Erkläre Dir das, wie Du willst

3Sat widmete der „Jagd auf Wikileaks“ am Freitagabend eine Sondersendung. Moderatorin Tina Mendelsohn eröffnete die Sendung so:

Seit dem Wikileaks-Skandal ist es gar nicht mehr so einfach — meine Damen und Herren — kein Verschwörungstheoretiker zu sein. Ich begrüße Sie.

Vor ein paar Tagen bekam eine Freundin folgende E-Mail eines sehr reichen Amerikaners über die Verfolgung Julian Assanges, des Gründers von Wikileak. Der amerikanische Freund, der schrieb:

„Ein paar Tage bevor Julian verhaftet wurde, wollte ich Geld in seine Verteidigungskasse überweisen. Das heißt, ich habe das versucht. Kurz danach hatte ich keinen Zugang mehr zu allen meinen Konten. Erkläre Dir das, wie Du willst.

In Australien ist Julian Assange ein Held. Heute gab es dort große Demonstrationen in Sidney. Vor drei Tagen wurde Julian Assange in London verhaftet und seit gestern wird zurückgeschossen.

Liebe Frau Mendelsohn,

für mich ist es gerade nach den Wikileaks-Skandalen keinerlei Problem nicht zum Verschwörungstheoretiker zu werden. Grund dafür sind Leute wie Sie, die sehr schön demonstrieren, wie sie aus Unwissenheit, Skandalsucht oder politischer Anschauung selbst relativ einfache Sachverhalte nicht mehr bewältigen und trotzdem Sendeminuten und Zeitungsseiten mit Halb- und Unwahrheiten füllen dürfen.

Der amerikanische Freund, der laut Screenshot sogar ein Milliardär ist, ist das perfekte Beispiel: Welche Geschichte wollen Sie uns da erzählen? Die US-Regierung lässt alle Konten sperren, von denen Geld für Wikileaks gespendet wurde? Ach nein, Sie sagen es ja gerade nicht – Sie liefern lediglich eine einseite Auswahl von Nicht-Fakten, die unweigerlich zu der oben genannten Verschwörungstheorie führt. Erkläre Dir das, wie Du willst.

Wenn man tatsächlich den gesunden Menschenverstand oder ein wenig journalistische Neugier einschalten würde, wäre das vermutlich sehr schnell erklärt. Ich nehme an, US-Milliardäre lassen sich nicht einfach kommentarlos alle Konten sperren und verlangen sehr lautstark Aufklärung über eine solche Sperre. Gleichzeitig haben in den letzten Tagen Tausende an Wikileaks gespendet — deren Konten müssten ja auch gesperrt werden, wenn denn der insinuierte Zusammenhang bestünde.

Sprich: wenn Sie eine Erklärung suchen wollten, würde Sie wahrscheinlich relativ schnell eine bekommen. Sie haben sich dafür entschieden keine Erklärung zu suchen. Stattdessen servieren sie ihrem Publikum eine brühwarme Verschwörungstheorie und entschuldigen sich damit, dass es anders ja nicht so einfach wäre. Gleichzeitig decken Sie in einer Jubelarie — in der Sie von Tausenden Wikileaks-Servern und einer riesigen Demonstration in Sidney fabulieren — jeden Unterschied zwischen Wikileaks und Anonymous zu. Die „Bild“ macht genau das Gleiche, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Ein ähnlicher faktenfreier Beitrag bei BoingBoing hat mir gestern schon die Kinnlade herunterklappen lassen. Dort stand zu lesen, der CIA hätte einen Wikileaks-Mirror angelegt, um die IP-Adressen derer abzuschöpfen, die Wikileaks-Dokumente lesen. Eine wirklich widersinnige Behauptung – bekäme der CIA durch einen Wikileaks-Mirror doch viel interessantere Datn in die Hand. Doch auch das hat sich erledigt, da die Ursprungs-Meldung ein offenkundiges Missverständnis innerhalb eines Forenthreads war. In diesem Fall hat es glücklicherweise jemand anderes übernommen, die Fehler aufzuzählen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn es sich tatsächlich jeder heute nur „einfach“ machen will und deshalb ungeprüft Verschwörungstheorien in die Welt hinauspustet — dann ist der Journalismus kaum zu retten. Nennen Sie mich naiv, Frau Mendelsohn, aber von 3Sat hätte ich mehr erwartet.

Nachtrag: Jetzt ist auch die „Operation Leakspin“ online und begrüßt uns gleich am Anfang mit dieser These:

Reports have to be posted, reviewed and if necessary corrected on the Quality Control System. This will lead to an enormous advantage over conventional journalism.

Das ist falsch. Denn konventioneller Journalismus umfasst nämlich genau das: Gegenlesen und Qualitätskontrolle. Es funktioniert zwar mal weniger gut, mal überhaupt nicht (siehe oben) – trotzdem sind diese Prinzipien im konventionellen Journalismus fest institutionalisiert. Wenn die Leakspin-Macher nicht mal dies wissen, wird der eigene Qualitätsanspruch wie bei den vielen, vielen Vorläufern wohl kaum erfüllt werden.