Das Gutten-Fake-Mysterium – eine einfache Erklärung

In den letzten Tagen möchte ich immer mal wieder Schläge auf Hinterköpfe verteilen. Die Pro-Guttenberg-Gruppen auf Facebook beschäftigt viele Köpfe, nur das Denken scheint dabei etwas kurz zu kommen.

So gibt es die Guttenberg-Kritiker, die mit durchweg unstichhaltigen Argumenten Indizien für einen großen Fake herbeireden wollen und damit viel Applaus bekommen. Dann gibt es Leute wie Sascha Lobo und Marcus Schwarze, die zwar lobenswerterweise Fragen stellen, aber schon an der Fragestellung scheitern. Sascha Lobo wird mit seinem Crowdsourcing-Experiment lediglich zeigen können, wie wenig seine Leser mit Guttenberg, BILD und Merkel sympathisieren. Und Marcus Richter Schwarze hat letztlich nur festgestellt, dass die Facebook-Statistik weder Fakes noch gekaufte Accounts ausweist.

Nachdem die meisten groß angekündigten Pro-Guttenberg-Demonstrationen im wohl verdienten Gelächter untergegangen sind, ist die Fraktion, die mit dem Brustton der Überzeugung vom Facebook-Fake spricht wieder besonders lautstark. Problem: diese Leute haben so wenige Beweise oder Indizien wie vorher.

Versuchen wir es einfach mal mit einer einfachen Erklärung, beziehungweise mit drei Thesen:

  • Die meisten Leute, die bei „Pro Guttenberg“ auf den Like-Knopf geklickt haben, sind keine fanatischen Guttenberg-Fans. Sie haben schlichtweg genug von der andauernden Berichterstattung. Dem leidigen Thema noch einen Samstagnachmittag hinterherzuwerfen, fällt ihnen nicht ein. Der Pro-Guttenberg-Klick ist ein Klick gegen Massenmedien, Politik-Betrieb und Sensationslust. (Das muss aber nichts heißen: in sozialen Netzwerken beschweren sich viele Leute über die bösen Medien, die Charlie Sheen immer neue Gelegenheit geben sich zu demontieren. Dennoch hatte er auf Twitter an nur einem Tag eine Million Follower oder genauer: Gaffer gefunden.)
  • Demonstrationen zu organisieren benötigt Zeit. Netzwerke aufzubauen benötigt Zeit. Eine diffuse Masse ist eine diffuse Masse. Wer am Samstag auf Abruf bereit steht, ist vielleicht nicht der fotogenste Streiter für die eigene Sache.
  • Facebook ist ein lausiges Medium für politischen Diskurs. Statt Vielfalt abzubilden, ist Facebook das Äquivalent zum US-Fernsehmarkt geworden. Extrempositionen werden gepusht, weil sie Klicks und Zuschauer bringen. Hintergründe, Zusammenhänge oder gar Sacharbeit sind auf der Plattform kaum möglich – und werden auch nicht gefördert. Besonders in der Masse wird die individuelle Initiative beerdigt. Wer soll 5 Stunden Arbeit in etwas investieren, was im Zweifel nach fünf Minuten weggescrollt ist?

O2-Pornosperre: Netzneutralität trifft Netzsperren

Der Guardian hat eine Geschichte veröffentlicht, die als ein cautionary tale, eine mahnende Lektion für die Themen Netzneutralität und Netzsperren gesehen werden kann.

Der Mobilfunkprovider O2 hat demnach eine Sperre für „18+“-Webseiten eingeführt. Wer sich Webseiten ansehen will, die nichts für Jugendliche sind — zumindest nach Ansicht des Dienstleisters von O2 — wird auf eine Seite umgeleitet, wo sich der erwachsene User über eine Kreditkartenzahlung verifizieren soll. Wie bei so einem groben Eingriff in den Netzverkehr zu erwarten ist, hatte das unerwünschte Konsequenzen.

Lovefre.sh, a location-based service for finding fresh food, discovered that it had been rated at „only suitable for over 18s“ by a third-party company which provides content filtering for O2, and that users of its iPhone app – which has seen nearly 18,000 downloads from Apple’s App Store since its launch – would only see a blank page.

Sprich: die von O2 beauftragten Jugendschützer haben einen Service für frische Lebensmittel gesperrt. Weil: „fresh“ und „love“ sind ja eindeutige Zeichen für Teen-Pornographie, oder etwa nicht? Die Nutzer der iPhone-App des Anbieters bekamen den Hinweis auf die vermeintliche Jugendgefährdung durch frische Lebensmittel erst gar nicht angezeigt, da der Anbieter nicht damit gerechnet hat, dass ein Provider seine Datenströme anzapfen und verfälschen würde. Um die ungerechtfertigte Sperre abzustellen, benötigte O2 mehrere Tage.

Etwas misstrauisch wurde ich bei diesem Absatz, der das Vorgehen bei der Nutzerauthentifizierung beschreibt:

O2 says that the move is not censorship, and that it is not profiting from the verification process. A £1 payment is made, but £2.50 is then refunded to the credit card and the phone is approved for full access.

Ich glaube ja viel – aber dass O2 1,50 britische Pfund verschenkt, ist unrealistisch. Solche Geldgeschenke werden gewöhnlich nur verteilt, wenn eine Firma mit künftigen Einnahmen rechnet. Und der Gedanke scheint richtig: Den Leserkommentaren entnehme ich, dass die Kreditkarten-Verifizierung von der Firma bango.com bereitgestellt wird. Und der Webseite des Unternehmens entnehme ich, dass Bango nicht etwa Jugendschutz-Spezialist ist, sondern eine mobile Zahlungplattform bereitstellt.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hier zwei und zwei zusammenzuzählen. O2 leitet Leute, die vermeintlich auf Pornos zugreifen wollen, auf einen Zahlungsservice um, wo sie sich zwangsweise registrieren müssen. Der Zahlungsanbieter gibt den Leuten einen kleinen Anfangsbonus, weil er erwartet an zukünftigen Einnahmen beteiligt zu werden. Und was verkauft sich im Netz besonders gut? Richtig: Pornos.

(Update:) Bango versichert auf seiner Website:

What content types can be billed?
All forms of content from general through to all forms of adult. However, all content which is not suitable for those under 18 must be rated as R in the Bango system and payment may only be collected from those which have been verified by Three as over 18. The Bango system handles this automatically.

Auf deutsch: O2 beweist hier keine Fürsorge für Kinder, sondern nur für die eigene Bilanz. In der Preistabelle von Bango.com wird O2 UK mit einer bemerkenswert hohen Auszahlungsrate von 84,1 Prozent für die Gewerbekunden aufgeführt. Sprich: 15,9 Prozent der abgewickelten Beträge bleiben bleiben bei Bango und O2. Zahlen die Kunden hingegen über einen Zahlungsanbieter, der kein Abkommen mit O2 hat, dann geht der Provider leer aus.

Jugendschutz kann so ein einträgliches Geschäft sein.

Update: wie Wired berichtet waren weitere Seiten betroffen:

Among the sites blocked at the time of writing are Gawker’s car blog Jalopnik, sexual health charity Brook and even Google Translate. Thankfully, Wired.co.uk slips through the net — for now.

The Register hat einige Hintergründe zu den Jugendschutzsperren. Demnach sind mobile Provider seit Jahren verpflichtet, Jugendschutzsysteme anzubieten. Die Umsetzung grenzte aber schon immer ans Kuriose:

All the UK’s mobile operators face the same issue – unlike fixed internet service provides the mobile operators are required to police access to adult content. Orange will let you drop into a shop with a photo ID and most operators will verify age over the phone one way or another – your correspondent’s suggestion, while employed at O2 half a decade ago, was that customers should just be asked to name two Pink Floyd albums, but that wasn’t considered secure enough.

Wohlgemerkt: die Regeln gelten nur für das mobile Netz. Wer über einen O2-Hotspot online geht, kann ohne age verification weiter surfen.