Die volle Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit heißt oft auch Meinung frei von Fakten, frei von Vernunft, frei von Respekt vor der Meinungsfreiheit.

Also meinen Sie ruhig Herr Friedrich, Herr Wagner, Herr Uhl. Drücken sie sich aus, so gut sie es vermögen.

Und ich denke mir meinen Teil.

Obama: Bring back the Internet!

Na endlich – U.S.-Präsident Obama fordert vom ägyptischen Machthaber Mubarak das, was für das Twitter-Publikum am wichtigsten ist:

I also call upon the Egyptian government to reverse the actions that they’ve taken to interfere with access to the Internet, to cell phone service and to social networks that do so much to connect people in the 21st century.

Ich bin Mal gespannt, was sich das ägyptische Regime vorstellt. Gerade für ein Land, das so abhängig vom internationalen Tourismus ist, ist eine Internetblockade immer auch ein Schnitt ins eigene Fleisch. Wie lange meinte Mubarak diese Sperre aufrecht erhalten zu können? Oder wartete er nur darauf, bis die Technik bei ihm eingesetzt werden kann, die in Tunesien für so viel Aufsehen sorgte? Will er Facebook- und E-Mail-Accounts von Aktivisten hacken lassen und so wieder Kontrolle über die Massen erlangen, deren Aufstände er seit Jahrzehnten immer wieder niederschlägt?

Die andere Wikileaks-Verschwörung

Julian Assanges Anwalt lässt sich seit Tagen ausgiebig über eine angebliche geheime Grand Jury in den USA aus, die die Anklage gegen Assange vorbereiten soll. Eine Befürchtung, die nicht von der Hand zu weisen ist — die den zeitraubenden Widerstand gegen eine Rückkehr nach Schweden aber rätselhaft macht. Wäre Assange bereits im November nach Schweden zurückgekehrt um dort seine Aussage zu machen, wäre er — seine Unschuld vorausgesetzt — vielleicht schon wieder frei und müsste nicht befürchten von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden.

Der zweite Punkt, an dem die Geschichte wenig Sinn ergibt: warum sollte Schweden so viel bereitwilliger an die USA überstellen als Großbritannien? Inmitten des Promi-Trubels hat Assanges Anwalt Mark Stephens halt wenig Zeit für substanzielle Erläuterungen. Sie lägen auch nicht unbedingt im Interesse des Angeklagten: Stephens führt nicht nur einen juristischen Kampf vor Gericht, er spielt auch den PR-Beauftragten Assanges, der die öffentliche Stimmung zugunsten Assanges beeinflussen will.

Das ist bei Verfahren mit politischer Brisanz nicht unwichtig, verstopft aber die Informations-Kanäle. Ob die grand jury überhaupt existiert ist unklar – die bloße Behauptung des Anwalts reicht vielen Medien aus, um die Nachricht weiter zu verbreiten. Dass Stephens in dem Fall natürlich keine neutrale Informationsquelle ist, wird Mal mehr, mal weniger gut transportiert.

Die New York Times — die wegen eines kritischen Portraits bei Assange in Ungnade gefallen ist und danach keinen direkten Zugang mehr zu den Wikileaks-Dokumenten erhielt, bringt ein wenig Lichts ins juristische Dunkel. In einem Artikel wird eine mögliche Anklage thematisiert. Zentraler Anklagepunkt wäre demnach nicht Geheimnisverrat oder Spionage, sondern Verschwörung.

Justice Department officials are trying to find out whether Mr. Assange encouraged or even helped the analyst, Pfc. Bradley Manning, to extract classified military and State Department files from a government computer system. If he did so, they believe they could charge him as a conspirator in the leak, not just as a passive recipient of the documents who then published them.

Spannend ist dieser Punkt:

Among materials prosecutors are studying is an online chat log in which Private Manning is said to claim that he had been directly communicating with Mr. Assange using an encrypted Internet conferencing service as the soldier was downloading government files. Private Manning is also said to have claimed that Mr. Assange gave him access to a dedicated server for uploading some of them to WikiLeaks.

Ob Adrian Lamo eine glaubwürdige Quelle ist, ist unklar — aber die absolute Trennung zwischen Informanten und Wikileaks durch technische Verfahren war immer ein Verteidigungswall von Wikileaks. Assange betont immer wieder, er selbst wüsste nicht, ob Bradley Manning die Quelle für die veröffentlichten Dokumente der USA ist. Offenbar, um genau den Vorwurf zu entkräften, der jetzt in den USA erwägt wird. Sollten zum Beispiel auf Mannings Computer Logs existieren, die das Gegenteil zeigen, wäre Wikileaks in Erklärungsnot.

Doch sollte das überhaupt eine Rolle spielen? Bei Journalisten spielt es ja auch keine Rolle ob er mit den Informanten geredet hat oder ob ein brauner Umschlag plötzlich im Briefkasten liegt. Hans Leyendecker hatte dazu vor Monaten ein interessantes Interview gegeben, in dem er auch erklärt hat, wie oft er Informanten einen Laufpass gibt. Dass Assange Bradley Manning bestochen hat, ist kaum zu vermuten — ein Geldfluss wäre wohl ziemlich einfach nachzuweisen.

Das führt zurück zu der Kernfrage: Ist Wikileaks ein publizistisches Angebot wie Spiegel, Guardian und New York Times? Oder ist die Plattform wenigstens die Erweiterung der geschützten MEdien zu verstehen? In einer gemeinsamen Erklärung haben heute die tageszeitung, der Freitag, die Frankfurter Rundschau, der Tagesspiegel, European Center For Constitutionel and Human Rights (ECCHR) und Perlentaucher.de zeitgleich einen Appell gegen die Angriffe auf Wikileaks veröffentlicht, in dem auch diese Frage eine Rolle spielt:

Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbriefte Publikationsfreiheit ist eine Grundlage der demokratischen Gesellschaften. Sie gilt nicht nur für klassische Medien wie Zeitungen oder Fernsehanstalten. Das Internet ist eine neue Form der Informationsverbreitung. Es muss den gleichen Schutz genießen, wie die klassischen Medien. Längst hätte es einen weltweiten Aufschrei gegeben, wenn die USA ein Spionage-Verfahren gegen die New York Times, einen finanziellen Kreuzzug gegen den Spiegel oder einen Angriff auf die Server des Guardian führen würden.


So unbequem es auch für Assange wäre – eine gerichtliche Auseinandersetzung über diese Frage in den USA könnte tatsächlich Rechtsgeschichte schreiben. So war es auch im Fall von Daniel Ellsberg, der die pentagon papers über Lügen der US-Regierung im Vietnam-Krieg geleakt hatte, aber erst über den Freispruch vor Gericht wesentlichen Einfluss auf die Rechtsprechung und damit auf den Journalismus in den USA nehmen konnte.

PS: Die BBC erklärt in einer FAQ die Gesetzeslage im Fall Assange. Demnach wäre es einfacher, Assange direkt aus Großbritannien ausliefern zu lassen. Denn würde er in Schweden inhaftiert, müsste die USA sowohl die Zustimmung Schwedens, als auch die Zustimmung Großbritanniens bekommen, um Assange ausgeliefert zu bekommen.

It has been suggested that it would be easier for the United States to extradite Mr Assange from Sweden than from the United Kingdom.

This does not appear to be the case as the United States would have to show that there were reasonable grounds for the extradition from Sweden. This is arguably a higher test than the test which applies when an extradition is sought from the United Kingdom.

Der oft insinuierte Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungsvorwürfen und dem Vorgehen der USA gegen Wikileaks wird damit noch etwas unwahrscheinlicher. (Danke, Armin.)

Jugendmedienschutz, fiktiv

Jetzt, wo sogar Hinz und Svensson endlich „The West Wing“ entdeckt haben, kann ich ja meine Gewohnheit aufnehmen, jede politische Situation mit einem Quote aus der Serie zu kommentieren. Thema Jugendschutz und Meinungsfreiheit:

Reverend Van Dyke: If our children can buy pornography on any street corner for five dollars, isn’t that too high a price to pay for free speech?
President Bartlet: No.
Reverend Van Dyke: Really?
President Bartlet: On the other hand, I do think that five dollars is too high a price to pay for pornography.

Wikileaks muss nicht gerettet werden, Amerika schon

Es ist wahr, Wikileaks sieht sich herben Attacken ausgesetzt: DDOS-Angriffe, gekündigte Accounts und Geschäftsbeziehungen, sogar merkwürdige Kollateralschäden bei anderen Organisationen werden berichtet. Aber muss Wikileaks jetzt unbedingt gerettet werden? Derzeit wohl eher nicht.

Auch wenn es schwer fällt — analysieren wir die Lage nüchtern: Amazons Cloud war nie der Haupt-Provider von Wikileaks. PayPal hatte den Wikileaks-Account schon vor knapp einem Jahr gekündigt. Der Bezahlservice, der einerseits für Einfachheit und andererseits für willkürliche Kündigungen berühmt ist, war zuletzt auf Platz 5 der Wikileaks-Spendenseite. Selbst wenn dieses Konto die Haupt-Einnahmequelle von Wikileaks gewesen sein sollte, ist der Einfluss aufs operative Geschäft von Wikileaks nicht unmittelbar spürbar. Wie bereits vor ein paar Monaten berichtet, rief Wikileaks die Spenden, die bei der Wau-Holland-Stiftung eingingen über lange Zeit nicht ab, da die gemeinnützig anerkannte Stiftung auf steuerlich verwertbare Belege bestand. Auch die Drohungen mit Gerichtsverfahren und Anklagen gegen Julian Assange scheinen vorerst leeres Geschwätz zu sein, wie die neue (untaugliche) Gesetzesinitiative zeigt.

Der unmittelbare Eindruck einer Attacke, eines Informationskriegs um Wikileaks entsteht daher, dass die Haupt-Domain wikileaks.org derzeit nicht erreichbar ist. EveryDNS soll die Domain blockiert haben, berichten viele. Das Unternehmen selbst besteht darauf, dass es lediglich die grassierenden DDOS-Angriffe nicht im kostenlosen Service bewältigen kann. Bleibt die Frage: Warum hat Wikileaks überhaupt die Dienste eines Kostenlos-Providers mit Sitz in den USA in Anspruch genommen? Und: warum zieht man den Domainnamen nicht einfach um, wie es ja bei wikileaks.ch problemlos möglich war?

Dies erinnert an das Pseudo-Drama um die Domain wikileaks.de, die sich im Frühjahr 2009 abgespielt hatte. Wikileaks gerierte sich hier als Opfer des deutschen Bundesnachrichtendienstes, der die Sperre der deutschen Domain erwirkt haben sollte. Die Wahrheit jedoch war anders: ein Wikileaks-Enthusiast hatte die Domain registriert und danach versucht illegal die Domain des Bundesnachrichtendienstes zu übernehmen. Daraufhin kündigte ihm sein Provider fristgerecht die Verträge und stellte die Domain nach mehreren Monaten Wartezeit ab. Die Domain konnte anschließend problemlos an einen anderen Anbieter übertragen werden, trotzdem ging Wikileaks mit einer Revolverstory über den vermeintlichen BND-Angriff an die Presse.

Hilfe wird aber derzeit wirklich gebraucht, in meinen Augen aber vor allem jenseits des Atlantiks. Dass die Library Of Congress Wikileaks sperrt, hat eher anekdotischen Charakter — besonders wenn man die Diskussionen um Sperren an Bibliotheks-Computern des letzten Jahrzehnts kennt. Wenn aber tatsächlich Studenten der Columbia University gewarnt werden, dass alleine man seine Jobchancen riskiert, wenn man sich die Wikileaks-Inhalte ansieht oder gar über Wikileaks spricht, dann ist etwas faul im land of the free. Und wenn man im Kontrast dazu sieht, dass die Washington Times einen unverhohlenen Mordaufruf ohne Kontext oder Distanzierung abdruckt, dann stimmt es nicht nur mit der Meinungsfreiheit nicht, dann ist auch die Ethik schwer verrutscht.

Meinungsfreiheit, Kinderpornographie und Konsequenz

In höchstem Maße ärgerlich sind Politiker, die jeden Widerstand gegen untaugliche Gesetze gegen Kindesmissbrauch als Versuch abzuqualifizieren, Kinderpornografie als Meinungsäußerung zu legalisieren. Wie absurd diese Argumente werden, fasst die österreichischen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner im Gespräch mit „Die Presse“ sehr schön zusammen:

„die Worte Meinungsfreiheit und Kinderpornografie in einem Satz zu verwenden, das ist für mich einfach unmöglich“.

Offenbar war es ihr doch möglich.

John F. Kauder

Ich appeliere an jeden Verleger, jeden Redakteur unseres Landes, die eigenen Standards kritisch zu untersuchen und sich die unmittelbare Gefahr für unser Land vor Augen zu führen. In Zeiten des Kriegs haben sich Regierung und Presse schon früher gemeinsam in Selbstdisziplin geübt um unautorisierte Enthüllungen an den Gegner zu verhindern. In Zeiten einer erhöhten Gefährdungslage haben die Gerichte entschieden, dass selbst das privilegierte Recht auf freie Meinungsäußerung hinter dem öffentlichen Interesse nach Sicherheit zurücktreten muss.

Siegfried Kauder John F. Kennedy — zehn Tage nach dem Beginn der CIA-gesteuerten Invasion der Schweinebucht.

Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire

Mathias Döpfner, Axel Springer AG:

Ökonomische und publizistische Unabhängigkeit bedingen einander. Nur wenn das wirtschaftliche Fundament der Medienhäuser langfristig in Takt bleibt, nur dann wird es langfristig wirkliche Freiheit der Information, also: Meinungsfreiheit und Gedankenfreiheit, geben. Und nur dann werden die Suchmaschinen langfristig etwas zum Suchen haben und das Netz langfristig etwas zum Vernetzen haben.

Mehr dazu bei Heise.

Es muss nicht immer China sein…

Clark Hoyt berichtet in der New York Times über einen Kotau des Schwesterblatts International Herald Tribune gegenüber der Familie des Präsidenten Singapurs:

Lee Kuan Yew once testified, according to The Times, that he designed the draconian press laws to make sure that “journalists will not appear to be all-wise, all-powerful, omnipotent figures.” Four years ago, The Times quoted his son as saying, “If you don’t have the law of defamation, you would be like America, where people say terrible things about the president and it can’t be proved.”

Zensur? Nein, nur kreatives Medienrecht.

Quotentipp

Nicht die richtigen Fakten sind entscheidend, der richtige Gegner ist viel wichtiger.

Ob Du ein revolutionäres Medikament entwickelt hast, ist zweitrangig – solange Du nur gegen die milliardenschwere Pharma-Konzerne antrittst. Ob Du ein ideenloser Spammer bist, ist egal – solange Du gegen die allmächtige Wikipedia antrittst. Ob das neue Gadget wirklich taugt, wird erst entschieden, nachdem es als iPhone- und Windows-Killer angepriesen wurde.