Wikipedianer verschenken Millionen

Wikipedia ist keine Demokratie. Ich kann das so oft wiederholen wie ich will – es werden immer wieder Medien finden, die das Gegenteil behaupten. Aber, wie Gründervater Jimmy Wales immer wieder betont: Wissen ist keine Verhandlungssache. Wenn es demokratisch zuginge, wären zum Beispiel historische Darstellungen des Propheten Mohammed längst verschwunden, die Evolutionstheorie wäre nur eine von vielen Hypothesen, wie der allmächtige Gott seinen Plan verwirklichen wollte, Sarah Palin zur Präsidentin zu machen.

Wikipedia ist keine Demokratie, weil die Online-Enzyklopädie dazu viel zu offen ist. Jeder kann sich hinter verschiedensten IP-Adressen und Accounts verstecken – und oft genug tun sie es auch. Tagtägliche gibt es bei Tausenden von Artikeln Streitfälle, die sich nicht auf die Regeln runterbrechen lassen, oder die das teilweise konfuse Regelwerk ad absurdum führen. Ruf nicht nach Abstimmungen, nach Umsturz, sondern Sei Mutig! schrieben die altehrwürdigen Früh-Wikipedianer ihren Nachfolgern ins Stammbuch – und verabschiedeten sich ins Elysium von Berufstätigkeit und höheren Aufgaben.

Wikipedia ist keine Demokratie. Und doch gibt es Wahlen. Und Abstimmungen. Eine kleine Schar von Autoren, die sich dem großen Ganzen verpflichtet fühlen, die von den Entscheidungen anderer genervt fühlten oder die sonst in einem Sportverein wären ohne selbst Fußball zu spielen, kommt immer wieder zusammen, um über den Zukunftskurs und die Herausforderungen die Wikipedia zu bestimmen. Eine dieser Entscheidungen, die zu treffen wäre, ist mir grade wieder ins Auge gefallen.

Seit Jahren steht die Beteiligung an dem METIS-System der Verwertungsgesellschaft VG Wort immer Mal wieder auf der Agenda des Verein Wikimedia Deutschland. Kurz zusammengefasst: Die VG Wort sammelt Geld von uns allen ein, um Autoren für die vielen unbezahlten Verwertungen von Texten zu entschädigen. Bei Wikipedia ist in den vergangenen zehn Jahren eine ganze Menge Text zusammen gekommen, was die VG Wort dazu bewegte bei Wikimedia Deutschland anzufragen, wohin man das Geld denn überweisen könne. Doch es gibt Schwierigkeiten: die Software von Wikipedia ist nicht wirklich zu dem Zweck gerüstet, die VG Wort würde gerne ihre Zählpixel installieren und überhaupt: will man überhaupt bei einem solchen System mitmachen? Für Wikimedia wäre das System lukrativ – schließlich wird auch ein Anteil des Geldes an den Plattform-Betreiber ausgeschüttet.

Nach jahrelanger ergebnislosen Vereinsberatungen wurde nun die Community um Rat gefragt. Obwohl die Umfrage noch bis zum 25. Februar laufen soll, scheint das Ergebnis bisher eindeutig: gerade Mal 12 Befürworter stehen 120 Gegner gegenüber, 16 schwankende Nutzer hätten gerne ein Gutachten zum Thema. Die Statements zum Thema gehen sehr oft ums Prinzip, es geht um Verteilungsgerechtigkeit, Freies Wissen und die Angst, wie das Geld die zuweilen fragile Gemeinschaft der bisher unbezahlten Autoren untergraben würde:

–† Alt ♂ 02:24, 26. Jan. 2011 (CET) Das gierige Funkeln, das stellenweise jetzt schon in einigen Kommentaren aufscheint (was wir damit alles machen könnten!) verursacht bei mir extreme Magenschmerzen. Wenn wir hier Geld fürs Schreiben bekämen, würde sich verdammt viel ändern und es ließe sich wohl auch nicht mehr zurückdrehen.

–Jogo.obb Disk 21:34, 27. Jan. 2011 (CET) Was bekommen die, die im Hintergrund ackern, um zu verhindern das aus der WP ein Müllhaufen wird? Wer bekommt die Vergütung für Autoren bei einem Artikel mit X Autoren? Wer soll prüfen, ob ein Autor wirklich etwas für den Artikel geleistet hat oder ob er bloß ein Stückchen vom Kuchen haben will? Wer sorgt dafür, das nachher nicht sämtliche wichtige Artikel gesperrt werden, dass sich die Admins den Batzen allein verteilen können? Wie werden die Belohnt, die sich um Illustrationen kümmern? Wenn dann müsste das Geld komplett an die Stiftung fließen, das heißt Autoren müssten einer Verzichtserklärung auf ihre Ansprüche zustimmen, das wäre bei 26.715 aktiven Benutzern bereits ein enormer Aufwand, es müssten jedoch auch alle anderen der 1.156.568 angemeldeten Benutzer zustimmen.

–Andys / ☎ 12:54, 29. Jan. 2011 (CET) Ich lehne das geltende Urheberrechtsgesetz eh ab, das in weiten Teilen überholt und hoffnungslos veraltet ist. Da kann ich mich nicht zu dessen Nutznießer machen. Ich lasse mich nicht korrumpieren.

Es wird viel spekuliert über hive minds und verschwörerische Kungelrunden, die geheimen Agenden der Wikipedia-Oberen – METIS ist nur ein Kapitel von vielen, was diese einfachen Erklärungsmuster ad absurdum führt. Natürlich gibt es in der Wikipedia wie in jedem anderen Lebenraum Politik und Intrigen – wer jedoch sich nur auf das konzentriert, was ihm gefällt oder was ihm gerade nicht gefällt, wird Wikipedia nie verstehen.

Krieg der Winterjacken

Wenn ich durch die Kölner Fußgängerzonen gehe, habe ich eine Schrecksvision. Was ist, wenn die Leute, die Jack Wolfskin tragen, sich gegen die die The North Faceler verbünden? Oder umgekehrt?

Ein Bruderkrieg in Winterjacken: Reißverschluss gegen doppelte Naht, Softshell gegen Hardshell, Goretex getränkt in Blut und Bionade! Väter werden Söhne in Kühlhäuser sperren und Söhne ihre Elternhäuser in Saunas verwandeln! Wasserwerfer fahren auf und läuten die Monsunzeit ein, bis das Microfleece gerinnt. Nur ein sportlich-aktiver Lebensstil kann gewinnen!

Und dann kommt der Frühling.

Die Grenze zum Überwachungsstaat

Thomas Stadler kritisiert das Eckpunkte-Papier von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Man muss die Diskussion daher anders führen und auf die zentralen Fragen zuspitzen, die lauten: Wollen wir dem Staat erlauben, die Verbindungsdaten aller Bürger – und zwar ohne jeden konkreten Anlass – für längere Zeit zu speichern, damit er anschließend die Möglichkeit hat, diese Daten für strafrechtliche Ermittlungen zu benutzen. Oder wird damit vielmehr die Grenze zum Überwachungsstaat bereits überschritten?

Was mich etwas verwundert, ist die Entweder-Oder-Haltung. Denn wenn wir uns zehn Jahre zurückerinnern in eine Zeit, in der es keine Flatrates gab, war die IP-Speicherung beim Provider zu Abrechnungszwecken Pflicht der Provider — aus Gründen des Kundenschutzes. Schließlich sollte der Anbieter nachweisen können, was er seinem Kunden in Rechnung stellt. Im Mobilmarkt gibt es auch heute keine Flatrates ohne Volumenbegrenzung. Auch hier muss daher gespeichert werden und auch hier kann der Staat Auskunft verlangen. Netcologne nutzt die kurzfristig gespeicherten IP-Daten dazu, Kunden zu warnen, deren Rechner von einer Schadsoftware übernommen wurde. Die Einführung von IPv6 wird das Ganze nochmal wesentlich verändern. Die Grenze, die viele Datenschützer derzeit in den Sand zeichnen, wird rechts und links überschritten ohne dass sich irgendwer daran zu stören scheint.

Die Konzentration auf IP-Adressen verdeckt auch den Blick auf noch brisantere Wunschzettel der Strafverfolger: Bewegungsprofile stehen ganz oben auf der Liste. Für Ermittler mag das furchtbar praktisch sein, auf Anfrage herauszubekommen welche Bürger auch nur in der Nähe eines Tatorts waren. Wenn die Datenschutzbewegung das Thema entdeckt wird wahrscheinlich das Meme wahrscheinlich „Die Fußfessel für alle Deutschen“. Nicht zu Unrecht. Ich persönlich habe kein Zutrauen zu Menschen, die ohne ausreichende Überwachung an gigantischen Datenbanken herumspielen — egal ob sie Beamte oder Mark Zuckerberg sind.

Die widerstreitenden Interessen zu Überwachung und Datenschutz sind kein Paradox, sondern eins der vielen Spannungsfelder der Politik. Umweltschutz oder Arbeitsplätze? Sozialstaat oder Marktwirtschaft? Der Staat kann keine Entweder-Oder-Entscheidungen treffen, er muss sich zwischen den Extremen platzieren. Jedes Grundrecht hat seine Schranken. Ab und an muss man zwei Schritte Abstand nehmen, um zu erkennen, wo das eine Grundrecht aufhört und das nächste anfängt, wie sich ein Gesetz auswirkt. Das hier soll weiß Gott kein Plädoyer für die Vorratsdatenspeicherung sein – eher eine Aufforderung gelegentlich die Perspektive zu erweitern. Wir brauchen eine Diskussion, die sich nicht nur auf den Ist-Zustand konzentriert, die nicht von einem Extrem ins andere umschlägt. Eine Diskussion, die eine Technikgeneration überleben kann.

Voller Urheberrechtsschutz nur bei Anmeldung?

Die EU-Kommmission hat einen Bericht (PDF) zur „New Rennaissance“ vorgelegt, der sich mit den Erfordernissen an das Urheberrecht im Hinblick auf unser kulturelles Erbe befasst.

There is probably no greater ambition than to perpetuate our rich cultural heritage. It is therefore in full consciousness of our responsibility towards past and future generations and in deep humility that we have approached our mission.

Dass das Titelbild aussieht, als wäre es 1991 mit DeluxePaint auf dem Amiga erstellt worden, lässt wenig gutes über die Zukunftsorientierung des Berichts erwarten. Und tatsächlich: auf Seite 5 wird es schon spannend:

Future orphan works must be avoided. Some form of registration should be considered as a precondition for a full exercise of rights. A discussion on adapting the Berne Convention on this point in order to make it fit for the digital age should be taken up in the context of WIPO and promoted by the European Commission.

„Orphaned works“ sind Werke, bei denen man den genauen Urheberrechtsstatus nicht mehr sicher feststellen kann. Ist der Urheber schon so lange tot, dass man das Werk frei nutzen kann? Ist es gar ein Gemeinschaftswerk? Oder wer sind die Erben, wo kann man die Rechte an dem Werk rechtssicher erwerben?

The Association des Cinémathèques Européennes estimates that 21% of films held in audiovisual archives are orphaned, with 60% of these being over 60 years old. The British Library estimates that 40% of its in-copyright collections are orphan. The ‚In from the Cold‘ report estimated approximately 90% of the photographic record in UK cultural institutions as orphaned.

Ein Vorschlag der Autoren: Im Zweifel zahlt der Lizenznehmer die Tantiemen in ein Treuhandkonto ein, mit dem ein Urheber oder Rechteeinhaber später entschädigt wird. Eine unbefriedigende Lösung: denn welchen Tarif soll man zu Grunde legen und wie lange soll das Geld auf dem Konto vor sich hingammeln?

Eine Lösung für die Zukunft ist nach Überzeugung der Berichterstatter eine Registratur, in der Rechteinhaber sich und ihre Werke anmelden. Der volle Urheberrechtsschutz gilt nur noch für Werke, die registriert worden sind, der Rest geht ins Allgemeingut über.

In order to comply with the norms that exist in intellectual property laws, igitisation requires the clearance of each and every copyright and related right. Therefore mechanisms have to be developed that recognise the rights and interests of the rights holders, but at the same time facilitate the digitisation that in turn will lead to greater innovation and creativity. Given the cost of rights clearance, it is in the public as well as private interest of European society to streamline rights clearance in a manner that is fair and balanced.

Ich bin gespannt, wie das konkret aussehen soll. Zur Erinnerung: Eine solche Copyright registration war in den USA Pflicht, wurde aber durch das Berner Abkommen obsolet. Wenn die EU hier eine Rolle rückwärts macht, bekommt das Copyright wieder mehr einen kommerziellen Charakter anstatt die Verfügungsgewalt des Urhebers über sein Werk zu betonen. Denn egal wie „streamlined“ der Registrierungsprozess sein wird – am ehesten werden sich die Medienkonzerne dieser Möglichkeit bedienen. Sie haben schließlich ausreichend Erfahrung und die Infrastrukturen, die sie eh im Umgang mit Verwertungsgesellschaften benötigen.

Warum warten, Frau Piel?

Frau Monika Piel macht als turnusgemäße ARD-Intendantin Furore. Sie erklärt zum Beispiel gegenüber der Frankfurter Rundschau:

Man ist offensichtlich von Seiten der Verlage auf dem Holzweg, wenn man journalistische Inhalte kostenlos anbietet. Diese Kostenloskultur kann nicht Ziel führend sein. Das kann für die Verlage nur heißen, man muss dahin kommen, die journalistischen Inhalte zu verkaufen. Da sind kostenpflichtige Apps der richtige Anfang. Bei diesen fühlen sich die Verleger jedoch im Markt behindert. Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Man muss sich da schon fragen: wo war Frau Piel in den letzten fünf bis zehn Jahren? Denn so lange versuchen schon Medienkonzerne das Modell Free-TV – sagen wir es Mal so – um eine weitere Bezahl-Komponente zu ergänzen. Ob Grundverschlüsselung bei Kabel Deutschland oder bei Astra – der Zuschauer soll zukünftig einen monatlichen Obulus zahlen. Das erste Jahr gibt es gratis, danach kostet „HD Plus“ 50 Euro pro Jahr — ein Fakt, den Pro7 in seinen „Jetzt sind wir viel schärfer“-Werbespots verschweigt.

Ein Bollwerk gegen solche Versuche war bisher ARD und ZDF. Sie sagt seit Jahren: Verschlüsselung gibt es mit uns nicht, unsere Signale sollen frei empfangbar bleiben. Oder in ihren eigenen Worten:

„Das Fernsehen droht, seine publizistische Seele zu verlieren“, zeigte sich ZDF-Intendant Markus Schächter in Berlin besorgt. „Es verlässt seinen gesellschaftlichen Auftrag und hat nicht mehr das Ziel, das Gespräch der Gesellschaft anzustacheln.“ ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann fürchtete gar, dass sich „unsere Demokratie grundsätzlich verändern wird“.

Der Widerstand hatte Erfolg. Wer auf Konservenregale wie „Kabel1 Classic“ oder andere noch unterentwickelte HD-Programme verzichten kann, erhält so mit seinem einfachen Receiver ohne weitere Kosten die zahlreichen ARD-Programme empfangen – egal ob Zimmerantenne, satellit oder Kabel, egal ob analog oder Digital, HD oder Standard-Auflösung. Das öffentlich-rechtliche Programm mag gerade über Weihnachten eine Qual gewesen sein, aber gewöhnlich ist es mehr als ausreichend.

Allerdings sehe ich nicht den prinzipiellen Unterschied zwischen Bezahl-Apps und Grundverschlüsselung. Wenn Frau Piel das eine will, kann sie doch nicht mehr wirklich gegen das andere sein. Wenn also die Verleger mit ihren iPad-Träumen auf dem Markt sind, auf den die ARD so unbedingt angewiesen ist, dann sind es die Privat-Sender erst recht. Ein voll verdongeltes Medien-Vertriebssystem mit Zahlkomponente gibt es nicht nur bei Apple und Google. Wenn also die Bezahl-Apps der Verlage die ARD zu Bezahl-Apps treiben können, dann ist wohl auch die Opposition gegen Grundverschlüsselung hinfällig.

Bisher zahle ich meine GEZ-Gebühr pünktlich und ohne jeden Groll. Sollte die ARD kann mit Kabel-Betreibern, Providern und Satelliten-Services ins Bett steigen, um uns ein zweites Mal abzukassieren, würde ich mir überlegen den TV-Empfänger komplett abzuschaffen. Aber welchen Unterschied würde das machen – ab 2012 ist ja die Haushalts-Gebühr fällig.

Überwachungslogik (5)

Der Verkehr lahm gelegt, die Polizei überlastet, die Bevölkerung in Panik — und nur wegen eines vergessenen Koffers. Wie soll ich rechtzeitig zu meinem wichtigen Termin kommen?

Vielleicht sollten wir vergessliche Menschen internieren. Natürlich nur vorübergehend. Bis der Terrorismus beendet ist.

Überwachungslogik

Wenn „Gefährder“ ihre Handies abgeben sollen, sind sie dann nicht schwerer zu orten?

Jedes GSM-Gerät ist doch eine kleine GPS-Wanze in Wartestellung.