Geht es überhaupt um die App?

Viel Häme ist nach der Verleger-Klage gegen die Tagesschau-App vergossen worden. Doch hören wir den Verlegern Mal zu. Dass Umwälzungen stattfinden müssen, ist eine Binsenweisheit. Doch niemand kann ernsthaft fordern, dass uns alle Änderungen auch tatsächlich gefallen.

Mathias Döpfner erklärt heute in der Süddeutschen:

Es geht um die Medienordnung in Deutschland. Die Apps der mit Gebühren finanzierten Sender beschreiben eine symbolische und faktisch außerordentlich problematische Entwicklung. Wir klagen, weil wir überzeugt sind, dass die App gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstößt. Im Rundfunkstaatsvertrag, Paragraph 11d, Absatz zwei, Ziffer drei, steht: Nicht sendungsbezogene, presseähnliche Angebote sind unzulässig. Die Tagesschau-App ist sehr eindeutig presseähnlich und nicht sendungsbezogen, also nicht zulässig.

Und Konzern-Kollege Christoph Keese sekundiert im Handelsblatt:

Worum geht es? ARD und NDR betreiben eine textbetonte Ausgabe der „Tagesschau“, die privaten Nachrichtenangeboten zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie wird in Apples AppStore kostenlos angeboten und wurde seit ihrem Erscheinen vor einem halben Jahr 1,7 Millionen Mal auf iPhones und iPads heruntergeladen, finanziert durch Rundfunkgebühren.

Auf der einen Seite ist das Argument nachvollziehbar: Warum sollen die Öffentlich-Rechtlichen in Märkte vorstoßen können, die eigentlich der Privatwirtschaft vorbehalten sein sollten? (Fast) niemand erwartet GEZ-finanzierte Zeitungen — auch wenn mit Steuergeldern Neuntklässler zu Zeitungslesern ausgebildet werden sollen. Eine konvergente Welt, die Internet und andere Medieninhalte vereint, setzt sich über die althergebrachten Demarkationslinien hinweg.

Doch auf der anderen Seite: Warum ausgerechnet eine Klage gegen die App der Tagesschau? Denn eigentlich ist das Angebot ziemlich identisch mit dem Web-Angebot von tagesschau.de, es gibt keine separate App-Redaktion und AFAIK auch keine Inhalte, die exklusiv in der App auftauchen. Die App ist nicht prsseähnlicher als tagesschau.de. Als GEZ-Zahler fände ich es aber überaus verschwenderisch, wenn die ARD beispielsweise ihr großes Korrespondenten-Netz unterhält und dieses nur einmal pro Woche im ARD-Weltspiegel vorzeigt — oder in der Tagesschau, wenn die Bomben bereits fallen. Der Punkt „sendungsbezogene“ Inhalte sollte uns jedoch freuen. Wenn Springer hier konsequent handelt, müsste der Verlag auch ein Ende der idiotischen 7-Tage-Regel fordern, die erst auf Verlangen der privaten Konkurrenz in den Rundfunk-Staatsvertrag kam und wirklich niemandem geholfen hat.

Spannender Punkt: Wenn die App rechtswidrig ist, warum ist es die Webseite nicht? Sie ist ja auch kostenlos, textbasiert und nicht an eine Ausgabe der Tagesschau gebunden. Ist also die symbolische Klage gegen eine App in Wahrheit der Angriff auf sämtliche Textangebote von ARD und ZDF im Internet? Wollen wir den Springer-Managern zu Gute halten, dass Sie App und Web in Ihren Angeboten trennen und man deshalb mit dem iPhone-Browsern zum Beispiel Regionalinhalte von Bild.de nicht lesen kann, obwohl die über einen normalen Desktop-Browser kostenlos abrufbar sind. Bei Springer glaubt man an diese Grenze, eine Klage ist daher konsequent. Auch die TV-Sender glauben an Grenzen, die man beispielsweise den Herstellern von internetfähigen Fernsehern vorschreiben kann. Wenn diese Grenzen niedergerissen werden, wird das Wehklagen noch lauter werden.

Wo soll man die Grenze ziehen? Wie weit reicht der Informationsauftrag von ARD und ZDF. Ich weiß es nicht. Herr Döpfner und Herr Keese offensichtlich auch nicht. Und Herr Beck und Herr Eumann? Auch da habe ich noch keine überzeugenden Ideen gehört.

Geschwätz von gestern

Journalisten haben die Aufgabe zu informieren. Doch was sind Informationen wert, wenn täglich Millionen Infosplitter über unsere Bildschirme flackern über Lybien, die Griechenland-Krise oder die Internet-Blase. Manche Leser erwarten von Journalisten Antworten, doch wir haben sie nicht.

Wir haben wirklich keine Antworten. Wir plappern nach.

Wir brauchen die Daten-Debatte. Jetzt!

Wir sind auf einem Ozean. Rechts von uns: Daten. Links von uns: Daten. Vor uns und hinter uns: Daten – bis zum Horizont. Über Jahre haben die Zuflüsse aus Facebook, Google, INPol und T-Com ein Weltmeer anschwellen lassen und nun segeln wir unter verlorener Flagge auf dem Daten-Ozean. Das heißt: wenn das Wetter gut ist, dann gleiten, dann surfen wir regelrecht dahin. Welcher Kinofilm ist toll? Welcher Politiker hat betrogen? Wo finde ich freunde in feindlicher Welt? Kein Kurs ist verwegen genug und überall gibt es unentdeckte Küsten, die nur auf uns warten.

Doch da ist ein Loch im Boot. Wir nannten es Vorratsdatenspeicherung und fanden es ganz schlimm, dass die Daten in den Rumpf eindrangen. Mit beiden Händen und ein paar Tüchern schafften wir es das Leck abzudicht. Doch unser Rumpf ist marode und der Ozean von Daten dringt aus Dutzenden von Ritzen und Löchern in unser Boot. Unsere Kinder versuchen sie mit Konservendosen zu schöpfen und über die Reling zu schütten. Doch wie lange werden ihr schwachen Arme das wohl mitmachen? Wir werden wohl untergehen. Und dann? PostPrivacy? Die Herrschaft der Facebook-Hedonisten? Oder: Polizeistaat? 1984?

Richten wir den Blick auf ein Leck, durch das schon seit Jahren Wasser sprudelt, das uns aber erst jetzt aufgefallen ist: Routinemäßig scheint die Polizei in Sachsen seit Jahren Positionsdaten von Handybesitzern abzufragen. Die Sächsische Landesregierung hat dazu einen Rechtfertigungsbericht veröffentlicht. Darin heißt es:

Im Ergebnis der Abfrage erhält die Polizei eine Vielzahl von Verkehrsdaten übermittelt. Die Polizei erkennt anhand der erhaltenen Verkehrsdaten lediglich, welche Mobilfunkgeräte wann, wo und wie vor Ort waren. Sie ersieht aus den Daten aber nicht, wer der Anschlussinhaber ist, damit erst recht nicht, welche Personen miteinander kommuniziert haben oder welchen Inhalt das Gespräch oder die SMS hatte.
Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass eine auf eine Tatörtlichkeit und einen Tatzeitraum bezogene Abfrage der Verkehrsdaten, insbesondere bei einer hohen Personendichte in dem Gebiet, wie sie am 19. Februar 2011 zu verzeichnen war, eine überaus große Zahl von Verkehrsdaten erbringt.

Also alles in Ordnung. Zwar ist eine hohe Anzahl von Daten abgefragt worden, aber sie waren an sich nicht schädlich. Denn für brisante Datenabfragen braucht es schwere Straftaten und echte Beweise.

Um Bestandsdaten (Name, Vorname, Adresse und Geburtsdatum des Mobilfunk-Anschlussinhabers), die zu einer festgestellten Mobilfunknummer gehören, vom Provider zu erhalten, ist in einem zweiten Schritt ein weiterer Antrag zu der relevanten Mobilfunknummer an den Mobilfunknetzbetreiber erforderlich. Hierfür ist weder eine staatsanwaltschaftliche Verfügung noch ein richterlicher Beschluss erforderlich. Diese Abfrage erfolgt allein auf
Grundlage des § 112 TKG.

Hoppla, also sind doch keine schweren Straftaten und Beweise erforderlich — wenn irgendwo in der Umgebung eine mutmaßlich gravierende Straftat stattfand, kann jeder neugierige Polizist die rechtsstaatlichen Beschränkungen der Datenabfragen umgehen. Um im Bild zu bleiben: da war ein riesiges Leck und wir sahen es nicht, weil ein nasses Pflaster darüber klebte

Das ist bei weitem kein Einzelfall. Zum Beispiel muss der rheinland-pfälzische Landtag aus dem Urlaub in eine Sondersitzung gerufen werden, um über die Immunität des CDU-Abgeordneten Michael Billen zu entscheiden.

Der Vorwurf:

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Eifeler CDU-Abgeordneten vor, er habe seine Tochter – eine Polizistin – angestiftet, geheime Polizeidaten zu umstrittenen Geschäftspartnern des Nürburgrings zu beschaffen. Billen will die Daten bei ihr nur „abgegriffen“ haben. Die zunächst geplante Privatfinanzierung des Nürburgring-Ausbaus war 2009 spektakulär gescheitert.

Politische Spionage? Whistleblowing um einen veritablen politischen Skandal aufzudecken? Darüber müssen nun die Gerichte entscheiden — wenn sie denn Mal zum Zug kommen.

Diese zwei Beispiele sollten den Datenschützern zeigen: mit Fundamentalopposition zur Vorratsdatenspeicherung ist es nicht getan. Wir sind nicht mehr auf trockenem Land, wo es ab und zu aus Sicherheitslücken regnet. Wir sind draußen, auf weiter See. Und die meisten sind Nichtschwimmer.

Auch jenseits von Polizei und Politik leckt und sickert es. Die 20 Hacks bei Sony, LulzSec, die IRC-Leaks von LulzSec oder die Lecks der selbsternannten Wikipedia-Wächter oder die der offiziellen Wikipedia-Wächer. Ich könnte beliebig weiter aufzählen.

Daten sind nicht sicher und wir wissen nicht wirklich, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Was machen wir nun mit diesem Ist-Zustand? Sollen wir einer illusionären Datenseicherheit hinterherlaufen? Oder das Schiff versenken und postprivatär Schwimmen lernen. Ein paar werden absaufen, aber das ist eben der Preis des Fortschritts.

Das Ziel sollte meines Erachtens — wie so oft — in der Mitte liegen. Wir haben in den letzten Jahren auch Kulturtechniken erfunden, um mit Informationen umzugehen. Paravants. Die katholische Beichte. Telefonbücher. Nummernschilder. Nicht jede Entwicklung war gut, aber wir haben gelernt, damit zu leben.

Albernheiten und Publicity-Stunts hatten wir auf beiden Seiten mehr als genug. Spackeria oder ein facebook ohne Frau Aigner — das sind oberflächliche Aktionen, mit denen sich Leute um Extrempositionen scharen können. Die Mitte der Gesellschaft hat die Debatte aber noch nicht erreicht.

Haben wir als Gesellschaft noch die Kapazität, dieses Problem anzugehen. Neben Finanzmarkt, Energiewende und den neuen Senderplänen mit Thomas Gottschalk? Ich finde wir sollten uns die Zeit nehmen, wir müssen uns die Zeit nehmen.

Oder wir lernen eben Wassertreten. Bis zum Horizont.

Schwerer Datenfriedensbruch

Es ist eigentlich kein Argument, es ist ein Klischee:

Wenn die Infrastruktur, die Technik, erst Mal installiert ist, wird sie auch missbraucht werden. Überwachungsstaat. 1984. Jaddajaddajadda…

Das Problem: Es stimmt. Immer und immer wieder. So hat die taz Mal einen sehr lesenswerten Artikel zu den Ermittlungsmethoden bei einer Anti-Nazi-Demo in Dresden veröffentlicht.

Die Dresdner Polizei hat bei den Antinaziprotesten im Februar dieses Jahres die Handyverbindungen von tausenden Demonstranten, Anwohnern, Journalisten, Anwälten und Politikern ausgespäht. Wie die Staatsanwaltschaft Dresden der taz bestätigte, wurde am 19. Februar weiträumig eine sogenannte Funkzellenauswertung (FZA) durchgeführt.

Dabei erfasste die Polizei über einen Zeitraum von mindestens viereinhalb Stunden sämtliche Anrufe und SMS-Nachrichten, die bei allen Personen ein- oder ausgingen, die sich in der Südvorstadt aufhielten. Gespeichert wurden auch die exakten Positionen der Telefonnutzer. 12.000 Menschen wohnen in dem überwachten Gebiet, hinzu kamen an diesem Tag tausende Demonstranten, etliche Journalisten, Anwälte und Politiker.

Es geht um den Vorwurf des „Landfriendensbruchs“, der so ziemlich alles abdecken kann von der Rangelei mit Polizisten bis zu missverständlichen Sprechchören, Sitzblockaden und dem Werfen von Steinen und Flaschen. Da Nazi- und Anti-Nazi-Demonstranten aufeinander trafen, haben die Ermittler gleich prophylaktisch alle Daten abgegriffen und die Netzbetreiber haben ganz nach Gesetz mitspielen müssen und dicht gehalten.

Dass diese Zweckentfremdung juristisch nicht haltbar sein wird, hat auch die Staatsanwaltschaft inzwischen erkannt. „Die Polizei hat die Daten etwa im Fall von Herr Leye in die Akten übernommen. Wir halten das für nicht notwendig und nicht verwertbar“, sagt Haase.

Auf Deutsch: Niemand hätte davon erfahren müssen.

Und wie man es kennt: wenn die „FZA“ für rechtswidrig erklärt wird, wird niemand Verantwortung übernehmen müssen. Ein paar Seiten werden aus Ermittlungsakten entfernt, vielleicht gibt es ein paar Freisprüche dritter Klasse, nachdem die Beschuldigten durch die Gerichtsmühle gedreht wurden. Und beim nächsten Mal verzichtet die Polizei nicht etwa auf die Komplettüberwachung – sie wird halt nicht in die verräterischen Akten aufgenommen.

Es geht mir hier nicht um politische Sympathien, auch bei der originären Nazi-Demonstration haben solche Ermittlungsmethoden in meinen Augen nichts verloren. Quasi eine ganze Stadt abhören, um Verbrechen aufzuklären, die unter freiem Himmel und unter den Augen (und Videokameras) der Polizei verübt werden? Wie konnte die Polizei nur vor 20 Jahren Verbrechen aufklären?

Medienkompetent ist…

Medienkompetent ist, wer herausfindet, wie teuer das Gratisangebot wirklich ist.

Medienkompetent ist, wer weiß wie fiktional die Nachrichten und der Wetterbericht sind.

Medienkompetent ist, wer nicht sofort ins „Panorama“-Ressort blättert.

Medienkompetent ist, wer weiß dass Kameras nicht alles sehen.

Medienkompetent ist, wer erkennt wann 140 Zeichen wirklich nicht reichen.

Medienkompetent ist, wer auch mit Buschtrommeln ein Smiley zeichnen kann.

Medienkompetent ist, wer sich schon vor der Revolution für Spanien interessiert.

Medienkompetent ist, wer Blah als Blah erkennt. Und zuhört, bis er es tatsächlich weiß.

Medienkompetenz ist, wer sogar aus Mario-Barth-Witzen winzige Stückchen von Realität extrahieren kann.

Medienkompetent ist, wer sich ein Fundament aus Fakten sucht. Und weiß, wann er auf Treibsand steht.

Marc Maron hat einen Buchvertrag

Ja, die Meldung ist unglaublich, oder etwa nicht? Marc hat es mir eben selbst gesagt. Mir und ein paar Tausend Fans überall in der Welt in der neusten Episode seines Podcasts. Bevor Ihr mich fragt: Wer ist Marc Maron und wieso sollte es mich kümmern? Marc ist der Podcaster, von dem ich wirklich jede Folge höre. (Sorry Tim, sorry Philip.)

Der Reihe nach: Marc ist ein Komiker der C-Klasse in den USA und ein Prominenter der Klasse F. Das heißt: Viele Leute drüben meinen ihn Mal gehört oder gesehen zu haben. Das ist durchaus wahr: er tingelte durch Comedy-Clubs im ganzen Land, hatte sogar Mal eine TV-Show, moderierte Radiosendungen. Aber wenn man weiter fragt, kennt ihn keiner so richtig. Er ein Nobody. Noch dazu ein Nobody mit erheblichen Drogenproblemen und zwei gescheiterten Ehen. Aber ein Nobody im Showbusiness.

In über 20 Jahren Comedy, ungezählten Auftritten, Streitigkeiten und persönlichen Verwicklungen jeder Art ist er integraler Bestandteil der Szene geworden, die erstaunlich klein ist. Kaum jemand von Rang und Namen, mit dem er nicht schon getrunken und gekifft hätte, den er nicht Backstage getroffen oder mit dem er eine jahrelange Fehde ausgetragen hätte. Er war ein Comedy-Urgestein. Alleine: selbst nach 20 Jahren im Geschäft fehlte ihm die Nische, die sein Talent zur Geltung brachte. Die ihm wirklich den Erfolg brachte, den Amerika jedem überragenden Talent verspricht.

Das änderte sich in den letzten zwei Jahren erheblich. An einem persönlichen Tiefpunkt angelangt — Marc kann viel über Entziehungskuren erzählen — griff er zum Mikrofon und fing an sich mit seinen Kollegen zu unterhalten. Das Ganze nannte er „What the fuck“ und stellte es ins Internet.

In seiner unverblümten Art bietet Marc etwas, was Hollywood und die TMZ-Perez-Hilton-Berichterstattung geistig schon lange nicht mehr bewältigen konnten: Er zeigte seine Kollegen als Menschen. Manchmal auf sehr krude Art, in dem er sich über Masturbationsgewohnheiten austauscht oder Frauen fragt, ob sie witziger werden wollten, indem sie mit Komikern schliefen. Unter Komikern findet er jede Menge Gesprächsstoff, wenn sich über seine Drogenerfahrungen austauschen will: welche Psychosen löst Koks aus, welche Auswirkungen hat eine Vicodin-Überdosierung auf den Verdauungstrakt? Und dennoch strömen die Stars zu Marc Maron in die Garage: Ben Stiller, Patton Oswalt und Conan O‘ Brien waren schon zu Gast in der „cat ranch“, wie Marc sein Studio in der heimischen Garage nennt. Und nun hat er einen Buch-Deal. Mehr noch: er hat eine Comedy-Serie über sein Leben konzipiert und schon eine Pilotfolge abgedreht.

Sein Kapital: Marc ist authentisch. Und er kann etwas erzählen. Sein Gegenüber hat es schwer mitzuhalten, wenn Marc mit seinen persönlichen Enthüllungen anfängt: sein bipolarer Vater, seine Introspektion als nichtreligiöser Jude, der aber immer mit dem „jewy thing“ zu kämpfen hatte, seine Abstürze. Aber wer eine Komiker-Karriere eingeschlagen hat, hat zwangsläufig auch etwas zu erzählen. Zum Beispiel der Komiker, der beim Drehen eines Sketches für Mad-TV vor Live-Publikum die Kontrolle über seine Ausscheidungsorgane verlor. Oder der Produzent, der eine US-Comedy-Show nach Russland bringen sollte. Oder der Komiker, der im Mafia-Millieu aufgewachsen war, und der einen professionellen Killer abhalten musste, seine Karriere auf Don-Corleone-Art zu fördern. Die Prominenten und Semi-Prominenten erzählen auf offene Art — oder lügen, was das Zeug hält, wie Carlos Mencia, der eine Comedy-Todsünde begangen hat: er klaute regelmäßig die Witze anderer Comedians. Und Marc überführte ihn — nicht mit Videoaufnahmen oder investigativer Recherche, sondern anhand der Rückmeldungen, die er von anderen Kollegen bekam. Die Comedy-Szene als eingeschworene Community. Wer hätte es vermutet?

Was ich faszinierend finde: in seiner planlos wirkenden, manchmal verquatschten Art schafft es Marc, mir als westdeutschem Landgewächs eine neue Welt zu eröffnen, Einblick in die wirklich innersten Zusammenhänge einer Szene zu geben, die nur für maximal 90 Minuten am Stück öffentlich ist. Was zum Beispiel bedeutet YouTube für Komiker, die von Westküste zu Ostküste tingeln und immer nur die selben Nummern präsentieren? Wer schreibt Comedy Shows und was bedeutet es einen weltbekannten Talkmaster jeden Tag mit neuen Gags zu versorgen. Wie überleben Frauen in diesem testosterongetränkten Gewerbe? Wie funktioniert Comedy und woran scheitert sie? Wie geht man mit einem erbosten Zuschauer um, der einen auf offener Bühne niederschlagen will?

Da heutzutage jede einmalige Story ein Trend ist — siehe Amanda Hocking — leite ich aus meiner Fan-Eigenschaft einige Trends ab, die die Medienwelt der nächsten Jahrhunderte bestimmen werden:

  • Ein long tail verlangt einen hohen Arsch. Marc Maron profitiert von der Fernsehprominenz seiner Gäste. Würde er nur einen Kollegenkreis aus dem Hinterhof interviewen, wäre er nicht selbst zur Halb-Prominenz geworden. Er hätte kein Portrait in der New York Times bekommen, er würde nicht ständig berühmtere Kollegen vor das Mikrofon bekommen.
  • Authenzität muss man spielen können. Marc tut zwar so, als ob er unkontrolliert vor sich hin quasselt, man glaubt, dass er sein Leben mit den Hörern teilt. Und dennoch hat er die Dreharbeiten zu einer Serie zu seinem Leben, die ja einen beträchtlichen Teil seiner Arbeitszeit in Anspruch genommen haben, über Monate vorenthalten. Und als er von Everybody-loves-Raymond-Star Ray Romano gesponsort wurde, rief er jedes Mal bei ihm an und tat so als sei er kurz davor, den Plot von dessen neuen Serie zu verraten. Es war ein Sketch, eine Werbeannonce – und zwar eine schlechte.
  • Prominenz ist Arbeit, und zwar eine andere. Verabschieden wir uns von dem Prominentenbild, was wir zum Beispiel aus „Notting Hill“ kennen. Der Superstar von morgen muss sich immer mehr mit seinen Fans auseinandersetzen, nicht mehr nur mit Paparazzi und Promi-Reportern. Aber keine Bange: auch hier hat die Entertainment-Industrie schon die Rationalisierung eingeführt. Authenzität per Twitter lässt sich auch kaufen. So wurde Marc zur Vorbereitung der desaströsen Charlie-Sheen-Show eingeladen — und trommelte brav für dessen absurdes Comeback.
  • Deutsche Podcaster werden es auch weiterhin schwer haben. Um sein Podcast zu finanzieren, wirbt Marc auf geradezu unverschämte Weise für seine Sponsoren. Der Blumen-Service zu Valentinstag ist super, der Schick-mir-Dein-Foto-und-wir-schicken-ein-Ölgemälde ebenso und sie Sexspielzeuge von Adam & Eve sind super. Was wir hierzulande Schleichwerbung nennen, ist in den USA das Öl, das das Getriebe am Laufen hält. Wir können nur versuchen, das mit GEZ-Gebühren aufzufüllen.

Eine Geschichte zur Filtersouveränität

Scott Krepel wurde ohne Gehör geboren. Doch im Alter von 12 Jahren eröffnete ihm die moderne Technik etwas Unglaubliches: Mit einem Cochleaimplantat konnte er plötzlich hören. Zumindest konnte er Geräusche wahrnehmen. Das Gefühl war überwältigend für den Jungen: endlich konnte er mit einer Welt Kontakt aufnehmen, die ihm bisher verschlossen war. Vom Zwitschern der Vögel bis zu dem banalen Geräusch einer Toilettenspülung.

Doch eins fehlte Scott: er konnte nicht filtern. Nicht zwischen den Worten seines Gegenübers und dem nervtötenden Rauschen der Klimaanlage unterscheiden. Ihm fehlte der Filter, der uns Hörenden ab frühester Kindheit antrainiert wurde. Folge: er konnte sich nicht konzentrieren — selbst seinen Sprachtherapeuten konnte er nach fünf Jahren immer noch nicht verstehen. Schließlich schaltete er das Implantat ab und vermisst das Hören seitdem nicht mehr. Auch wenn er durch einen Übersetzer mit anderen Menschen reden muss. Der übernimmt das Filtern für ihn.

Eine spannende Geschichte von „This American Life“:

Audacity of Streaming

Die GVU wedelt mit einem Damoklesschwert über den Köpfen der Nutzer von Kino.to und anderen Streamingseiten.

Beim Streaming werden in der Regel Zwischenspeicherungen auf dem eigenen Rechner durchgeführt, um den Film störungsfrei wiedergeben zu können. Das ist rechtlich eine Kopie. Eine Kopie von einer illegalen Vorlage – worum es sich bei den Filmen über kino.to regelmäßig gehandelt hat – ist selbst auch immer illegal. Die Nutzung von illegalen Streams über illegale Portale wie kino.to ist somit selbst illegal.

Die Diskussion, ob Kopien im Flash-Zwischenspeicher illegal sind, ist sicher juristisch hoch spannend. Aber ich glaube nicht, dass die GVU oder die Filmindustrie mittelfristig zu dem Mittel greifen, die Nutzer von Streaming-Portalen wie kino.to zu belangen. Ein Grund: der Schaden ist viel zu gering. Bei der Nutzung von Tauschbörsen lädt der Nutzer die Dateien, die er herunterlädt gleichzeitig wieder ins Internet hoch. So konnten die Rechteverfolger absurd anmutende Schadenssummen konstruieren, die als Abschreckung fungieren sollten und gleichzeitig die Unterstützung der Justiz sicherte.

Doch was soll man für jemanden berechnen, der sich eine Folge von The Big Bang Theory angesehen hat? 2,49 € kostet die Folge im iTunes Store, aber das ist kein guter Vergleichspreis. Denn die iTunes-Datei steht mir zum beliebigen Ansehen bereit, dank iCloud sogar auf unterschiedlichen Geräten, auf dem HD-Fernseher genauso wie auf dem iPad. Was also kostet das einmalige Ansehen der einen Folge im Browser? 99 Cent? Nein, das ist der Preis für das Streamen eines ganzen Films bei iTunes. Also 30 Cent? Das klingt realistisch. Wenn Richter für diese Schadenssummer des eindeutig privaten nicht-gewerblichen Gebrauchs eines Trivialprodukts die IP-Adressen von Nutzern herausrücken, dann können wir das Telekommunikationsgeheimnis ganz abschaffen.

Wichtiger aber ist: Woher weiß der Nutzer heute noch, was denn ein illegaler Stream ist? Ich hab kurz vor der Abschaltung nur einmal auf kino.to geguckt. Die direkt aufpoppende Sexcam-Werbung war sicher ein Indiz für ein unseriöses Angebot. Aber seien wir ehrlich: das Nachtprogramm der völlig legalen Privatsender sieht nicht besser aus.

Argumentieren wir mit dem gesunden Menschenverstand: Ein Stream einer TV-Sendung völlig umsonst, das kann doch nicht legal sein? Oder um es mit dem §53 des Urheberrechts zu sagen:

Zulässig sind einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen, soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.

Doch was ist offensichtlich illegal? Muss der Nutzer annehmen, dass das, was in den USA auf Hulu.com legal ist, hierzulande offensichtlich illegal ist? Hier in Deutschland darf man US-Serien nur sehen, wenn man Apple dafür bezahlt. Oder Amazon. Punkt.

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
C#@k-Blocked Roundup – Yemen
www.thedailyshow.com

Hier klicken, um den Inhalt von media.mtvnservices.com anzuzeigen

Daily Show Full Episodes Political Humor & Satire Blog The Daily Show on Facebook

Hoppla, wie konnte ich also wagen, diese aktuelle Folge von „The Daily Show with Jon Stewart“ hier in mein Blog zu packen? Ganz einfach: Es ist legal. Und wenn man hier klickt, bekommt man alle Southpark-Folgen umsonst auf den Rechner gestreamt. Warum ist das so? Weil die Sendungen von Comedy Central stammen, die offenbar ein Geschäftsmodell um die freie Verfügbarkeit der Streams gestrickt haben. Muss der Nutzer also immer ein Verzeichnis der Sender parat haben, die ihre Sendungen nicht streamen? Die auch nicht Mal eben bei Amazon ein paar Folgen kostenlos veröffentlichen, um die DVD-Verkäufe anzukurbeln?

Nun – hier könnte man wiederum argumentieren: Kino.to war offensichtlich nicht Southpark.de. Einige Portale machen sicher kein Geheimnis draus, wie illegal sie doch sind. Was ist jedoch, wenn die Streamportale es nicht so offensichtlich machen, wie die Betreiber von Kino.to, die — so denn die Vorwürfe stimmen — vor allem mit dreistem Userbetrug Geld verdient haben. (Geile Girls in meiner Umgebung warten auf mich? Come on, ich wurde schon besser verarscht.)

Ein Beispiel für ein besser gemachtes Portal ist Sidereel:

Professionelle Aufmachung, Präsenz bei Twitter und Facebook, Links zu Amazon, iTunes, CBS — wie soll der Nutzer erkennen, ob das Portal illegal ist? Oder halblegal? Die Betreiber haben sogar Geld investiert, um den Nutzern Mehrwert zu bieten, statt sie wie bei kino.to zu verarschen. Jede Woche berichten Sidereel-Kommentatoren, was denn die Stars einer Serie aktuell so tun, welche Gerüchte diskutiert werden und welche Quoten die Serie eingespielt hat. Das ist ein Service, den deutsche Privatsender schon lange nicht mehr leisten. Ist einmal eine Serie gekauft, läuft sie halt in der Endlosschleife bis niemand mehr zusieht. Die redaktionelle Begleitung reicht offenbar schon lange nicht mehr, auch nur korrekte oder gar ansprechende Beschreibungen der Serien in das EPG oder in den Videotext zu packen. Sidereel wirkt da seriöser als Pro7. Woher soll der Nutzer also wissen, ob die Links auf Sidereel nach GVU-Interpretation legal oder illegal sind?

Kurz zusammengefasst: die Bekämpfung der Nachfolger von Kino.to kann ein in die Länge gezogener Kampf werden, der aussichtsloser ist als der Krieg gegen Marihuana. Oder man schafft Konkurrenzangebote zu Hulu, die auch hierzulande abrufbar sind.

Gehört BILD zum Weltwissen?

Philipp Birken fragt:

Ist Wikipedia was den Umgang mit aktuellen Themen und insbesondere lebenden Personen angeht eher FAZ, als eine Institution dessen, was sich Qualitätsjournalismus nennt? Oder eher BILD?

Die Antwort ist für Phillip Birken klar: die unsägliche Berichterstattung um Kachelmanns Sexualleben gehört nicht in die Online-Enzyklopädie, ebensowenig Lebensläufe, die aus Google-Schnippseln zusammengesetzt wurden und daher im besten Fall ein grob verzerrtes Bild einer Person wiedergeben.

Wichtige Aspekte, die via Google nicht so einfach zu finden sind, werden nicht erwähnt. Die Inkludisten bei Wikipedia sagen nun: Das wird sich mit der Zeit schon bessern, irgendwann kommt jemand, der weiß mehr. Nur: Die Erfahrung zeigt, das passiert nicht, bis dann irgendwann Y den Artikel findet und sich zu Recht beschwert.

Das ist natürlich ein gewisser Widerspruch zu der Alles-wird-schon-irgendwie-klappen-Haltung, die Jimmy Wales besonders in den Anfangsjahren gezeigt hat. Lasst den Leuten ihre Steakmesser, sie werden schon keinen Unsinn damit treiben. Doch als eine der meist abgerufenenen Webseiten der Welt ist Wikipedia kein Steakhaus, in dem erwachsene Menschen ein gepflegtes Mahl einnehmen. Eher ein Kindergarten, in dem rostige Messer das einzige Spielzeug sind. Oder das Zelt eines Messerwerfers, der mit verbundenen Augen den tödlichen Stahl auf eine rotierende Zielscheibe wirft. Und der manchmal sein Ziel verfehlt, da auf der Scheibe nicht nur seine ewig gleich proportionierte Assistentin angeschnallt ist, sondern Menschen von unterschiedlichstem Gewicht und Statur. (Genug der Metaphern.)

Als Konsequenz fordert Philipp eine Überarbeitung der Relevanzkriterien vor:

Was tun? Ich schlage vor, dass die bestehenden Relevanzkriterien mit zwei wesentlichen anderen Richtlinien in Wikipedia abgeglichen werden: Dem Neutralen Standpunkt und der zu Artikeln über lebende Personen. Kurz gesagt kann ein qualitativ guter und ethisch vertretbarer Wikipediaartikel über eine lebende Person nur dann geschrieben werden, wenn ausreichend neutrale Quellen zur Person vorhanden sind. Ist dies bei der Personengruppe, um die es sich in dem Relevanzkriterium dreht, nicht der Fall, wird das Relevanzkriterium entsprechend verschärft.

Wenn man das weiter denkt, müsste man eigentlich auf die Relevanzkriterien verzichten können. Letztlich ist kann die Frage nicht sein, ob ein Thema einen Artikel „verdient“, sondern nur ob ein Artikel gut gelingen wird.

Problematisch wird auf Dauer der Umgang mit Quellen. Philipp fordert ein Verbot, „Bild“ als Quelle zu verwenden und prognostiziert eiunen Niedergang von Qualitätsblättern wie der FAZ. Damit läuft Wikipedia auf ein Paradoxon zu: wie kann die Enzyklopädie besser sein als seine Quellen, wenn alles in der Wikipedia eben durch diese Quellen belegt werden muss? Wäre Wikipedia dann eine Sammlung von „Weltwissen“ oder eher eine zusammengestrichene Version der Medienrealität mit ein paar akademischen Einsprengseln?

Spannend ist noch ein Punkt, den Phillipp anspricht:

Die Wikimedia Foundation hat das Problem auf dem Schirm, so gibt es beispielsweise eine eigene Policy für Biographien lebender Personen und gerade eben hat sie eine Policy für den Umgang mit Photos lebender Personen verabschiedet. Nur bedeuten diese immer nur, dass die Communities in den Einzelprojekten angehalten sind, diese auch zu befolgen, nicht dass die Foundation diese durchsetzen würde.

Der Gedanke ist: Die Community wird es schon richten. Und wenn die Community es nicht richtet, kann die Wikimedia Foundation als äußerste Maßnahme den Stecker ziehen und eine Sprachversion eines Projektes abschalten.

Wasserdicht

Gestern ging folgender Satz durch die Medien — ich hab ihn in der Tagesschau gehört und er steht auch in einer dpa-Meldung:

Die Energiekonzerne zweifeln, ob die geplante stufenweise Abschaltung der neun verbleibenden Kernkraftwerke juristisch wasserdicht ist.

Eine andere Meldung des Tages:

Doch es passt ins Bild, dass die Strahlengefahr im Keller lauert. Dort haben sich inzwischen 105.000 Tonnen hochradioaktiven Wassers gesammelt, das seit Wochen zur Kühlung in die Gebäude gepumpt wird. Die strahlende Brühe droht nun aus den Kellern der geborstenen Gebäude überzulaufen und wieder einmal in den Pazifik zu gelangen.

Ich weiß, die Verknüpfung dieser beiden Meldungen anhand der blumigen Wortwahl von Journalisten ist kein Argument, es gibt hier keine logische Verknüpfung. Nennen wir es trotzdem einen Denkanstoß.