Leider ein übliches Bild: wilde Gerüchte werden wild retweetet. Richtigstellungen sind hingegen nicht so spannend.
In den Rausch geklickt
Irgendwo habe ich heute gelesen, dass sie nach Duisburg gefahren sind, um sich „in einen Rausch“ zu tanzen.
Stattdessen sitzen wir berauscht vor unseren Bildschirmen. Noch eine Liveübertragung. Noch ein Newsticker. Twittert jemand von vor Ort? Wir lesen empörte Tweets. Wir lesen empörende Tweets und twittern darüber. Twitpics. Facebook-Nachrichten. Youtube-Videos. Jedes ein Baustein in dem Puzzle, das wir zusammensetzen, das wir zusammensetzen müssen. Was hat der Krisenstab gesagt? Klick. Was stand vor drei Tagen auf DerWesten? Klick. Beschwerden beim Presserat? Klick.
Klick. Klick. Klick.
18 Menschen sind tot. Die Musik ist erloschen und ich mach nun auch den Bildschirm aus.
Gott schlägt Logik
Große Aufregung gibt es über einen Tweet, mit dem Mark Shurtleff, Justizminister des US-Bundesstaates Utah, die Hinrichtung eines Mörders ankündigte:
Ist so ein Tweet angemessen, geschmacklos, barbarisch? Ich für meinen Teil bin sehr irritiert davon wie völlig merkbefreit Gott ins Spiel gebracht wird.
May God grant him the mercy he denied his victims.
Kann ein Mörder die göttliche Gnade, das Seelenheil verweigern? Falls ja: ein sehr ungerechter Gott. Was können die Opfer für die Tat eines Mörders? Und falls nein – in dem Fall betet Mark Shurtleff wohl dafür, dass Gott dem Mörder doch das Leben schenkt? Denn dies ist genau die „Gnade“, die ein Mörder seinen Opfern verweigert.
Shurtleff mag meinen, dass er das Richtige tut. Dass er sich jedoch zum göttlichen Erfüllungsgehilfen aufschwingt. um einen staatlich sanktionierten Mord zu rechtfertigen, ist unter aller Kanone. Oder hat er nur eine Formulierung gesucht um „god“, „mercy“ und „victims“ irgendwie in den 140 Zeichen unterzubringen?
Ich weiß, dass die Mormonen sehr merkwürdige religiöse Ansichten haben, aber auch für sie gilt eines der Zehn Gebote, das von Vertretern aller möglichen christlichen Glaubensausrichtungen immer wieder sträflich ignoriert wird:
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.
100 Twitterer können nicht irren!
Stefan Niggemeier findet es nicht gut, wie „Welt Online“ einen vermeintlichen Lapsus von ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein hochschreibt.
Für mich ist das eine alltägliche Redewendung, um einen besonderen Triumph zu beschreiben, ein Gefühl von Schadenfreude oder die Genugtuung, es allen gezeigt zu haben. Von mir aus können wir gerne darüber diskutieren, ob das eine besonders passende oder geschmackvolle Redewendung ist — aber doch nicht ernsthaft darüber, dass der öffentliche Gebrauch der Formulierung einen Nazi-Skandal darstellt?
Aber, aber – Welt Online hat doch lediglich dem Shitstorm auf Twitter eine Plattform gegeben. Dort scrollte nämlich eine empörte Stimme nach der anderen über die Timelines. Und wenn Twitter sich empört, dann doch bitte auch Journalisten. Empörungsspirale pre-approved.
Journalismus 2.0 – dem Volk aufs Maul geschaut. Buzzriders! Warum wir keine Journalisten, sondern Community-Manager und Algorithmen brauchen.
Schwellenkunde
Jedes Foto ist urheberrechtsgeschützt, selbst wenn nur ein unscharfer Daumen zu sehen ist. 140 Zeichen Text? Nicht mal mit Nobelpreis.
Nyti.ms – darf’s ein bisschen kürzer sein?
Produzierten deutsche Online-Medien in den Aufbruchsjahren eher kurze URLs, die lediglich aus Medium, Ressort und ein paar kryptischen Ziffernfolgen bestanden, sind die Verlage in den letzten Jahren dazu übergegangen, die URLs länger und „sprechender“ zu machen. Wenn die Überschrift schon in der URL steht, kann der Leser schneller sehen worum es geht – und Google wertet diese Stichworte sehr hoch ein. Wer über Michael Schumacher berichtet und nicht in der URL „Michael Schumacher“ stehen hat, wird ein paar Tausend Leser weniger haben. Google, wir huldigen Dir!
Das Ergebnis sind dann solche URLs wie:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article7067569/Deutsche-Soldaten-beklagen-Ausbildungsmaengel.html
http://www.focus.de/politik/deutschland/nrw-wahl-ruettgers-fuehlt-sich-nicht-im-stich-gelassen_aid_496072.html
http://www.heise.de/newsticker/meldung/FDP-und-CSU-streiten-ueber-Websperren-970706.html
Sieht doch hübsch aus, nicht?
Doch kaum waren die Redaktionssysteme umgestellt, kam plötzlich Twitter als Klickviehlieferant hinzu. Wer von den führenden Twitternauten verlinkt wird, bekommt schnell ein paar Tausend oder gar Hunderttausende Klicks mehr. Ka-tsching!
Das Problem: die URLs sind für einen Tweet viel zu lang – und wenn die Multiplikatoren einen URL-Kürzer wie TinyURL nutzen, kann man schlecht verfolgen, wie sich denn die Nachricht verbreitet hat.
Das mag sich die New York Times gedacht haben. Denn gibt man die Adresse eines Artikels aus ihrem Angebot an den führenden URL-Verkürzer Bit.ly, bekommt man nicht etwa eine ganz gewöhnlich Bit.ly-Adresse zugeteilt, sondern die separate Kurz-URL unter der der Domain nyti.ms.
Twitter, wir huldigen Dir!
Tatordividuen
BKA-Vorfreude
Grade schwappt die Botschaft durch Twitter, dass ein Gericht dem BKA die Umsetzung der Sperrverträge mit Providern verboten habe. Ich muss schon wieder Spielverderber spielen: Denn das ist offenbar falsch.
In dem im zu Grunde liegenden Blogbeitrag ist der Schriftsatz verlinkt, der eine ganz andere Sprache spricht. Hier wird lediglich auf eine unzureichende eidesstattliche Versicherung des BKA vom April verwiesen. Legt das BKA eine nachgebesserte Erklärung vor, ist das Verwaltungsgerichtsverfahren hinfällig. Legt das BKA keine ausreichende Erklärung vor, beschäftigt sich das Verwaltungsgericht überhaupt erst Mal mit der Frage, inwieweit diese Sperrverträge gegen die Rechte des Klägers verstoßen.
Natürlich ist es spannend, wie das BKA nun unter den neuen Voraussetzungen reagieren wird – war man im Frühjahr doch davon ausgegangen, dass das Gesetz jetzt schon in Kraft getreten wäre. Aber ein Verbot hat das Verwaltungsgericht nicht ausgesprochen – zumindest ist davon nichts in dem Schriftsatz zu entdecken.
Discordianer müssen Twitter lernen
Ein Bekennerschreiben der „Discordischen Mediengruppe“ kursiert grade – großspurig betitelt mit Erklärung zur Manipulation der Twitter Prognosen (sic!).
Vor der Wahl wurde häufig die Sorge geäußert, auf der Microblogging-Plattform Twitter könnten sogenannte Exit Polls schon lange vor dem Schließen der Wahllokale bereits veröffentlicht werden. Die Ergebnisse der Befragungen, die normalerweise bis ca. 14 Uhr erhoben werden, erreichen üblicherweise gegen 15.30 Uhr Medien und Parteien. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl wurden die Ergebnisse via Twitter veröffentlicht, noch bevor das Ergebnis der Bundesversammlung bekannt gegeben wurde.
Die Panik um den Einsatz von Twitter als Plattform für den anonymen Ergebnisverrat hat sich in diesem Fall aber als haltlos herausgestellt. Warum das so war? Wir haben die Veröffentlichung von Exit-Polls auf Twitter am Wahltag dominiert, manipuliert, gefälscht was das Zeug hält. Dazu haben wir zunächst 125 Twitter-Accounts angelegt, und falsche Ergebnisse veröffentlicht. Andere als Exit Poll bezeichnete Ergebnisse sollten in unserem Rauschen untergehen.
Liebe(r) Discordianer,
netter Versuch, aber der ist völlig in die Hose gegangen. Da ihr 125 zufällige Accounts mal eben angelegt habt, hat fast niemand Eure tollen Prognosen gelesen, ernst genommen hat sie erst recht keiner. Ihr habt nicht das Rauschen erzeugt, ihr seid selbst im Rauschen völlig untergegangen. Halb Twitter hat auch ohne Euch Prognosen verbreitet – und fast jeder hat sich mehr Mühe gegeben als Ihr. Dass ihr es kurz vor Löschung nicht mal geschafft habt, den Link auf Euer Bekennerschreiben korrekt zu twittern, hätte Euch zu denken geben sollen. Und dass „ihr“ mehr als einer seid, ist unwahrscheinlich – Deine sehr spezielle Rechtschreibung enttarnt Dich.
Dass die Aufregung um vermeintliche Twitter-Prognosen nicht wirklich gerechtfertigt ist, wussten wir übrigens schon.
PS: Richtig bitter ist es, wenn man um die Aufmerksamkeit betteln muss. Aber wenigstens eine ist drauf hereingefallen. Ein Happy End, Glückwunsch.
Sims 3 als Killerspiel
Da es mal wieder viele nicht kapieren: Das da ist – natürlich – ein Fake.
PS: Lukas Heinser hat drüben auf Bildblog das Ganze nochmal ausführlicher geschildert.
Natürlich sind Anführungszeichen und Absätze nicht das einzige Zeichen für einen Fake. Auch inhaltlich sollte man sich automatisch ein paar Fragen stellen: wer sollte eine solche hanebüchene Behauptung in die Welt setzen? Wer glaubt, dass die Polizei drei Stunden nach der Tat einen Computer durchsucht hat und die Ergebnisse verkündet? Warum glauben viele Leute das, was ihnen auf auf einer Haha-Witzig-Picdump-Seite präsentiert wird? Und: wer ist eigentlich Bernd – sind nicht nach jedem Amoklauf genug Fakes durchs Internet gegeistert?