzentatzen — was auch immer wirkt. Sachinhalte sind nicht so wichtig, in drei Tagen ist es eh vergessen.

Netzrealpolitik heißt, Kontakte zu knüpfen, als ob man einen Klout-Rekord brechen will. Followe mir, ich folge Dir zurück. Aber das heißt nicht, dass ich Dir zuhöre. Jedenfalls nicht, wenn Dein Klout-Score zu gering ist.

Netzrealpolitik ist eine Fortsetzung der Inszenierung. Ein getwittertes Abendessen ist manchmal mehr wert als ein halber Gesetzentwurf.

Netzrealpolitik ist es den Unternehmen zuzuhören, die einem am nächsten stehen.

Netzrealpolitik ist Google. Für Google. Gegen Google. Mit Google. Auf Google Plus.

Netzrealpolitik ist Facebook. Auf Facebook. Gegen Facebook.

Netzrealpolitik ist klicken, klicken, klicken.

Netzrealpolitik ist Transparenz zu fordern. Und an ihr zu verzweifeln.

Netzrealpolitik braucht instant gratification. Besonders für mich.

Netzrealpolitik ist Realpolitik.

Mein persönlicher Digital Divide

Viel wurde in der vergangenen Woche geschrieben, wie sehr doch Facebook sich das gesamte Internet aneignen werde, dass Facebook unser aller Leben umkrempeln werden. Mit meiner persönlichen Realität hat das jedoch wenig zu tun. Und eigentlich stehe ich nicht allzu weit entfernt von dem Epizentrum des gesellschaftlichen Wandels. Ich bin zwar jenseits der 30, gehöre aber zu der Generation, die das Internet in Deutschland groß gemacht hat.

Ein Digital Divide geht mitten durch meinen Freundeskreis. Die einen sind beruflich und privat ständig online, haben Smartphones, loggen sich irgendwo ein, wenn sie ausgehen. Die anderen sind beruflich und privat oft online, haben ihre Smartphones noch nicht so lange wie die anderen und schicken Links zu witzigen Youtube-Videos tatsächlich per E-Mail. Die erste Gruppe hat Facebook grade massenhaft hinter sich gelassen, die anderen haben Facebook nie in ihren Alltag integriert. „Was hätte ich denn davon?“ werde ich oft gefragt. Dabei hab ich das Thema meist gar nicht angesprochen.

Ein Beispiel aus meinem Alltag: Poetry Slams sind ein guter Anteil für Ressentiments. Im kompetetiven Umfeld zahlt es sich aus, die Antipathien des Publikums zu aktivieren um Applaus zu bekommen. Krude Witze über FDP, den Papst und Mario Barth gehören zum Standard-Repertoire. Damit sind die Slammer mehr oder weniger erfolgreich — schließlich ist die Zielgruppe aus dem Alter der „Deine Mudder“-Witze entwachsen, gebüldet ohne sich etwas drauf einzubülden. Und man will sich schließlich amüsieren und keine Privat-Vorlesung abholen.

Als ich am Wochenende bei der Vorrunde der NRW-Meisterschaft der Poetry Slammer war, haben vier von 10 Teilnehmern Witze über Facebook gemacht. Wie schrecklich doch diese Plattform doch ist, seine Symbolik, die Leute, das Netz. Applaus gab es dafür jedes Mal, wenn auch nicht übermäßig. Dabei war die Veranstaltung selbst auf Facebook angekündigt.

Doch als ich nachgesehen habe, scheint diese Haltung nicht nur rethorisch zu sein. Auf Facebook haben höchstens eine Handvoll Leute ihren Senf zur Veranstaltung dazu gegeben, die dazu meist zur Gruppe der Veranstalter gehörten. Auf Twitter war gar nichts los und auch von den 50 Millionen Google+-Nutzern scheine ich der einzige gewesen zu sein, der tatsächlich einige Beiträge zu der Meisterschaft einstellte.

Ich habe Freundschaften im IRC geschlossen, ich habe spannende Menschen über Usenet-Signaturen gefunden, ich kenne Menschen, die ihren Lebenspartner über Wikipedia gefunden haben. Ich habe aber nie einen interessanten Menschen über Facebook kennengelernt, habe dort keine spannenden Diskussionen gefunden, die nicht irgendwo anders drei Mal besser gestanden hätten, habe nie etwas gelernt, was mich überrascht hätte.

Wenn nun nicht Mal ein tendentiell studentisch-akademisches urbanes Publikum unter 40 Facebook wirklich zu einem ihrer Lebensmittelpunkte gemacht hat — welche Chance hat das Unternehmen tatsächlich das Leben seiner Mitglieder darzustellen?

<share> – oder: Regulieren wir den Datenschutz doch lieber selbst

Groß ist die Aufregung um den Facebook-Button und Herrn Weichert. Ein tolles Sommer-Thema: jeder hat eine Meinung und empört sich wahlweise über naseweise Landes-Bürokraten, über das Datenmonster Facebook, über die unreflektierten egogeilen Webmaster, über die datenvergessenen User, die durchblicksfreien Politiker oder über einfach alle.

Ich hab nie eingesehen, warum ich hier einen Like-Button einbauen sollte. Auch nicht, als es noch del.icio.us-Buttons waren. Wer ein soziales Netzwerk tatsächlich nutzt, soll doch bitte den Button in seinem Browser einbauen. Oder ein Bookmarklet. Die Installations-Schwelle ist nicht wirklich hoch.

Aber ich sehe schon: das erfordert ein paar Klicks mehr. Wenn ich gar eine URL von einem Tab in Google Plus kopiere und dort noch das entsprechende Bild aussuchen muss und vielleicht noch drei eigene Worte dazutippe, komme ich auf 20 Klicks und Tastendrücke. Mindestens. Das ist natürlich unzumutbar.

Also machen wir es doch einfach so: Bauen wir einen Dummy-Button für alle sozialen Netzwerke gleichzeitig ein. Unter jeden Beitrag packe ich einfach einen Tag wie zum Beispiel diesen:

<share>

Im Browser des Users wird daraus der ultimative Share-Knopf. Ist er bei Google-Plus eingeloggt, wird die URL bei Klick sofort zu Google Plus geschickt. Oder Facebook. Oder Myspace. Oder delicious. Oder Tumblr. Oder alle zusammen.

Also arbeiten wir eine Idee, ein Konzept für den Tag aus. Natürlich müssen wir dazu alle APIs studieren. Überlegen, ob wir dem Webmaster die Gestaltung des Buttons überlassen. Wir müssen die Regel festlegen, dass vor dem Klick auf den Button keine Daten übertragen werden. Wer das doch will, kann ja Rockmelt installieren.

Nach einem offenen Diskussionsprozess von maximal zwei Jahren haben wir sicher einen vorzeigbaren Standard, den wir dann dem W3C vorlegen können. Dort landet er dann auf dem Tisch einer Arbeitsgruppe, in der die größten Konzerne ihre Abgesandten platziert haben. Sie werden hier etwas streichen, dort eine Datenschleuse einbauen und sich dann beim nächsten Treffen über gar nichts mehr einig sein. So geht es drei Jahre weiter, die 3D-Fähigkeit des Buttons wird zu Zerwürfnissen führen und jemand rechnet aus wie viel CO2-Ausstoß der Button kosten wird. Die nächste Arbeitsgruppe wird gegründet und – nachdem Google Facebook übernommen hat oder Apple Microsoft werden die Karten neu gemischt. HTML 11.0 steht dann an.

Lange Rede kurzer Sinn: in acht bis zehn Jahren haben wir eine Lösung! So lange muss sich Herr Weichert schon gedulden können, oder?

Die Legende vom allwissenden Netz

Karsten Polke-Majewski hat sich für die „Zeit“ dem Thema  Digitales Erinnern angenommen:

Denn das Netz speichert alles. Keine winzige Information, keine E-Mail, kein noch so peinliches Online-Foto, kein Twitter- oder Facebook-Eintrag, keine Buchungsanfrage beim Reiseanbieter ist jemals dahin. Die digitalen Speicher haben die Gesellschaft ihrer Fähigkeit zum Vergessen beraubt und ihr stattdessen ein umfassendes Gedächtnis verliehen.

Und wenn man es noch 100 Mal aufschreibt: es stimmt nicht. Jedenfalls nicht so ganz. Das Netz vergisst nämlich verdammt viel. Wenn ich meine E-Mails der letzten 10 Jahre lösche, werde ich sie nicht über die magische Cloud zurück bekommen. Sicher: eventuell hat noch der eine oder andere Kommunikationspartner ebenfalls den einen oder anderen E-Mail-Wechsel auf seiner Festplatte. Aber wie sollte ich den von Hunderten Leuten wieder bekommen? Wenn ich meine Bilder von Facebook lösche, wird sie niemand wieder finden. Sie sind einfach nicht peinlich, originell oder schön genug, als dass sie jemand anders gespeichert hätte. Und wenn ich Artikel aus dem Blog lösche, hat sie auch Google spätestens nach ein paar Wochen vergessen. Was übrig bleibt: Schnippsel, die andere zitiert haben und Links, die ins Leere laufen.

Wahr ist: Speichern ist billiger geworden. Verdammt billig. Und deshalb wird viel gespeichert. Verdammt viel.  Wer aber wahllos alles speichert, verschüttet die Informationen besser als im Kölner Stadtarchiv. Ja: Google fördert so manche Archivleiche zutage, aber den Anspruch der Vollständigkeit kann und will Google nicht erfüllen. Der Reiseanbieter wird nach der vorgeschriebenen Speicherfrist meine Buchungsdaten entsorgen, eventuell sind die genauen Daten noch auf irgendeinem Backup-Datenträger zu finden. Aber dort ist er zunächst aus dem Augen, aus dem Sinn.

Ebenfalls wahr ist: Dienste wie Google Mail bieten scheinbar unbegrenzten Platz an, Facebook gar will alle Kommunikationsströme des Lebens abspeichern. Aber heavy user wissen: das sind leere Versprechen. Der Platz ist begrenzt und irgendwann fallen die Daten hinten über den Speicherhorizont.

Wahr ist auch: selbst wenn die Details weg sind, wenn Google nicht mehr genau weiß, welche Mail ich genau wann an wen geschrieben habe — in meinem Adsense-Profil stehen wohl einige Meta-Informationen, an die ich einfach nicht herankomme. Haben mich die Bestellbestätigungen von Amazon als besonders kaufkräftig und kaufwillig geoutet, hat Google sich das vielleicht gemerkt. Bestimmt sogar. Da ist der Internetkonzern wie das menschliche Hirn: wir hören das, was wir hören wollen und wir merken uns das, was uns angeht. Oder vielmehr: das, von dem wir glauben, dass es uns angeht? Weiß Facebook dass ich heterosexuell bin, obwohl ich es nicht ins Profil gestellt habe?? Für die Datenbank-Magier sicher kein Problem. Aber wie will Facebook darauf Gewinn schlagen? Die Anzeigen, die ich bisher auf Facebook gesehen habe, waren jedenfalls ganz und gar nicht verlockend. Vielleicht liegen die Informationen quer verstreut in den Rechenzentren und Facebook hat sich diesen einen indiskreten Fakt schlichtweg nicht bewusst gemacht. Das heißt: keine Verknüpfung erstellt, das Sex-Bit nicht auf Null gesetzt. Oder 1?

Lange Rede, kurzer Sinn: Das Netz merkt sich verdammt viel. Aber bei weitem nicht alles. Letztendlich sind es doch nur die Menschen, die meist scheinbar wahllos und manchmal ganz gezielt den Informationswust umgraben und mit den Informationen machen, was Menschen mit Informationen so tun.

Twitter als Kommunikations-Überholspur? Oder eine Gated Community?

Viel Häme haben sich die Hauptstadtjournalisten mit der wirklich skurrilen Fragestunde zu den Twitter-Aktivitäten im Bundespresseamt eingehandelt. Wie kann man im Jahr 2011 Twitter nicht kennen? Was sollen die albernen Fragen? Da wird die Regierung mal etwas offener und die Hauptstadtjournalisten fürchten um ihr Herrschaftswissen!

So nachvollziehbar die Reaktion auf die Vorstellung aus dem „Raumschiff Berlin“ ist, nach ein paar Tagen sollte man anfangen Mal etwas darüber nachzudenken. Natürlich ist Hauptstadtjournalismus ein extrem arbeitsteiliges Geschäft. Die Personen, die in der Bundespressekonferenz sitzen, müssen in der Regel nicht mit Twitter arbeiten. In meinen Augen sollten sich Kommunikationsarbeiter mit neuen Medien auseinandersetzen, aber ich will mir da kein abschließendes Urteil erlauben. Vor fünf Jahren wurde ihnen erzählt, sie müssten Second Life lernen. Ein gewisses Misstrauen, eine gewisse Trägheit ist verständlich.

Journalisten als „vierte Gewalt“ haben die Aufgabe, die Regierung zu überwachen. Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass die Journalisten die notwendigen Informationen bekommen. Wenn also Reisen von Angela Merkel zuerst über Twitter angekündigt werden, mag das für uns Außenstehende wie eine Petitesse erscheinen – sie sorgt aber dafür, dass komplette Arbeitsprozesse umgelegt werden müssen. Die Journalisten, die im Zweifel am Samstagabend alleine am Schreibtisch sitzen, müssen die Nachrichten aus den verschiedensten Kanälen abgleichen. Gehen relevante Informationen über einen neuen Kommunikationskanal, müssen sie diesen in ihre Arbeitsmittel integrieren. Mit einem Twitter-Account alleine ist es da nicht getan – die Medien müssen auch ständig einen aktuellen Überblick haben welcher Politiker tatsächlich twittert, welche Fake-Accounts unterwegs sind. Noch schlimmer: Sie müssen sich mit ironischen Kommentaren, schlechten Wortwitzen und haufenweise uninformierten Missverständnissen herumschlagen. Und das für ein nicht greifbares Endergebnis: Ich als Leser blättere weiter, wenn ein Zeitungsjournalist Twitter-Anekdoten zum Besten gibt.

Gleichzeitig nutze ich Twitter intensiv und gerne. Grade eben habe ich mit einem Tweet eine Frage an DradioWissen geschickt, die wenige Minuten später auf Sendung beantwortet wurde. Früher hätte ich womöglich eine Hörer-Hotline anrufen müssen und meine Frage wäre vielleicht ans Ende der Sendung gestellt worden, wo sie dann natürlich aus dem Kontext gerissen worden wäre. Ebenfalls kann ich Mal eben einem Spitzenpolitiker einen kleine Frage an den Kopf werfen und bekomme tatsächlich sofort eine Antwort von ihm. Das Zeitalter der neuen Offenheit ist da. Jeder aus dem Volk kann die Regierenden endlich zur Rede stellen. Yay!

Das Problem: nicht jeder kann es. Auf dem Web Content Forum in Köln sagte der General Manager von Welt Online: Das iPad ist noch kein Massenmedium, es ist noch nicht in der U-Bahn, nicht auf dem Spielplatz angekommen. Selbst wenn jeder ein iPad hätte und von dort seine Twitter- und Facebook-Aktivitäten steuern würde – wer würde es für einen direkten Dialog mit „der Politik“ nutzen. Wer aggregiert sich den Reiseplan von Frau Merkel zusammen und lässt das in seine Wahlentscheidungen einfließen? Entsteht über die Kurz-Kurz-Echtzeit-Kommunikation ein wirklicher Dialog?

Vorläufige Diagnose: Wir „Twitter-Kinder“ (so nannte es Julia Seeliger eben auf DradioWissen) sind noch ein ziemlich kleiner Haufen — und ziemlich homogen dazu. Akademiker-Kinder unter sich. Wir repräsentieren das Volk besser als jeder Deutschlandtrend und wissen besser Bescheid als jeder Fachmann. Über alles. Und je nach politischer Meinung und persönlichen Vorlieben bilden wir Blasen, in denen wir nur mit Gleichgesinnten zu tun haben. Ein bisschen Widerspruch mag vorkommen, aber das nur am Rande, als intellektuelle Herausforderung. Wer nicht in unser Schema passt, wird entfollowt. Twitter ist das Äquivalent einer „gated community“, in der sich die Wohlhabenden eines Landes von der normalen Bevölkerung abgrenzen. Doch statt elektrischen Zäunen, Wachmännern und Videoüberwachung benötigen wir nur unsere Kommunikationsfilter. Ist das die Zukunft der Kommunikation?

Nachtrag: Stefan Niggemeier hat für die FAZ bei den Hauptstadtjournalisten nachgefragt:

Sarah Palin ist eine Warnung dafür, wie Politiker, die etwa über Facebook direkt mit den Wählern kommunizieren, sich kritischer Nachfragen durch Journalisten entziehen können. Am vergangenen Mittwoch zeigte sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf Youtube und beantwortete dort vorher ausgewählte Fragen von Bürgern. Die Presse meint, er tue das auf Kosten klassischer Interviews. „Er versucht die ganze Zeit, uns zu umgehen“, sagt der Sprecher des Journalistenverbandes. „Wir glauben, dass jeder Staatsbedienstete sich Journalisten und ihren Fragen stellen muss.“

Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Beleidigtsein von Journalisten, die ihrem Informationsmonopol nachtrauern, und der berechtigten Sorge, ob Politiker sich ihrer Rechenschaftspflicht entziehen.

Pre post privacy

Was mich an der „Post Privacy“-Debatte nervt ist die gnadenlose Überhöhung des Ist-Zustandes. Die „Spackeria“ tut so, als seien Twitter und Facebook der größte revolutionäre Akt, der die Lebensverhältnisse auf den Kopf stellt. Die Datenschutz-Anhänger hingegen halten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hoch, als sei es ein direktes Ergebnis der Aufklärung und in jeder Verfassung der westlichen Welt direkt neben Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen zu finden.

Ich hingegen frage mich: wenn jetzt das post privacy-Zeitalter eingeleitet wird, wann hatten wir jemals das privacy-Zeitalter? Im Mittelalter, als jeder in die Dorfgemeinschaft so eng zusammenlebte, dass niemand aufs Klo gehen konnte ohne dass es die Nachbarn sahen? Oder in der frühen Neuzeit, als die Arbeiter sich in den Mietskasernen ihre Toiletten teilten? In den 70ern, als der Terrorismus-Wahn die Rasterfahndung gebar?

Heute habe ich in der New York Times ein Stück über das Problem Sexting gelesen:

“Ho Alert!” she typed. “If you think this girl is a whore, then text this to all your friends.” Then she clicked open the long list of contacts on her phone and pressed “send.”

In less than 24 hours, the effect was as if Margarite, 14, had sauntered naked down the hallways of the four middle schools in this racially and economically diverse suburb of the state capital, Olympia. Hundreds, possibly thousands, of students had received her photo and forwarded it.

Zwei Dinge fallen mir auf: Es brauchte weder Facebook, noch Twitter oder ein sonstiges Internetangebot, um das gesellschaftliche Leben dieses Mädchens zu zerstören – es genügte der Mobilfunk. Eine Technik, die uns so selbstverständlich geworden ist, dass wir ihren revolutionären Charakter in weniger entwickelten Ländern gar nicht mehr in Augenschein nehmen.

Zweiter Aspekt: Wann hätte ein Mädchen ungestraft Nackbilder von sich weiter geben können? In meiner Schulzeit hatten wir keine Handys, aber es gab Kopierer und ein Foto zu reproduzieren hätte selbst ich in zwei Stunden im Fotolabor geschafft. Die technische Schwelle ist sicher niedriger — aber das grundsätzliche Handlungsmuster ist nicht alleine durch die Technik gegeben. Wer Nacktfotos von sich verteilt, gibt sich ganz in die Hand des Empfängers.

Facebook-Mengenleere

Angesichts Hunderttausender Facebook-Fans für Karl-Theodor zu Guttenberg sind die Medien so ratlos wie wir Blogger.Sind die Guttenberg-Liker einfach faul? Oder falsch? Oder gar ein Zeichen von Schwarmdummheit? Alles möglich, wir wissen es schlichtweg nicht. Wahrscheinlich sind all diese Erklärungen Teil der Wahrheit.

Bild.de packt es jedoch Mal wieder der Ungewissheit die Krone der Dummheit aufzusetzen und die Facebook-Zahlen richtig ad absurdum zu führen:

Auch Gegner des Ex-Verteidigungsministers präsentieren sich bei Facebook – wenn auch in der Minderzahl. Sie summierten sich zur selben Zeit auf rund 53 000, während alle Gruppen, die den Politiker Guttenberg zurück wollen, zusammengerechnet mehr als 1,18 Millionen Mitglieder zählten.

Ich muss hoffentlich nicht erklären, warum das Zusammenzählen der Mitglieder von Facebook-Gruppen mit fast gleichlautenden Botschaften irreführend, falsch und einfach peinlich ist?

Das Gutten-Fake-Mysterium – eine einfache Erklärung

In den letzten Tagen möchte ich immer mal wieder Schläge auf Hinterköpfe verteilen. Die Pro-Guttenberg-Gruppen auf Facebook beschäftigt viele Köpfe, nur das Denken scheint dabei etwas kurz zu kommen.

So gibt es die Guttenberg-Kritiker, die mit durchweg unstichhaltigen Argumenten Indizien für einen großen Fake herbeireden wollen und damit viel Applaus bekommen. Dann gibt es Leute wie Sascha Lobo und Marcus Schwarze, die zwar lobenswerterweise Fragen stellen, aber schon an der Fragestellung scheitern. Sascha Lobo wird mit seinem Crowdsourcing-Experiment lediglich zeigen können, wie wenig seine Leser mit Guttenberg, BILD und Merkel sympathisieren. Und Marcus Richter Schwarze hat letztlich nur festgestellt, dass die Facebook-Statistik weder Fakes noch gekaufte Accounts ausweist.

Nachdem die meisten groß angekündigten Pro-Guttenberg-Demonstrationen im wohl verdienten Gelächter untergegangen sind, ist die Fraktion, die mit dem Brustton der Überzeugung vom Facebook-Fake spricht wieder besonders lautstark. Problem: diese Leute haben so wenige Beweise oder Indizien wie vorher.

Versuchen wir es einfach mal mit einer einfachen Erklärung, beziehungweise mit drei Thesen:

  • Die meisten Leute, die bei „Pro Guttenberg“ auf den Like-Knopf geklickt haben, sind keine fanatischen Guttenberg-Fans. Sie haben schlichtweg genug von der andauernden Berichterstattung. Dem leidigen Thema noch einen Samstagnachmittag hinterherzuwerfen, fällt ihnen nicht ein. Der Pro-Guttenberg-Klick ist ein Klick gegen Massenmedien, Politik-Betrieb und Sensationslust. (Das muss aber nichts heißen: in sozialen Netzwerken beschweren sich viele Leute über die bösen Medien, die Charlie Sheen immer neue Gelegenheit geben sich zu demontieren. Dennoch hatte er auf Twitter an nur einem Tag eine Million Follower oder genauer: Gaffer gefunden.)
  • Demonstrationen zu organisieren benötigt Zeit. Netzwerke aufzubauen benötigt Zeit. Eine diffuse Masse ist eine diffuse Masse. Wer am Samstag auf Abruf bereit steht, ist vielleicht nicht der fotogenste Streiter für die eigene Sache.
  • Facebook ist ein lausiges Medium für politischen Diskurs. Statt Vielfalt abzubilden, ist Facebook das Äquivalent zum US-Fernsehmarkt geworden. Extrempositionen werden gepusht, weil sie Klicks und Zuschauer bringen. Hintergründe, Zusammenhänge oder gar Sacharbeit sind auf der Plattform kaum möglich – und werden auch nicht gefördert. Besonders in der Masse wird die individuelle Initiative beerdigt. Wer soll 5 Stunden Arbeit in etwas investieren, was im Zweifel nach fünf Minuten weggescrollt ist?

Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Durch meine Timeline jagen Botschaften von Leuten, die sehr befremdet darauf reagierten, dass so viele Menschen der Pro-Guttenberg-Gruppe auf Facebook angehörten. Leute, von denen man eigentlich eine gute Meinung hatte. Denen man sich verbunden fühlte – zumindest so verbunden man durch eine Facebook-Freundschaft ist. Und diese Leute fanden plötzlich Guttenberg, den gegelten Populisten und Plagiator gut.

Wie konnten sie nicht sehen, was da abgeht? Wie konnten sie der Realität den Rücken zukehren und die Schandtaten des Ministers als Nebensache abtun? Diese Leute mussten die Augen und Ohren fest verschlossen haben, wenn sie nach wie vor an die linke Verschwörung der Hauptstadtpresse glaubten. Da schreiben sie, es seien ja nur Zitate „nicht ausreichend markiert“ worden, als ob das eine lässliche Sünde sei. Dabei wäre eine ausreichende Markierung einem einem Geständnis gleich gekommen.

Ganz klar: die Pro-Guttis leiden unter Realitätsverlust. Sie haben sich einen Wahrnehmungsfilter gebastelt, der alles ausblendet, was die Integrität ihres Lieblings gefährdet. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Aber was bedeutet das für uns, die Guten, die Aufrechten, die Netizens? Schließlich war die Facebook-Massengruppe bisher unser Ding.

Aber nein, das kann doch nicht wahr sein. „Das Netz“ ist nicht für jemanden, der so entgegen unseres Geschmacks ist. Der gelogen hat, betrogen, verarscht, verspottet. Der im Zwielicht steht.

Eigentlich kann das nicht mit rechten Dingen zugehen. Also auf an die Tasten. Schreiben wir es auf:

Nein, Beweise gibt es dafür nicht. Nicht mal Indizien. Aber verbreiten wir es Mal. Denn es kann ja nicht sein, was nicht sein darf.