Gut, dass wir gefragt haben

Das Bundesfamilienministerium hat eine Umfrage zur Akzeptanz der Netzsperren unter den Internetnutzern durchführen lassen. Man kann einwenden, dass Meinungsumfragen zu so komplexen Fragen ungefähr so sinnvoll sind wie eine Umfrage unter Toilettennutzern, welche Art von Rohren man in der Kanalisation verlegen sollte – das Ergebnis wird im wesentlichen davon abhängen mit welchen Informationen man die Befragten versorgt.

Aber ignorieren wir das. Ignorieren wir auch, dass bei der Umfrage natürlich wieder nur die Blockade von Internetseiten alternativlos vorgestellt wurde und die Gegner des Gesetzesvorstosses mal eben zu „Gegnern von Maßnahmen gegen Kinderpornographie“ werden. Ignorieren wir ebenfalls, dass 43 Prozent der Befragten nicht einmal täglich seine E-Mails abruft und alle anderen als „starke Internet-Nutzer“ klassifiziert wurden.

Zum einen zeigt die Umfrage, dass die Kampagne der von Bloggern, Twitterern und AK Zensur trotz erheblichem Medienecho und politischen Erfolgen in den breiten der Bevölkerung nur relativ wenig Eindruck hinterlassen hat. Wer sich auf die Schulter klopfen möchte: Die Gruppe der Sperr-Gegner ist tendentiell jünger und deutlich besser ausgebildet als die der Befürworter.

Interessant sind auch die Inhalte, beziehungsweise die vermeintlichen Widersprüche. Dankenswerterweise hat das Ministerium eine Zusammenfassung online gestellt – wenn auch eine mit großen Lücken.

Auf die Frage: „Glauben Sie, dass man mit diesen Maßnahmen Erfolg hat und die Nutzung von Kinderpornographie im Internet eindämmen kann, oder glauben Sie, dass diejenigen, die so etwas sehen wollen, weiterhin einen Weg finden, an solche Seiten heranzukommen?“ antworten 29 Prozent der Befragten mit der Option, dass die Maßnahmen „Erfolg haben“ und die „Nutzung eindämmen„, 62 Prozent wählen die Antwort-Alternative „werden weiterhin Weg finden„.

Im Begleittext wird dieses Ergebnis so interpretiert:

Zweifel richten sich am ehesten gegen die Erfolgsaussichten des Unternehmens: 62 Prozent sind der Meinung, dass hartnäckig Suchende, die um jeden Preis Kinderpornographie sehen wollen, auch weiterhin einen Weg finden werden, an entsprechende Internetseiten heranzukommen. Lediglich 29 Prozent sehen das nicht so (Schaubild 4).

Man muss nicht lange suchen, um den Unterschied zu entdecken: Die „hartnäckig Suchenden, die um jeden Preis Kinderpornografie sehen wollen“ fehlen in der Frage. Eine Nachlässigkeit bei der Erstellung des Schaubildes?

Muss wohl so sein. Denn in der nächsten Frage wird das nochmal ganz deutlich. Hier bekamen die Befragte offenbar ein Bildblatt gezeigt, auf denen zwei Personen ein Gespräch führen. Wie das Bildblatt aussieht, ist leider nicht überliefert – die Umfrageunterlagen enthalten nur die conclusio des Comics und verschweigt den kompletten restlichen Dialog:

Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, den Zugang zu Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt zu blockieren. Wer im Internet Kinderpornos sucht, wird sie auch finden, egal wie viele Seiten blockiert sind. Daher ist eine solche Blockade überflüssig.” – Dieser Aussage stimmen am Schluss nur noch 12 Prozent zu.

Das sehe ich anders. Auch wenn man mit einer solchen Blockade nicht alle aufhalten kann, schreckt man damit doch sehr viele Nutzer ab. Daher halte ich eine solche Sperre für unbedingt notwendig.” – in dieser Aussage finden sich 81 Prozent der Befragten wieder.

Wie kommt denn so etwas? Der Kunstgriff ist: „Welche(r) von beiden sagt eher das, was auch Sie denken?“ – die Befragten vertreten nicht diese Extremstandpunkte. Wer es gut findet, wenn vielleicht einige Leute abgehalten werden, der landet in der Kategorie derer, die das Gesetz unbedingt für notwendig halten. Und welche Argumente vorher genannt wurden, ist leider absolut unbekannt.

Ob tatsächlich Internetsurfer durch Stopp-Schilder abgehalten werden, ist übrigens keine Entscheidung, die wir für Pädophile treffen könnten. Aber man kann ja mal fragen. Und da die Regierung und das BKA offenbar mit solchen Fragen nicht behelligt werden können, fragt man halt irgendwen.

PS: Wem würden sie eher zustimmen?maennchen

Politische Partner-Vermittlung

Piraten-Pauli: Gabrile Pauli will mit einer neuen Partei das System verändern, während die Piratenpartei trotz unerwartetem Wahlerfolg bei der Europawahl immer noch händeringend Unterschriften sammeln um überhaupt zugelassen zu werden. Eine politische Ehe auf Zeit scheint sinnvoll – im Parteiprogramm der Piraten ist jedenfalls noch viel Platz.

Unabhängigstenste Aufsichtsfunktionsträger: Nachdem der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar die Internet-Sperrliste nicht beaufsichtigen will, muss sich die Große Koalition eiligst um ein anderes Aufsichtsorgan bemühen, bevor das überaus sorgfältig durchdachte Sperrgesetz in knapp 30 Stunden die letzten Hürden im Bundestag übernimmt. Ich nominiere den ZDF-Fernsehrat, der mit bewährtem Proporz und einem Gespür für die Komplexität der sich schnelllebigen Medienwelt sicherlich auch nicht vor dieser Verantwortung zurückschreckt.

Recherche ist immer Verlierer des Tages

Viel wird grade darüber geschimpft, dass die BILD Björn Böhning zum Verlierer des Tages gemacht hat, weil er sich gegen das geplante Netzsperren-Gesetz ausgesprochen hat. Viele sehen dahinter eine skandalöse Agenda – ich glaube hingegen, dass die meisten Gewinner-Verlierer-Meldungen ausgewürfelt werden. Irgendwer schreibt schnell etwas zusammen ohne groß darüber nachzudenken.

Wie gut es um den Faktengehalt der Rubrik steht, zeigt sich wenn man nur einen Zentimeter nach links wandert:

090612-gewinner

Was? Sat1 hat eine Nachrichtensendung? Und die soll die Tagesschau geschlagen haben – wenn auch in einer willkürlich festgelegten Zielgruppe? Das wäre doch eine kurze Nachfrage wert. Und in der Tat – BILD stellt heute richtig:

130612-gewinner

Ist damit alles gut? Nun – nicht wirklich: In der ersten Meldung hat BILD die untersuchte Altersgruppe um fünf Jahre verkürzt, in der Korrektur wurde die Zuschauerdifferenz falsch abgeschrieben. Für 14 Zeilen Text, die als Aushängeschild des Mediums gelten, ist das eine erstaunliche Quote. Oder auch wieder nicht.

Die Piratenpartei – klarmachen zum Ändern?

Für unwissende Medien ist die Piratenpartei die mit den kostenlosen Downloads. Böse Absicht? Kaum.

Denn obwohl die Piratenpartei in Deutschland über zweieinhalb Jahre existiert und über 1000 Mitglieder hat, ist sie in der netzpolitischen Arbeit in Deutschland heute noch nicht zu entdecken. Sicherlich: man sieht auf den wenigen Demos immer mal wieder Banner der Piratenpartei, selbst auf die Beine gestellt haben die Piraten meines Wissens aber noch nichts. So demonstrieren in Karlsruhe die Gamer, Zensurgegner sammeln sich in einem herrlich unverbindlichen AK Zensur, der CCC streckt seine Fühler nach Nicht-Nerds aus – und nirgends ist die Piratenpartei an der Spitze oder nur vorne dabei.

Das wäre irrelevant, wenn denn die neue Organisation ihre Kräfte gesammelt und in ein durchdachtes Konzept gesteckt hätte. Leider erlebt man eine Enttäuschung, wenn man das Parteiprogramm nachliest. Selbst im Bereich Urheberrechte – was ja zweifellos die Keimzelle dieser europäischen Bewegung ist – steht nicht wirklich mehr als die eingangs erwähnten kostenlosen Downloads drin. Zwar werden auch so nette Dinge wie „Förderung der Kultur“ erwähnt – wie die denn aussehen soll, das wissen die Piraten nicht. Immerhin: die Kulturflatrate wurde als Sackgasse identifiziert. Welches Modell die Piraten für die Zukunft vorsehen, ist mir absolut unklar. Spannende Konzepte, gangbare Alternativen? Bisher Fehlanzeige.

Die Piratenpartei hat ihr Nahziel erreicht: sie haben sich wohl für die Wahlkampfkostenerstattung qualifiziert. Die knapp 230000 Stimmen der Europawahl in Deutschland werden – vielleicht (siehe Kommentare unten) – zirka 200000 Euro in die Kassen der Partei spülen. Das ist keinesfalls üppig für einen Bundestagswahlkampf, für eine Büroadresse zur Koordination der netzpolitischen Arbeit reicht es aber. Die Piraten sind jetzt in der Bringschuld: sie müssen ihre Ressourcen nutzen und zeigen, dass sie als Bewegung eher den Grünen als der STATT-Partei. Dass sie politische Arbeit machen und nicht nur ein Wahlverein sind.

Klarmachen zum Ändern? Sicher, aber fangt nun endlich damit an. Denn jetzt zählt es.

Zwei Mal Creative Commons

Der Begriff „freie Inhalte“ wird von jedem ganz anders verstanden. Was heißt es eigentlich, wenn man seine Arbeiten unter eine Creative Commons-Lizenz stellt?

Beispiel 1: Mikel Ortega Mendibil aus dem Baskenland fotografierte im Oktober 2006 zwei Pferde vor dem Berg Gipuzkoa. Er stellte es in Flickr unter der Lizenz CC-BY-SA, die die Nutzung des Bildes erlaubt, wenn man den Namen des Urhebers nennt und das Bildes unter den gleichen Bedingungen weitergibt. Im Februar 2008 wurde das Bild auf Wikimedia Commons hochgeladen. Dort nahm sich der Commons-Nutzer Richard Bartz des Bildes an und editierte es in mehreren Schritten. Vor kurzem wurde das Bild zum Bild des Jahres 2008 gewählt. In einem Artikel auf einem baskischen News-Portal zeigt sich der 31jährige Fotograf hoch erfreut.

Beispiel 2: Eine der derzeit interessantesten Bewegungen zu freien Inhalten ist das Projekt OpenstreetMap, das geografische Informationen sammelt, zu sehr sehenswerten Karten verarbeitet und ebenfalls unter der Lizenz CC-BY-SA verarbeitet. Um eine Stadt komplett zu erfassen sind Dutzende von Freiwilligen unermüdlich unterwegs, kartieren Straßen, Plätze und sogar Briefkästen. Kostenlos. Das ermöglicht einige Nutzungsarten, die zum Beispiel mit Google Maps nicht erlaubt sind – so kann man die Daten einfach komplett herunterladen und selbst verarbeiten – ob in der Autonavigation oder zum Abgleich der Jogging-Strecke.

Oder man lädt die Daten für einzelne Städte herunter, bereitet sie etwas auf und verkauft sie im iTunes-AppStore für 2 bis 4 Euro.

osm-apps

Willkommen im Paralleluniversum

Jens Jessen empört sich über die Auswüchse des ach so anonymen Internets und spricht von einem „Paralleluniversum mit weitem Raum für kriminelle und halbkriminelle Aktivitäten“.

Man kann dem viel entgegnen, hier nur ein Gedanke: Es ist kein Paralleluniversum, es ist dieses, unser Universum. Zwar fühlen sich im Internet viele unerkannt und anonym, in Wahrheit ist es damit aber nicht weit her. Man stelle sich vor, man müsste auf der Straße immer ein zwölfstelliges Nummernschild vor sich hertragen und Kameras würden die Nummer an jeder zweiten Ecke registrieren. Aber im Wesentlichen gelten die gleichen Regeln, die gleichen Mechanismen des Zusammenlebens.

Der Eindruck, dass es im Internet vor Verleumdung und Diebstahl nur so wimmelt, ist auch ein Wahrnehmungsproblem – ein Problem der Sichtbarkeit: Hätte man in den 80ern früher jede getauschte Musik-Kassette auf dem Schulhof per IP erfasst würde – die Jugendkriminalität wäre durch die Decke gegangen. Und wenn man alle Gespräche in einer Kneipe niederschreiben würde, würde man einen Moloch aus Unwissen, Betrug und Verleumdung entdecken. Der Presserat würde geschlossen zurücktreten und Marienhof wäre ein heißer Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis.