Kasse machen mit Khashoggi

Zugegeben: Ich bin ein wenig sauer. Aber durchaus aus Gründen.

Am Sonntagabend spülte mir Twitter den Hashtag #WeHearYouKhashoggi in den Aufmerksamkeitshorizont – verbunden mit einer merkwürdigen Story: Die New York Times hatte eine Anzeige abgelehnt, die Solidarität mit dem ermordeten Kolumnisten der Washington Post ausdrücken sollte. Mein Interesse war geweckt, ich klickte auf den Link.

Er führt zum Marketing-Blog einer Firma, die VPN-Zugänge verkauft.

The image you see above, is part of a full page ad we ran in The New York Times Sunday Edition today, October 21, 2018. Late last night, we were informed that our ad had been pulled, but around 80,000 copies had already left. The ad had already been approved and paid for. However, that wasn’t the beginning of the story. First, we tried to run it in the Washington Post, who was initially excited, but then kept asking for the artwork to be changed more and more until finally saying they simply didn’t want to run it at all.

Aha. Also eine Solidaritätsanzeige mit Khashoggi, die von der Washington Post abgelehnt wurde? Wie mag die wohl aussehen? Auf Twitter fand ich die Antwort:

Die Anzeige zeigt eine stilisierte Hand, deren Finger abgetrennt wurden – blutüberströmt. Darüber steht #WeHearYouKhashoggi – und direkt darunter das Logo des Anbieters. Ganz unten nochmal die Internetadresse des Anbieters — eingebettet in den furchtbar entstellten Arm.

Und dazu kann ich nur sagen: #FuckYouPrivateInternetAccess #FuckYou #SeriouslyFuckYou.

Ich habe von der Firma noch nie gehört. Es mag sein, dass sie sonst gute Arbeit leistet und vielleicht in diesem Fall sogar aus guter Absicht gehandelt hat. Was diese Anzeige jedoch ist: Eine Beleidigung. Sie ist schamlos, sie ist sensationalistisch und sie dient augenscheinlich nur einem Zweck: VPN-Pakete zu verhökern. Der Journalist, den sie vermeintlich ehren soll, kommt hier nur als entstelltes Gliedmaß vor.

Dass die Washington Post die Anzeige abgelehnt hat, hätte den Verantwortlichen zu denken geben sollen. Tat es aber nicht. Sie gingen stattdessen zum nächsten Medium. Und erwischten dabei irgendjemanden beim Verlag der New York Times, der die nächsten Monate mit einer anderen Aufgabe betraut werden sollte.

Als der Anruf oder die E-Mail der New York Times kam, dass sie den Auftrag stornieren müssen, obwohl schon 80000 Exemplare mit der Anzeige gedruckt und ausgeliefert worden waren — das wäre ein erstklassiger Anlass gewesen nochmal nachzudenken. Es ist nun schon das zweite Medium, das uns sagt, dass unsere Anzeige unzumutbar ist — und dieser Verlag hat sich deshalb sogar in beträchtliche Unkosten gestürzt. Haben wir einen Fehler gemacht?

Aber nein.

Stattdessen versuchte die Firma die Absage der Anzeige zu skandalisieren. Sie setzten einen Blogpost auf, indem sie nicht nur totale Unkenntnis vortäuschten, warum denn die Anzeige abgesagt wurde. Sie setzten auch die Statements von Leuten darunter, die bereits von der Firma ab und an bezahlt werden, für das Marketing-Blog zu schreiben, darunter der Ur-Pirat Rick Falkvinge und der IT-Journalist Glyn Moody. Die werden damit zu Charakterzeugen der Anzeige, die sie vermutlich im Vorhinein nicht gesehen haben — und der Blogbeitrag wird zu einer Attacke auf die New York Times. Wie konnte die Grey Old Lady nur zu diesem bedauerlichen Fehlschluss kommen?

Auch wenn irgendjemand in der Firma gedacht hat, es wäre toll sich solidarisch mit ermordeten Journalisten zu zeigen — das Ergebnis ist das Gegenteil. Jeder unbefangene Leser muss meinen, wenn er die Anzeige sieht: Die tollen Produkte dieser Firma hätten verhindert, dass Menschenrechte auf diese entsetzliche Weise verletzt werden. Das ist jedoch lächerlich. Ich glaube es ist nicht zu vermessen zu sagen: Jeder in der arabischen Welt, der Dissenz ausdrücken will, kennt VPNs bereits. Khashoggi kannte sie ganz sicher. Das Ergebnis: Er wurde ermordet. Ein anderer Aktivist ging grade an die Presse, dass sein Handy gehackt wurde und seine Brüder verhaftet wurden. Was hilft ein VPN da? Gar nichts. Ein dritter wurde verhaftet? Private Internet Access? Macht Euch nicht lächerlich.

Als ich mich auf Twitter beschwerte, antwortete die PR-Abteilung, dass lediglich das Timing etwas aus dem Ruder gelaufen sei. Man habe nur vorgehabt, Khashoggi unter dem Hashtag zu ehren. Und wieder muss ich sagen: Bullshit! Hätte man tatsächlich Wert darauf gelegt Khashoggi zu ehren, wäre nicht als einziges die Homepage der Firma prominent gefeatured. Es gibt keine vorbereiteten Inhalte, es gibt keine Zusammenarbeit mit irgendeiner Journalistenorganisation, keinen Link zu den gesammelten Werken Khashoggis. Die Washington Post, die tatsächlich grade die gesammelten Werke von Khashoggi veröffentlicht, hat der Marketing-Abteilung eine Absage erteilt. Sich tatsächlich mit Khashoggi zu solidarisieren — das hätten alles die Social-Media-Wichtel erledigen müssen. Sponsored By Your Fucking VPN-Dealer.

#FuckYou #SeriouslyFuckYou