The Next Best Big Thing: Generation Preload

Ich beantrage hiermit Marken-, Titel- und Innovationsschutz für den Begriff, die Formel, das Mantra:

Generation preload.

Geil, nicht? So einfach. Und so vielsagend! In diesen zwei Worten steckt nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, dem wir das nächste Google, das nächste Facebook zu verdanken haben werden. Sagt wer? Sage ich! Meine Analysen entziehen sich jeder Kritik, denn sie sind authentisch. Und ich hab einen Aufsatz von Habermas gelesen.

Kernsatz meiner revolutionären Theorie ist dieser:

Wenn ein Video mehr als vier Minuten dauert, spule ich vor.

Natürlich hab ich ihn mir nicht einfach selbst aus den Fingern gesogen. Nein, ich habe mich als Abgesandter der Internetintellektuellen unter Schüler begeben, mit ihnen kommuniziert, habe so getan, als begebe mich auf ihr Niveau.

Nach nervenaufreibenden 30 Minuten sah ich diesen 11jährigen digital native, der an seinem Computer — oder an seiner Playstation Portable? Wer ist die PR-Agentur von Sony? Zahlen die gut? — kurzerhand immer die ersten Minuten eines Videos übersprang. Und dann kniete ich mich neben ihn, sah in seine großen, eckigen Augen und fragte ihn: Wieso tust Du das? Und was er sagte, traf mich wie ein Blitz:

Wenn ein Video mehr als vier Minuten dauert, spule ich vor.

Die neue Generation ist schnellebig. Und das ist nicht etwa Ausdruck einer Konzentrationsschwäche, die an funktionalen Autismus reicht. Das ist Authentismus (TM). Dieser Junge umgeht unsere althergebrachten medialen Umgangsformen und sieht mit einem Blick, ob der Inhalt, den wir ihm vorgesetzt haben, tatsächlich authentisch ist. Und wenn nicht, dann wirft er ihn weg. Zu Recht! Zu Recht, sage ich! Ihr Nicht-Vorspuler seid aus einem vergangenen Jahrhundert, ihr seid Dinosaurier!

Wenn ein Video mehr als vier Minuten dauert, spule ich vor.

Das erklärt, warum die Content-Industrie auf der Stelle tritt. Sie muss ihre ganzen Produkte auf das Vorspulen anpassen. Neue Contentformate. Vorspul-Apps. Die Kinosäle bleiben nicht leer, weil die Filme in diesem Jahr einfach schlecht waren, der vierte Aufguss in 3-D. Nein, die Blockbuster busteten nicht, weil sie sich nicht an die Erfordernisse der Generation Preload hielten.

Was diese Erfordernisse sind? Vielleicht weiß ich es. Studien,Trendforscher und -folger können sich meine exklusiven Erkenntnisse für einen nominellen vierstelligen Stundensatz abholen. Ich werde die Keynotes der Irgendwasmitmedien-Kongresse für ein ganzes Jahr bestücken. Aber viel mehr muss ich zum Thema eigentlich nicht sagen, oder?

Wenn ein Video mehr als vier Minuten dauert, spule ich vor.

Das Lesen dieses Blog-Postings dauerte bisher 3 Minuten 42 Sekunden, ein kreativer Freund hat mir dafür eine App gebastelt. Im App Store für nur 3,99 Euro. Ich brauch das Geld ja nicht, aber der Betrag ist ja mehr Botschaft als Preis. Hier ist die App. Sehen Sie: Jetzt sind es 3 Minuten 55. Und deshalb werde ich jetzt hier aufh

Infrastruktur zählt

Unter der Überschrift Mein armes Amerika hat die Journalistin Jana Simon ihre Erfahrungen in Los Angeles aufgeschrieben — es ist eine schonungslose Abrechnung mit dem „American dream“ und dem scheibar grenzenlosen Narzissmus von L.A. Ich bleib an einer Stelle hängen, die viellen wahrscheinlich als eher unspektakulär erscheint:

Wir haben Kontoauszüge, Arbeitsverträge und Gehaltszahlungen vorgelegt, aber wir haben keine Schulden und sind deshalb aus amerikanischer Sicht nicht vertrauenswürdig. Nur diejenigen, die beweisen können, dass sie ihre Schulden regelmäßig abbezahlen, sind gute Mieter. Wir sind schlimmer als schlechte Schuldner. Wir sind nichts, ohne Kredit, unbeschriebene Blätter. Also müssen wir 100 Dollar mehr Miete im Monat zahlen und die höchstmögliche Kaution hinterlegen. Es ist nicht möglich, die Miete zu überweisen. Bar können wir sie aber auch nicht bezahlen, Andrea darf kein Bargeld annehmen.
[…]
Die Energierechnung muss ich alle zwei Monate leibhaftig im Gas and Power Building in der Hope Street begleichen. Dort warte ich mit vielen Latinos in einer Reihe und zahle bar. Ich komme mir vor wie in einem längst vergangenen Jahrhundert. Das viel beschriebene US-Dienstleistungsparadies kann ich nicht finden, im Gegenteil, alles dauert unheimlich lange und ist erstaunlich kompliziert.

Für mich zeigt diese Beobachtung sehr schön, was in der ganzen Diskussion um Finanzkrise und Globalisierungskritik zu kurz kommt. Die USA haben ein Finanz- und Zahlungssystem, das (fast) alleine vom Markt gebildet wurde. Und es ist furchtbar, kaputt, eigentlich unvorstellbar. In so einem Markt kann PayPal trotz aller Zumutungen und Unverschämtheiten florieren, in so einem Markt ziehen Leute einfach weg, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen können und fangen irgendwo ein neues Leben an. Im Normalbetrieb verschlingt das System und die daraus resultierende Mentalität jedes Jahr viele Milliarden, in der derzeitigen Krise hingegen Billionen Dollar.

Ein wichtiger Punkt, um die Auswüchse zu unterbinden, sind daher funktionierende Infrastrukturen. Ein Zahlungssystem, bei der sich der Empfänger darauf verlassen kann, dass das Geld am nächsten Werktag gutgeschrieben wird, ist aufwändig und teuer. Aber es spart auf die lange Sicht so viel Geld und Unsicherheit, dass man das kaum abschätzen kann. Und ein kastriertes Steuersystem, dass Besserverdienende ausspart, führt direkt in den Abgrund.

Rough Fellows with inquisitive habits

Der ehemalige Polizeireporter und Fantasy-Bestsellerautor Terry Pratchett hat in seinem Buch „Thud“ wie immer einige Weisheiten zu Polizeiarbeit eingearbeitet:

There was, of course, the paperwork. There was always the paperwork. The trays were only the start. Heaps of it were ranged accusingly along one wall, and gently merging.* He knew that he had to do it. Warrants, dockets, Watch Orders, signatures — that was what made the Watch a police force rather than just a bunch of rather rough fellows with inquisitive habits. Paperwork: you had to have lots of it, and it had to be signed by him.

Ich mag ja solche Spitzen, weil sie sich so prima auf die Realität anwenden lassen. Zum Beispiel auf die Situation der Polizei in New York, die sich mit denen solidarisiert, die den lästigen Papierkram beiseite schoben und ihre ganz eigene Form der Justiz bis hin zur Bandenkriminalität ausbauten:

Prosecutors said the bulk of the vanished tickets were arranged by officials of the Patrolmen’s Benevolent Association, the city’s largest police union. All the officers charged with fixing tickets are either current or past union delegates or trustees.

As the investigation unfurled, the union played down its significance and consistently referred to ticket-fixing as “professional courtesy” inscribed in the police culture.

On Friday morning, on the street outside the courthouse, some 350 officers massed behind barricades and brandished signs expressing sentiments like “It’s a Courtesy Not a Crime.”

When the defendants emerged, many in the crowd burst into raucous cheers. Once they had gone and the tide of officers had dispersed, the street was littered with refuse.

Doch ist diese Bekundung der Solidarität mehr als fehlgeleiteter Kameradschaftsgeist? Doch — es gibt Grund für die Polizei, sich zu beklagen. Zwar nicht aus den Gründen, die führende Polizeifunktionäre immer wieder beschwören, wie Rafael Behr in der Zeit beschreibt:

An die Stelle von Gewalt trat in der Außendarstellung die Kommunikation, statt Schlagstock wurde soziale Kompetenz propagiert, statt des Körpers mehr Technik eingesetzt. Doch besonders uniformierte Schutzpolizisten nehmen bei ihrem Dienst auf der Straße seismografisch genau wahr, dass das nicht alles ist. Für sie wird die Arbeit schwerer, weil sich vor allem der Ton und die innere Haltung ihrer »Kunden« gegenüber dem Staat verändert zu haben scheinen. Polizisten werden wenig auf resignierte und aussichtslose Lebensperspektiven vorbereitet, auf die sie in solchen Begegnungen treffen. Resignation und Exklusion aber gehen häufig mit Aggression einher.

Neben gesellschaftlichem Wandel ist es auch immer wieder die falsche Politik, die Polizisten unter Druck setzt, die Erwartungen weckt, die auch von den pflichtschuldigsten Beamten niemals erfüllt werden können. So zum Beispiel beschreibt der Whistlerblower Adrian Schoolcraft von der New Yorker Polizei wie die Fixierung auf die Polizeistatistik und Aufklärungsquote Polizisten zu Kriminellen werden ließ, die Unschuldige verhafteten und Serientäter laufen ließen, um die Vorgaben zu erfüllen: