Protz-Kimble ist zurück

Kim Schmitz ist ein paar Jahre von der Bildfläche verschwunden – offenbar kann er das Protzen aber nicht lassen. Der New Zealand Herald berichtet von den Silvesterplänen:

A jet-setting German businessman with a chequered past of computer hacking and insider trading is laying on a spectacular New Year’s fireworks display for Aucklanders.

Kim Schmitz, who calls himself Kim Dotcom, has contracted master pyrotechnician Martin Van Tiel to set off 2000 large shells of fireworks from two barges in the Waitemata Harbour for 10 minutes from midnight.[…]He told the Herald yesterday his client, whom he called Kim Dotcom, had businesses in New Zealand and Hong Kong. „He just loves fireworks.“

Although he could not say how much the display was costing, another pyrotechnics expert believed it was unlikely to be less than $150,000.

Verlassen sollte man sich aber auf die Angaben des Herald aber keineswegs. Zwar hat der Autor Mathew Dearnaley die Vergangenheit von Schmitz recherchiert, aber er hat sich offenbar von der Schmitz-typischen Gigantomanie anstecken lassen:

In 2001, he bought shares in an ailing web company, pushed up the stock price by announcing he would invest US$100 million ($130 million) in it, and sold out for a large profit.

In Wahrheit versprach Schmitz eine Investition von 50 Millionen Euro – damals also ungefähr 46 Millionen Dollar.

JMStV auf britische Art: Netzsperren für Pornos

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident hat es schon klar gemacht – wenn die schöne Illusion des staatlichen Jugendmedienschutzes nicht durchsetzbar ist, muss man zu härteren Mitteln greifen: Sperrverfügungen – auch bekannt als Netzsperren.

Die britische Regierung — nicht gehindert durch ein föderales System — ist offenbar schon weiter, wie ein Artikel der Sunday Times beschreibt:

THE UK Government is to combat the early sexualization of children by blocking internet pornography unless parents request it, it was revealed today.

[…]

Instead of using parental controls to stop access to pornography – so-called „opting out“ – the tap will be turned off at source. Adults will then have to „opt in.“

Sprich: die Provider sollen sämtliche Internetseiten weltweit nach Porno-Gehalt qualifizieren und für ihre Kunden sperren. Zugang erhält nur, wer sich einem — wie auch immer gearteten — Alterscheck unterzieht. Die Erfahrung lehrt, dass solche Klassifikationen sehr verschieden ausfallen können. Selbst beim relativ gut abgegrenzten Begriff Kinderpornografie gibt es zum Teil große Schwierigkeiten.

Kurios ist die Begründung:

It follows the success of an operation by most British internet service providers (ISPs) to prevent people inadvertently viewing child porn websites. Ministers want companies to use similar technology to shut out adult pornography from children.

Sprich: die Kinderporno-Sperren sind das Vorbild. Was bei Kinderpornos funktioniert, muss ja auch für Pornos klappen.

Dazu gibt es zweierlei zu sagen. Erstens: Ob die Kinderporno-Sperre in Großbritannien ein Erfolg ist, hat bisher niemand wirklich untersucht. Einige Provider sperren, andere sperren nicht. Die Zahl der Sperren wird registriert – und das war es auch schon. Ob die Maßnahme irgendeine Wirkung hatte, ist auch fast ein Jahrzehnt nach Einführung unbekannt. Dass sich Leute unabsichtlich Kinderpornos ansehen, ist nach meiner Erfahrung lediglich eine oft verwendete Schutzbehauptung — ob im Gegenzug die Bemühungen der britischen Polizei zur Löschung von Kinderporno nicht so ausgeprägt sind, wie sie sein könnten, wurde sicherheitshalber auch nicht untersucht.

Das Argument ist: das Mittel ist erfolgreich, weil das Mittel existiert. Mit der gleichen Begründung könnte man sagen, dass der Wintereinbruch in Deutschland keinerlei Verkehrsprobleme verursacht hat. Schließlich fahren ja regelmäßig Streufahrzeuge und die Enteisungs-Teams an den Flughäfen sind dauernd im Einsatz.

Zweitens: Aufgrund der enormen Menge an Pornografie im Netz sind die Maßnahmen sehr schwer umzusetzen. Die Kinderpornografie-Sperren betreffen im Höchstfall ein paar Tausend Seiten – legale Porno-Seiten gibt es hingegen im Millionenbereich. Hier zu filtern führt entweder zu dramatischen Über- oder Unterreaktionen. Entweder werden nur ein paar Seiten gesperrt oder die Ausmaße sind so dramatisch, dass selbst die Wikipedia riskiert, blockiert zu werden. Kinderpornografie und Pornografie sind nicht vergleichbar – im einen fall wird oft realer Kindesmissbrauch gezeigt, im zweiten Fall haben Erwachsene Sex, eins der fundamentalsten Rechte der Menschen. Ob freiwillig, unfreiwillig, ob aufklärend oder schädlich ist für Zugangsprovider schlicht nicht zu unterscheiden. Sexuell aufgeladene Nacktheit, Aufklärung, der obere Reihe im Zeitschriftenregal, der Graubereich ist enorm.

Doch was spielen Fakten für eine Rolle, wenn man öffentliche Empörung zur Entscheidungsgrundlage macht?

„In the past, internet porn was regarded as a moral issue or a matter of taste. Now it has become a mental health issue because we now know the damage it is causing. We are seeing perverse sexual behavior among children. Legislation is both justifiable and feasible.“

She quoted the example of two underage brothers sentenced to at least five years‘ detention this year for a sadistic sex attack on two other boys in South Yorkshire. The brothers were said to have had a „toxic“ home life where they were exposed to pornography.

Die Diagnose gesellschaftlicher Probleme anhand des Extremfalls ist ein üblicher politischer Schachzug — ob und welche Auswirkungen Internet-Pornografie auf die Jugend im Allgemeinen haben, ist bisher keinesfalls erwiesen.

Was werden diese Politiker wohl vorschlagen, wenn sie erkennen, dass Pornografie trotz ihrer Netzsperren weiterhin über P2P-Tauschbörsen oder gar Handies ausgetauscht werden? Wann kommt die Forderung, dass man doch auch Wikileaks sperren sollte? Wenn man Millionen Porno-Seiten sperren kann, sind 2000 Wikileaks-Mirror ja auch kein Problem.

Deutsche Netzsperren-Gegner können sich erst Mal freuen. Ihr Argument, dass Netzsperren einer Art recht schnell zu Sperren anderer Art und damit zu einer umfassenden Internet-Zensur führen werden, wurde einmal mehr bestätigt. Nicht in Saudi-Arabien, China oder der Türkei, sondern in MittelEuropa, in der Geburtsstätte der parlamentarischen Demokratie.

Do you remember CamelCase?

Germany is a country in the middle of EuropE and it takes part in the EuroCurrency. Feel free to add more stuff you’d like to add.

Das stand am 20. Januar 2001 in der frisch aufgesetzten Wikipedia. Wer sich über die kReative GroßUndKleinSchreibung wUndert: So setzte man damals Links.

Heute würde dieser Artikel freilich einen Schnell-Löschantrag kassieren. Zu Recht.

Die andere Wikileaks-Verschwörung

Julian Assanges Anwalt lässt sich seit Tagen ausgiebig über eine angebliche geheime Grand Jury in den USA aus, die die Anklage gegen Assange vorbereiten soll. Eine Befürchtung, die nicht von der Hand zu weisen ist — die den zeitraubenden Widerstand gegen eine Rückkehr nach Schweden aber rätselhaft macht. Wäre Assange bereits im November nach Schweden zurückgekehrt um dort seine Aussage zu machen, wäre er — seine Unschuld vorausgesetzt — vielleicht schon wieder frei und müsste nicht befürchten von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden.

Der zweite Punkt, an dem die Geschichte wenig Sinn ergibt: warum sollte Schweden so viel bereitwilliger an die USA überstellen als Großbritannien? Inmitten des Promi-Trubels hat Assanges Anwalt Mark Stephens halt wenig Zeit für substanzielle Erläuterungen. Sie lägen auch nicht unbedingt im Interesse des Angeklagten: Stephens führt nicht nur einen juristischen Kampf vor Gericht, er spielt auch den PR-Beauftragten Assanges, der die öffentliche Stimmung zugunsten Assanges beeinflussen will.

Das ist bei Verfahren mit politischer Brisanz nicht unwichtig, verstopft aber die Informations-Kanäle. Ob die grand jury überhaupt existiert ist unklar – die bloße Behauptung des Anwalts reicht vielen Medien aus, um die Nachricht weiter zu verbreiten. Dass Stephens in dem Fall natürlich keine neutrale Informationsquelle ist, wird Mal mehr, mal weniger gut transportiert.

Die New York Times — die wegen eines kritischen Portraits bei Assange in Ungnade gefallen ist und danach keinen direkten Zugang mehr zu den Wikileaks-Dokumenten erhielt, bringt ein wenig Lichts ins juristische Dunkel. In einem Artikel wird eine mögliche Anklage thematisiert. Zentraler Anklagepunkt wäre demnach nicht Geheimnisverrat oder Spionage, sondern Verschwörung.

Justice Department officials are trying to find out whether Mr. Assange encouraged or even helped the analyst, Pfc. Bradley Manning, to extract classified military and State Department files from a government computer system. If he did so, they believe they could charge him as a conspirator in the leak, not just as a passive recipient of the documents who then published them.

Spannend ist dieser Punkt:

Among materials prosecutors are studying is an online chat log in which Private Manning is said to claim that he had been directly communicating with Mr. Assange using an encrypted Internet conferencing service as the soldier was downloading government files. Private Manning is also said to have claimed that Mr. Assange gave him access to a dedicated server for uploading some of them to WikiLeaks.

Ob Adrian Lamo eine glaubwürdige Quelle ist, ist unklar — aber die absolute Trennung zwischen Informanten und Wikileaks durch technische Verfahren war immer ein Verteidigungswall von Wikileaks. Assange betont immer wieder, er selbst wüsste nicht, ob Bradley Manning die Quelle für die veröffentlichten Dokumente der USA ist. Offenbar, um genau den Vorwurf zu entkräften, der jetzt in den USA erwägt wird. Sollten zum Beispiel auf Mannings Computer Logs existieren, die das Gegenteil zeigen, wäre Wikileaks in Erklärungsnot.

Doch sollte das überhaupt eine Rolle spielen? Bei Journalisten spielt es ja auch keine Rolle ob er mit den Informanten geredet hat oder ob ein brauner Umschlag plötzlich im Briefkasten liegt. Hans Leyendecker hatte dazu vor Monaten ein interessantes Interview gegeben, in dem er auch erklärt hat, wie oft er Informanten einen Laufpass gibt. Dass Assange Bradley Manning bestochen hat, ist kaum zu vermuten — ein Geldfluss wäre wohl ziemlich einfach nachzuweisen.

Das führt zurück zu der Kernfrage: Ist Wikileaks ein publizistisches Angebot wie Spiegel, Guardian und New York Times? Oder ist die Plattform wenigstens die Erweiterung der geschützten MEdien zu verstehen? In einer gemeinsamen Erklärung haben heute die tageszeitung, der Freitag, die Frankfurter Rundschau, der Tagesspiegel, European Center For Constitutionel and Human Rights (ECCHR) und Perlentaucher.de zeitgleich einen Appell gegen die Angriffe auf Wikileaks veröffentlicht, in dem auch diese Frage eine Rolle spielt:

Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbriefte Publikationsfreiheit ist eine Grundlage der demokratischen Gesellschaften. Sie gilt nicht nur für klassische Medien wie Zeitungen oder Fernsehanstalten. Das Internet ist eine neue Form der Informationsverbreitung. Es muss den gleichen Schutz genießen, wie die klassischen Medien. Längst hätte es einen weltweiten Aufschrei gegeben, wenn die USA ein Spionage-Verfahren gegen die New York Times, einen finanziellen Kreuzzug gegen den Spiegel oder einen Angriff auf die Server des Guardian führen würden.


So unbequem es auch für Assange wäre – eine gerichtliche Auseinandersetzung über diese Frage in den USA könnte tatsächlich Rechtsgeschichte schreiben. So war es auch im Fall von Daniel Ellsberg, der die pentagon papers über Lügen der US-Regierung im Vietnam-Krieg geleakt hatte, aber erst über den Freispruch vor Gericht wesentlichen Einfluss auf die Rechtsprechung und damit auf den Journalismus in den USA nehmen konnte.

PS: Die BBC erklärt in einer FAQ die Gesetzeslage im Fall Assange. Demnach wäre es einfacher, Assange direkt aus Großbritannien ausliefern zu lassen. Denn würde er in Schweden inhaftiert, müsste die USA sowohl die Zustimmung Schwedens, als auch die Zustimmung Großbritanniens bekommen, um Assange ausgeliefert zu bekommen.

It has been suggested that it would be easier for the United States to extradite Mr Assange from Sweden than from the United Kingdom.

This does not appear to be the case as the United States would have to show that there were reasonable grounds for the extradition from Sweden. This is arguably a higher test than the test which applies when an extradition is sought from the United Kingdom.

Der oft insinuierte Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungsvorwürfen und dem Vorgehen der USA gegen Wikileaks wird damit noch etwas unwahrscheinlicher. (Danke, Armin.)

Irrsation

Genie und Wahnsinn liegen nah, genau wie Sensation und Irrsinn. Besonders auf Bild.de.

Auf der einen Seite die Aussage eines sachverständigen Zeugen, auf der anderen Seite total inaktuelle Erkenntnisse über eine ganz und gar fiktionale Theorie. Links: Irrsinn. Rechts: Sensation.

How Jon Stewart Stole 9/11!

Neben den „Bush tax cuts“ gehört derzeit ein Gesetz zur Unterstützung von Einsatzkräften, die im Einsatz rund um die Attacken vom 11. September 2001 ihre Gesundheit oder ihr Leben verloren zu den Haupt-Streitpunkten der US-Politik. Die Republikaner haben mit ihrer neu gewonnenen Kongress-Mehrheit die Blockade aller demokratischen Gesetzesvorhaben angekündigt. Die Demokraten beschimpfen sie, weil sie dadurch die Hilfen für Helden von 9/11 verhindern. Helden sind sehr wichtig für die USA — wie sonst sollte man knapp 1,5 Millionen aktiver Streitkräfte motivieren und rechtfertigen?

Nun hat Jon Stewart zum publizistischen Gegenschlag ausgeholt. Er sagt: 9/11 gehört nicht mehr der Republikanischen Partei. Und das auf eine ungewöhnlich deutliche Art:

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
Lame-as-F@#k Congress
www.thedailyshow.com

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Trotz des überschäumend zur Schau gestellten Patriotismus räume ich der Kampagne jedoch wenig Chancen ein.

Erkläre Dir das, wie Du willst

3Sat widmete der „Jagd auf Wikileaks“ am Freitagabend eine Sondersendung. Moderatorin Tina Mendelsohn eröffnete die Sendung so:

Seit dem Wikileaks-Skandal ist es gar nicht mehr so einfach — meine Damen und Herren — kein Verschwörungstheoretiker zu sein. Ich begrüße Sie.

Vor ein paar Tagen bekam eine Freundin folgende E-Mail eines sehr reichen Amerikaners über die Verfolgung Julian Assanges, des Gründers von Wikileak. Der amerikanische Freund, der schrieb:

„Ein paar Tage bevor Julian verhaftet wurde, wollte ich Geld in seine Verteidigungskasse überweisen. Das heißt, ich habe das versucht. Kurz danach hatte ich keinen Zugang mehr zu allen meinen Konten. Erkläre Dir das, wie Du willst.

In Australien ist Julian Assange ein Held. Heute gab es dort große Demonstrationen in Sidney. Vor drei Tagen wurde Julian Assange in London verhaftet und seit gestern wird zurückgeschossen.

Liebe Frau Mendelsohn,

für mich ist es gerade nach den Wikileaks-Skandalen keinerlei Problem nicht zum Verschwörungstheoretiker zu werden. Grund dafür sind Leute wie Sie, die sehr schön demonstrieren, wie sie aus Unwissenheit, Skandalsucht oder politischer Anschauung selbst relativ einfache Sachverhalte nicht mehr bewältigen und trotzdem Sendeminuten und Zeitungsseiten mit Halb- und Unwahrheiten füllen dürfen.

Der amerikanische Freund, der laut Screenshot sogar ein Milliardär ist, ist das perfekte Beispiel: Welche Geschichte wollen Sie uns da erzählen? Die US-Regierung lässt alle Konten sperren, von denen Geld für Wikileaks gespendet wurde? Ach nein, Sie sagen es ja gerade nicht – Sie liefern lediglich eine einseite Auswahl von Nicht-Fakten, die unweigerlich zu der oben genannten Verschwörungstheorie führt. Erkläre Dir das, wie Du willst.

Wenn man tatsächlich den gesunden Menschenverstand oder ein wenig journalistische Neugier einschalten würde, wäre das vermutlich sehr schnell erklärt. Ich nehme an, US-Milliardäre lassen sich nicht einfach kommentarlos alle Konten sperren und verlangen sehr lautstark Aufklärung über eine solche Sperre. Gleichzeitig haben in den letzten Tagen Tausende an Wikileaks gespendet — deren Konten müssten ja auch gesperrt werden, wenn denn der insinuierte Zusammenhang bestünde.

Sprich: wenn Sie eine Erklärung suchen wollten, würde Sie wahrscheinlich relativ schnell eine bekommen. Sie haben sich dafür entschieden keine Erklärung zu suchen. Stattdessen servieren sie ihrem Publikum eine brühwarme Verschwörungstheorie und entschuldigen sich damit, dass es anders ja nicht so einfach wäre. Gleichzeitig decken Sie in einer Jubelarie — in der Sie von Tausenden Wikileaks-Servern und einer riesigen Demonstration in Sidney fabulieren — jeden Unterschied zwischen Wikileaks und Anonymous zu. Die „Bild“ macht genau das Gleiche, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Ein ähnlicher faktenfreier Beitrag bei BoingBoing hat mir gestern schon die Kinnlade herunterklappen lassen. Dort stand zu lesen, der CIA hätte einen Wikileaks-Mirror angelegt, um die IP-Adressen derer abzuschöpfen, die Wikileaks-Dokumente lesen. Eine wirklich widersinnige Behauptung – bekäme der CIA durch einen Wikileaks-Mirror doch viel interessantere Datn in die Hand. Doch auch das hat sich erledigt, da die Ursprungs-Meldung ein offenkundiges Missverständnis innerhalb eines Forenthreads war. In diesem Fall hat es glücklicherweise jemand anderes übernommen, die Fehler aufzuzählen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn es sich tatsächlich jeder heute nur „einfach“ machen will und deshalb ungeprüft Verschwörungstheorien in die Welt hinauspustet — dann ist der Journalismus kaum zu retten. Nennen Sie mich naiv, Frau Mendelsohn, aber von 3Sat hätte ich mehr erwartet.

Nachtrag: Jetzt ist auch die „Operation Leakspin“ online und begrüßt uns gleich am Anfang mit dieser These:

Reports have to be posted, reviewed and if necessary corrected on the Quality Control System. This will lead to an enormous advantage over conventional journalism.

Das ist falsch. Denn konventioneller Journalismus umfasst nämlich genau das: Gegenlesen und Qualitätskontrolle. Es funktioniert zwar mal weniger gut, mal überhaupt nicht (siehe oben) – trotzdem sind diese Prinzipien im konventionellen Journalismus fest institutionalisiert. Wenn die Leakspin-Macher nicht mal dies wissen, wird der eigene Qualitätsanspruch wie bei den vielen, vielen Vorläufern wohl kaum erfüllt werden.

Jugendmedienschutz, fiktiv

Jetzt, wo sogar Hinz und Svensson endlich „The West Wing“ entdeckt haben, kann ich ja meine Gewohnheit aufnehmen, jede politische Situation mit einem Quote aus der Serie zu kommentieren. Thema Jugendschutz und Meinungsfreiheit:

Reverend Van Dyke: If our children can buy pornography on any street corner for five dollars, isn’t that too high a price to pay for free speech?
President Bartlet: No.
Reverend Van Dyke: Really?
President Bartlet: On the other hand, I do think that five dollars is too high a price to pay for pornography.

Mega-Trend des Jahres 2011: Bullshit

Es ist Anfang Dezember — und daher an der Zeit, die Trend des kommenden Jahres zu benennen. Keine Bange: im nächsten Jahr überprüft niemand mehr die Vorhersagen. Ich habe festgestellt, dass ich bei Prognosen zu Fakten gar nicht so schlecht bin — allein mir fehlte die starke Thesen. Nun also:

Der Trend Nummer 1 des Jahres 2011 ist BULLSHIT.

Sicher werden wir alle diese location based semantik connect blabla in unsere Blogs und Smartphones integrieren, aber ist das die wesentliche Entwicklung? Nein, denn wir werden gleichzeitig tl;dr zu unserer Maxime erheben. Wer liest denn tatsächlich noch mehr als 5000 Zeichen? Wer hat auch nur für 3000 Zeit, Geduld für 1000 oder kann 500 am Stück tatsächlich verstehen? Brechen wir alles in Tweets herunter. Beschränke Dich nicht aufs Wesentliche, beschränk Dich auf den Slogan! Auf den Skandal! Sätze, die nicht mit einem Ausrufezeichen enden, sind verschenkt! Und Worte, die nicht mit „Mega“ beginnen, sterben aus. Das ist ein Mega-Trend! Da bin ich mir mega-sicher!

Wir werden fortfahren, die zu Experten zu erheben, die uns nach dem Mund reden. Oder falls wir keine Meinung haben, werden wir die zu Experten machen, die wohl am ehesten auf der Spiegel-Online-Bestseller-Liste landen. Bullshit pasteurisiert und zwischen zwei Buchdeckel gesteckt — und nach ein paar Jahren wird das Ganze auf der Amazon-Resterampe verschachert. Aber wen juckt es? Wer hat schon die Aufmerksamkeitsspanne, sich daran zu stören?

Wir werden in der U-Bahn unsere Kopfhörer aufsetzen und auf Twitter starren – damit wir nicht mitbekommen, was andere Menschen so machen, mit denen wir nicht per Facebook connected sind. Und falls doch, werden wir ein Twitpic davon machen und uns darüber amüsieren. Oder den blödesten Satz eines Mitfahrers aufschreiben und weitertweeten. Die haben Privatsphäre nicht verstanden, warum sollten wir simplen menschlichen Anstand verstehen?

Wir werden aufhören nach den Fakten zu Fragen. Was unsere Freunde, was unsere Leser denken, ist das Entscheidende. Wir reiten den den Hype. Obama ist ein Sellout, die Deutsche Bahn will unsere Innenstädte zerstören, der Klima-Wandel ist eine Erfindung, jeder Polizist hat geheime Marschorder von Teflon-Merkel. Was ihr wollt. Wir werden ständig neue Faktenschnippsel auskramen, die dem Trend-Glauben entsprechen. Die Atkins-Diät ohne Kohlehydrate hat Dir geholfen? Probier die Bullshit-Diät ohne Fakten. Es ist eine kleine Umstellung aber schon nach drei Wochen fühlt sich das Hirm herrlich entschlackt.

Trend 2: Rants.

Nothing juices the ratings like a little controversy.