Ich war ein wenig überrascht, über die empörte Diskussion über die Google-Neuerwerbung Nest, die Heizungssteuerungen und Feuermelder für Hipster vertreibt. Sicher: Der Preis ist so hoch, dass Google wahrscheinlich einen Plan hat, wie dieses Startup noch mehr Geld einbringen soll. Einen Paradigmenwechsel sehe ich ausgerechnet dieser Akquisition nicht. Zum einen: Wer kauft diese teuren Nest-Sensoren, wenn beim Lebensmitteldiscounter nebenan seit Jahren elektronische Heizungssteuerungen zum Billigpreis verkauft werden? Die haben zwar keine App, sparen aber mit ein paar vorgefertigten Nutzerprofilen fast genau so viel.
Zum anderen: Google kommt mit Nest nicht in unser Schlafzimmer — wie zum Beispiel Spiegel Online nahelegte — da ist Google längst. Wenn wir wirklich die Prämisse anlegen, dass Google alle unsere Daten sammelt und Querverbindungen herstellt, weiß Google längst Bescheid: Wann immer wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung überschreiten, wenn wir eine Affäre haben, wenn wir nach Symptomen einer sexuell übertragbaren Krankheit suchen.
Das ist natürlich eine naive Ansicht — gerade die NSA-Affäre hat gelehrt, dass im Datengeschäft Paranoia ein Erfolgsfaktor ist. Freilich: Der Erfolg des Datengeschäfts bemisst sich derzeit nicht vorrangig nach wirklich korrekt erfassten Sachverhalten oder eingetroffenen Prognosen. Der wichtigste Erfolg ist, dass man ein Ergebnis liefert. Wenn Google Sich als Lebensversicherungsinteressierten Pizza-Junkie identfiziert hat, fließt das Geld. Bist Du keiner, sinkt der Preis mit der Zeit etwas. Aber eine Milliarde Android-Handies gleichen das leicht aus. Gleiches gilt für die NSA und die anderen Schnüffeldienste. Wer Terroralarme produziert, die No-Fly-Listen gut gefüllt hält und ab und an Gesprächsprotokolle hervorzaubert, hat seine Milliarden sicher. Zerschmettert man auf dem Weg noch ein paar Zentrifugen im Iran, sind Ressourcen eigentlich keine Frage mehr. Aber ich schweife ab.
Google weiß alles, aber es petzt nicht?
Zurück zu Google. Sollen wir weitermachen unter der Prämisse: „Google weiß alles, aber es petzt nicht! Zumindest nicht gegenüber meinen Freunden und meinem Chef.“ Oder sollen wir eine andere Prämisse heranziehen? Zum Beispiel: Google ist Datendienstleister. Demnach verarbeitet Google Daten nicht als Selbstzweck, sondern als Dienstleistung. Eine Dienstleistung an die Werbewirtschaft und eine Dienstleistung an uns, den Kunden, die die vielen Dienste von Google nutzen, die Websuche mit „googeln“ übersetzen, die ein Android-Gerät in der Hosentasche tragen und schon bald im Lenkrad.
Doch wenn Google unser Datendienstleister ist, dann gehören die Daten weiterhin uns. Und wir sollten darauf achten, dass sie uns weiter gehören. Absolute informationelle Selbstbestimmung ist dabei illusorisch, denn mit hundertprozentig individualisierten Daten lässt sich nun mal wenig anfangen. Dadurch, dass viele andere ihren Standort ständig an die Google-Zentrale melden, bekomme ich einen recht guten Eindruck von Staus auf Autobahnen und kann meine Ankunftszeit besser kalkulieren. Dadurch, dass alle ein wenig Kontrolle abgeben, können alle profitieren.
Doch in anderen Bereichen ist der Gemeinschaftsnutzen gering, die individuelle Datenlast jedoch enorm. Ich bin wahrhaftig kein Streetview-Bilderstürmer — aber wäre es wirklich zuviel verlangt, wenn jede der kleinen Kameras einen kleinen Objektivdeckel haben müsste? Die EU hat auch durchgesetzt, dass iPods eine gewisse Lautstärke zumindest in der Voreinstellung nicht überschreiten dürfen — ein kleiner lichtundurchdringlicher Schieber vor den Mini-Objektiven wäre in meiner laienhaften Sicht kein größerer Eingriff.
Aggregierte Daten für alle
Wo Datenvermeidung nicht praktikabel ist und die Kontrollen der Weiterverwendung der Daten nicht praktisch durchführbar ist, muss die Allgemeinheit auf ihren Daten bestehen. Nicht nur sollten die aggregierten Daten zum potenziellen Nutzen aller veröffentlicht werden — von den Google-Verkehrsmeldungen sollten auch Nicht-Google-Kunden profitieren. Sie müssen eh mit anderen Informationen abgeglichen werden um wirklich nützlich zu sein.
Wichtiger jedoch: Wir sollten auf die Existenz von offenen Schnittstellen, auf APIs bestehen. Wenn ich ein Android-Handy habe, will ich nicht nur auf Google-Dienste angewiesen sein und wer Google-Dienste nutzen will, sollte dies auch uneingeschränkt auf anderen Geräten machen können. Google hat hier weniger Arbeit vor sich als viele Konkurrenten — schließlich bietet der Konzern über sein Dashbord schon lange die Möglichkeit viele Daten zu exportieren und bietet ebenfalls zahlreiche APIs an. Doch gerade im vergangenen Jahr hat Google die Offenheit teilweise erheblich zurückgefahren. Wer legal Google Maps nutzen will, muss zahlreiche andere Bedingungen erfüllen, der Streit um YouTube für Microsoft-Smartphones war peinlich für beide Seiten. Und das detaillierte Rechte-Management auf Android funktioniert nur noch nach der Methode: Friss oder stirb.
Die gute Nachricht für Google: Sie werden unter verordneter Offenheit weniger zu leiden haben als Apple, Microsoft oder United Internet. Eine nicht so gute Nachricht: Google braucht die Konkuzrrenz. Dringend. Dass Google+ zum Beispiel immer noch keine Optionen zur Sortierung der Timeline anbietet, ist für den Suchmaschinenanbieter peinlich. Ebenso das, was Google Play Music an Playlists produziert. Hier kann der Konzern wirklich eine Infusion von Spotify gebrauchen, wo viele Kunden tatsächlich tolle Playlists angelegt haben, die bisher nur unter Spotify zu gebrauchen sind. Und wenn uns die Playlists wirklich gehören, können wir sie ja auch zu Google Music mitnehmen, anstatt die App nach dem kostenlosen Probemonat wieder zu deinstallieren.
tl;dr Statt Google-Panik zu verbreiten, sollten wir uns ganz pragmatische Regulierungen überlegen, die Datendienstleister in ihrer Rolle halten. Zum Beispiel Objektivdeckel für die vielen Winzkameras und einen gesetzlicher Zwang zu offenen Schnittstellen.