Hauptsache Zensursula

Bei manchen wirkt das Wort „Kinderporno“ merkwürdig. Emotionen übermannen jede Logik, und der Betroffene ist ganz in einer eigenen Welt gefangen, in der es Bösewichter gibt, die allesamt aus einem Wallander-Krimi zu stammen scheinen.

Das gleiche passiert offenbar auch mit dem Wort „Zensursula“. Wenn ich mir ansehe, welche Behauptungen Behauptungen in dem Zensursula-Lager aufgestellt, gelobt und beklatscht werden, raufe ich mir manchmal die Haare. Die Realität ist komplex, lasst sie uns auf ein Schwarz-Weiß-Schema herunterbrechen.

Aktuelles Beispiel: Diese Meldung, an der auch Ralf Bendrath seine Zweifel angemeldet hat. Da glaubt jemand, dass er über den First-Level-Support und eidesstattliche Versicherungen einen vorzeitigen Beginn der Sperrungen nachweisen kann. Das ist schon merkwürdig. Dann kommt aber als Update

Arcor hat in einem Online-Artikel des BKA am 10. Juli kundgetan, dass ab dem 1. August 2009 Stopp-Schilder vor Kinderpornoseiten gesetzt werden. Dieser Artikel wurde inzwischen gelöscht und ist nur noch über den Google-Cache erreichbar. Was hat Arcor nur dazu bewegt?

Was da als „Online-Artikel des BKA“ einen amtlichen Anstrich bekommt, ist in Wahrheit eine simple dpa-Meldung. Und sie ist nicht von der Webseite verschwunden, weil Arcor etwas verbergen wollte, sondern weil alle dpa-Meldungen auf Arcor.de nach relativ kurzer Zeit verschwinden. Den letzten Part will ich bei niemandem voraussetzen, aber wie verwechselt man eine simple Newsticker-Meldung mit einem BKA-Dokument oder einer Erklärung zur Firmenpolitik von Arcor/Vodafone? Und warum ist keine soziales Korrektiv vorhanden, das den Autoren auf die richtige Bahn schubst?

Aber diese Schwarz-Weiß-Malerei betrifft nicht nur unerfahrene Blogger, sondern auch Leute, die eigentlich genug Medienkompetenz besitzen müssten, um Zusammenhänge, Kontexte und logische Argumentationen zu erkennen. Zum Beispiel der viel gelobte Spiegelfechter, der von der Leyens Indien-Panne aufgreift und dann plötzlich Inzidenz mit Evidenz verwechselt. Die Argumentation verläuft ungefähr so: Das Bundesfamilienministerium zitiert eine veraltete ICMEC-Studie, also ist ICMEC fragwürdig und integraler Bestandteil des Zensursula-Komplexes. Microsoft hat ICMEC einst 1,5 Millionen Dollar gespendet, also steckt der alt bekannte Bösewicht Microsoft hinter dem „System Zensursula“. Skandal!

Blöderweise hat die ICMEC mit den von unserer Bundesfamilienministerin aufgestellten Behauptungen sehr wenig zu tun. Dass es in Indien keinerlei Ächtung von Kinderpornografie gäbe, hat die Organisation nie behauptet. Dass ICMEC mit einer falschen Darstellung der Gesetzeslage in Indien der Regierung dort Microsoft-Systeme verkaufen will, wäre wirklich eine Meisterleistung des Lobbyismus – Indien mag nicht ganz so durchorganisiert sein wie Deutschland, aber die eigenen Gesetze wird die indische Regierung doch kennen? Und zuletzt: Das kritisierte Microsoft-Produkt „Child Exploitation Tracking System“ (CETS) ist ungefähr das Gegenteil vom „System Zensursula“ – geht es hier doch um die Identifizierung von Opfern. Natürlich gibt es geschäftliche Interessen, Lobbyismus und Fehlinformationen, aber die bei Spiegelfechter aufgezeigten Zusammenhänge sind Google-Artefakte und sind von der Realität so weit entfernt wie der Glaube, dass man mit der Blockade von Webseiten heute Kriminelle nachhaltig behindern kann.

Auch kurios war letztens der Beitrag von Thomas Knüwer, in dem er die Lügen der Bundesfamilienministerin als „amtlich“ bezeichnete. Das Kuriosum: Als Beleg verwendet Knüwer ausgerechnet ein Zitat, das zwar etwas an Sarah Palin erinnert, aber eben nicht dem Dokument widerspricht, das Knüwer als Beleg für die amtlichen Lügen verwendet.

Die Liste ließe sich beliebig lange weiter führen. Stören solche Kleinigkeiten? Nein, natürlich nicht. Es steht ja Zensursula drüber und wenn es um die große Sache geht, darf man solche Kleinigkeiten nicht allzu wichtig nehmen. Das Problem: exakt so argumentiert vermutlich auch von der Leyen.

Dass das das darf…

Frau Zypries erzählt etwas vom Unrechtsbewusstsein:

Schon in meiner Jugend war das Mitschneiden von Musik aus dem Radio üblich, damals auf Tonbändern oder Kassetten. Es gibt also eine gewisse Tradition zu glauben: Man darf das. Ähnlich ist es beim Kopieren von Büchern. Es ist weder der Industrie noch der Politik gänzlich geglückt, die Botschaft zu vermitteln: Man darf das eben nicht.

Vielleicht liegt das Vermittlungsproblem daran, dass die Botschaft gelogen ist? Denn (noch) darf man es.

Man darf die Mitschnitte und Kopien lediglich nicht ins Internet stellen – jedenfalls in der Regel nicht. Kopieren darf man die Bücher bis man schwarz ist und man darf das ganze Jahr nur Radiomitschnitte hören. Man kann beide Kopien sogar weitergeben – wenn man es nicht übertreibt.

Das ist eine Unterscheidung, die ich von unserer Bundesjustizministerin erwarte und verlange.

Testimonial

Heise berichtet über die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen empört-pubertären Netizens und überfordert-verstörten Politikern. Höhepunkt ist ein kurioses Statement von der SPD-Wirtschaftsreferent Eckhard Fischer.

Pädophile, die ihre Neigung bekämpften, würden dagegen der SPD danken, „da sie nun nicht mehr Gefahr laufen, versehentlich auf entsprechende Seiten zu stoßen“.

Danken die Pädophilen wirklich der SPD? Oder glaubt Herr Fischer lediglich, dass es Pädophile geben könnte, die so denken? Im ersten Fall können wir uns nach den „Piraten in der SPD“ wohl auf die Arbeitsgruppe „Pädophile in der SPD“ freuen. Ist bestimmt ein Renner im Wahlkampf.

Im zweiten Fall kann sich Herr Fischer nicht wirklich über die neue politischen Streitkultur der Heise-Forianer beschweren. Faktenfreie Polemiken kann heute halt jeder verbreiten.

Wacht auf, Gamer dieser Erde

So langsam erkennen auch die Computerspieler, dass sie kampagnenfähig werden müssen. Und sie lernen von den Mitteln, die im Kampf gegen das Zugangserschwerungsgesetz eingesetzt wurden.

So haben sie eine eigene E-Petition auf den Weg gebracht, die am ersten Tag schon beachtliche 7000 Mitzeichner gefunden hat, sie haben ihre eigene Leserbriefkampagne und auch ein eigenes Mem ersonnen, das allerdings auf Twitter bisher nicht wirklich einschlägt.

Welche Dynamik diese Kampagne erreichen wird, bleibt abzuwarten. Denn Spieler sind eine sehr junge Gruppe von Netizens, die sehr kommerziell organisiert ist. Und so überrascht es nicht, dass die Unterschriftenaktion zuerst von einer kommerziellen Spieleseite erdacht und promoted wurde und jetzt von der Turtle Entertainment weiter verfolgt wird.

Kostenloskultur

Nochmal zur Piratenpartei. Als ich mir gestern die Vorstellung der Vorstandskandidaten angehört habe, kam es bei allen wie aus einem Munde: Die Piratenpartei steht nicht für eine „Kostenlos-Kultur“! Solche Behauptungen in der Presse seien irreführende Verzerrungen.

Im gerade beschlossenen Wahlprogramm heißt es dazu:

Wir PIRATEN fordern für Privatleute ohne kommerzielle Interessen das Recht, Werke frei verwenden und kopieren zu dürfen. Der Einsatz von Maßnahmen, wie die DRM-Technologie oder ähnliche Kopierschutzmechanismen, die diese und andere rechtmäßige Nutzungen einseitig verhindern, soll untersagt werden.

Fassen wir zusammen: Alle sollen alles frei kopieren dürfen, sofern sie es nicht kommerziell machen. Den Unterschied zur „Kostenlos-Kultur“ sehen wohl nur die Piraten, die ein fortgeschrittenes Verständnis von Dialektik haben.

Ballast abwerfen

Es gibt gute und weniger gute Gründe über die Piratenpartei zu lästern – auf alle Fälle gibt es viele. Aber es gibt auch einige, die Piraten mit Interesse zu verfolgen.

Als Jörg Tauss heute nachmittag beim Bundesparteitag seine Rede mit „Liebe Piratinnen und Piraten“ begann, kam tatsächlich ein Zwischenruf: „Piraten sind geschlechtsneutral“. Ein erfrischender Ansatz um die Binnen-I-Debatte zu beenden, bevor sie Schaden anrichten kann.

Andererseits: Die Gender-Blindheit der Piratenpartei ist wohl damit zu erklären, dass sie eigentlich nur aus Jungs besteht. Und wenn doch ein paar Doppel-X-Chromosom-Träger vorhanden sind, gilt wohl das, was Terry Pratchett in „Feet Of Clay“ ungefähr so formuliert hat: „Das Geschlecht ist egal, solange Du Dich wie einer von den Jungs verhälst“.

Demonstrantenlob

Bernd Rürups Abschiedsvorlesung wurde gestört:

Welchen Zweck die Protestaktion hatte, wisse er nicht, sagte Rürup. Er vermute allerdings, dass ein Großteil der Demonstranten dem Deutschen Gewerkschaftsbund DGB angehöre. Das wiederholte Angebot einer Diskussion sei abgelehnt worden.

So weit, so normal.

Ein Demonstrant habe ihm später gesagt, er sei „argumentativ so gut“, dass man sich auf eine Diskussion nicht habe einlassen wollen, sagte Rürup.

Entweder waren die Demonstranten in Wahrheit vom INSM oder Rürup hat da was falsch verstanden.

Too much information

Ich habe die erste Pressemitteilung der Piratenpartei erhalten. Yay!

Berlin, 2.7.2009 – Der Landesverband Berlin der Piratenpartei traf sich gestern zu einem außerordentlichen Parteitag in der Karaokebar „Monster Ronson’s“ in Berlin-Friedrichshain.

Ahhhhja…. ist die Karaoke-Bar wirklich so wichtig?

Um die personell schnell anwachsende Partei intern zu strukturieren und zugleich ihre Unkonventionalität und Offenheit zu erhalten, bilden Piraten anstelle klassischer Bezirksverbände in Crews lokal gebundene, dynamische Einheiten. Medienpirat Aaron Koenig stellte das von den Aachener PIRATEN übernommene und leicht modifizierte Crew-Konzept vor, bei dem sich Piraten unter einem Schiffsnamen wie „die Flying Dutchmen“ oder „die Konrad Zuse“ unter einem Käpt´n und Navigator zusammenfinden.

OK. Karaoke-Bars und Promotion a la Jägermeister sind wohl doch eine wesentliches Element der Parteiarbei.