Wie viele Phantome gibt es noch?

Das blame game zu den DNA-Wattestäbchen hat begonnen – Hersteller und Behörden schieben sich gegenseiti. die Schuld zu. Dabei gäbe es viel wichtigere Fragen. So meldet der SWR:

Erst am Freitag hatte der Hersteller bei einer Pressekonferenz gesagt, dass seine Wattestäbchen nicht für polizeiliche Ermittlungen geeignet seien. Dies sei auch in der Gebrauchsanweisung eindeutig so beschrieben. Ein Kriminaltechniker des Landeskriminalamtes in Stuttgart hatte erklärt, es sei noch nicht klar, ob es überhaupt DNA-freie Wattestäbchen auf dem Markt gebe.

Wenn es keine DNA-freien Stäbchen gibt und die Behörden sich offensichtlich nicht genügend abgesichert haben – dann ist das Phantom von Heilbronn wohl nur die Spitze des Eisbergs. Wie viele Kriminalfälle hängen an DNA-Beweisen? Wie oft passte der DNA-Beweis nicht wirklich zum Tatablauf – und wem glauben Ermittler, Staatsanwälte und Richter dann?

Mehr Daten für Daten-Versager

Die Blamage der Polizeit ist riesig: ein lange gesuchtes Phantom entpuppt sich so langsam als Verunreinigung während der Beweissicherung. Wie viel Zeit und geld die Ermittler investiert haben, wie viele Gewalttäter deshalb noch in Freiheit sind – man kann nur spekulieren. Schon dieser eine Fall hat astonomische Ausmaße – und wer sagt, dass es der einzige ist? Unverzagt präsentiert Polizei-Funktionär Bernd Carstensen schon eine Lösung.

Als Reaktion auf die mögliche Verunreinigung der DNA-Probe zum „Phantom von Heilbronn“ forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Konsequenzen. Es solle eine Art Gütesiegel eingeführt werden, um die Möglichkeit von Falschanalysen wegen Verunreinigungen auszuschließen. „Die Hersteller sollten den Packungen DNA-Merkmale der beteiligten Mitarbeiter als Code beilegen“, sagte BDK-Sprecher Bernd Carstensen den „Stuttgarter Nachrichten“ zufolge, „damit könnte diese Spur gleich ausgeschlossen werden.“

Ganz abgesehen davon, dass man nicht genau weiß an welcher Stelle die Verunreinigung zu Stande gekommen sein mag – es scheint immer nur eine Lösung zu geben: der Staat braucht noch mehr Daten.

Bei Zeit Online findet sich hingegen die Einschätzung eines Kriminalbiologen, der sich tatsächlich mit diesen Tests auskennt:

ZEIT ONLINE: Wieso ist es niemandem aufgefallen, dass die Wattestäbchen möglicherweise schon vorher kontaminiert waren?

Benecke: Mir ist das absolut rätselhaft. Wenn wir Spuren am Tatort abreiben, kommt das Stäbchen sofort zurück in die Hülle oder die Probe wird getrocknet. Dann nehmen wir grundsätzlich und ohne jede Ausnahme ein zweites unbenutztes und verpacktes Wattestäbchen und machen auch davon einen genetischen Fingerabdruck zum Vergleich mit der abgeriebenen Probe. Ich habe es noch nie erlebt, das diese Blindprobe nicht gemacht wird. Das ist das erste, was jeder in diesem Beruf lernt. Und spätestens da muss auffallen, dass etwas nicht stimmt.

Merkbefreiungen in Serie

Heute abend kam die Meldung, dass die Intel Friday Game Night abgesagt wurde – ein E-Sport-Wettbewerb, bei dem unter anderem Counter-Strike gespielt wird. Doch kaum liest man sich ein, möchte man rundum Merkbefreiungen verteilen.

Zum Beispiel dieser Bericht des SWR:

Teams der bundesweiten Liga für Computerspiele wollten in der Liederhalle gegeneinander antreten. Trotz Bitten der Stadt waren die Veranstalter der „Intel Friday Night Game“ offenbar nicht bereit, andere Spiele zu verwenden.

Dieses vermeintliche Angebot kommt einer Absage gleich. Man könnte ebenso ein Fußballspiel zulassen, wenn – so als kleine Änderung im Ablauf – kein Ball im Stadion erlaubt ist. Oder Fußball-Mannschaften Eishockey spielen lassen.

Richtig schmerzhaft ist jedoch die Einleitung des Artikels:

Angesichts der Ereignisse von Winnenden hat die Stadt Stuttgart eine für Freitag geplante Computerspiele-Nacht abgesagt. Dort sollten unter anderem auch die als Killerspiele kritisierten „Counter Strike“ und „Warcraft“ gespielt werden.

Warcraft gehört zu den Spielen bei den Intel Friday Night Games. Aber wer hätte „Warcraft“ je als „Killerspiel“ bezeichnet? Das Spiel ist ab 12 Jahre zugelassen, es ist so blutrünstig wie Age Of Empires.

Bevor man aber allzu viel Sympathie mit den zu Unrecht diskriminierten Computerspielern bekommen kann, schlagen die Pubertären zu. Unter einer bemerkenswert neutralen Meldung bei Readmore und einer ganzen Reihe von besonnenen Rückmeldungen findet sich dieser Kommentar:

readmorecomment

PS: Nach einer Mail von mir hat der SWR das Spiel „Warcraft“ kommentarlos aus der Meldung entfernt.

Hashtag-Spam

Sie sind unvermeidlich: Kaum ist eine Funktion etabliert, schon sind die Spammer vor Ort. Bei Twitter fangen sie nun an mit Tags wie #winnenden oder #rp09 für eine Pokerseite zu werben…


hashtag-spammer

Nachbrenner des Sensationsjournalismus?

Es ist fast wie immer. Wenn rudelweise Journalisten über eine menschliche Tragödie berichten, kommen anschließend die guten Journalisten, die vorführen wie böse Journalisten arbeiten.

Ich frage mich – und ich bitte das wirklich als Frage zu verstehen: Ist das die Antithese oder die Fortsetzung des Sensationsjournalismus? Wenn das ZAPP-Team Anwohner befragt und die Kameraleute vor dem Friedhof filmt, gehören es dann nicht auch zu dem Rudel dazu? Ist dieses Lästern über „die Journalisten“ nicht so indifferenziert wie die Lästereien über die Killerspieler oder über die Schützenvereine? Wird hier wieder nur ein vermeintlich Schuldiger präsentiert, auf den sich die Empörung konzentrieren kann?

Mir fehlt ein wenig die Alternative, der Lösungsansatz. Was ZAPP sehr richtig anspricht: viele Journalisten sind frei, stehen unter Druck. Das Hauptproblem in Winnenden – so erscheint es mir jedenfalls nach dem Zapp-Bericht ist ein logistisches: zu viele Journalisten in einer zu kleinen Stadt. Kann man das irgendwie anders organisieren? Soll man die Vor-Ort-Berichterstattung einigen Agenturjournalisten überlassen und die anderen schreiben ab?

Was man auch sehen muss: die Grenzverletzungen werden belohnt – die Zuschauer-, Klick- und Auflagenzahlen explodieren. Verkauft sich das Nachrichtenmagazin mit dem Bild des Serienmörders besonders gut? Ich würde darauf wetten. So wie sich die Empörung über die Journalisten sicherlich auch gut verkaufen lässt.

Den letzten Trittbrettfahrer beißen die Hunde

Alice Schwarzer hat sich dem Amoklauf in Winnenden angenommen und den entscheidenden Faktor gefunden: Nicht Killerspiele oder Schützenvereine, sondern Frauenhass. Was sie über den Täter weiß, hat sie aus der BILD abgeschrieben – eine zweifelhafte Quelle. Aber Schwarzer hat auch einen wissenschaftlichen Leumundszeugen für ihre schnellstmöglich publizierte These.

Schon im Frühling 2007 schlug der Münchner Neuropsychologe Prof. Henner Ertel Alarm. Sein „Institut für rationelle Psychologie“ macht seit 30 Jahren Langzeitstudien zu den Auswirkungen von Pornografie. Bei der Auswertung der Daten aus den letzten 20 Jahren stellten die WissenschaftlerInnen „eine dramatische Entwicklung in den letzten fünf Jahren“ fest
[…]
Prof. Ertel: „Emotionale Intelligenz und Empathiefähigkeit haben bei den Jugendlichen enorm abgenommen. Sexualität ist heute für die Mehrheit der jungen Männer, aber auch für viele junge Frauen unlösbar mit Gewalt verknüpft.“ Mehr noch: Das allgemeine Einfühlungs- und Mitleidsvermögen sinkt rapide.

Tja – Frau Schwarzer, da hat man Sie leider für dumm verkauft.

Aber es geht noch tiefer: Dem Mainzer Unternehmer Tobias Huch kam Schwarzers Artikel nur recht. Er will mit einer neuen Erotik-Zeitschrift an den Start gehen, für die er gar Kolumnen schreibt. Und in der Erstausgabe beklagt er sich bitter über die Trittbrettfahrerin Schwarzer:

Man könnte vermuten, dass sie auf billige Art und Weise die verschwindend geringe Auflage ihres Pamphlets pushen möchte…

Diesen Schuh kann sich Huch getrost selbst anziehen.

Althaus: Bürgergeld statt Solidarität

Der rekonvalezente Dieter Althaus hat eine neue Webseite. Die einen mögen sich mokieren, dass das Design ein wenig zu sehr an ein bekanntes Vorbild erinnert. Aber ich gebe dem Inhalt eine Chance. Also klicke ich als erstes auf das groß annoncierte Programm Solidarisches Bürgergeld

Das Solidarische Bürgergeld ist ein bedingungsloses Grundeinkommen von 800 Euro pro Monat für alle Erwachsenen. Die Höhe des Bürgergeldes orientiert sich am soziokulturellen Existenzminimum.

Jede Arbeit ist existenzsichernd. Bis zu einem Bruttoeinkommen von 1.600 Euro im Monat fällt keine Einkommensteuer an. Das Bürgergeld sinkt mit wachsenden eigenen Einkünften.

Die Flat-Tax: Ab einem Bruttoeinkommen von über 1.600 Euro im Monat bezahlt man 25 Prozent Steuern auf seine Einkünfte. Die Steuerschuld verringert sich um das Bürgergeld in Höhe von 400 Euro im Monat.

[…]

Kranken- und Pflegeversicherung: Im Solidarischen Bürgergeld sind 200 Euro Gesundheits- und Pflegeprämie enthalten. Diese setzt jeder bei einer Kasse seiner Wahl ein.

Sämtliche Sozialversicherungsbeiträge entfallen. Die Arbeitgeber bezahlen stattdessen für Arbeitnehmer eine Lohnsummensteuer von 10 bis 12 Prozent, mit der die Zusatzrente finanziert wird.

Ein sehr solidarisches Programm. 800 Euro für jeden! Hurra!

Aber schauen wir mal genauer hin:

  • Wenn sich das Bürgergeld am „soziokulturellen Existenzminimum“ orientiert, dann bedeutet das im Klartext: Bedürftige bekommen keinen Cent mehr. Der Regelsatz von Hartz IV mag zwar deutlich darunter liegen, nicht berechnet wird Wohngeld, Heizkosten, etcetera. Die zahlt der glückliche Bürgergeldempfänger in Zukunft selbst. Falls auf dem Papier doch ein paar Euro mehr rausspringen sollten, keine Bange – die bekommt Herr Althaus sicher schnell rausgekürzt.
  • „Gesundheits- und Pflegeprämie“ klingt zwar toll, es ist aber das genaue Gegenteil von Solidarität. Es bedeutet nämlich, dass die gesetzliche Krankenkasse abgeschafft wird. Du bist chronisch krank und musst höhere Beiträge zahlen: Pech für Dich, stell einen Antrag.
  • Besonders schön ist die „Flat-Tax“ von 25 Prozent. Statt einer Steuerprogression zahlt jeder das gleiche. Klingt wie die Grunddefinition von „gerecht“ – ist es aber nicht. Denn im Vergleich zu heute wird der Spitzensteuersatz fast halbiert, der Eingangssteuersatz für Geringverdiener hingegen um 10 Prozentpunkte erhöht. Und das ist nur die Einkommenssteuer. Wird dazu noch an der Umsatzssteuer-Schraube gedreht, zahlen die Geringverdiener noch mehr drauf.

GEZailout

Herr Hoeneß hat einen Traum.

Woher sollen die TV-Mehreinnahmen kommen? ARD und ZDF werden nicht mehr zahlen und Ihr wichtigster Geldgeber, der Bezahlsender Premiere, schreibt rote Zahlen?

Ich habe immer noch die Hoffnung, dass jemandem einfällt, wie man Pay-TV in Deutschland profitabel betreiben könnte. Leo Kirch hat es probiert und ist vom Bundeskartellamt zurückgepfiffen worden. Jetzt versucht es Rupert Murdoch mit Premiere. Am besten wäre es allerdings, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender alle Fußballrechte kaufen und dem Bürger Fußball quasi gratis nach Hause senden würde.

[…]

Damit würden Sie Fußball-Desinteressierte ein zweites Mal gegen deren Willen abkassieren…

Moment, ich werde doch auch monatlich abkassiert, obwohl ich nur Nachrichten, Sport und politische Diskussionen anschaue. Meine große Hoffnung ist, dass die Leute irgendwann bereit sind, zwei Euro im Monat für Fußball zu bezahlen. Das ist nicht mal eine halbe Schachtel Zigaretten oder ein kleines Bier in der Kneipe.

Von jedem der 37 Millionen TV-Haushalte?

Ja, das wären im Monat rund 75 Millionen Euro, im Jahr gut 900 Millionen. […]

Bailout per GEZ. Eine tolle Idee. So toll, dass wir damit nicht nur den Fußball, sondern quasi alles retten können. Zwei Euro für den Fußball, einen Euro für die Wagner-Festspiele – und sind zehn Euro pro Monat für Opel wirklich zu viel verlangt? Selbst den Qualitätsjournalismus könnte man mit dem Gegenwert von ein paar lumpigen Schachteln Zigaretten retten. Und zu viel Bier ist eh ungesund.