Den Datenschutz mit dem Klingelschild ausschütten

Es gibt viel an der Datenschutz-Grundverordnung zu kritisieren. Mit gutem Recht. Zum einen: Wir sind mit der Umsetzung ein bis zwei Jahre im Rückstand. Viele Chancen wurden verschenkt. So hätte ich mir gewünscht, dass ich meine Datenschutzerklärung nicht auf der Seite einer Anwaltskanzlei zusammenklicken musste, so etwas hätten nun wirklich die Datenschutzbehörden anbieten können. Und dann hätten sie diese Datenschutzerklärung maschinenlesbar machen können, so dass Nutzer ihre Daten tatsächlich verwalten können, statt nur stumpf sechs Seiten Text wegzuklicken. Ich wünschte die Datenschutzbehörden hätten Dark Patterns vorhergesagt und Richtlinien gegeben.

Diese ganze Aufregung um Klingelschilder zusammengefasst: ES GIBT KEIN VERDAMMTES PROBLEM MIT DEN VERDAMMTEN KLINGELSCHILDERN! Natürlich kann jeder seinen Briefkasten beschriften. Und natürlich kann dies auch von Hausmeistern übernommen werden, damit das Ganze sauber aussieht. Wir lieben saubere Klingelschilder. Wenn eine Wohnungsgesellschaft 15000 Wohnungen quer durch die Stadt automatisch beschriften will, kann man sich mal Gedanken machen. Zum Beispiel: Die Mieter fragen, was denn draufstehen soll. Erscheint Euch das zu kompliziert?

Was für persönlich mich eher ein Problem ist: Ich wohne in einem Haus mit verdammt vielen Wohnungen. Wie zunehmend viele Menschen. Trotzdem haben sich Versender bis heute nicht angewöhnt, ihre Adressformulare so einzurichten, dass man seine Wohnungsnummer eingeben kann. Ein Elektroversender hat mir tatsächlich geraten, ich soll die Wohnungsnummer doch in irgendein anderes Feld schreiben. Hallo ich bin Torsten Wohnungsnummer Kleinz 2718. Nur wurde das andere Feld auf dem Formular für den Lieferfahrer abgeschnitten. Are you kidding me??? Hättet ihr das nicht fixen können, als ihr die DSGVO umgesetzt habt?

Dass sich BILD und Co unqualifiziert und polemisch über die DSGVO mokieren — geschenkt. Ich bin jedoch verwundert, wie schnell auch andere Leute quasi alles vergessen, was sie zu Datenschutz mal gehört haben und flugs im Ton der vermeintlichen Vernunft in die Ecke der Ignoranz abschweifen, weil es eben grade günstig scheint.

Dieser Kommentar auf FAZ.Net gehört dazu.

Ein unbehebbarer Fehler ist die Konstruktion des Datenschutzrechts: Es verbietet praktisch sämtliches Hantieren mit persönlichen Daten. […]Aus dieser Strenge spricht der Geist des Volkszählungsurteils: Das Bundesverfassungsgericht erblickte in jeder Information des Staates über die Bürger ein Risiko. Dieses Konzept ungefiltert auf die Wirtschaft auszudehnen war ein Fehler.

Nein, das ist kein Konstruktionsfehler. Denn ist der verdammte Sinn des Ganzen. Ein Datenschutzrecht, das sich nicht auf Konzerne erstreckt, wäre schlichtweg kein Datenschutzrecht. Und es würde auch die Schutzrechte gegen den Staat abschaffen. „Ach, wir können nicht die Wohnung von X abhören? Kein Problem — fordern wir das Protokoll beim Google, Facebook oder dem intelligenten Stromzähler an.“

Und:

Allein Deutschland hat 18 Datenschutzbehörden und mindestens so viele Rechtsauffassungen. Das ist unzumutbar.

Das wäre unzumutbar… und ist falsch. In den meisten Fragen liegen die Datenschützer ganz eng beisammen – wenn es in einzelnen Fragen einen Ausreißer gibt, dann ist das frustrierend, aber halt immer noch ein Ausreißer. Eine Reduzierung der Zahl der Datenschutzbehörden würde hier leider auch gar nichts helfen — denn die Regeln müssen nun auch durch Gerichte interpretiert werden. Und wer sich mal mit deutschen Landgerichten beschäftigt hat, weiß: Das wird noch um einiges frustrierender und zeitraubender.

Richtig ist: Viele kritische Fragen wurden verschleppt. Dass in letzter Minute erst ein Konsens zum Nutzerkonsens gefunden wurde – unzumutbar. Aber bisher ist das große Problem ausgeblieben.

Es bleibt die Verwirrung der Bevölkerung. Eltern bestehen plötzlich darauf, dass Bilder ihrer Kinder bloß nicht erscheinen sollen. Oder im Gegenteil: Sie bestehen auf Fotos. Das wirkt lächerlich — ist aber auf gewisse Weise notwendig. Denn dass Privatfotos plötzlich in eine bereite Öffentlichkeit dringen und damit nicht mehr kontrolliert werden können, ist für viele ein neues Phänomen. Ich sehe alltäglich auf sozialen Medien, wie ein Konsens gesucht wird, damit umzugehen. So haben mittlerweile viele Eltern für ihre Kinder eine Art Codenamen ersonnen: „Der Große“, „Kind 2“ oder „der Schnuppel“. Dabei ist es nicht notwendig, dass diese Leute Angst haben, dass ihr Kind entführt wird, nur weil jemand den vollen Namen weiß. Es ist schlichtweg eine Linie im Sand. Ich weiß, dass es da Probleme geben könnte. Ich überblicke nicht, welche Konsequenzen mein Handeln haben kann. Also bin ich lieber vorsichtig.

Die Datenschutz-Grundverordnung wird uns in den kommenden Jahren noch viel Frust bescheren. Was jedoch fehlt: Eine grundsätzliche Alternative. Jetzt einfach die Augen zu schließen und die ignorantesten Standpunkte aufzuhübschen, ist nicht hilfreich. Den Datenschutz mit dem Klingelschild auszuschütten – das wäre einfach dämlich. Verdammt dämlich.