Wo sind die Ergebnisse?

Liebe Geheimdienste,

ihr wiederholt gebetsmühlenhaft, dass es vollkommene Sicherheit nicht gibt. Doch wenn man sich ein bisschen den Teppich anhebt, sieht man, dass ihr in den letzten Jahren vollkommene Kontrolle angestrebt habt. SIM-Karten, Viren in der Festplatten-Firmware, Industriespionage, Big-Data-Analysen ganzer Bevölkerungen. An der Politik vorbei und erst recht am Bürger vorbei.

Nundenn. Schwamm drüber. Wir können Euch eh nicht zur Verantwortung ziehen. Seien wir praktisch. Nennen wir es ein Experiment. Die ganzen Überwachungsbefugnisse, die ihr immer wieder fordert und nur zu 90 Prozent bekommt, habt Ihr Euch heimlich zu 99 Prozent gesichert. Wir sehen also heute das Ergebnis, wenn jeder Politiker auf der ganzen Welt immer nur „Ja“ zu euch gesagt hätte.

Und was ist das Ergebnis? ISIS taucht aus dem Nichts auf und setzt die lustigen kleinen Gadgets ein, auf die ihr Eure kleinen lustigen Wanzen installiert habt, und lockt Teenager in den Krieg. Knastbrüder — und zwar exakt die Sorte, die ihr so gerne im Auge habt –  marschieren mit automatischen Waffen durch europäische Städte. Flugzeuge verschwinden und irgendjemand in einem Wohnzimmer in Großbritannien wertet Luftbilder aus, um ein wenig mehr Infos zu bekommen als durch die Propagandakanäle dringt. Und 14jährige in Syrien filmen, was wir sonst nie erfahren würden.

Mal ehrlich: Ist das Experiment gelungen? Seid ihr mit den Ergebnissen wirklich so zufrieden? Meint ihr wirklich, ihr habt mehr vorzuweisen als — verzeiht die Metapher — einen Großflughafen ohne Passagiere und Eröffnungsdatum? War es das, ist es das wirklich wert?

Bad Data

Es ist eine von vielen Stories, die heute zum Thema big data verbreitet werden. Spotify weiß, welche Musik läuft, wenn Du Sex hast. Ach was? Leute speichern Playlists unter Titeln wie „Sex“ oder „Love“ ab und schon hat der mächtige Cloud-Anbieter einen Blick in unser Schafzimmer geworfen. Denn wie einst Kästner fomulierte: „Wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!“

Sorry, aber das ist kein big data, das ist big bullshit. Als Spotify-User kann ich versichern: Die Cloud hat keinerlei Ahnung, welche Musik ich mag und was ich dabei mache. Ich muss schon mindestens zehn Titel vorgeben, damit Spotify annehmbare Vorschläge auf die Playlist setzt. Das kann auch ein besoffener 20-jähriger, der nicht weiß, auf welcher Party er grade gelandet ist und plötzlich vor dem iTunes-Computer sitzt. Spiel die Titel, die jeder kennt. Wenn sich jemand beschwert, klick weiter. Unterdessen empfiehlt mir Spotify die tolle Schunkel-Karnevals-Playliste. Go figure.

Schubladendenken und Golden Oldies

Ich will nicht leugnen, dass Facebook, Google und Co eine Menge über mich herausfinden können. Simples Beispiel: Ich hab Facebook nie gesagt, dass ich heterosexuell bin. Trotzdem bekam ich lauter Single-Frauen-Dating-Scams angezeigt. Aber das war auch schon die höchste Annäherung, die Facebook an mein persönliches Interessenprofil geschafft hat. Ich musste über ein halbes Jahr jeden einzelnen Anbieter von Dating-Apps mehrfach als unerwünscht wegklicken, damit das endlich aufhörte.

Nach den ersten drei unerwünschten Anbietern hätte die allwissende Facebook-Cloud erkennen können: Der Torsten mag keine Dating-Apps. Doch warum sollte Facebook das machen? Die Dating-Börsen bezahlen gut, dass ihre Werbung angezeigt wird. Und wenn Facebook vermeintliche Interessenten streicht, dann werben die Börsen halt im Fernsehen.

Heute zeigt mir Facebook im wesentlichen Werbung für Produkte an, die ich mir vorher schon auf Amazon angesehen habe. Und für einen Kabel-Anbieter, der meine Wohngegend nicht bedient. Ab und zu eine Werbung für Autos — und ich werde in den kommenden fünf Jahren keinen Neuwagen kaufen — oder für Eigentumswohnungen in Monschau. Damit verdient Facebook ein paar Euro im Jahr. Die Inserenten haben das Geld jedoch rausgeschmissen.

In guten Daten ist kein Geschäft

Google ist nicht wesentlich mehr an mir interessiert. Bei Google+ werden mir die doofsten Verschwörungstheorien und die schmalzigsten HDR-Fotografien in die Timeline gespült. Einer der erste Kategorien der YouTube-Startseite ist „Erneut ansehen“, die mir Videos empfiehlt, die ich schon angesehen habe. Wiederholungen als Erfolgsmodell, Olden Goldies. Der Rest bezieht sich auf eine simple Titelauswertung. Ich habe ein Video mit Jim Fallon gesehen? Hier sind weitere Video im Fallon.

Das Interesse von Google an meiner Person ist weitgehend erschöpft, wenn mein Werbeprofil ausgefüllt ist. Welcher Altersgruppe gehöre ich an? Welche vermarktbare Themengebiete interessieren mich? Welche Sprache spreche ich und in welcher Metropolregion lebe ich? Genauer wird es nicht. Dabei könnte Google dank GPS genau wissen, wo ich tatsächlich einkaufe. Doch wer sollte Google dafür bezahlen?

Es ist ein Paradoxon: Facebook, Google und Co wollen mich mit Daten möglichst genau erfassen. Doch ihr Geld verdienen sie damit, mich möglichst ungenau zu kennen. Sonst könnte man mir ja nichts verkaufen. Über mein Datenprofil wird ein Weichzeichner gelegt, der mich unkenntlich macht. Ob privat-kommerziell oder staatlich: Die Technik mag big data sein, das Geschäftsmodell ist aber bad data.

Big government

Gerade im staatlichen Bereich ist der Umgang mit big data oft noch schlimmer. Denn hier gibt es nicht einmal die Kontrolle durch den Markt der Werbekunden. Bestes Beispiel sind die berühmten No-Fly-Listen und die Einreisekontrollen an Flughäfen. Eine von vielen Anekdoten kam diese Woche an die Öffentlichkeit: Ein Niederländer wird als Verdächtiger eingestuft und gleich zweifach verhört und durchsucht, weil er sein Einreiseformular aus Jordanien bearbeitet habe. Wahrscheinliche Erklärung: die US-Behörden haben die IP-Adresse falsch zugeordnet.

Was diesen Vorfall von Tausenden ähnlicher Vorfälle unterscheidet: Die Behörden ließen sich in die Karten sehen, was denn der Verdachtsmoment gewesen sein mag. Eine formelle Überprüfung, warum die Grenzschützer daneben lagen, wird es wohl nicht geben. Ein Reisender ist als Risiko eingestuft worden, in der Statistik wird ein Niederländer als potenzieller Terrorist auftauchen, sodass der Austausch von Fluggastdaten unbedingt notwendig erscheint. Der Fahndungs-Fehlschlag war aus statistischer Sicht ein Erfolg.

Wer viele Daten hat, so heißt es oft, hat heute die Macht. Doch mächtiger ist, der die Daten auslegen kann, wie es ihm grade in den Kram passt.

Eilmeldungsrausch

Als ich die Meldung von einem Anschlag auf die Redaktion eines französischen Satire-Magazins mit mehr als 10 Toten las, habe ich mich entschlossen, Twitter erst Mal eine Stunde sein zu lassen. Eine Stunde später sieht es aus, als ob ich es besser noch eine Stunde sein zu lassen.

Ich war, ich bin ein Newsjunkie. Ich kenne den Rausch sehr gut, wenn man sich von einer Meldung zur nächsten hangelt, wenn man das Puzzle des Unbegreiflichen Stück für Stück zusammensetzt und schließlich zu einem Bild gelangt, mit dem man umgehen kann. Doch das Bild ist immer falsch. Oder es besteht aus gerade mal vier Puzzleteilen.

In der ersten Stunde nach einer solchen Katastrophe weiß eigentlich niemand genaues. Die ersten Opferzahlen sind immer falsch. Liveschaltungen nach Paris können nur zu Tage fördern, was über die Agenturticker gelaufen ist. Dazu ein wenig Hintergrund, der auch in der Wikipedia steht. Zu schnell.

Aus der Wahrscheinlichkeit, dass es sich um islamistische Angreifer handelt, ist auf Twitter eine Gewissheit geworden. Schließlich gab es zuvor Anschläge und der letzte Tweet aus der Redaktion zeigte den Anführer der IS. Das kann doch kein Zufall sein. Wahrscheinlich ist es das auch nicht. Irgendjemand hat ein Video verbreitet, das die Erschießung eines Polizisten zeigt. Ich hab es nicht geklickt, will es auch nicht klicken. Noch eine Stunde Pause. Oder zwei.

Willkommen in Gotham

In diesem Blog war es in den vergangenen Monaten etwas ruhig — gelinde gesagt. Ein Grund: Ich wollte mal etwas Neues ausprobieren. Und das könnt ihr nun lesen. Es ist ein neues Blog und heißt „Willkommen in Gotham„. Das Thema: New York.

Keine Bange, ich werde Euch nicht mit meinen tollen Fotos von meinem 10-Tages-Trip nach New York nerven, ich werde nicht Dutzende von Street-Art-Bildern posten, die ich dort an jeder Ecke sah. Denn ich war noch niemals in New York. Ich war nicht mal in den USA. Und dennoch kenne ich New York. Einst habe ich Friends verschlungen, ich habe neun Jahre Colbert Report gesehen, ich kenne jede Folge von This American Life und vom Podcast The Bowery Boys. Glaube ich deshalb schon, ich kenne New York? Aber ja.

Ich verfolge mit dem Projekt eine einfache These: Die Realität bildet sich in unseren Fiktionen von ihr ab. Und diese Fiktionen beeinflussen wieder die Realität. Kann man also aus den Fiktionen die nackte Realität wieder herausdestillieren? Natürlich nicht. Und: Ja, klar. Einen Teil der Realität. Ein Lebensgefühl. Tausende kleiner Details. Klischees sind geronnene Realität.

Es ist ein kleines Experiment, das ich nun wage. Wer mich kennt, weiß dass ich auch an Fiktionen mit erstaunlichem Ernst herangehe. Und in unserem Kulturkreis ist New York nun einmal die unbestrittene Hauptstadt der Geschichten, der Kulminationspunkt von Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft. Statt nun darüber zu diskutieren, wie doof die letzte Folge von HIMYM war, welche Charakter in CSI NY der attraktivste ist oder welcher der Peniswitze von Two Broke Girls lustiger war als die anderen, will ich sehen, was sich mehr mit den Fiktionen anstellen lässt.

Wohin die Reise geht weiß ich nicht. Falls ihr über die Feiertage Zeit und Lust habt, lest mal rein. Die ersten drei Texte sind nun online:

Have fun.

Reden wir über Google — und alle anderen

Was mich bei der ganzen „Zerschlagt Google!“-Diskussion überrascht ist, dass niemand einen überzeugenden Grund vorbringen kann, wo a) Google seine Macht derzeit tatsächlich schon missbraucht und was b) eine Abtrennung der Suche an dem vermeintlichen Missbrauch ändern würde.

Nachdem dutzendweise Startups mit eigenen Websuchen aufgemacht haben, wissen wir zweierlei: Google verhindert den Markteinstieg von Konkurrenten nicht. Und: Diese sind gnadenlos unterlegen, sofern sie nicht auf Google-Ergebnisse zugreifen. Ein simpler Algorithmus und eine Datenbank reichen eben nicht aus um eine Websuche zu bauen, mit der man heutzutage arbeiten will. Microsofts Bing illustriert das meiner Meinung nach besonders schön. Der Dienst mag in den USA konkurrenzfähige Erlebnisse liefern, in Deutschland tut er es nicht. Wir haben also Marktzutrittsschranken, die die Marktmacht der Google-Suche ohne wettbewerbswidriges Verhalten erklären können.

Klar: Google hat seine Marktmacht ausgenutzt

Google ist keineswegs heilig zu sprechen und der Konzern hat in meinen Augen mehrmals seine Marktmacht bei der Suche genutzt, um in andere Märkte vorzudringen. Das Debakel um die bezahlte Produktsuchmaschine? Eindeutig ein Fall für die Kartellwächter. Die Promotion des Google-Browsers Chrome auf der Startseite? Fragwürdig. Trotzdem war Google durchweg besser als die Konkurrenz. Zwar hat Chrome Google-Suchdienste eingebaut, doch der Konzern musste von niemandem verpflichtet werden, auch Konkurrenzdienste zu ermöglichen. Und Chrome wird sogar von direkten Google-Konkurrenten umgebaut.

Die Beweisführung erschöpft sich meist in hierzulande großmäulig erscheinenden Aussagen von Sergej Brin oder Eric Schmidt. Dann gibt es die Beschwerden von Firmen, die meinen Google schulde ihnen Geld oder sie hätten ein Anrecht auf den ersten Platz in der Google-Suche. Doch eine echte Marktanalyse fehlt. Und eine Folgenabschätzung, wenn man Datensammlung und Datenverknüpfungen generell verbieten will. Dass man alle Navigationssysteme zehn Jahre nach hinten werfen würde, wäre nur die erste Folge. Wer vermisst ernsthaft Stadtplandienste, die sich über Abmahnungen finanzierten?

Die Plattform hat sich geändert

Die Debatte um einen Missbrauch der Google-Suche ist mindestens fünf Jahre zu spät — heute spielt die Musik längst in anderen Bereichen. Android ist die Power-Plattform Googles, die in alle mögliche Geräteklassen vordringen soll. Und auch bei seinem Mobilbetriebssystem hatte Google seine Marktmacht für sich genutzt — der hauseigene App-Werbedienst wurde bevorzugt.

Dass Google Adblock aus seinem App-Store geworfen hat, weckt natürlich Misstrauen. Doch Google hätte recht — wenn Google sich zu solchen Fragen äußern würde — wenn sie ins Felde führten, dass die Werbeblocker anderen Apps ins Gehege kamen. Als Plattformbetreiber konnte sich Google nur zwischen den App-Entwicklern entscheiden, die ihre Apps durch Werbung — und zwar nicht nur durch Google-Werbung — finanzieren wollten und den Adblockern.

Im Chrome-Webstore hingegen sind die Adblocker noch erhältlich und filtern zum Beispiel Werbung aus YouTube-Videos heraus. (Der Vertrag mit Adblock Plus ist natürlich auch ein Fall für Wettbewerbs- und Kartellrecht, aber da nach mehreren lautstarken Ankündigungen bisher kein Verfahren eingeleitet wurde, gehe ich davon aus, dass auch hier Google auf der legalen Seite ist.)

Jeder macht es

Wenn man Google brechen will, kann man nicht alleine Google regulieren. Denn der Konzern macht in seinem Geschäftsbetrieb fast nichts, was nicht andere auch machen — und das erheblich dreister. Google-Anzeigen kann man besser abschalten als andere, sie sind weniger neugierig als Facebook und Co, sie sind in der Regel auch unaufdringlicher. Der Zwang zur eigenen Plattform? Apple ist fünf Mal schlimmer. Und selbst europäische Unternehmen schöpfen Nutzerdaten ab, wo sie es nur können. Die Verkehrsdurchsage im Radio (und in Apps) basiert heute zum Teil darauf, dass Handies ihren Standort ständig in die Zentrale funken und zum Beispiel von Vodafone ausgewertet werden.

Die Marktmacht macht Google zum Sonderfall, aber die Bereitwilligkeit des Konzerns auf staatliche Einschränkungen einzugehen lässt den Kartellwächtern keinen Raum die ganz großen Geschütze auszupacken. Die deutsche Regierung wollte kein nutzbares Streetview, also hat Google aufgehört. Auf YouTube soll Urheberrecht vor Meinungsfreiheit gehen? Google implementiert ein Löschprogramm. Was immer die Staaten wollten, Google hat fast immer gekuscht. Bis fast keine einzige nachvollziehbare Forderung mehr übrig blieb.

Google baut seine Plattform, regulieren wir sie. Und zwar so, dass sich auch Facebook, die Telekom, Vodafone, Samsung, Unity Media, Lenovo, Kabel Deutschland, United Internet, Amazon, Rocket Internet und sogar Threema sich an die Regeln halten müssen. Und natürlich die Staaten, die in Sachen Offenheit meilenweit hinter Google hinterherhinken. Falls sie überhaupt in die Richtung gehen.

Fleißbildchen

Audible verleiht nun auch Fleißbildchen. Da ich nachts nicht schlafen konnte und mich von Sherlock Holmes einschläfern lassen wollte, habe ich nun ein Nachteulen-Abzeichen. Es gibt sogar ein Abzeichen dafür, dass man sich oft die Statistiken anguckt.

2014-11-23

Tomorrow’s just your future yesterday

Ich mag es ja auf dem legalen Weg zu bleiben. Wenn ich Stephen Colbert oder Jon Stewart sehen will, muss ich zur Zeit über einen Proxy gehen, weil Comedy Central die Videos für Deutschland blockiert — obwohl hier niemand anderes hierzulande die Senderechte aufgekauft hat. Trotzdem kann ich auf YouTube eine Late Night Show gucken, die nicht ständig gelöscht wird. Die sogar offiziell kostenlos veröffentlicht wird. Zumindest noch ein paar Tage.

Craig Ferguson hat mit der „Late Late Show“ auf CBS ein kleines Kunstwerk geschaffen, ein Biotop der Spontaneität. Abend für Abend tritt der Ex-Punk, trockene Alkoholiker und Standup-Comedian Craig Ferguson auf seine kleine Bühne in Los Angeles und dekonstruiert die Late-Night-Show. Statt eines Sidekicks hat er sich ein schwules Geister-Skelett auf die Bühne gestellt, dazu hat er zwei Schauspieler in ein Pferdekostüm gesteckt, die zu seinen Dialogen mit dem Roboterskelett nicken oder gar tanzen müssen.

Sein Theme-Song ist Programm:

Lifes too short to worry about the things that you can live without
And I regret to say the morning light is hours away
The world can be such a fright but it belongs to us tonight
What’s the point of going to bed? You look so lovely when your eyes are red
Tomorrow’s just your future yesterday

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Boner Pills und TBBT

Craig scherzt oft darüber, dass er machen könne, was er wolle, weil die Verantwortlichen von CBS niemals die Sendung einschalten. Was nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Sein Umgang mit den Zuschauern, die er gerne zu Beginn auf die Bühne bittet, schrammt scharf am Todesurteil in L.A.: „inappropriate“. Wenn es Zeit für eine Werbepause ist, sagt er, dass es nun ein paar Botschaften der Hersteller von „boner pills“ gäbe. Und seine Kommentare zu CBS legen den Schluss nahe, dass es sich bei den Verantwortlichen um geizige Idioten handelt, die keine Ahnung haben. Neun lange Jahre lang hat er trotzdem für sie gearbeitet.

Den Freiraum nutzte er auch im Umgang mit seinen prominenten Gästen. Die Late Late Show ist sozusagen die kleine Schwester von David Lettermans Late Show, die in New York aufgezeichnet wird. Craig hingegen sendet aus L.A, dem Mekka der Phonies, der Wichtigtuer, der Nichtskönner in tollen Schuhen. Aber wer sich bei Craig bewährt, darf vielleicht auch zu Letterman.

https://www.youtube.com/watch?v=EgxRdcKFNW4

Dazu legt er aber die Latte ein wenig höher. Weibliche Gäste müssen mit sexuell aufgeladenen Witzen klarkommen, Männer müssen sich ihre Oberflächlichkeit vorhalten lassen. Sort of scherzhaft. Oder nicht? Deshalb kommen zu Craig im wesentlichen die Schauspieler, die keinen Oscar bekommen, sondern die im Programm von CBS auftreten. Oder die Spaß an Craig haben. Mit Charme und Talent hat Craig trotzdem die unsichtbare Status-Leiter erklommen. So hoch die Leiter eben reichte. Sandra Bullock kommt. Kate Blanchett nicht.

10 Prozent mehr Craig

Wie sehr sich Craig in den letzten Jahren gezügelt hat, wird jetzt erst richtig klar. Denn er hört auf. Sein Chef David Letterman hat Stephen Colbert als Nachfolger gewählt. Und Craig hat genug. Wie sehr er genug hat, zeigt er in den letzten Episoden. Ausgiebig erzählt er, wie satt er es hat, Hollywood-Sternchen zu interviewen, denen er zu ihren Schuhen gratulieren musste, weil sie nichts zu sagen hatten. Heute zum Beispiel sah ich die Episode mit Simon Helberg, der eigentlich dauernd bei Craig zu Gast war, weil er in „The Big Bang Theory“ auftritt, einer Co-Production zu „Two and a half men“ und auf Sendung bei CBS.

Während sich Craig immer bemüht ist, seine Gäste gut aussehen zu lassen, hat er nun ein wenig mehr aufgedreht. Sagen wir: Zehn Prozent. Doch das ist eindeutig zu viel für Simon Helberg, der eigentlich nur gekommen ist, um über seinen neuen, lausigen zu Film. Dafür hat Simon alles gemacht, was Los Angeles und Late Night von ihm erwartet: Er hat eine Anekdote über seine Frau mitgebracht, die wegen ihrer veganen Ernährung nun Proteine nachtankt, indem sie Pfannkuchen aus Insektenmehl serviert. Er hat ein paar witzige Zeilen aufschreiben lassen. Und er hat Craigs konfusen Monolog aufmerksam zugehört.

Craig spielt zwar noch den Stichwortgeber. „Ground up crickets? What? That’s like the opposite of being a vegan“, schreit er. Aber dann. Erst spricht er über Cricket, dann über Kinder, Porno, Kim Kardashian, die Tiefen des Ehelebens, die Ambiguität des Wortes „Ho/Whore“, Champagner und dann ist eigentlich Zeit zum nächsten Gast überzugehen. Simon Helberg pariert, so gut er kann, und bricht schließlich zusammen: „Craig, I need a friend“. Und als Craig weitermacht und über seinen Alkohismus spricht, baut er schließlich ein Brücke zu Helbergs neuem Film und fragt nach der Familie. Zu spät. Boner-Pills-Werbepause.

http://youtu.be/vvt2zaalmiA?t=16m45s

Schließlich beugt sich Craig zu Helberg rüber und flüstert ihm etwas ins Ohr. Und dann kann der Phoney endlich seinen Plug, seine Eigenwerbung für seinen Film endlich loswerden. Craig hat nur 10 Prozent aufgedreht. Als Conan O’Brien seine Talkshow verlor, demolierte er das Studio. Craig geht freiwillig. Aber dennoch: Die nächsten oder genauer: die letzten — Ausgaben werden lustig.

Threemas gesamtheitliche Privatsphäre

Ich habe gestern eine Pressemitteilung von den Herstellern von Threema erhalten. Titel: „Nur Threema mit gesamtheitlichem Schutz der Privatsphäre“. Darin betonen die Autoren, dass WhatsApp trotz der Einführung von End-zu-End-Verschlüsselung in Sachen Datensicherheit keine ernsthafte Konkurrenz zu Threema ist. Einer der Punkte: „Informationen über Kontakte und Beziehungsnetze der Nutzer werden weiterhin zum US-amerikanischen Anbieter übertragen und können dort ausgewertet werden.“

Da ich die gleiche Pressemitteilung an gleich drei verschiedene E-Mail-Adressen geschickt bekommen hatte, antwortete ich an die Absendeadresse mit der Bitte nur noch eine Adresse zu verwenden.

threema-mailingliste

Was ich nicht wusste: Der Absender war nicht etwa das Postfach des Unternehmenssprechers, sondern eine offene Mailingliste. Ergebnis: Jeder Journalist, der je mit Threema kommuniziert hatte, bekam meine E-Mail kommentarlos weitergeleitet. Seit gestern habe ich deshalb über 60 Mails von Kollegen bekommen, die sich mal wundern, warum sie die E-Mail bekamen, Ratschläge wie ich meinen E-Mail-Client richtig bediene und dringliche Bitten sie sofort von der Liste zu streichen!!! Immerhin: die allermeisten nutzten nicht den Reply-All-Knopf, so dass eine E-Mail-Kaskade wie beim berühmten Kürschnergate ausblieb.

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Für Threema hingegen ist das natürlich ein Schuss ins Kontor. Zwar wurde die Mailingliste wohl relativ schnell abgedichtet und am Abend bekam ich auch eine sehr knappe Entschuldigung des Pressesprechers — aber sicheres Kommunikationsverhalten ist kein isolierter Zustand, sondern verlangt „gesamtheitliches“ Vorgehen. Die ausgefuchsteste Verschlüsselung kann zunichte gemacht werden, wenn jemand einen zentralen Schalter falsch bedient, eine Konfigurationsoption falsch verstanden hat oder ganz einfach nicht weiß, wie er seine Arbeitsmittel bedienen soll.

Die Abschaffung der Netzneutralität lohnt sich nicht

Jetzt wo das Leistungsschutzrecht gekentert ist, sollte die Realität den Providern und den Regulierern schnell ein Telegramm schicken: Die Abschaffung der Netzneutralität wird kaum Geld einbringen. Sicher: Ein paar Millionen von Netflix und anderen sind drin. Mehr jedoch auf Dauer nicht. Und wie viel Geld wird benötigt, um den notwendigen Netzaufbau zu finanzieren? Mehr als nur ein paar Milliarden.

Ähnliches dachte ich auch zum Leistungsschutzrecht und habe weitgehend geschwiegen. Weil: Ich dachte, dass die Verlage, diese Jahrzehnte alten, mit allen Wassern der Betriebswirtschaft gewaschenen Konzerne schon wissen, was sie tun. Und dass sie etwas in der Hinterhand haben, was ich nicht sehe, weil ich zwar Volkswirt, aber nicht Betriebswirt bin und keinen Einblick in die internen Unterlagen habe. Ich hatte unrecht zu schweigen, weil ich recht hatte. Das Leistungsschutzrecht lohnt sich nicht, verpufft im Nichts. Ebenso wie die hehren Pläne zur Abschaffung der Netzneutralität verpuffen werden.

Goldmedaille im Adblocken

Auch die Politik sollte das zur Kenntnis nehmen: Wenn man den Providern Regulierungsferien gibt und sie in Sachen Netzneutralität tun dürfen, was immer sie wollen — Google wird nicht für den Breitbandausbau Deutschlands zahlen. Wir mögen zwar eine große stolze Industrienation sein, aber wir sind ebenfalls einer der Marktführer von Adblockern. Wie viel Prozent seines Quartalsgewinns von 2,81 Milliarden US-Dollar soll Google nach Deutschland transferieren für die Ehre so viel weniger Leute zu erreichen als in Amerika, Indien, China? Zehn Prozent? Träumt weiter. Und wären es zehn Prozent, bräuchten wir immer noch 100 Jahre den Netzausbau zu finanzieren, den andere Länder heute schon haben.

Doch wie gesagt — es wird nicht mal die 10 Prozent geben. Ein Grund dafür ist das Kartellrecht, das die Verlage so vergeblich anriefen, und das auch immer mitschwingt, wenn von den Milliardenkonzernen im Silicon Valley die Rede ist. Denn das Kartellrecht ist ein zweiseitiges Schwert. Fast jeder Provider baut hierzulande seine eigene Videoverteilplattform auf. Andere Videoverteilplattformen abzukassieren ist damit zwar nicht ganz unmöglich, aber es besteht Erklärungsbedarf. Man kann Netflix nicht 10 Euro pro Gigabyte in Rechnung stellen, wenn der eigene Videodienst pro Gigabyte nur 10 Cent einbringt.

Indifferente Preisdifferenzierung

Die Tarife nach dem Muster „zahle 10 Euro mehr um Facebook zu empfangen“, die Netzneutralitätsbefürworter seit Jahren an die Wand malen, werden nicht kommen. Die Telekom wusste meiner Meinung nach ganz genau, warum sie eben den Umweg über eine Trafficbegrenzung suchte, die eben nicht nach Diensten differenziert. Ein Tarif, der Facebook, Google, Apple blockiert, würde weder von den Kunden, noch von den Regulierern geduldet. Nicht erst TTIP würde eine solch schamlose Ungleichbehandlung verhindern. Die Telekom wusste allerdings nicht genug, um sich diese erste enorme Blamage samt Rolle rückwärts zu ersparen. Wie viele werden noch folgen?

Sehen wir der Realität ins Gericht: Wenn mehr Geld reinkommen muss, um den Netzausbau zu finanzieren, dann werden wir Kunden zahlen müssen — entweder über die monatliche Rechnung oder über Steuergelder. Die Frage ist: Kaufen wir Infrastruktur oder ein monatliches Bundesliga-Online-Abo mit Spotify-Anbindung. Das auch in fünf Jahren jeden Monat extra kosten wird.

#postpiracy

  1. „Ideologiefrei“ ist doch eine Ideologie.
  2. Wer ein System revolutionieren will, sollte es kennen. Oder wird es kennenlernen.
  3. Laute Menschen werden gewählt. Wählt keine lauten Menschen. Oder nicht zu viele.
  4. Politik ist die Kunst Kompromisse und Allianzen zu schmieden.
  5. Politik verändert Menschen. Manche bleiben auch sie selbst, werden nur mehr von sich selbst.
  6. Nicht jeder Mitbewerber ist ein Feind. Keiner ist ein Freund.
  7. Wähler sind undankbar, Medien um so mehr.
  8. Die meisten Menschen sind keine Nazis. Manche um so mehr. Versucht den Unterschied zu erkennen.
  9. Wenn ein Jahr Sacharbeit im Orkus verschwindet, hast Du ein Jahr Sacharbeit gewonnen.
  10. Twitter ist ein lausiges Plenum.