Meine Freunde, es erfüllt mich mit keiner Freude, Euch eins zu sagen: Ihr seid über Jahre einer Kriegspropaganda aufgesessen. Ihr müsst Euch aber deshalb nicht schuldig fühlen: Denn diese Propaganda begleitet Euch wahrscheinlich schon seit Kindertagen und selbst in intellektuellen Kreisen wurde wenig bis gar nicht thematisiert, wie ruchlos hier Geschichtsfälschung betrieben wurde.
Dabei betrifft die falsche Historie unsere ganze Welt. Mehr noch: Es betrifft die gesamte Federation of Planets. Ein Imperium im Kostüm einer Utopie.
Ihr kennt alle die historischen Dokumente. TOS, TNG, DS9, VOY und die deutlich weniger verlässlichen Erzählungen der Kelvin-Timeline, Picard des Älteren und DISC. Natürlich handelt es sich um Fiktionen, darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Und dennoch bilden diese Erzählungen einen elementaren Beitrag zur Legitimierung, sie sind Teil eines popkulturellen Wertegerüsts geworden, ein Modell, wie man sich verhalten sollte.
Wie kann man aus Fiktionen die Realität kristallisieren? Zunächst benötigt man eine Menge davon – was bei Star Trek ja zweifellos der Fall ist. Und dann beginnen wir damit, die Gemeinsamkeiten zu analysieren. Welche Gesellschaft beschreibt Star Trek eigentlich? Dazu lohnt auch ein Blick auf die Kleinigkeiten, bei denen es sich nicht zu lügen lohnt, die von den Erzählern als selbstverständlich erachtet werden. So schreibt Arthur Conan Doyle niemals über die Körperhygiene seiner Zeit, aber wenn ein Gentleman vergeblich nach heißem Wasser klingelt, dann bekommen wir dennoch ein ziemlich detailliertes Bild.
Fangen wir mit dem Großen an: Angeblich spielen die Geschichten in einer Zeit, in der die Menschheit Armut besiegt hat, in der Gewalt, die meisten Krankheiten und Krieg unter den Menschen überwunden sind.
Der Waisen-Feldzug
Und doch: Seht auf die persönlichen Biographien der Offiziere: Captain Picard ist bei Dienstantritt auf der USS Enterprise nicht einmal 50 Jahre alt, hat aber keine Eltern mehr. Sein Erster Offizier: Halbwaise, seine Mutter starb auf ungeklärte Weise in seiner frühesten Kindheit. Deanna Troi, Halbwaise, ihr menschlicher Vater starb vor langer Zeit. La Forge? Eine tote Mutter, im Dienst gestorben. Tasha Yar? Vollwaise, geflüchtet aus einem Failed State, der auf unbekannte Weise an der Föderation hängt. Sogar Chief O’Briens Mutter stirbt, kurz nachdem er selbst Vater geworden ist. Janeways Vater ist tot und erscheint als Vision, um sie ins Jenseits zu ziehen, etc pp. Entweder ist Star Fleet ein Selbsthilfegruppe für Waisen oder das Paradies auf Erden ist ziemlich tödlich.
Oder es ist eine Lüge.
Nun schauen wir uns die breitere Mission der Star Fleet an: Exploration, die Erforschung der Grenzen des bekannten Universums und des menschlichen Wissens. Die Botschaft ist klar: Nein, wir sind keine kriegsführende Flotte. Aber unser Flagship ist mit Waffen ausgestattet, die die meisten Zivilisationen in Schutt und Asche verwandeln können.
Kanonenbootpolitik Next Generation
Tatsächlich wird dieses Schiff höchst selten in unbekannte Gefilde geschickt. Seine Missionen bringen es aber immer wieder an die bereits erforschten Grenzen der Föderation – von Farpoint Station bis zur Neutral Zone. Mal versorgt die Enterprise eine der vielen Siedlergruppen, die quer durch die Galaxie verstreut sind und den einflussbereich der Föderation erweitern. Mal transportiert das Schiff Diplomaten, die ihrer Verhandlungsmission die notwendige Feuerkraft verleihen wollen. Im 19. Jahrhundert kannte man ein Wort dafür: Kanonenbootpolitik. Eine Hegemonialmacht oder gar ein Imperium schickt sein Flaggschiff in die weite Welt, um die eigene Überlegenheit eindrucksvoll zu demonstrieren oder sogar zu erzwingen.
Aber war die Enterprise nicht dennoch ein Forschungsschiff? Doch was hat sie tatsächlich erforscht? Die Bilanz ist eher deprimierend. Die wackere Besatzung der Enterprise trifft zwar immer wieder auf neue Erkenntnisse und Technologien. Aber erforschen sie sie wirklich? Kaum. Immer wieder entdecken die Schiffe der Sternenflotte neue Methoden des Weltraumantriebs, die die Warp-Spulen blass aussehen lassen. Doch in der nächsten Folge ist davon keine Rede mehr.
Die sagenhaften Portale der noch sagenhafteren Iconianer zerstört Picard ganz offen. Schlimmer: Benjamin Lafayette Sisko macht es gleich noch einmal. Die USS Voyager stößt ein halbes Dutzend Mal auf Methoden, schnell nach Hause zurückzukehren oder zumindest unbemannte Sonden hin- und herzuschicken, und stampft sie alle wieder ein. Warp 10 verwandelt Menschen in Echsen? Dann schickt halt keine Menschen damit hin und her! Und um den Omega-Partikel unbesehen zu zerstören, wird sogar die Oberste Direktive außer Kraft gesetzt.
Oder was ist mit den Cytherianern, die Reginald Barclay umprogrammieren, damit er der Enterprise einen neuen Antrieb verpasst? Dieser Antrieb wird nach Rückkehr demontiert und niemand spricht mehr ein Wort davon. Ich fürchte, wenn die Cardassianer in ein paar hundert Jahren in das Gebiet der Cytherianer vordringen, werden sie nur noch Trümmer finden, eine Zivilisation, die von Trikobalt-Geschossen atomisiert wurde.
Utopie-Life-Balance
Eine der wenigen Innovationen, die die Föderation tatsächlich zulässt: klingonischer Kaffee. Denn Sternenflottenoffiziere müssen auch dann wach sein, wenn ein Tag 26 Stunden dauert. Überhaupt stellt sich die Frage: Wie ist diese Föderation überhaupt organisiert? Die Sternenflotte ist nach dem Vorbild der imperialen Flotte des British Empire geformt, mit ein paar offenen Fragen: Was treibt die einfachen Matrosen, wenn sie weder Gehalt noch Ehre zu erwarten haben? Und: Wer hat eigentlich das Kommando? Irgendwie scheint die Admiralität den Laden zu schmeißen und bietet dafür einzelnen Vertretern der Mitgliedsgesellschaften ein Luxusleben zwischen den Sternen.
Das ist vielleicht der größte Defekt der Star-Trek-Saga: Tag für Tag behaupten die Charaktere, dass sie Gewinnstreben, Kriegslust und alles allzu Menschliche überwunden haben – doch wie sie das getan haben? Keine Ahnung. Aber sie pokern immer noch. Und womit bezahlen sie den Luxusurlaub auf Risa? Ein Planet, der sogar sein Klima für den Tourismus reguliert, muss andere Einnahmequellen haben.
Ein weiteres ewiges Mantra ist, dass die Föderation im Gegensatz zu den anderen großen Imperien die Entscheidungsfreiheit des Individuums bewahrt. Da ist es aber komisch, dass wir fast ausschließlich Leute sehen, die in einer militärischen Struktur dienen, und die für Dinge wie Befehlsverweigerung verurteilt werden können. Ist die Föderation womöglich genauso militaristisch ausgerichtet wie die Cardassianer oder die Romulaner? Wir können es nicht wirklich wissen.
He’s alive, alive!
Wenn wir einen Blick auf die vermeintlichen künstlichen Lebensformen wie Data und den Doktor werfen, wird es etwas dunkler. Auch das sollte unbestreitbar sein: Beide Figuren sind nicht künstlich. Denn eins der Haupt-Kriterien für Künstlichkeit ist: Man kann es etwas wieder produzieren. Dass die Holo-Detektoren der Voyager nicht mal eben zwei Doktoren projizieren und damit die Notwendigkeit eines humanoiden Assistenten beseitigen, ist nicht nachvollziehbar. Und dass man Data nach Jahrzehnten nicht replizieren kann, obwohl man zwei Exemplare ausführlich analysiert hat und gleich zwei Labore von Noonien Soong auskundschaften konnte, ist ebenfalls unglaublich.
Worum handelt es sich also? Um Wesen, denen offenbar von vorneherein keine Autonomie, keine vollen Bürgerrechte zugestanden werden. Obwohl ihre Fähigkeiten die ihrer Kameraden in den meisten Bereichen übersteigen, wird ihnen der normale Karrierepfad verweigert. Sind sie schlicht Ausländer, die in einer Armee gleich der des antiken Roms Dienst machen, denen die Armeechefs aber fundamental misstrauen? Das ist zumindest eine plausible Annahme.
Die Zukunft von gestern
Was soll das alles? Ja, Star Trek ist eine Utopie – aber eine, die in die Jahre gekommen ist. Die multiethnische Brückenbesatzung um Captain Kirk war ein visionärer Gegenentwurf zum Kalten Krieg, zu den Weltkriegen, die noch keine Generation vorbei waren. Ein Statement für die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre und gleichzeitig ein Statement für den American Exceptionalism. Zudem musste Gene Roddenberry die Kulissen von anderen Stoffen weiterverwenden, vom Western bis zum Nazi-Drama. Willkommen in der neuen Welt, die doch eigentlich die alte ist.
Literatur, Geschichte, Fernsehen und Filme sind nicht zeitlos und man sollte sie nicht auf einen Sockel stellen, der einen frischen Blick aus nächster Nähe verhindert. Nur wenn man das Heute und das Gestern erfolgreich vereint, haben sie auch noch morgen eine Zukunft.