DPA-Alarmglocken ohne Klöppel

Da hat sich die DPA mal wieder ein Ei ins Nest gelegt und einen wirklich, wirklich schlechten Artikel über private Sexbilder im Internet veröffentlicht.

Das fängt schon im ersten Absatz an.

„Erotische Fotos von sich und dem Partner – täglich fotografieren oder filmen sich etwa 2300 Jugendliche in Deutschland beim Liebesspiel. Was viele von ihnen nicht ahnen: «20 bis 30 Prozent dieser Aufnahmen landen früher oder später im Internet», sagt Torsten Gems, Vorstand des biometrischen Suchdienstes ProComb in Dortmund.

Aus oberflächlich journalistischer Sicht prima. Ein Experte kann tatsächlich das Problem genau quantifizieren. Schalten wir aber mal den Menschenverstand ein: Woher soll der gute Herr Gems so genau wissen, was in deutschen Schlafzimmern so geschieht, wenn es denn nicht veröffentlicht wird? Hat er eine repräsentative Umfrage gemacht? Wohl eher nicht. Denn Herr Gems ist nicht nur hochseriöser Experte, er verdient mit dem Problem auch Geld. Nicht weniger als 69 Euro kostet es, die Dienste von ProComb in Anspruch zu nehmen. Die Alarmglocken hätten sich hier schon deutlich melden sollen.

Aber das war ja nicht alles an Recherche. Schließlich hat man die DPA auch eine Bestätigung von der hoch angesehenen Internet-Seite internetvictims.de eingeholt, die sich total selbstlos um alle möglichen Internet-Opfer kümmert. Ähm, tja, dieser Leumundszeuge ist erst recht ein Grund misstrauisch zu sein.

Aber selbst wenn man nicht im Internet weiter recherchiert, hätten die Kollegen von DPA wenigstens die Webseite ihres Experten kritisch begutachten können. Dort wird nämlich mal eben angeboten, fünf Fotos aus dem Internet zu entfernen. Kostenlos. Einzige Einschränkung: das Urheberrecht muss verletzt sein. Solche Versprechungen sind nur eins: unseriös. Der Dienst könnte sich höchstens um die Entfernung bei einigen ausgewählten Diensten kümmern, beliebige Internetseiten kann man nicht einfach löschen. Da hätten bei der DPA alle Alarmglocken Sturm läuten müssen.

Der komplette Webauftritt von ProComb sollte jedem Journalisten wirklich übel aufstoßen. Nirgendwo wird erwähnt, dass die Erfolgsaussichten, aufgrund eines Amateur-Fotos (kein „skilled photo“ erforderlich) erotische Filme im Internet zu finden bestenfalls mikroskopisch klein sind. Andere Belichtung, ungünstige Blickwinkel, Millionen sehr ähnlicher Menschen im Netz, dazu die Kapazitätsprobleme überhaupt einen relvanten Teil des Internets zu durchsuchen. Hätte ProComb da einen technischen Durchbruch erzielt, könnte sie den Erfolg sehr anschaulich demonstrieren. Stattdessen wird die „biometrische Suche“ als Allheilmittel angepriesen. Einziger Beleg für die Wirksamkeit: ein paar anonymisierte, dafür aber um so euphorischere „Kundenreaktionen“ auf einer Webseite ohne deutsches Impressum.

Sonder-Newsletter! Stimmt nicht! Oder doch?

Der Stern berichtet über Schikanen gegen LIDL-Mitarbeitern und landet dabei sogar in der Tagesschau. Was macht die professionellen Kommunikateure des Handelskonzerns? Sie gehen in die Offensive und schicken einen Sonder-Newsletter an ihre Kunden los.

Wir pflegen einen fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern

Neckarsulm, 26.03.2008. „Die im Stern skizzierten Vorwürfe und Feststellungen haben uns sehr betroffen gemacht. Insbesondere der damit vermittelte Eindruck, wir würden unsere Mitarbeiter „bespitzeln“, entspricht in gar keinem Fall unseren Führungsgrundsätzen und dem praktizierten fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern“, sagt Jürgen Kisseberth, Geschäftsleitungsmitglied Mitarbeiter und Soziales der Lidl Dienstleistung GmbH & Co. KG.

Hmm – also eine Ente? Hat der Stern das Ganze erfunden?

Um durch Diebstahl verursachte Inventurverluste zu vermeiden, arbeitet auch Lidl – wie im gesamten Handel üblich – mit Kameraanlagen, um Diebstähle aufzuklären. Im Jahr 2007 gab es in 8 Prozent der deutschen Filialen aber besonders auffällige Inventurdifferenzen. Deshalb wurde in diesen Filialen zusätzlich für einen begrenzten Zeitraum mit Detekteien zusammengearbeitet.
Die Aufgabe der Detekteien war es, in den Filialen zusätzliche Erkenntnisse zur Aufklärung von Diebstählen zu gewinnen. Die in diesem Zusammenhang über diesen Aufgabenbereich hinaus festgehaltenen weiteren Informationen wurden zu keiner Zeit in irgendeiner Weise weiterverwertet.

Ah,, also das ganz normale Geschäft. Ich will ja auch nicht beklaut werden!

Die Hinweise und Beobachtungen, die vom Stern veröffentlicht wurden, entsprechen weder im Umgangston noch im Stil unserem Verständnis von einem fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern. Deshalb hat Lidl die Zusammenarbeit mit einem der betroffenen Dienstleister schon vor längerer Zeit beendet. Wir haben uns zudem entschieden, unser Eigentum zukünftig ausschließlich mit sichtbar angebrachten Kamerasystemen und gemeinsam mit unseren Mitarbeitern zu schützen.

Hmm – also stimmt der Stern-Bericht also doch? Was ist eigentlich eine „längere Zeit“? Drei Tage oder drei Jahre? Kann man Unternehmenskommunikation eigentlich auch beim Discounter kaufen?

Die Ruhr funkt noch nicht

Im September gab die Initiative Hot Spot Ruhr ein ehrgeiziges Ziel bekannt: mit nur 20000 Funk-Router wollte man die 4400 Quadratkilometer Ruhrgebiet flächendeckend mit Internet per Funk versorgen. Dafür wollte Fon-Geschäftsführer Robert 1000 Foneras kostenlos zur Verfügung stellen.

Eingeschlagen hat die Aktion nicht. Obwohl der Zeitraum bis Ende Februar verlängert wurde, wurden bis heute ganze 300 Gratis-Foneras an den Mann gebracht, wie mir ein Vertreter der Initiative gestern mitteilte. Die stünden in Privatwohnungen – eine nennenswerte Abdeckung sei nicht erreicht worden.

Unterdessen hat sich Fon etwas geöffnet: Von nun an können Gäste an Foneras kostenlos auf die Angebote des Fon-Investors Google zugreifen. Besonders für Nicht-Zahler hat die Idee Potential.

Der wahre Motor des Internets

Der Bundesverband Musikindustrie hat mal wieder eine steile These:

Die deutsche Musikindustrie fordert mehr Kooperation der Internetprovider beim Schutz geistigen Eigentums in der digitalen Welt. „Deutschland ist ebenso ein Land der Kultur wie der Hochtechnologie. Beides darf nicht im Widerspruch zueinander stehen“, sagte Prof. Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie am Donnerstag in Berlin. Breitbandinhalte wie Musik oder Film seien der Motor für die Verbreitung schneller Internetanschlüsse. Während die Internetprovider von der Musik- und Filmindustrie profitierten, entzögen sie sich beim Kampf gegen die Internetpiraterie aber der Verantwortung.

Wer wirklich glaubt, dass Angebote wie Musicload auch nur für nur ein Prozent der bestellten Breitbandanschlüsse in Deutschland ausschlaggebend waren, sollte sich meiner Meinung nach dringend einem reality check unterziehen. T-DSL hat in Deutschland nur wegen Napster und dem nicht-zeitbasierten Tarifs so gut eingeschlagen. Die ersten legalen und massentauglichen Musik-Downloads kamen in Deutschland erst Jahre später auf – als Breitband-Internet schon lange ein Massenmarkt war.

Dass die Angebote der Musikindustrie nun wirklich nichts mit der Bestellung einer 30MBit-Flatrate zu tun haben, hat ja auch Gorny erkannt – und nimmt mal eben die Filmindustrie mit ins Boot. Doch deren Online-Angebot ist ja bis heute so deprimierend, dass wir uns bis heute lieber runde silberne Datenträger per Post zuschicken lassen.

Wer zählt die Millionen?

Ich habe kürzlich mit einem Facebook-Manager gesprochen. Er wollte mir nicht viel mehr sagen – außer dass Facebook über eine Million aktiver(!) Mitglieder im deutschsprachigen Raum hat. Das ist eine beeindruckende Zahl – wenn man bedenkt, dass Facebook bisher vor kurzem nur auf Englisch verfügbar war und auch keine Campus Captains an deutschen Universitäten einsetzt.

Man kann die Zahl aber auch in eine andere Relation setzen. Die Gruppe, die gegen nervtötende Einladungen für Facebook-Applikationen protestiert, hat derzeit 895.734 Mitglieder.

StudiVZ: Gekürztes Zitat wird zu einem halben Dementi

Ich hab ja schon mit Spannung auf das Dementi von StudiVZ gewartet – nun ist es da.

Richtigstellung zum heute erschienenen Spiegel Online Artikel vom 27.02.08
Marcus Riecke, CEO studiVZ: Falsch-Zitat durch Spiegel Online, das bereits zurück genommen worden ist

Berlin (ots) – Marcus Riecke, CEO studiVZ: „Das heute auf Spiegel Online erschiene Interview hat die Redaktion mit einem angeblich von mir stammenden Zitat als Überschrift eröffnet. Dieses Zitat ist in dem Interview nicht von mir getätigt worden. Die Spiegel Online-Redaktion hat daher die betroffene Passage korrigiert und das Zitat entfernt.

Mal abgesehen von der wirklich schrecklichen Sprache dieser Verlautbarung – Es stimmt: die verkürzte Überschrift

StudiVZ-Boss Riecke: „Gott sei Dank dürfen wir Kiffer-Daten jetzt herausgeben“

wurde ersetzt durch das unlesbare

StudiVZ-Boss Riecke: „Gott sei Dank dürfen wir bei Ermittlungsersuchen Daten jetzt herausgeben“

Bloß: Die Langfassung des Zitats steht jedoch weiterhin im Artikel. Und ist somit von StudiVZ nochmals abgesegnet.

SPIEGEL ONLINE: Welche Konflikte?

Riecke: Wir stehen da zwischen den Fronten. Auf der einen Seite der Datenschutz, auf der anderen Seite die Ermittler. Das Telemediengesetz verbietet uns, ohne Zustimmung der Nutzer Nutzungsdaten zu speichern. So hat der BGH vorigen Herbst entschieden. Die Kripo- und LKA-Beamten verlangen aber genau diese Daten von uns, die wir laut Datenschützern nicht speichern dürfen. Deshalb haben wir die Nutzer der Speicherung der Nutzungsdaten zustimmen lassen.

SPIEGEL ONLINE: Konkret: Zu Ihnen kommt ein Staatsanwalt mit 30 Fotos aus StudiVZ-Profilen, die Leute anscheinend beim Kiffen zeigen. Er verlangt Klarnamen zu den Profilen und allen Kommentaren. Was machen Sie?

Riecke: Gott sei Dank dürfen wir bei Ermittlungsersuchen solche Daten nun herausgeben. Nutzungsdaten speichern wir bei allen Nutzern, die uns das erlaubt haben durch ihre Einwilligung.

Das ist zwar etwas länger, aber die verheerende Botschaft ist die gleiche: Wir wollen die Daten unserer Nutzer gar nicht schützen. Wir kämen nicht mal auf die Idee ein solch absurde Anfrage abzuweisen oder zu hinterfragen. Wir sind sogar froh, da behilflich zu sein. Gott sei Dank haben uns die User da völlig freie Hand gegeben. Und die Hauptsache ist doch, dass unsere Nutzer passende Werbung bekommen.

In dem Dementi wird diesem Eindruck nicht wirklich widersprochen:

studiVZ wird Daten seiner Mitglieder nur bei offiziellen Ermittlungsersuchen an Strafverfolgungsbehörden weiter leiten. Diese Daten werden im Übrigen nur mit der Zustimmung jedes einzelnen Nutzers von studiVZ gespeichert. Der Bezug zu Fotos mit Drogen konsumierenden Jugendlichen wurde einzig von der Redaktion von Spiegel Online fälschlich hergestellt.

Wohlgemerkt: Der Zusammenhang wurde in Form einer Frage verpackt. Und dieser Zusammenhang wurde nicht zurückgewiesen, sondern mit einem „Gott sei Dank“ bestätigt. Jetzt hat StudiVZ zum zweiten Mal die Gelegenheit verpasst eine empfehlenswertere Antwort zu geben.

PS: Im internen Blog namens klartext. Nach einer ausführlichen und – salopp formuliert – nicht ganz korrekten Zusammenfassung der Ereignisse erklärt ein StudiVZ-Angestellter:

Nebenbei gesagt gab es noch nie eine Anfrage zu Cannabiskonsum.

Hätte Herr Riecke das gleich gesagt, wäre viel Porzellan nicht zertrümmert worden. Neben dem unausrottbaren Kifferbilder-Beispiel steht nun auch eine kleine Kriegserklärung der StudiVZ-Mitarbeiter an die Presse im Raum. Krisen-PR aus dem Lehrbuch. Aber nicht zum Nachmachen.

Quiz für Manager

Angenommen, Sie sind Chef eines großen sozialen Netzwerkes, dem Millionen Studenten angehören. Zwei Reporter kommen und stellen hinterhältige Fragen, zum Beispiel diese:

Konkret: Zu Ihnen kommt ein Staatsanwalt mit 30 Fotos aus StudiVZ-Profilen, die Leute anscheinend beim Kiffen zeigen. Er verlangt Klarnamen zu den Profilen und allen Kommentaren. Was machen Sie?

Wählen Sie die passende Antwort:

a) „Ich frage den Staatsanwalt, was ich damit machen soll. Cannabis-Konsum ist in Deutschland meines Wissens nicht strafbar.“
b) „Von einer solchen Anfrage habe ich noch nie etwas gehört. Ich glaube nicht, dass sich Staatsanwälte dafür interessieren.“
c) „Gott sei Dank dürfen wir bei Ermittlungsersuchen solche Daten nun herausgeben. Nutzungsdaten speichern wir bei allen Nutzern, die uns das erlaubt haben durch ihre Einwilligung.“
d) „Ich habe nicht inhaliert.“

PS: Die geheime Zusatzoption

e) „Einen solchen Fall würde ich unserer Rechtsabteilung übergeben – unsere Anwälte sind schließlich nicht den ganzen Tag damit beschäftigt, Abmahnungen zu schreiben. Zur Not kämpfen wir vor Gericht für die Rechte unserer Nutzer.“

Immer was Gutes

Die Geschichte von der Sex-Auktion rollt grade durch die versammelten Medien. Kurzfassung: auf einer Webseite können sexuelle Kontakte meistbietend versteigert werden – die zahlenden Kunden bleiben beim Austausch der Körperflüssigkeiten anonym. Nachdem eine Frau schwanger wurde, hat das Stuttgarter Landgericht den Betreiber verpflichtet, der werdenden Mutter die Namen von sechs potenziellen Vätern zu verraten. Für das Geschäftsmodell der diskreten Sex-Auktion keine gute Nachricht.

Was macht der Betreiber der Seite? Er bringt eine Presse-Mitteilung zum Urteil heraus.

Das Landgericht Stuttgart bestätigt in seinem Gerichtsurteil vom 11.01.2008, dass die käufliche Liebe im Internet per „Auktion“ unter Berücksichtigung der liberalisierten Auffassung, die sich heute allgemein durchgesetzt hat, nicht als „sittenwidrig“ bewertet wird.

Dies bestärkt das Stuttgarter Unternehmen Domosoft.de GmbH – Betreiber des Lifestyle-Marktplatzes für aufgeschlossene Erwachsene „gesext.de“ – darin, auf dem richtigen Weg zu sein.

Kein Wort von Schwangerschaft und Sanktionen gegen den Seitenbetreiber.

PS:

Gesext überlastet

Wickert hat nicht onhaliert!

Die Nachricht verbreitet sich im Netz: UIlrich Wickert wird Herausgeber für Holtzbrincks neues Portal zoomer.de. Im Interview mit dem Holtzbrinck-Blatt Tagesspiegel versucht sich Wickert wo weit wie möglich vom Bild des Online-Besessenen zu distanzieren:

Zu ihren privaten Internetvorlieben – sind Sie ein Ego-Googler?

Ich hab’ meinen Namen schon mal bei Google eingegeben, um zu sehen, was andere über einen schreiben. Aber das hat mich nicht besonders interessiert. Was für mich viel wichtiger ist: Als Krimiautor nutze ich Google-Maps und Earth View, um meinen Untersuchungsrichter auf wirklichen Straßen und Plätzen in Martinique spazieren zu lassen.

Mich erinnert das etwas an Bill Clintons erschütterndes Kiffer-Bekenntnis:

I experimented with marijuana a time or two, and didn’t like it. I didn’t inhale and I didn’t try it again.

Ja, Wickert hat es mal ausprobiert. Es hat ihm aber nichts gebracht. Er hat sich nicht amüsiert, er war nicht erbost, er will nichts am Google-Ergebnis ändern. Keine Wiederholungsgefahr.

Und Google Maps haben nichts mit seinem Leben zu tun – er muss nicht online checken, ob das Hotel in der Nähe der Party liegt er steigt einfach in die wartende Limousine. Gechattet hat er mal bei tagesschau.de und das war es auch schon. Seine Videos auf YouTube kennt er demonstrativ nicht. Wickert braucht das Internet nicht. Und wenn er es doch mal benutzt, veredelt er es zu einem besseren Zweck: um Offline-Bücher zu schreiben.

Liebe Zoomer-Redaktion: viel Glück dabei die „journalistische Kompetenz und die Interessen der jungen Internetgeneration zusammenbringen“.