Gedanken zum Schwurbeln

Die Pandemie hat viele Worte in den allgemeinen Wortschatz gespült: Inzidenzquote, Kuschelkontakt, Brauchtumszone. Viele davon werden hoffentlich mit der Pandemie verschwinden, einige werden bleiben. Dazu gehört das Wort „Schwurbeln“, das insbesondere auf die sogenannten Querdenker angewendet wird.

Im Duden steht das Wort bereits: „verschwurbelt reden; Unsinn erzählen“ – umgangssprachlich abwertend. Aber wie ein Gewitter über der Ebene hat der Begriff in den vergangenen zwei Jahren neue Energie gewonnen, einen eigenen Charakter entwickelt. Wir verstehen das Wort heute wesentlich spezifischer als früher. Also: Was heißt Schwurbeln eigentlich heute? Hier einige meiner Gedanken.

  • Schwurbeln ist eine Form des destruktiven Diskurses. Es dient nicht dem Erkenntnisgewinn, sondern lässt alle Beteiligten im Zweifel ratloser zurück.
  • Schwurbeln basiert nicht einfach auf einem Missverständnis. Wer zum Beispiel nicht verstanden hat, wie der Treibhauseffekt funktioniert und deshalb auf Nachfrage völlig falsch erklärt, was denn die Gründe für Klimaerwärmung sind, ist nach meinem neuen Wortverständnis kein Schwurbler. Er oder sie mag zeitweise so klingen, aber Ignoranz und gezielte Ignoranz sind zwei Paar Schuhe.
  • Schwurbeln ist ein performativer Akt. Es geht nicht darum, gemeinsam ein Thema zu ergründen, sondern darum, das Gegenüber mit Worten zu überrennen. Es geht nicht darum, Fakten auszudrücken, sondern einen Gemütszustand zu inszenieren.
  • Lagerdenken ist üblich, bei Schwurblern ist es besonders ausgeprägt. Zum einen unterstützen sie jeden, der zum erwünschten Ergebnis kommt. Diese Solidarität reicht aber nur so weit, wie sie unmittelbar nützlich ist. Wer anderer Meinung ist, soll auch Leute widerlegen, die an Echsenmenschen glauben. Man selbst muss sich jedoch mit überhaupt kein Argument befassen, dass irgendwie mit dem als gegnerisch wahrgenommenen Lager verknüpft ist.
  • Schwurbler zeichnen sich durch besondere Beliebigkeit aus. Sie können in einem langen Vortrag Zitate von Sun Tsu, Karl Marx, Henry Ford, Winston Churchill, George Orwell und Richard David Precht unterbringen — als ob diese einen gemeinsamen Weltgeist verkörpern. Es ist kein Wunder, dass diese Zitate oft frei erfunden und immer vom Kontext entkernt sind.
  • Wie zwischen historischen Promis wechseln Schwurbler auch zwischen Gedankenschulen. Sie können von anarchistischem Gedankengut zur Esoterik und dann sofort zu klar faschistischem Gedankengut springen. Wenn das Gegenüber nicht darauf anspringt, wechselt man halt zum nächsten Argument, oder besser: zum nächsten Slogan. Denn selten machen Schwurbler den Eindruck, dass sie wirklich verstanden haben, woher diese Gedankenfetzen stammen. Wer versucht, diesen Kontext wiederherzustellen, verfehlt in den Augen des Schwurblers den Punkt.
  • Die Verweigerung des Diskurses geht bis hinunter auf die Wortebene. Ein richtiger Schwurbler kann sich sogar darauf versteifen, dass Wasser nicht nass ist. Aber diese Umdeutungen haben ein Muster. Worte haben keine klaren Definitionen mehr, aber sie haben einen Klang. Notzulassung. Natürlich. Experiment. Heilung. Pharma. Freiheit. Jedes Wort ist Schwarz oder Weiß und das ist auch seine zentrale Bedeutung.
  • Schwurbler stellen viele Fragen, aber nicht, um Antworten zu erhalten. Es ist eine Inszenierung: Wir können gar nicht alles wissen, deswegen müssen wir die Wahrheit in unserem Bauchgefühl suchen. Alles andere ist zum Scheitern verurteilt, eine Anmaßung.
  • Zuletzt: Schwurbeln hat eine dunkle Seite. Wer frisch verliebt oder hoffnungslos bekifft ist und in der Euphorie viele der oben geschilderten Charakteristiken aufweist, wird allenfalls rumspinnen, fantasieren, fabulieren oder wirres Zeug reden. Als Schwurbler hat man eine Agenda, selbst wenn man sie selbst nicht kennt oder artikulieren kann.