The Daily – Keine Zeitung für mich

Heute wurde mit viel Pomp die neue Super-Duper-Zeitung für das iPad vorgestellt: „The Daily“. Nach der Vorführung glaube ich nicht, dass dieses Medium die Antwort auf irgendeine Frage ist, die jemand zur Zukunft des Publizierens gestellt hat.

Zunächst einmal präsentierten Murdoch & Mitarbeiter, zwei ach so tolle Features: schwenkbare Panorama-Aufnahmen und Sportlerköpfe, die sich plötzlich von unten in das Layout schieben. Das fand ich schon schlimm, als sich Netscape an DHTML versuchte. Erinnert sich noch jemand an die Schmetterlinge, die plötzlich über jede zweite Webseite flogen? Es war schrecklich. Die 3D-Ansichten kamen ein paar Jahre später, verlangten die Installation irgendeines Plugins. Das lag dann bis zur Neuinstallation auf der Festplatte lag ohne je wieder genutzt zu werden.

Die Redaktion von „The Daily“ hat zwei Alternativen: Entweder baut sie Geschichten um dieses tolle Rundumblick-Feature herum. Das erfordert einiges an Personalaufwand: Mindestens zwei Leute müssen um die Welt reisen, um wirklich spektakulären Bilder zu bauen und dazu eine spannende Geschichte zu erzählen. Wahrscheinlicher ist die Lösung: Murdochs Mannen bedienen sich bei irgendeinem Katalogs fertiger Panoramen und bringen die unter wo es grade rein passt. Oder auch nicht. Wer das Wort „Symbolfoto“ hört, weiß welches Ungemach solche fest installierte Features haben – wenn man nichts findet, was in den redaktionellen Kontext passt, nimmt man halt irgendwas.

Die Fixierung auf das Interface scheint einem der Präsentatoren direkt aufs Hirn geschlagen zu sein, indem er die unglaublich guten Bilder aus Ägypten lobt, ohne mit einem Wort auf den Inhalt einzugehen – eine Revolution als herrliche Staffage für das neue Medium. Brilliante Bilder sind wichtig, ein twitternder Reporter unverzichtbar, Journalismus jedoch spielt nur eine Nebenrolle. Jonathan Price lässt grüßen.

Der Preis ist mit 99 Cent pro Woche sehr, sehr günstig. Oder soll ich schreiben: zu günstig? Die exklusiv zusammengekaufte Redaktion muss über Werbung finanziert werden, die man möglichst nicht überblättern kann und gegen die auch kein Adblocker hilft. Ein großer Teil der Einnahmen wird — wenn man sich an Projekten wie der Second-Life-Zeitung Avastar orientieren kann – mittelfristig von App-Entwicklern kommen, die bei „The Daily“ werben, beziehungsweise, die von „The Daily“ direkt verlinkt werden. Wie in New York betont wurde, wird die iPad-Zeitung bei Apps einen publizistischen Schwerpunkt setzen – mit Direktanbindung an Apples App Store. Provisionseinnahmen treffen auf journalistische Unabhängigkeit.

Ich will nicht ausschließen, dass „The Daily“ DAS Medium für tolle Reportagen sein wird, die angeblich Mal vor 20 Jahren im Playboy gestanden haben mögen. Zum Produktstart haben die Verantwortlichen aber nichts gezeigt, was diese Hoffnung nähren würde.