Die gefährliche Lust nach Daten

Die NZZ hat unseren neuen Obersten Datenschützer Karl Theodor zu Guttenberg interviewt:

Ich glaube, dass man hochsensibel damit umgehen sollte und auf beiden Seiten, insbesondere aber bei uns, rechtsstaatliche Massstäbe beachten sollte und manche vorauseilende Lust auf Daten auch einer solchen Überprüfung standhalten muss. Diese Prüfung ist vorzunehmen, und wenn ich Herrn InnenFinanzminister Schäuble richtig verstanden habe, hat er sich schon sehr skeptisch geäussert. Ich kann diese Skepsis nur teilen.

Ach ja: es geht nicht um unsere Daten, nicht um SWIFT und Terrorlisten, sondern um die Kontoinformationen von Steuerbetrügern.

Die Ökonomie der Überwachung

Die britische Regierung hat ein kreatives neues Geschäftsmodell vorerst gestoppt, wie die BBC berichtet:

The private company scheme intended to stream live footage to subscribers‘ home computers from CCTV cameras installed in shops and other businesses.

Nunja – warum sollte man den Überwachern auch die Heimarbeit verbieten? Das Ganze sollte natürlich dazu dienen, die Kosten für die teure Überwachung zu drücken. Und da kommt der spannende Teil:

The company had initially offered to pay out up to £1,000 if registered viewers spotted shoplifting or other crimes in progress.

Da war die BBC möglicherweise nicht ganz korrekt, denn bei den wenigsten Straftaten, die von Überwachungskameras festgestellt werden können, entsteht ein Schaden von 1000 Pfund.

Auf der Webseite des Anbieters findet sich heute eine etwas andere Formulierung:

Feedback is converted into points and credited to the Viewer’s account on a monthly basis. The user name of Viewer’s who have made the best contribution to the prevention of crime or to securing evidence of crime will be published in a“Thank You List“ at the end of each month unless the Viewer has elected to remain anonymous. The highest scoring Viewer will also receive an award to the value of £1000, which will be paid into the Viewer’s bank account in Europe on verification of identity and age. This fee will be split in the event of a tie.

Der Normal-User bekommt also gar nichts, nur einen feuchten Händedruck, der nicht mal physische Gestalt bekommt. Alleine der Beste der Besten bekommt tatsächlich so viel Geld, dass er damit einen Billig-Job substituieren könnte.

Die Firma weiß sehr genau, welche Art von Usern sie mit diesem (Nicht-)Bezahlmodell anziehen wird: unzuverlässige.

Each Viewer receives 5 alerts per month.
[…]
Use of alerts may be monitored and the numbers of free alerts is limited to prevent system abuse.

Die Zukunft ist closed

Abobe vergießt im Firmenblog bittere Tränen darüber, dass Apples neuster Kreation Mal wieder etwas fehlt – etwas ganz substantielles:

And without Flash support, iPad users will not be able to access the full range of web content, including over 70% of games and 75% of video on the web. If I want to use the iPad to connect to Disney, Hulu, Miniclip, Farmville, ESPN, Kongregate, or JibJab — not to mention the millions of other sites on the web — I’ll be out of luck.

Nun – ich bin kein gewaltiger Fan von Flash. Zwar hat Adobe mit seinem Flash-Player Video im Web revolutioniert, Angebote wie YouTube erst möglich gemacht und dabei nicht einmal Linux-User ausgeschlossen. Aber in den letzten Jahren wurde Flash zunehmend lästig: immer neue Sicherheitslücken und immer neue Kopierschutzmechanismen zeigen die Nachteile einer proprietären, geschlossenen Technik. Stand vor Jahren noch das Bemühen an erster Stelle, Inhalte möglichst einfach abzurufen, ist Flash heute zum beliebten Mittel geworden, die neuen Möglichkeiten zu beschneiden. Ein Radiokonzert online mitschneiden, wie es im analogen Zeitalter Alltag war? Da sei Flash vor! Die lästigen Werbespots in der TV-Serie einfach überspielen wie am heimischen Videorekorder? Wiederum: nicht mit Flash.

Insofern wäre Apples Unterstützung für ein flash-ärmeres Web sicher unterstützenswert – alleine: hier wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Selbst die Apple-Fanboys von TUAW haben es kapiert. Nicht etwa die mangelnde Performance von Flash unter MacOS (die kaum schlechter sein kann als die von iTunes-Umsetzung unter Windows) ist der erste Grund eine Flash-Adaptierung zu verhindern:

As for Hulu and a few of the other specific sites mentioned in Adobe’s rant, now that Apple is in the business of selling content, exactly how is it in the company’s best interest to provide access to that same content, through another company’s platform, for free?

Der Traum der Content-Industrie: ein Gerät, dass die lästige Konstenlos-Konkurrenz ausschließt. Das den Wettbewerb effektiv beschränkt. Und trotzdem millionenfach gekauft wird. Bei Flash-Streams konnten findige User immer noch den Output der Soundkarte und der Grafikkarte mitschneiden und über Tauschbörsen verbreiten. Bei iPad ist das nicht möglich – im App Store wird niemals eine Filesharing-Software erscheinen. Zudem ist das Gerät so verdongelt, dass Apple dem Gerät nicht mal einen HDMI-Anschluss spendiert hat. So viel Dreistigkeit kann doch keinen Erfolg haben, oder? Apple muss doch dem Freiheitswillen des Webs nachgeben? Auch sie können dem freien Internet auf Dauer keine Fesseln anlegen – egal wie schick sie nun aussehen mögen!

Oder vielleicht doch? Heute hat auch Amazon seine Quartalszahlen bekannt gegeben

„Millionen Menschen besitzen jetzt Kindles“, kommentierte aber Gründer und Unternehmenschef Jeff Bezos die Geschäftszahlen. „Und Kindle-Besitzer lesen viel.“ Mittlerweile seien 410.000 (meist englischsprachige) Titel zu haben. Amazons Medien-Verkäufe insgesamt stiegen weltweit im abgelaufenen vierten Quartal um 29 Prozent auf 4,68 Milliarden US-Dollar.

Der Kindle ist das mit Abstand meist verdongelte Device, was derzeit zu haben ist. Zwar stellt sich die Unterstützung für Flash wegen der ungeeigneten Hardware gar nicht, aber dass E-Books anderer Anbieter auf dem Kindle gelesen werden, hat Amazon effektiv verhindert. Nicht mal ungeschützte ePub-Bücher lassen sich auf dem Gerät lesen. Und trotzdem verkauft es sich wie warme Semmeln.

Auch auf dem Buchmarkt mischen Apple und Adobe jetzt mit. So beschwert sich Adobe-Mitarbeiter Adrian Ludwig weiter:

Unlike many other ebook readers using the ePub file format, consumers will not be able to access ePub content with Apple’s DRM technology on devices made by other manufacturers.

Auf Deutsch: die Kopierverhinderer von Adobe kabbeln sich mit den Kopierverhinderern von Apple und mit denen von Amazon. Dass der harte Wettbewerb zu einem echten Standard führt, der den Kunden wieder eine echte Wahl zwischen Geräten, Verkäufern und Titeln lässt, ist nicht zu erwarten. Und offenbar von den Kunden auch nicht gewünscht. Nein, es wird nur einer gewinnen und der darf dann schließlich auch Harry Potter als E-Book verkaufen. Und schon schießen die Verkaufszahlen wieder in die Höhe.

Der Computer als Universalmaschine? Nicht mehr lange.

Verbotsvermehrung

Bereits 2007 verbot Zürich Handies auf dem Schulhof, weil sich die Kinder ja mit Handykameras mobben könnten.

Ein toller Erfolg, wenn man nach dem Schuldepartment geht – heute zweifelt niemand mehr dieses Handyverbot an. Sagt das Department. Nur ein kleines Problem gab es da: woher soll der Lehrer wissen, ob der Schüler ein iPhone oder einen iPod touch hat? Man kann ja nicht erst warten, bis das Kind vom Happy-Slapping-Drang getrieben seine Mitschüler vermöbelt und dann einschreiten.

Fürwahr – eine knifflige pädagogische Frage. Doch die Lösung liegt so nah:

Die neue Hausordnung verbietet in den Stadtzürcher Schulen ab Sommer alle elektronischen Geräte. Grund für diese Ergänzung ist, dass sich die Geräte optisch immer ähnlicher werden, ein MP3-Player heute also wie ein Mobiltelefon aussieht.

Das verbot beseitigt nicht nur die Zweifel über die Art eines Geräts, sondern ist auch pädagogisch wertvoll.

«Die Kinder sollen miteinander reden, sich entspannen», sagte Caprez weiter. Elektronische Geräte seien dabei nicht förderlich.

Nächste Folge: Schokoriegel sehen doch verdächtig nach kleinen MP3-Playern aus. Und sie sind der gesunden Ernährung Heranwachsender sicher nicht förderlich.

Terroristen haben kein Facebook Connect

dpa meldet:

Passagiere auf deutschen Flughäfen sollen nach einem Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière die umstrittenen Körperscanner freiwillig benutzen. […] Jeder Fluggast sollte die Wahl haben, ob er bei Kontrollen in den Scanner gehe oder sich vom Personal abtasten lasse. De Maizière rechnet damit, dass die Geräte vom Sommer an eingesetzt werden können.

Irgendwie fehlt mir da die dritte Alternative. Wie wäre das: wer die Privatsphäreeinstellungen bei StudiVZ auf Null schraubt oder die HomelandSecurity-App auf seinem Facebook-Profil installiert, darf einfach durch die Sicherheitsschleuse gehen. Denn diese Leute laufen eh die ganze Zeit nackt herum – datennackt.

Neue Offenheit bei der Deutschen Bahn

Verehrte Fahrgäste, leider werden Sie Ihre Anschlusszüge nicht erreichen, weil ein Zug vor uns einen arbeitslosen Talentsucher zu Brei verarbeitet hat. Wir bitten um Ihr Verständnis und wünschen Ihnen weiter gute Fahrt. Und beachten Sie auch den Service in unserem Bordbistro!

Sieht aus wie

Korrespondent Stefan Schaaf berichtet gestern abend in der Tagesschau über die Folgen des Erdbebens in Haiti:

Wir sind zum ersten Mal aus Port-au-Prince herausgefahren und haben die Schäden in der Provinz gesehen. Sie sind besonders im Südwesten verheerend. Die Kleinstadt Leogane etwa ist fast vollständig zerstört worden: Die Eindrücke dort gleichen Kriegsbildern.

Klaus Ehringfeld in der Frankfurter Rundschau:

Die Bilder gleichen denen der Wochenschau aus deutschen Städten nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur die Trümmerfrauen fehlen.

Vor ein paar Tagen hörte ich einen ARD-Korrespondenten auch, der die ersten Bilder der Naturkatastrophe gar mit den Anschlägen vom 11. September verglich. Wie man mit eigenen Augen sehen kann sieht es in Haiti ganz anders aus. Haufenweise Verletzte, traumatisierte Menschen, ausländische Hilfskräfte, die mit ihrer modernen Ausrüstung wie Fremdkörper wirken, die zerstörte Kathedrale und der Präsidentenpalast, Plünderer. Die Farbe braun dominiert: Unbetonierter Boden, eingefallene Mauern, die Menschen selbst. Aber es gibt keine Artillerieeinschläge, keine riesige Staubwolke, die sich über die reichste Stadt der Welt legt, oder gar ausgebrannte Panzer.

Kurzum: Es sieht aus wie nach einem Erdbeben in einem Drittweltland. Die Katastrophe unbedingt mit anderem menschlichen Leid vergleichen zu wollen, hilft uns nicht zu begreifen.

HIMYM – Kthxbye!

Wie ich eben sehe, ist die Mutter in „How I met your Mother“ endlich gefunden. Damit ist der Serie endlich der Todesstoß versetzt – auch wenn die Produzenten wahrscheinlich nicht nur eine halbe, sondern anderthalb Staffeln mit der letzten Romanze des Ted Mosby füllen werden. Schließlich hat man das Gesicht der Frau ja noch nicht gezeigt, und ihren Namen krampfhaft verschwiegen. Ein erbärmlicher Schachzug, um das unvermeidliche Ende hinauszuzögern. Aber wenigstens ist jetzt klar – wie ein Satellit außerhalb seines Orbits rast die Serie auf ihr Ende zu.

Dabei hatte die Serie so gute Ansätze. Das übliche Setting „schöne Menschen in Manhattan“ bot einen vertrauten Rahmen, in dem die Autoren ein paar schöne Konstellationen ausprobieren konnten. Der Testosteron-Grenzfall Barney hat mit seinen Männer-Philosophien die Aufmerksamkeit auf sich gezogen – aber besser geschnitten als seine Anzüge waren die Plots. Ein gut abgestimmtes Hin- und Her aus Alltagsgeschichten und den unvermeidlichen Liebeswirren, aus gezielt überspielten Wortwitzen und überdrehten Klischees. Banalitäten? Sicher – aber wenigstens gut erzählt und mit immer wieder guten Ideen. Let’s go to the mall kann ich mir immer wieder ansehen – gerade weil Cobie Smulders so einen wirklich lausigen Job macht. Slap bet? Toller Cliffhanger!

Aber das ist lange Vergangenheit – nach zwei Staffeln habe ich die Serie beerdigt. Sie war ja von Anfang an auf drei Staffeln ausgelegt. Zu mehr taugte das Konzept einfach nicht, wenn man nicht einfach jede Folge von „Friends“ und „Sex in the City“ neu interpretieren wollte. Aber wenn eine Serie Geld einspielt, kann man sie ja nicht einfach sterben lassen. Selbst wenn die Hauptdarsteller vor laufender Kamera jeglichen Appeal verlieren, wenn sie lustlos Pointen runternudeln, die sie nicht mehr leben, nicht mehr verstehen können. Wie viel Witz steckt in einer Gruppe von Menschen ohne echte Probleme, die die ganze Zeit krampfhaft grinsen? Denen ihre Millionengage im Gesicht geschrieben steht? Und die laufend als Kulisse für Britney Spears und Konsorten herhalten müssen?

Aber wie gesagt: HIMYM hatte tolle Momente, einige inspirierte Ideen, teilweise tolle Schreiber und einen auswechselbaren Cast. Wenn die Produzenten in drei bis fünf Jahren ein paar neue Ideen haben, freue ich mich auf ihr nächstes tolles Projekt.

Nachtrag, Juni 2011: Leider hatte ich unrecht: HIMYM geht weiter und weiter, häuft Gaststar auf Gaststar, während die Serienidee und damit jede Originalität eingefroren wurde. Selbst ein toller Cast könnte da nur wenig reißen. Sogar in der Tony-Verleihung sah NPH besser aus.

Gott hat Haiti gestraft!11!!

Was für eine absurde Überschrift. Was für ein abwegiger Gedanke, Naturkatastrophen als göttliche Kollektivstrafe anzusehen. Ich scherzte eben schon, dass Pat Robertson nach der Katastrophe in Haiti ausnahmsweise mal nicht die Homosexuellen verantwortlich machen kann.

Aber solche Scherze haben eine unangenehme Eigenschaft – die Protagonisten übertreffen sie in der Realität noch:

Evangelical broadcaster Pat Robertson says Haiti has been “cursed“ because of what he called a “pact with the devil“ in its history. His spokesman said the Wednesday comments were based on Voodoo rituals carried out before a slave rebellion against French colonists in 1791.

Nun, was soll man da sagen? Pat Robertson ist nicht ein vernagelter (pseudo-)religiöser Rechtsaußen. Über ihn sollte man allenfalls lachen.

Hier – im aufgeklärten Europa – käme man doch nie auf den Gedanken, Erdbeben und Religion zu vermischen. Außer natürlich unser Bundesaußenguido:

Außenminister Guido Westerwelle rief alle Bundesbürger auf, für die Erdbebenopfer zu spenden: „Die Katastrophe ist wirklich eine Katastrophe biblischen Ausmaßes.“

Nun, selbst als Rheinländer muss Westerwelle das nicht religiös gemeint haben. Es ist eine Redensart. „Katastrophe biblischen Ausmaßes“ heißt in Wahrheit nur „schlimmer als Daisy„. Das muss nichts mit Religion zu tun haben.

Das geschulte Bodenpersonal des Herrn würde sowas natürlich sofort zurückweisen. Außer natürlich, man ist damit beschäftigt, seine toten Freunde aus den Trümmern zu bergen, den Verletzten Beistand zu leisten. Dann kümmert man sich nicht um verunglückte Überschriften wie diese: