Openleaks – der Flicken an der falschen Stelle?

Derzeit tobt ja der Kampf Openleaks versus Wikileaks, Daniel versus Julian durch alle Gassen. Dabei gehen nicht nur die Inhalte der berüchtigten „cables“ in Vergessenheit, sondern auch das Leaken selbst, das Veröffentlichen von Geheimnissen, die Kontrolle der Macht ist aus dem Blickfeld geraten.

Constanze Kurz hat es bei einer Veranstaltung der Böll-Stiftung richtig gesagt: Ohne eine Organisation wie Wikileaks wären die Depeschen der US-Diplomaten wohl nie so groß veröffentlicht worden. Die meisten NGOs und Zeitungen wären vor dieser gewaltigen Aufgabe zurückgeschreckt. Oder kurzscher ausgedrückt: „Also den Arsch in der Hose muss man erst mal haben.“

Für fast alle anderen Leaks gilt aber: dazu hat es Wikileaks nicht gebraucht. Zumindest im Prinzip nicht. Denn wir feiern Jahrestag um Jahrestag wieder die Erfindung einer Technik, mit der quasi jeder Dokumente weltweit veröffentlichen kann: das Internet. Das World-Wide-Web war nicht als Lesemedium gedacht, sondern sollte vor allem das Publizieren vereinfachen. Wenn Dokumente tatsächlich so brisant sind, dass sie sich selbst verbreiten reicht es aus, die Dokumente einem einigermaßen bekannten Blogger in die Hand zu drücken, auf Google zu stellen oder sogar – wenn es die Kürze erlaubt — in Webcomics einzuschmuggeln.

De facto hat Wikileaks schon vor über einem Jahr das Publizieren eingestellt — und trotzdem ging das Leaken weiter. ACTA-Dokumente, Bankenskandale Geheimberichte der Bundeswehr fanden ihren Weg an die Öffentlichkeit. Für 99,9 Prozent der Fälle gilt: ohne Wikileaks geht es ohne Probleme weiter wie bisher. Wikileaks war nicht die Kommunikationsrevolution, sondern nur das Symptom, eine Entwicklung die eigentlich unvermeidbar war. Halbe Bibliotheken passen auf Daumennagelgröße, das IT-Sicherheitsverständnis der Mächtigen ist unterentwickelt und die Skandalmaschinerie der Medien verlangt nach ständig neuer Nahrung.

Nur um nicht missverstanden zu werden. Leaken ist für Informanten nach wie vor mit hohen Risiken verbunden — ich möchte das nicht klein reden. Aber das Risiko ist zu managen. Beziehungsweise: der Leaker macht sich nicht nur durch die simplen Fehler bei der Datenübermittlung angreifbar. Insofern ist es zwar ganz interessant und ehrenvoll, dass Daniel Domscheit-Berg mit OpenLeaks einen Kommunikationskanal plant, der Informanten unterstützen will, indem er anonyme Kommunikation absichert und Metadaten entfernt.

Aber das deckt eben nur einen sehr kleinen Teil des Leakens ab. Die mutmaßliche Quelle von Wikileaks wurde verhaftet, weil er sich auf anderen Kanälen bemerkbar machte. Ein Whistlerblower, der allein in seinem Kämmerlein sitzt, Dokumente in einen toten Briefkasten wirft und keinerlei Rückmeldung erhält, tendiert dazu sich auf andere Weise sichtbar zu machen.

Zudem: nur in seltenen Fällen ist eine Akte ohne Kontext oder andere begleitende Dokumente schon ausreichend, einen Skandal aufzudecken. Selbst wenn man als Bestandteil eines Systems Informationen zuordnen kann – außerhalb der Organisation sind im Zweifel nur wenige Menschen fähig, die richtigen Zusammenhänge zu sehen. Oder gar die Irrtümer eines Whistleblowers fachgerecht zu sehen. Wikileaks selbst hat es demonstriert: die Redakteure des Collateral Murder“-Videos haben geflissentlich die Waffen der angeblichen Zivilisten am Boden übersehen, haben ignoriert, dass es bereits ein Buch gab, dass die Geschehnisse an diesem Tag in Baghdad beschrieben hatte. Die Bilder waren stark und emotional, der Kontext komplett falsch. Auch so kann man die öffentliche Meinung beeinflussen und sogar Geschichte schreiben.

Lange Rede, kurzer Sinn: ich glaube nicht, dass es derzeit einen Mangel an Publikationsmöglichkeiten gibt. Was fehlt: Organisationen, die Kontexte herstellen können, die es sich erlauben auch Mal 15000 Seiten Aktenmaterial durchzuarbeiten ohne einen Skandal zu finden oder daraus zu konstruieren. OpenLeaks will dies nicht sein. Zusammengesparte Redaktionen haben es schwer, und die öffentliche Aufmerksamkeit ist durch die fortwährende Skandal-Kanonade schon fast taub geworden.

Was benötigt wird ist: guter Journalismus.