Qualität macht sich bezahlt – oder: Smelly Cat

Die Flattr-Bilanz der taz beginnt mit einem interessanten Gedanken:

Mein persönlicher Eindruck unserer Flattr-Bilanz im Juni ist, dass Leser nicht etwa die aufwändigsten Recherchen am stärksten honorieren, nicht die besten Reportagen und auch nicht die Artikel mit den besten Hintergrundinformationen unserer Fachredakteure. Am stärksten honoriert werden die Texte, in denen es gegen die Lieblingsfeinde unserer Leser geht: Neonazis, der Hochadel, die Bild-Zeitung, die schwarz-gelbe Bundesregierung.

Un in der Tat – auch bei Stefan Niggemeier wurde doch ein sehr substanzfreier Aufreger zum Flattr-Gewinner des Monats, die sehr reale Leistungsschutzrecht-Debatte gelangt allenfalls auf Platz drei. Der Kulturpessimist in mir reckt seinen langen Hals und krakelt: Lohnt sich Sunstanz überhaupt noch? Werden Blogs noch schlagzeilengeiler und als sie es bisher bisher schon waren? (Apropos: Harry Potter und Lena Meyer-Landrut NACKT mit Britney Spears, Dolph Lundgren und Tokio Hotel).

Gleichzeitig meldet sich aber das Fernseh-Kind in mir, das viel zu viele Sitcoms geguckt hat – und verweist mich auf ein Szene der Serie „Friends“, als Phoebe Buffay ihre Kunst erstmals verkaufte – als Straßenmusikantin vor ihrem Stamm-Cafe Central Perk:

This whole like playing-for-money thing is so not good for me. You know, I don’t know, when I sang “Su-Su-Suicide”, I got a dollar seventy-five. But then, “Smelly Cat”, I got 25 cents and a condom. So you know, now I just feel really bad for Smelly Cat.

P.S.: Derzeit hat ein taz-Artikel über eine vermeintliche Manipulation der ARD bei der Übertragung der Bundespräsidenten-Debatte 115 Flattr-Klicks geerntet. Dass der Autor auch das Mindestmaß an Recherche betrieben und die ARD um eine Erklärung gebeten hätte, ist dem Artikel nicht zu entnehmen.

BILD kämpft für SIE (oder sich?)

Kai Diekmann ist in ein ausgezeichnet vernetzter Mann. Kaum berichten die Medien über seinen Versuch, einen Nachlass auf seine enorme Telefonrechnung herbeizumauscheln, hat er offenbar zur Gegenoffensive ausgeholt. Heute erschien ein vermeintlicher Spiegel-TV-Beitrag auf YouTube, in dem Diekmann als Roaming-Opfer „Kai D. aus Brandenburg“ posiert:

Wir sehen ihn mit LIDL-Tüten auf dem Weg zu der Springer-Zentrale, die Sprecherin erzählt über die vermeintlichen Ehe-Probleme durch die Rechnung und Kai D. räsonniert: „…und dann hat es auch noch dauernd geregnet“. Gekonnt gemacht.

Gut verdienende PR-Facharbeiter lachen sich eins, wie der mächtige BILD-Chefredakteur sich da als Hinz und Kunz inszeniert. Der Angestellte, dessen Ehefrau dauernd die Telefonrechnung hochtreibt, der Pauschalurlauber, der sich über das Wetter mokiert. Ehen, die durch fünfstellige Beträge ruiniert werden können. Die alberne Anonymisierung, die durch das riesige BILD-Logo im Hintergrund ad absurdum geführt wird.

Doch: ist das Selbstironie? Oder zeigt da nur jemand, was er von den Leuten hält, die er mit Slogans wie „BILD kämpft für Sie!“ einzuwickeln versucht? Die Leute, die nicht den Telekom-Chef persönlich um Nachlässe angehen können. Angestellte, deren Arbeitgeber nicht Mal eben einen fünfstelligen Betrag zahlt, um deren Ego-Eskapaden zu bezahlen.

Diekmann ist sich selbst in die Fall gegangen: Hätte er sein Roaming-Malheur gleich thematisiert, hätte er ja sogar noch als glaubwürdiger Anwalt derer fungieren können, die auf die unverschämt hohen Roaming-Tarife hereingefallen sind. Dass er es erst einmal hinterrücks beim Telekom-Chef versuchte und sich dann keinesfalls hinten anstellen will, zeigt hingegen, dass BILD sich zunächst um sich selbst kümmert und vielleicht dann mal anfängt an die Leser zu denken.

Aber das YouTube-Filmchen ist eh nicht für den BILD-Leser gedacht. Hier zeigt ein Alpha-Tier lediglich, dass die kleinen Pinscher aus den kaputtgesparten oder trivialisierten Medienressorts nicht an seinem enormen Ego kratzen können.

Gatefilterkeeper

Marcel Weiß antwortet mir auf meinen kleinen Gatekeeper-Rant vom vergangenen Monat – und hat sogar einen Tippfehler gefunden:

Ich schrieb schrub (sic!) damals:

Die Legende vom Ende der Gatekeeper ist der Heiliger Gral der Netzbegeisterten. Doch wer mit offenen Augen das Netz betrachtet, sieht ständig neue Gatekeeper – ob sie nun Google, Carta, Michael Arrington oder Stefan Raab heißen. Aufmerksamkeitsströme können gelenkt werden – wer dabei den besseren Job macht, bleibt abzuwarten.

Die Antwort von Marcel Weiß:

Das verkennt die Situation signifikant. Wie war die Mediensituation im Massenmedien-Zeitalter? Verhältnismäßig wenige Redakteure entschieden darüber, was die Öffentlichkeit erfährt und was nicht.Im besten Falle: Konkurrenz unter den Medien – der Markt- sorgte dafür, dass Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, selbst wenn der eine oder andere Chefredakteur sie zurückhalten will. Entweder greift ein anderer sie auf, oder man veröffentlicht sie doch selbst, weil man eben diese Veröffentlichung an anderer Stelle befürchtet.Im schlechtesten Falle: Die Chefredakteure einer Handvoll überregionaler Tageszeitungen bestimmen das Geschehen. Aufgrund der Machtkonzentration sind Absprachen, um Agenden zu pushen oder Geschichten unter den Tisch fallen zu lassen, zumindest theoretisch möglich. Geschichten können leichter unter den Tisch fallen.

Zunächst ist es bemerkenswert, dass wir laut Weiß das „Massenmedien-Zeitalter“ verlasssen haben. Aber lassen wir uns darauf ein: folgt man der Argumentation von Weiß, war eine der wesentlichen Beschäftigungen von Redakteure das Unterdrücken von Nachrichten und Informationen. Das ist – gelinde gesagt – eine steile These. Denn die Chefredakteure einer Handvoll überregionaler Zeitungen konnten sich damals(TM) auf so ziemlich gar nichts einigen. Und wenn sie doch Mal an einem Strang zogen – zum Beispiel gegen die Rechtschreibreform – waren sie wenig erfolgreich.

Richtig ist vielmehr: Alleine Chefs von Regionalzeitungen konnten Themen unter den Tisch fallen lassen. In einer Gegend, in die nicht Mal der Landesfunk der nächsten ARD-Anstalt zum Berichten vorbeikommt, ist der Lokalredakteur erstaunlich mächtig. Doch der große Machtmissbrauch war auch hier die Ausnahme, nicht die Regel. Heute kommt der einst realitätsstiftende Lokaljournalismus nur noch in Extremfällen zum Zuge.

Nundenn, der netzbegeisterte Weiß hat zwar keine Erinnerung an die Vergangenheit, interpretiert sie aber mit Verve. Was sagt er zur Gegenwart?

Arrington kann Tech-Geschichten nach oben pushen, weil er sie auf TechCrunch einem breiten Publikum präsentieren kann. Er kann aber keine Geschichten verhindern, weil diese dann einfach von anderen Blogs aufgegriffen werden. Die Informanten suchen sich notfalls einen anderen Weg. Wenn die Geschichte in die Öffentlichkeit will, findet sie einen Weg. Heute einfacher als früher.

Er ist ein Filter, kein Gatekeeper.

Ein lustiger Schachzug. Filter, keine Gatekeeper. Dass beide Worte in diesem Kontext Synonyme sind, fällt gar nicht auf.

Aber mal ganz unpolemisch: Ja, Medien sind durchlässiger geworden. Die Legende vom gänzlich geschlossenen Komplex der großen Massenmedien ist zwar ein Zerrbild, aber tatsächlich können heute unter anderem über Blogs neue Öffentlichkeiten geschaffen werden, können sie die Sicht der Redakteure hinter dem Schreibtisch im Verlag korrigieren, ein Gegengewicht bilden. Das hat natürlich positive Effekte, aber eben auch negative.

Zum einen: wenn man die Latte sehr niedrig hängt, muss man lange nach den besseren Inhalten suchen. Und es gibt viele, viele schlechte Inhalte. Was zum Beispiel Tech-Blogs wie TechCrunch in Sachen Persönlichkeitsrechte abziehen, ist unterste Boulevard-Schule.

Zum anderen: wichtige Themen haben es schwerer auf dem Radarschirm zu bleiben. Die deutsche Twitter-Karawane hat nur eine sehr eingeschränkte Kapazität – wenn pro Monat zwei bis drei Themen tatsächlich die Schwelle der Social-Media-Zielgruppe überspringen, ist das schon viel. Doch dann handelt es sich meist um Unsäglichkeiten, aufgebauschte Randnotizen. Dabei gibt es so viel mehr wichtige Themen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen.

Und denen will ich mich nun widmen.

100 Twitterer können nicht irren!

Stefan Niggemeier findet es nicht gut, wie „Welt Online“ einen vermeintlichen Lapsus von ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein hochschreibt.

Für mich ist das eine alltägliche Redewendung, um einen besonderen Triumph zu beschreiben, ein Gefühl von Schadenfreude oder die Genugtuung, es allen gezeigt zu haben. Von mir aus können wir gerne darüber diskutieren, ob das eine besonders passende oder geschmackvolle Redewendung ist — aber doch nicht ernsthaft darüber, dass der öffentliche Gebrauch der Formulierung einen Nazi-Skandal darstellt?

Aber, aber – Welt Online hat doch lediglich dem Shitstorm auf Twitter eine Plattform gegeben. Dort scrollte nämlich eine empörte Stimme nach der anderen über die Timelines. Und wenn Twitter sich empört, dann doch bitte auch Journalisten. Empörungsspirale pre-approved.

Journalismus 2.0 – dem Volk aufs Maul geschaut. Buzzriders! Warum wir keine Journalisten, sondern Community-Manager und Algorithmen brauchen.

Rape a dead horse

Ich kann die Story um das verlorene iPhone nicht mehr hören. Nach Tagen des Wahnsinns dachte ich, jetzt ist es endlich vorbei. Die in meinen Augen gar nicht interessanten technischen Daten sind längst ausgeweidet, das Gerät ist auf dem Weg zu Apple und die arme Sau, die den Prototypen verloren hat, wurde maximal bloß gestellt – was soll man da noch berichten schreiben? Endlich Frieden!

Falsch gedacht:

The father of Gray Powell, the Apple engineer who reportedly lost a prototype of the iPhone 4G, says his son was reeling following the incident.

"Of course he was devastated," Robert Powell told CNET in a phone interview Wednesday. "He loves the company."

Gray Powell, 27, finds himself in the middle of media frenzy after losing a handset that appears to be a next-generation iPhone, a device that has yet to be released or even acknowledged by Apple. We’ve been trying to reach him directly, including a request passed on through his father.

Hallo CNet: der Mann will mit Euch nicht reden. Er hat Angst um seinen Job. Und Ihr belästigt seinen Vater? Und wenn der auch nichts weiter weiß, bringt Ihr das als Story? Witwenschüttler, elende!

„Etwas pathetisch“

Ich bin ja bisher kein großer Fan von Netzwertig.com gewesen: Zu viele Buzzwords, meist sind die per Twitter und Rivva als tiefgründige Analyse weitergereichten Artikel in meinen Augen nicht mehr als eine Aneinanderreihung plumper Netz- und Gadget-Begeisterung sowie recherchefreier Besserwisserei.

Das könnte nun anders werden. So schreiben die Netzwertig-Autoren Andreas Göldi und Peter Sennhauser eine an sich legitime Kritik der ideenlosen Verlagsapplikationen fürs iPad. Da das aber schon an zahlreichen anderen Stellen zu lesen war, steigern sich die Autoren zu einer conclusio, die ihres gleichen sucht:

Nein, das iPad ist das genaue Gegenteil einer Zeitung. Etwas pathetisch ausgedrückt: Noch nie in der Menschheitsgeschichte konnte man auf einer so geringen Fläche so einfach auf mehr reichhaltige Inhalte zugreifen wie mit einem iPad. Das ist der künstlichen Verknappung der alten Medienwelt genau entgegengesetzt. Und darum werden nur exzellente Inhalte gewinnen, nicht die Strategien von gestern.

Das ist doch nicht wirklich ernst gemeint, oder? Das kann einfach nicht ernst gemeint sein. Das muss Satire sein. Die Pointe ist sogar fett gedruckt. Ein etwas grober Klotz – zugegeben – aber ich habe gelacht.

Narrative gesucht

Kirgistan, Kirgisistan, Kirgisien – eine Meldung jagt die andere. Schüsse in die Menge. 75 Tote. Neue Regierung. Bürgerkrieg? Fortsetzung folgt…

Doch eins fehlt: Wer ist der Schurke? Wer hat den Osama im Gepäck? Gibt es Folterkeller, Milliarden im Ausland? Und warum sind die, die in die Menge schossen plötzlich auf der Seite der Opposition? Und war die Opposition nicht mal in der Regierung, und wurde per Revolution aus dem Amt gejagt? Nicht mal Russland und USA schlagen sich deutlich auf die eine oder die andere Seite.

Was soll ich denken? Ich weiß es nicht. Sagt es mir. Nein: kaut es mir vor!

Es muss nicht immer China sein…

Clark Hoyt berichtet in der New York Times über einen Kotau des Schwesterblatts International Herald Tribune gegenüber der Familie des Präsidenten Singapurs:

Lee Kuan Yew once testified, according to The Times, that he designed the draconian press laws to make sure that “journalists will not appear to be all-wise, all-powerful, omnipotent figures.” Four years ago, The Times quoted his son as saying, “If you don’t have the law of defamation, you would be like America, where people say terrible things about the president and it can’t be proved.”

Zensur? Nein, nur kreatives Medienrecht.

Ha Ha Ha!

Ich wusste ja nicht, dass es feste Regeln für Aprilscherze gibt. Die Lektüre von zirka einem Dutzend dieser spritzig-witzigen Schlafmittel hat offenbart, dass es die wohl doch gibt:

  1. Leser glauben alles. Also muss der Aprilscherz so offensichtlich sein, dass nur der Bodensatz des Klickviehs daran glaubt.
  2. Nicht gemein werden! Die Rechtsabteilung will in den Osterurlaub. Niemand soll einen Grund haben zu klagen, seine Stimme zu erheben oder auch nur die Stirn zu runzeln.
  3. Selbstreferenzialität ist erwünscht, Selbstironie verboten. Was denn? Witze über uns selber machen? Wo ist da die Pointe? Aber die Story vor ein paar Wochen, die war doch witzig. Können wir die nicht aufwärmen?

Entschleunigte Fakten

So ganz genau habe ich nicht verstanden, was das Netzwerk Rechtschreibung netzwerk recherche da wieder fordert:

Einen "Fakten-TÜV" in allen Medien hat die Journalisten-Vereinigung netzwerk recherche (nr) zum Auftakt ihrer Fachkonferenz "Fact-Checking – Fakten finden, Fehler vermeiden" heute in Hamburg gefordert: "Ein Fakten-TÜV durch eigenständige Dokumentations- und Recherche-Spezialisten in allen Medien wäre ein Quantensprung für die Steigerung der journalistischen Qualität", sagte der Vorsitzende von netzwerk recherche, Thomas Leif, bei der Eröffnung der zweitägigen internationalen Fachkonferenz.

Ähm, ja… – Fakten zu prüfen gehört eigentlich zu den Grundaufgaben eines Redakteurs. Dieses Faktenchecken wieder mehr zu institutionalisieren wäre eine schöne Idee. Aber wer zahlt eigentlich für die zusätzlichen Dokumentare und Faktenchecker, in einer Zeit, in der Verlage ihre Redaktionen bis aufs Letzte aushöhlen? Und: sind die Leute wirklich an den entschleunigten Nachrichten von gestern interessiert, wenn die ungeTÜVte Version doch viel schneller und sexier ist? Sprich: ist das Ganze nur wieder eine wohlfeile Forderung ohne jede Aussicht auf Verwirklichung?

Wie wäre es mit einem Kompromiss-Vorschlag? Nehmen wir uns einmal mehr ein Beispiel bei der freien Wirtschaft – Outsourcing ist angesagt, Synergien sind zu nutzen! Der Fakten-TÜV wird zur Rating-Agentur – das wirkte ja schon beim Finanzmarkt wahre Wunder! Statt eine illusorische „systematische Überprüfung aller Medieninhalte“ anzugehen, kontrolliert die Stiftung Faktentest stichprobenartig die Verlässlichkeit der Medien. Die klügsten Köpfe des Journalismus werden auf die Richterbank des Bundesverfaktungsgerichts gerufen.

Hat es geregnet, obwohl Sonnenschein vorhergesagt war? Punktabzug! Wieder Mal ohne Sinn und Verstand von der englischen Yellow-Press abgeschrieben? Punktabzug! Ist Herr Kachelmann nachher gar unschuldig? Punktabzüge nach allen Seiten.

Am Schluss könnte gelingen, was bei Kinder-Lebensmitteln so umstritten war: eine Ampelkennzeichnung für faktenorientierte und weniger faktenorientierte Medien. Triple-C für „Bild“, eine B-Note für die „Rhein-Zeitung“ – und eine A-Note, ja, für wen eigentlich? Einen Recherchebericht musste ich schon Jahre nicht mehr bei einer Redaktion einreichen.