Twitter als Kommunikations-Überholspur? Oder eine Gated Community?

Viel Häme haben sich die Hauptstadtjournalisten mit der wirklich skurrilen Fragestunde zu den Twitter-Aktivitäten im Bundespresseamt eingehandelt. Wie kann man im Jahr 2011 Twitter nicht kennen? Was sollen die albernen Fragen? Da wird die Regierung mal etwas offener und die Hauptstadtjournalisten fürchten um ihr Herrschaftswissen!

So nachvollziehbar die Reaktion auf die Vorstellung aus dem „Raumschiff Berlin“ ist, nach ein paar Tagen sollte man anfangen Mal etwas darüber nachzudenken. Natürlich ist Hauptstadtjournalismus ein extrem arbeitsteiliges Geschäft. Die Personen, die in der Bundespressekonferenz sitzen, müssen in der Regel nicht mit Twitter arbeiten. In meinen Augen sollten sich Kommunikationsarbeiter mit neuen Medien auseinandersetzen, aber ich will mir da kein abschließendes Urteil erlauben. Vor fünf Jahren wurde ihnen erzählt, sie müssten Second Life lernen. Ein gewisses Misstrauen, eine gewisse Trägheit ist verständlich.

Journalisten als „vierte Gewalt“ haben die Aufgabe, die Regierung zu überwachen. Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass die Journalisten die notwendigen Informationen bekommen. Wenn also Reisen von Angela Merkel zuerst über Twitter angekündigt werden, mag das für uns Außenstehende wie eine Petitesse erscheinen – sie sorgt aber dafür, dass komplette Arbeitsprozesse umgelegt werden müssen. Die Journalisten, die im Zweifel am Samstagabend alleine am Schreibtisch sitzen, müssen die Nachrichten aus den verschiedensten Kanälen abgleichen. Gehen relevante Informationen über einen neuen Kommunikationskanal, müssen sie diesen in ihre Arbeitsmittel integrieren. Mit einem Twitter-Account alleine ist es da nicht getan – die Medien müssen auch ständig einen aktuellen Überblick haben welcher Politiker tatsächlich twittert, welche Fake-Accounts unterwegs sind. Noch schlimmer: Sie müssen sich mit ironischen Kommentaren, schlechten Wortwitzen und haufenweise uninformierten Missverständnissen herumschlagen. Und das für ein nicht greifbares Endergebnis: Ich als Leser blättere weiter, wenn ein Zeitungsjournalist Twitter-Anekdoten zum Besten gibt.

Gleichzeitig nutze ich Twitter intensiv und gerne. Grade eben habe ich mit einem Tweet eine Frage an DradioWissen geschickt, die wenige Minuten später auf Sendung beantwortet wurde. Früher hätte ich womöglich eine Hörer-Hotline anrufen müssen und meine Frage wäre vielleicht ans Ende der Sendung gestellt worden, wo sie dann natürlich aus dem Kontext gerissen worden wäre. Ebenfalls kann ich Mal eben einem Spitzenpolitiker einen kleine Frage an den Kopf werfen und bekomme tatsächlich sofort eine Antwort von ihm. Das Zeitalter der neuen Offenheit ist da. Jeder aus dem Volk kann die Regierenden endlich zur Rede stellen. Yay!

Das Problem: nicht jeder kann es. Auf dem Web Content Forum in Köln sagte der General Manager von Welt Online: Das iPad ist noch kein Massenmedium, es ist noch nicht in der U-Bahn, nicht auf dem Spielplatz angekommen. Selbst wenn jeder ein iPad hätte und von dort seine Twitter- und Facebook-Aktivitäten steuern würde – wer würde es für einen direkten Dialog mit „der Politik“ nutzen. Wer aggregiert sich den Reiseplan von Frau Merkel zusammen und lässt das in seine Wahlentscheidungen einfließen? Entsteht über die Kurz-Kurz-Echtzeit-Kommunikation ein wirklicher Dialog?

Vorläufige Diagnose: Wir „Twitter-Kinder“ (so nannte es Julia Seeliger eben auf DradioWissen) sind noch ein ziemlich kleiner Haufen — und ziemlich homogen dazu. Akademiker-Kinder unter sich. Wir repräsentieren das Volk besser als jeder Deutschlandtrend und wissen besser Bescheid als jeder Fachmann. Über alles. Und je nach politischer Meinung und persönlichen Vorlieben bilden wir Blasen, in denen wir nur mit Gleichgesinnten zu tun haben. Ein bisschen Widerspruch mag vorkommen, aber das nur am Rande, als intellektuelle Herausforderung. Wer nicht in unser Schema passt, wird entfollowt. Twitter ist das Äquivalent einer „gated community“, in der sich die Wohlhabenden eines Landes von der normalen Bevölkerung abgrenzen. Doch statt elektrischen Zäunen, Wachmännern und Videoüberwachung benötigen wir nur unsere Kommunikationsfilter. Ist das die Zukunft der Kommunikation?

Nachtrag: Stefan Niggemeier hat für die FAZ bei den Hauptstadtjournalisten nachgefragt:

Sarah Palin ist eine Warnung dafür, wie Politiker, die etwa über Facebook direkt mit den Wählern kommunizieren, sich kritischer Nachfragen durch Journalisten entziehen können. Am vergangenen Mittwoch zeigte sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf Youtube und beantwortete dort vorher ausgewählte Fragen von Bürgern. Die Presse meint, er tue das auf Kosten klassischer Interviews. „Er versucht die ganze Zeit, uns zu umgehen“, sagt der Sprecher des Journalistenverbandes. „Wir glauben, dass jeder Staatsbedienstete sich Journalisten und ihren Fragen stellen muss.“

Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Beleidigtsein von Journalisten, die ihrem Informationsmonopol nachtrauern, und der berechtigten Sorge, ob Politiker sich ihrer Rechenschaftspflicht entziehen.

E10 conspiracy

Könnte die E10-Einführung von einer gewaltigen Verschwörung begleitet worden sein? Wollte die Industrie den Kraftstoff zuerst scheitern lassen, damit sie politisch Druck machen kann um Steuersenkungen durchzusetzen?

Aber nein, das ist nicht möglich. Die Verschwörung müsste nicht nur Mitglieder von Regierung und Parlament umfassen, ein ganzes Volk müsste lobbyiert werden, um den Kraftstoff nicht zu tanken. Und ein ganzes Volk, das Teil einer Verschwörung ist — das ist doch ausgeschlossen?

Die nukleare Vernunft des Franz-Josef Strauß

CDU-Generalsekretär Gröhe geht in die Offensive. Nicht die CDU, sondern die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt habe die Atomkraftwerke nach Deutschland gebracht. Eine historische Tatsache. Und wer hat im Dienste der Vernunft gegengesteuert?

Welt Online: Das ist doch, was viele Ihnen heute vorwerfen: Wenn die Stimmung umschlägt, ändert die CDU über Nacht ihre Politik.

Gröhe: Wir reagieren auf eine schreckliche Katastrophe, nicht auf bloße Stimmungen. Angesichts der täglichen Nachrichten aus Japan wäre es fatal gewesen, rechthaberisch mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Im Übrigen haben schon Franz Josef Strauß und Ernst Albrecht politische Entscheidungen in Sachen Kernenergie verändert, weil sie um die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz wussten.

Franz-Josef Strauß, gesellschaftliche Akzeptanz und Nukleartechnik — da fällt mir vor allem ein Kapitel ein: Der Atom-Granatwerfer Davy Crocket, den Strauß damals für die Bundeswehr kaufen wollte. Oder um die Wikipedia zu zitieren:

In der Praxis zeigten beide Antriebe M-28 und M-29 eine geringe Treffergenauigkeit; demnach hätte die Waffe vor allem über die sehr starke Radioaktivität gewirkt: Selbst bei Einstellung auf geringe Sprengkraft produzierte die M-388 eine direkte Anfangsstrahlung mit einer letalen Strahlendosis von über 100 Sievert innerhalb von 150 Metern, und eine ebenfalls meist halb-letale Dosis von etwa 50 Sv innerhalb von 430 Metern.

Auf Grund der Ungenauigkeit der Waffe, der geringen Entfernung der Geschützmannschaften zum Ground-Zero und folglich der nur schwer kalkulierbaren Zugrichtung eines möglichen Fallouts (Radioaktiver Niederschlag), war davon auszugehen, dass die bedienende Geschützmannschaft bei der Explosion des atomaren Sprengkopfes auch schwere Strahlenschäden erleiden könnten. Daher war der Einsatz dieser Waffe lediglich als letzter Ausweg aus einer verzweifelten Bedrohungslage vorgesehen.

Politiker sahen bei der Verwendung der Davy Crockett nicht die Gefahr der Auslösung eines Atomkrieges. Daher wollte unter anderem der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den Mangel an Soldaten der Sowjetunion gegenüber durch die Davy Crockett ausgleichen. Aus Angst, die Kontrolle über den Einsatz von nuklearen Waffen zu verlieren, verkauften die Vereinigten Staaten keine nuklearen Kleinstwaffen an NATO-Partner.

Lange Rede, kurzer Sinn: im Kampf gegen den Kommunismus hätte Strauß Deutschland notfalls in eine atomare Wüste verwandelt. Keine Politik der verbrannten Erde, sondern eines verstrahlten Landes. Aber anders als beim Starfighter, lieferten die USA einfach nicht. Ein Sieg der Vernunft und der Weitsicht des großen CSU-Vorsitzenden.

Pre post privacy

Was mich an der „Post Privacy“-Debatte nervt ist die gnadenlose Überhöhung des Ist-Zustandes. Die „Spackeria“ tut so, als seien Twitter und Facebook der größte revolutionäre Akt, der die Lebensverhältnisse auf den Kopf stellt. Die Datenschutz-Anhänger hingegen halten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hoch, als sei es ein direktes Ergebnis der Aufklärung und in jeder Verfassung der westlichen Welt direkt neben Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen zu finden.

Ich hingegen frage mich: wenn jetzt das post privacy-Zeitalter eingeleitet wird, wann hatten wir jemals das privacy-Zeitalter? Im Mittelalter, als jeder in die Dorfgemeinschaft so eng zusammenlebte, dass niemand aufs Klo gehen konnte ohne dass es die Nachbarn sahen? Oder in der frühen Neuzeit, als die Arbeiter sich in den Mietskasernen ihre Toiletten teilten? In den 70ern, als der Terrorismus-Wahn die Rasterfahndung gebar?

Heute habe ich in der New York Times ein Stück über das Problem Sexting gelesen:

“Ho Alert!” she typed. “If you think this girl is a whore, then text this to all your friends.” Then she clicked open the long list of contacts on her phone and pressed “send.”

In less than 24 hours, the effect was as if Margarite, 14, had sauntered naked down the hallways of the four middle schools in this racially and economically diverse suburb of the state capital, Olympia. Hundreds, possibly thousands, of students had received her photo and forwarded it.

Zwei Dinge fallen mir auf: Es brauchte weder Facebook, noch Twitter oder ein sonstiges Internetangebot, um das gesellschaftliche Leben dieses Mädchens zu zerstören – es genügte der Mobilfunk. Eine Technik, die uns so selbstverständlich geworden ist, dass wir ihren revolutionären Charakter in weniger entwickelten Ländern gar nicht mehr in Augenschein nehmen.

Zweiter Aspekt: Wann hätte ein Mädchen ungestraft Nackbilder von sich weiter geben können? In meiner Schulzeit hatten wir keine Handys, aber es gab Kopierer und ein Foto zu reproduzieren hätte selbst ich in zwei Stunden im Fotolabor geschafft. Die technische Schwelle ist sicher niedriger — aber das grundsätzliche Handlungsmuster ist nicht alleine durch die Technik gegeben. Wer Nacktfotos von sich verteilt, gibt sich ganz in die Hand des Empfängers.

Kein Whistleblower

Die Öffentlichkeit weiß nicht, wer er ist. Niemand fragt. Und das ist ihm wohl ganz recht.

Das als vertraulich markierte Protokoll der BDI-Sitzung, in der Landesvorsitzender Brüderle seine Gedanken zur Atompolitik zum Besten gab, ging an 39 Empfänger. Industriegrößen. Einer davon steckte es der Süddeutschen Zeitung. Und besiegelte so mit das Wahlergebnis der Landtagswahlen. Ein, zwei Prozent zwischen den Lagern hin- und her zu schieben hätte den kompletten Ausgang der Wahl beeinflusst.

Trotzdem fragt niemand: wer ist der Whistleblower? War es ein BDI-Vorstand? Jemand in der Poststelle? Niemand rühmt seinen Mut, niemand macht sich Sorgen um seine Sicherheit. Warum eigentlich nicht?

Fuck JFK in the head

Ich wundere mich ja immer wieder, wie an sich intelligente Menschen auf Twitter Gerüchte und Behauptungen verbreiten, die an ihrem gesunden Menschenverstand zweifeln lassen. Hauptsache, die Falschmeldung oder die inkorrekte Zusammenfassung eines Sachverhalts passt ins eigene Weltbild oder in den Zeitgeist — und schon setzt die Medienkompetenz aus und die wildesten Geschichten werden weiter verbreitet.

Aber das Phänomen ist keinesfalls neu – Twitter macht es lediglich sichtbarer. Grade höre ich eine Folge des WTF-Podcasts in der US-Satire-Veteran Paul Krassner eine solche Episode beschreibt. Und Wikipedia erspart mir die Mühe, das in eigene Worte zu fassen. Hier steht:

Krassner’s most notorious satire was the article „The Parts That Were Left Out of the Kennedy Book“, which followed the censorship of William Manchester’s book on the Kennedy assassination, The Death of a President. At the climax of the grotesque-genre short-story, Lyndon B. Johnson is described as having sexually penetrated the bullet-hole wound in the throat of JFK’s corpse.[8] According to Elliot Feldman, „Some members of the mainstream press and other Washington political wonks, including Daniel Ellsberg of Pentagon Papers fame, actually believed this incident to be true.“[9] In a 1995 interview for the magazine Adbusters, Krassner commented: „People across the country believed – if only for a moment – that an act of presidential necrophilia had taken place. It worked because Jackie Kennedy had created so much curiosity by censoring the book she authorized – William Manchester’s ‚The Death Of A President‘ – because what I wrote was a metaphorical truth about LBJ’s personality presented in a literary context, and because the imagery was so shocking, it broke through the notion that the war in Vietnam was being conducted by sane men.“[10]

Ein Satiriker beschreibt den US-Präsidenten nicht nur als Nekrophilen, er wählt dafür auch das symboilischste und gleichzeitig — aus heutiger Sicht — unglaubwürdigste Szenario. Doch der Symbolismus, dass der Oberbefehlshaber im Vietnam-Krieg verrückt ist, dass er sich nicht nur am politischen Erbe, sondern buchstäblich am Körper der Lichtgestalt John F. Kennedy vergeht — das schaltete die Zweifel aus.

DIN ÖPNV

Immer wenn ich in eine fremde Stadt fahre, muss ich mich erst Mal erkundigen, wie der öffentliche Nahverkehr funktioniert. In einer Stadt kauft man die Fahrkarten am Automaten in der Straßenbahn, in anderen darf man nicht mal auf den Bahnsteig ohne Karte. Kann ich mit der Geldkarte bezahlen. Und: gibt es Tickets für mehrere Tage? Die City-Option der BahnCard ist da schon hilfreich — zumindest kann ich nun direkt vom Bahnhof in die Straßenbahn steigen.

Wäre es nicht Mal Zeit, das Ganze zu vereinheitlichen? Öffi für Android ist ein tolles Programm, auch der DB Navigator hat ein sehr nützliche Basis-Informationen. Aber sind die Nahverkehrs-Unternehmen wirklich auf externe Hilfe angewiesen? Macht eine Allianz, einen Standard für Eure Fahrplan-Informationen. Sogar Echtzeit-Infos könntet ihr ohne große Probleme live einbinden. Und den Ticket-Kauf per Handy, der in jeder Stadt erst nach Anmeldung, mit anderer Nummer und mit anderen Textcodes funktioniert – den könnt ihr so endlich Mal in die Gänge bringen.

Vorsicht beim Hotlinken im Wahlkampf

Die Jungen Liberalen Rheinland-Pfalz wollten sich offenbar substantiell am Online-Wahlkampf beteiligen und haben eine kleine Kampagnen-Seite Grünland-pfalz.de geschaltet. Die Grünen hatten diese Wortschöpfung als Zeichen für einen Politikwechsel ersonnen und vergessen, die entsprechende Domain zu registrieren.

Flugs schalteten die JuLis dort also eine eigene Kampagnenseite, die die Grünen als „Dagegen-Partei“ brandmarkt. Kein schöner Zug: Die Seite war komplett in grün gehalten – wer dahinter steckte, war auf den ersten Blick nicht ersichtlich.

Doch am Dienstag nachmittag sah die Seite jedoch so aus:

„FDP – Für Laufzeitverlängerung und Betonlandschaften“ – kein unbedingt toller Slogan. Was hat die JuLis da bloß geritten?

Die (wahrscheinliche) Aufklärung ist relativ simpel: die Hintergrund-Grafik kam vom Server des Landesverbands der Grünen. Ich vermute, die Jungen Liberalen hatten beim Erstellen Ihrer Anti-Grünen-Seite der Einfachheit halber eine Grafik von dort eingebunden, um die politische Konkurrenz möglichst authentisch zu beschimpfen. Die Grünen widerum tauschten die Grafik aus, die dann auch auf der FDP-Seite erschien.

PS: Die Grünen haben mir meine Hypothese soeben bestätigt.