Netzethik als Loriot-Film

Die Bundesregierung will uns mit einer Netz-Ethik beglücken. Und geht gleich forsch dabei vor – ohne falsche Schüchternheit.

Wettengel stört sich an den gängigen „Phantasienamen“ in Online-Foren. Normalerweise sei es ein Zeichen von Höflichkeit, dass sich der Bürger „zu sich selbst bekennt“. Er warf die Frage auf, was die „ständige Verwendung“ von Pseudonymen „für Rückwirkungen auf die reale Welt haben wird“.

Ja, was mag das für Auswirkungen haben? Ich war zum Beispiel heute am Supermarkt und habe mich weder an der Metzgereitheke, noch an der Kasse vorgestellt. Dabei wissen wir doch, wie das korrekt ablaufen muss. Das Vorbild der Netzethik des Herrn Wettengel ist offenbar Loriots Pappa ante Portas: „Guten Tag, mein Name ist Lohse! Ich kaufe hier ein!“

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Mal im Ernst: die Phantasienamen stammen daher, dass im digitalen Raum unsere Umgangsformen eingeschränkt sind. Was ist das für einer, unser Gegenüber? Wir sehen ihn nicht. Wir wissen nicht wie alt er ist, wie er sich kleidet, wer er ist. Und da im Netz Millionen von Fremden mit Millionen von Fremden zu tun haben, ist es sogar ganz praktisch, wenn das Gegenüber sich durch einen Nicknamen etwas mehr zu erkennen gibt. Was weiß ich, wenn mir jemand „Lohse“ ins Kommentarfeld schreibt? Nichts.

Darüberhinaus wird man im Netz ständig nach seiner Identität gefragt. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich mich in der „realen Welt“ das letzte Mal den Personalausweis vorzeigen musste — ich glaube, es war als ich in ein Flugzeug steigen wollte. Der Normalfall ist, dass wir uns nicht ausweisen, sondern einfach sind. In der stofflichen Realität tragen wir Kapuzenpullis oder Krawatte, Nasenpiercing oder Halbglatze, im Netz tragen wir Nicknamen. Es ist wenig, aber es ist etwas. Es ist eine Notwendigkeit, wenn man unter Fremden ohne große Angst kommunizieren will. Man stelle sich vor, die Stammkneipe verlangt Ausweise und schickt uns alle paar Minuten einen misstrauischen Aufseher vorbei, der gerne alle Gäste abmahnen würde.

Bezeichnend ist auch dies:

Derzeit werde das von Bundesinnenminister Thomas de Maizière ausgearbeitete „Gesetz zur Verhinderung schwerer Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht“ in den Ministerien abgestimmt, das besser bekannt sei unter dem Titel „Rote-Linie-Gesetz“.

Rote-Linie-Gesetz? Ich weiß, dass der US-Kongress seinen Gesetzen gern blumige Namen gibt – aber im bürokratischen deutschen Gesetzes-Slang soll diese frivole Namensgebung wohl auch ein Signal sein: Hier ist die rote Linie!“, sagt uns der Innenminister. Denn wir sind 6-jährige Rotzlöffel, denen man Grenzen setzen muss. Anscheinend steht hier nicht der Schutzgedanke an erster Stelle, sondern ein Erziehungsauftrag. Herr de Maizière erklärt uns, wie man sich zu benehmen hat.

Mein Name ist Torsten. Ich werde hier bloggen, Herr Minister.