Demo-Mathe

Die taz tickert von der Freiheit-statt-Angst-Demo:

Der Veranstalter spricht in einer ersten Presseerklärung von mehr als 20.000 Teilnehmern. Eigenen Zählungen ergeben jetzt, dass ungefähr 15.000 Demonstranten dabei sind.Die Polizei spricht von 10.000 Teilnehmern.

Eigentlich ist es immer so: Die Veranstalter sagen, es sind doppelt so viele Teilnehmer wie die Polizei meldet. Die Realität befindet sich irgendwo in der Mitte.

Intelligentere Verkehrsführung spart Kameras

Ein ganz besonderes Jubiläum gab es in Köln zu feiern: der 1000. Radfahrer verunglückt in diesem Jahr.

Seit einigen Monaten ist eine Mountainbike-Staffel der Polizei mit Videokamera unterwegs, um Verkehrsverstöße von Radfahrern zu dokumentieren. An einer Fernsehstudie ihrer Rotlichtfahrten haben viele überführte Radfahrer jedoch wenig Interesse. „Der Prozentsatz derer, die sich das ansehen, ist gering. Die meisten Radfahrer sind sich über ihr Verhalten bewusst“, sagt Simon. Er hält die Gleichgültigkeit im Umgang mit den Verkehrsregeln für ein typisches Kölner Phänomen. „Wir haben uns den Radverkehr in Bochum, München und Dortmund angeschaut. Dort wird anders Rad gefahren“

Vielleicht liegt das auch ein bisschen daran, dass in anderen Städten nicht dauernd Radwege plötzlich an 15 Zentimeter hohen Bordsteinkanten enden und der Radfahrer gezwungen wird sich in eine Hauptverkehrsstraße einzuordnen, wo Autofahrer mit Durchschnittstempo 70 unterwegs sind. In München sind Radwege oft zweispurig ausgebaut, hier hingegen werden die Radwege verengt, damit die Außengastronomie noch mehr Bürgersteig belegen kann. Und wenn eine der vielen Baustellen eingerichtet wird, stellt man schlichtweg ein „Radfahrer absteigen“-Schild auf oder leitet die Radler direkt in den Gegenverkehr. Auch schön: Wahlplakate mitten im Weg oder mit Vorliebe auf Kopfhöhe der Radfahrer. Und Ampeln, die auf ewig Rot zeigen.

Von utopischen Dingen wie Grünphasen, die auch Fahrradfahrer-Tempo berücksichtigen will ich gar nicht mal träumen. Aber an den Grundlagen einer fahrradfahrerfreundlichen Stadt muss Köln noch schwer arbeiten.

Twitterfreiheit

Viel ist über den Twitter-Nutzer geschrieben worden, der illegal den Polizeifunk abgehört und Nachrichten über eine Geiselnahme gleich getwittert hat. Und sich unverschämt auf die Pressefreiheit berufen wollte.

Nun kann man lange über Bürgerjournalismus und Ethikfragen debattieren – aber in meinen Augen ist das hier nicht der Skandal. Das Problem ist viel mehr, dass die Polizei heute immer noch unverschlüsselt sensible Informationen in die Gegend sendet. Dass der Täter die Informationen mit einem kleinen Funkscanner direkt mithört war in diesem Fall wahrscheinlicher als dass er es über Twitter mitliest. Unter der Ägide von Herrn Schäuble und seinen Vorgängern wurden Milliarden Euro verjubelt ohne bis heute zu einem vorzeigbaren Ergebnis zu kommen. Dass der Twitter-Nutzer mitgeschrieben hat, macht nur deutlich wie viele andere heimlich und unbehelligt mithören konnten.

Das Problem: Wenn Polizeireporter und Funkamateure nicht mehr mithören können, geht ein Stück Transparenz und Kontrolle verloren. Hier wäre es an der Zeit, dass Deutschland einführt, was woanders selbst verständlich ist: Einsatzberichte und Alarme so offen und frei wie möglich zu machen. Als in Amsterdam ein Flugzeug abstürzte, ging die offizielle Alarmmeldung der Feuerwehr ganz legal über Twitter, in den USA kann man in öffentlichen Registern nachschlagen, wann und wo denn ein Polizist im Einsatz war.

Nicht verjagen, sondern verdrängen

Das Alkoholverbot in Freiburg wurde aufgehoben. Ich hatte vorher davon noch gar nichts gehört – um ein solches Verbot durchzusetzen müsste man in Köln wohl die Polizeistärke verfünffachen und käme trotzdem hinterher. Aber das ist offenbar auch gar nicht das Ziel: Nur bestimmte Säufer sind halt nicht willkommen, wie es bei der Frankfurter Rundschau nachzulesen ist.

Lothar Pflüger vom Ordnungsamt der Stadt beteuert jedoch: „Es soll keiner verjagt werden.“ Vielmehr wolle man, wie er etwas gestelzt formuliert, „Fehlverhalten in Richtung Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ zurückdrängen.

Die Person kann bleiben, nur das Verhalten muss nur weg. Die meisten Leute können das ganz gut trennen. Sie bleiben am Schreibtisch sitzen und schicken nur ihr Lachen in den Keller. Und ihre Angst in Verordnungen.

Noch schöner kommt die Dualität des Denkens in diesem Zitat heraus:

Wenn Betrunkene pöbelten, lärmten oder ihre Notdurft verrichteten und damit die Allgemeinheit gefährdeten, konnte das in Kassel zwar auch früher schon als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Doch dafür seien die städtischen Ordnungshüter meist zu spät gekommen, erklärt Pflüger. „Jetzt müssen wir nicht mehr warten, bis eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist.“ Wer künftig beim illegalen Saufen erwischt wird, soll weggeschickt werden – oder, als schärfere Sanktion, seinen Alkohol abgenommen bekommen.

Leute wegschicken, bevor sie etwas Verwerfliches tun. Klingelt es da nur bei mir in den Ohren? Man kann natürlich jedes Verhalten kriminalisieren und dann hoffen, dass die Polizei mit Augenmaß und Menschenverstand maßvoll umsetzt. Was für den Penner mit dem ALDI-Bier gilt, muss ja nicht auf die Betriebsfeier mit ein paar Flaschen Sekt angewendet werden. Und wer sein Bier in der Kneipe trinkt, stärkt die lokale Wirtschaft. Kostet halt mehr. Aber das kann man sich schon leisten, wenn man anständig arbeitet.

Das ist Rechtsstaat mit Augenmaß. Weg mit Justitias Augenbinde – denn sie kann dann sehen: es geht doch nur gegen die Randgruppen. Nicht gegen die normale Erwerbsbevölkerung. Eigentlich: Weg mit Justitia – wer von den Asozialen wird schon dagegen klagen?

In diesem Kontext sehr interessant ist auch ein SWR-Interview mit Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Dort erläutert er, warum das Alkoholverbot ja gar nicht so schlimm ist:

Welcher normale Mensch kauft nachts um zwei an einer Tankstelle Alkohol?

Ja, die „normalen Menschen“ sollten das Maß aller Dinge sein.

Zuständigkeiten

Ein Polizist soll bei den Krawallen in Kreuzberg Steine auf Kollegen geworfen haben. Der junge Mann ist in der Probezeit, er war privat in Berlin unterwegs – er kann also im Bewerbungsverfahren durchgerutscht sein. Nicht unbedingt ein Skandal, eher ein Kuriosum. Oder?

An seiner Dienststelle in Frankfurt am Main sagte ein Mitarbeiter, man glaube nicht, dass der Polizist als sogenannter Agent provocateur eingesetzt gewesen sei, um Autonome zu Straftaten anzustacheln. „Für solche Aufgaben gibt es andere Dienste in der Bundesrepublik“, sagte ein Beamter.

Schön, wenn alles seine Ordnung hat. Polizisten, die Krawalle anzetteln, sind kein Skandal, sondern schlichtweg eine Frage der Zuständigkeit.

(via)

Wie viele Phantome gibt es noch?

Das blame game zu den DNA-Wattestäbchen hat begonnen – Hersteller und Behörden schieben sich gegenseiti. die Schuld zu. Dabei gäbe es viel wichtigere Fragen. So meldet der SWR:

Erst am Freitag hatte der Hersteller bei einer Pressekonferenz gesagt, dass seine Wattestäbchen nicht für polizeiliche Ermittlungen geeignet seien. Dies sei auch in der Gebrauchsanweisung eindeutig so beschrieben. Ein Kriminaltechniker des Landeskriminalamtes in Stuttgart hatte erklärt, es sei noch nicht klar, ob es überhaupt DNA-freie Wattestäbchen auf dem Markt gebe.

Wenn es keine DNA-freien Stäbchen gibt und die Behörden sich offensichtlich nicht genügend abgesichert haben – dann ist das Phantom von Heilbronn wohl nur die Spitze des Eisbergs. Wie viele Kriminalfälle hängen an DNA-Beweisen? Wie oft passte der DNA-Beweis nicht wirklich zum Tatablauf – und wem glauben Ermittler, Staatsanwälte und Richter dann?

Mehr Daten für Daten-Versager

Die Blamage der Polizeit ist riesig: ein lange gesuchtes Phantom entpuppt sich so langsam als Verunreinigung während der Beweissicherung. Wie viel Zeit und geld die Ermittler investiert haben, wie viele Gewalttäter deshalb noch in Freiheit sind – man kann nur spekulieren. Schon dieser eine Fall hat astonomische Ausmaße – und wer sagt, dass es der einzige ist? Unverzagt präsentiert Polizei-Funktionär Bernd Carstensen schon eine Lösung.

Als Reaktion auf die mögliche Verunreinigung der DNA-Probe zum „Phantom von Heilbronn“ forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Konsequenzen. Es solle eine Art Gütesiegel eingeführt werden, um die Möglichkeit von Falschanalysen wegen Verunreinigungen auszuschließen. „Die Hersteller sollten den Packungen DNA-Merkmale der beteiligten Mitarbeiter als Code beilegen“, sagte BDK-Sprecher Bernd Carstensen den „Stuttgarter Nachrichten“ zufolge, „damit könnte diese Spur gleich ausgeschlossen werden.“

Ganz abgesehen davon, dass man nicht genau weiß an welcher Stelle die Verunreinigung zu Stande gekommen sein mag – es scheint immer nur eine Lösung zu geben: der Staat braucht noch mehr Daten.

Bei Zeit Online findet sich hingegen die Einschätzung eines Kriminalbiologen, der sich tatsächlich mit diesen Tests auskennt:

ZEIT ONLINE: Wieso ist es niemandem aufgefallen, dass die Wattestäbchen möglicherweise schon vorher kontaminiert waren?

Benecke: Mir ist das absolut rätselhaft. Wenn wir Spuren am Tatort abreiben, kommt das Stäbchen sofort zurück in die Hülle oder die Probe wird getrocknet. Dann nehmen wir grundsätzlich und ohne jede Ausnahme ein zweites unbenutztes und verpacktes Wattestäbchen und machen auch davon einen genetischen Fingerabdruck zum Vergleich mit der abgeriebenen Probe. Ich habe es noch nie erlebt, das diese Blindprobe nicht gemacht wird. Das ist das erste, was jeder in diesem Beruf lernt. Und spätestens da muss auffallen, dass etwas nicht stimmt.

Die Lebkuchen-RAF

Irgendwie bekomme ich das nicht zusammen. Die Meldung beginnt so:

CSU-Chef Seehofer sieht im Attentat auf den Passau Polizeichef einen „Angriff auf unseren Rechtsstaat“, sein Innenminister Herrmann und CDU-Innenexperte Bosbach ziehen Parallelen zu Taten der RAF. Indes tappen die Fahnder tappen im Dunkeln.

Und so hört sie auf:

Das Messer, mit dem die Tat begangen wurde, gehörte ihm selbst. Er hatte das Messer mit einer zwölf Zentimeter langen Klinge wegen einer Nachbarschaftsaktion vor der Tür seines Reihenhauses hingelegt. Im Freien waren Adventskalender mit Lebkuchen aufgehängt. Mit daneben liegenden Messern konnten sich andere Anwohner Lebkuchen abschneiden. Unklar ist, ob das Messer den Täter zu dem Attentat animiert hat.

Erinnert sich noch jemand an den 5. September 1977 als ein paar Terroristen auf der Vincenz-Statz-Straße ein Bündel Waffen fanden und die Gelegenheit nutzten, die fünf Begleiter des Hanns-Martin Schleyer zu erschießen? Oder an die zwei Handfeuerwaffen, die Jürgen Ponto auf seiner Veranda aufbewahrte?

Gelegenheit macht Diebe – aber auch Terroristen?

Kollegiale Hilfe bei der Polizei

Das Opfer wurde durch eine Notoperation grade gerettet, da kommt auch schon der Vorsitzende der Berufsvertretung zur Hilfe. Allerdings kommt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt nicht etwa dem niedergestochenen Polizeidirektor Alois Mannichl zu Hilfe – er hilft sich lieber selbst und politisiert den Anschlag auf einen Kollegen.

Die tz zitiert Wendt unter Berufung auf die DPA:

Im Strafgesetz sei für den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nur eine Strafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe vorgesehen. “Damit werden Angriffe auf Polizisten im Strafgesetz genauso behandelt wie Fischwilderei“, sagte Wendt.

Das ist einerseits richtig: § 293 und § 113 Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben eine ähnliche Strafandrohung. Was Herr Wendt gezielt verschweigt ist der Absatz 2 des Paragraphen 113, der einen wesentlich höheren Strafrahmen vorsieht. Und Herr Wendt lässt unerwähnt, dass selbstredend die Verletzung eines Beamten eine Anzeige wegen Körperverletzung nach sich zieht – im Fall von Alois Mannichl ermittelt die Staatssanwaltschaft wegen eines Tötungsdelikts. Der Strafrahmen ist also nach oben offen: bis hin zu lebenslanger Haft plus Sicherungsverwahrung.

Aber es geht noch weiter. Denn Herr Wendt hat auch eine noch konkretere Forderung:

Einen Angriff außerhalb des Dienstes wie in Passau habe es aber noch nie gegeben. “Dass in die Privatsphäre eines Polizisten eingedrungen wird, haben wir bis jetzt noch nie erlebt.“

Nun müsse umso stärker darauf geachtet werden, Informationen über Polizisten nicht preiszugeben. Der Plan, Beamte in Berlin mit Namensschildern auszustatten, sei daher vollkommen kontraproduktiv. Es müsse alles getan werden, um das Leben der Polizisten zu schützen. “Dazu gehört auch, dass der Dienstherr nicht selbst die Namen bekannt gibt.“ Die Beamten seien von sich aus stets darauf bedacht, ihre Privatsphäre zu schützen und würden beispielsweise als Zeugen in Gerichtsverfahren nie ihre private Adresse nennen.

Ich empfinde das als perfide, weil das eine mit dem anderen nun überhaupt nichts zu tun hat. Ein Polizeidirektor, der im Kampf gegen den Rechtsextremismus eine lange Medienkarriere hinter sich hat, muss nicht durch Namensschilder auf der Uniform enttarnt werden. Hingegen kann eine solche Kennzeichnung bei Verstößen gegen den § 340 StGB höchst sinnvoll sein. Wie zum Beispiel in diesem Fall.