Entschleunigte Fakten

So ganz genau habe ich nicht verstanden, was das Netzwerk Rechtschreibung netzwerk recherche da wieder fordert:

Einen "Fakten-TÜV" in allen Medien hat die Journalisten-Vereinigung netzwerk recherche (nr) zum Auftakt ihrer Fachkonferenz "Fact-Checking – Fakten finden, Fehler vermeiden" heute in Hamburg gefordert: "Ein Fakten-TÜV durch eigenständige Dokumentations- und Recherche-Spezialisten in allen Medien wäre ein Quantensprung für die Steigerung der journalistischen Qualität", sagte der Vorsitzende von netzwerk recherche, Thomas Leif, bei der Eröffnung der zweitägigen internationalen Fachkonferenz.

Ähm, ja… – Fakten zu prüfen gehört eigentlich zu den Grundaufgaben eines Redakteurs. Dieses Faktenchecken wieder mehr zu institutionalisieren wäre eine schöne Idee. Aber wer zahlt eigentlich für die zusätzlichen Dokumentare und Faktenchecker, in einer Zeit, in der Verlage ihre Redaktionen bis aufs Letzte aushöhlen? Und: sind die Leute wirklich an den entschleunigten Nachrichten von gestern interessiert, wenn die ungeTÜVte Version doch viel schneller und sexier ist? Sprich: ist das Ganze nur wieder eine wohlfeile Forderung ohne jede Aussicht auf Verwirklichung?

Wie wäre es mit einem Kompromiss-Vorschlag? Nehmen wir uns einmal mehr ein Beispiel bei der freien Wirtschaft – Outsourcing ist angesagt, Synergien sind zu nutzen! Der Fakten-TÜV wird zur Rating-Agentur – das wirkte ja schon beim Finanzmarkt wahre Wunder! Statt eine illusorische „systematische Überprüfung aller Medieninhalte“ anzugehen, kontrolliert die Stiftung Faktentest stichprobenartig die Verlässlichkeit der Medien. Die klügsten Köpfe des Journalismus werden auf die Richterbank des Bundesverfaktungsgerichts gerufen.

Hat es geregnet, obwohl Sonnenschein vorhergesagt war? Punktabzug! Wieder Mal ohne Sinn und Verstand von der englischen Yellow-Press abgeschrieben? Punktabzug! Ist Herr Kachelmann nachher gar unschuldig? Punktabzüge nach allen Seiten.

Am Schluss könnte gelingen, was bei Kinder-Lebensmitteln so umstritten war: eine Ampelkennzeichnung für faktenorientierte und weniger faktenorientierte Medien. Triple-C für „Bild“, eine B-Note für die „Rhein-Zeitung“ – und eine A-Note, ja, für wen eigentlich? Einen Recherchebericht musste ich schon Jahre nicht mehr bei einer Redaktion einreichen.

Missliebige Argumente kurz zusammengefasst

Cecilia Malmström macht Werbung für Netzsperren und fasst sich dabei kurz:

Beim Thema Reglementierung des Internets werfen Bürgerinitiativen zu Recht die Frage nach der freien Meinungsäußerung auf. Bilder von Kindesmissbrauch können jedoch unter keinen Umständen als legitime Meinungsäußerung gelten

Das ist natürlich eine Nebelkerze. Keine der Bürgerinitiativen, die ich kenne, will Kinderpornografie als freie Meinungsäußerung schützen. Das Argument ist, dass Netzsperren gegen Kinderpornografie nicht helfen, aber stattdessen sehr leicht gegen missliebige Meinungsäußerungen eingesetzt werden können.

P.S.: Wer nach über fünf Jahren Websperren in Europa zum Erfolg dieser Maßnahme immer noch nicht mehr sagen kann als dass die Filter ein paar Tausend Mal in unbestimmten Zeitintervallen anspringen, kann die Verkehrssicherheit auch an der Anzahl der verteilten Knöllchen messen.

Schuldbekenntnis des Journalisten

Ich bekenne Wolf, dem Sprachmächtigen,
dem seligen, allzeit reinen Reporteur Egon-Erwin,
dem heiligen Schmidt, dem Kanzler,
den heiligen Aposteln Rudolf und Jakob,
allen taz-Redakteuren,
und Euch, Brüder und Schwestern,

dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe.
Ich habe gesündigt in Worten, Worten und noch mehr Worten,
durch meine Schuld, durch meine Schuld,
durch meine große Schuld.

Ich habe gespeist vom Tisch der Sponsoren,
habe mich vom goldenen Kalb der page impressions leiten lassen,
und nicht genug getan, das Licht zu bringen
zu den Menschen der Erde,

Ich habe gelauscht den Verlockungen
der öffentlichen Meinung,
geschrieben, was jeder lesen wollte,
und gehuldigt der Zielgruppe.

Ich habe wichtige Themen versinken lassen,
weil sie zu kompliziert,
zu schwer und
schlichtweg zu viel Arbeit waren.

Ich habe Meinung transportiert,
wo Aufklärung Not tat,
habe Euch gesagt,
was ihr hören wolltet.

Ich habe Voyeurismus als Information verkauft,
in einer Person
angeklagt, verurteilt und gerichtet.

Ich habe Pauschalhonorare akzeptiert,
und aus der New York Times abgeschrieben,
was ich selbst nicht glauben wollte.

Habe Freunde zitiert,
in Hoffnung
sie wären Experten.

Habe Stimmung gemacht,
überzeugt,
das sei Aufklärung.

Habe getan,
als wüsste ich
was ein Potentiometer ist.
und warum Nieten besser als Kleber sind.

Darum bitte ich den seligen Egon-Erwin,
alle Redakteure und Heiligen,
und Euch, Brüder und Schwestern,
für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.

Wie überall auf der Welt üblich

Heute auf Heise:

Die chinesische Regierung setze sich im Rahmen der Gesetze und Vorschriften für eine Offenheit des Internets ein, was überall in der Welt so üblich sei, sagte Qin. „China will aber verhindern, dass der Informationsfluss im Internet zur Gefährdung der nationalen Sicherheit sowie der Interessen der Gesellschaft und der Öffentlichkeit werden könnte.“

Wer will ihm ernsthaft widersprechen, dass dies die zur Zeit international übliche Praxis beziehungsweise die verfolgte Strategie ist?

Street! Art?

Da im überdachten Teil Berlins Kunst und Kultur so überaus spärlich gesät sind, haben die Berliner Blogger – also die Zugereisten aus Schwaben und dem Rheinland – die „Street Art“ entdeckt, die sie mit ihren iPhones und Blackberries fotografieren und mit der sie schrecklich angeben.

Nun: in der Internethauptstadt Köln haben wir auch Straßen!

Ob das Kunst ist – keine Ahnung… Aber Straßen haben wir!

Vergesst Google Street View!

Ich bin ja immer wieder überrascht, mit welcher Verve über Google Street View debattiert wird. Das ist für mich der Google-Service, der mein Blut am wenigsten in Wallung bringt.

Warum? Nun, zum einen gabs das Prinzip schon vor über zwei Jahren in Deutschland. Im Angebot e-rent.de sind Videostadtpläne abrufbar – ganz ohne Anonymisierung oder Proteste. Natürlich ist die Bildqualität schlechter – aber was genau ist der Schaden von Google Street View, den E-Rent nicht anrichtet?

Wer sich wirklich über Google aufregen will, sollte seinen Blick zum Beispiel auf Google Latitude und die anderen location based services richten und mal fragen, was individualisierte Geodaten sind und wie damit umgegangen wird. Zum Nachdenken: Wozu eine Vorratsdatenspeicherung, wenn man viel ausführlichere Bewegungsprofile per Gerichtsanordnung von Google bekommen könnte?

Wiki-Forschung und Drama

Die Wikipedia Signpost ist immer wieder lesenswert. Diese Woche gibt es eine interessante Melange aus Wiki-Forschung und Wikidrama:

A community debate is ongoing at Wikiversity over appropriate content and the viability of Wikiversity, sparked by a wheel-warring and deletion incident. The issue had to do with a page created by Privatemusings called "Ethical Breaching Experiments," which was for designing and recording experiments designed to test Wikipedia's vandalism defenses and processes for removing false content. As reported last week, a false biography was on the front page of Wikipedia on 2 March as a DYK; the bogus information was designed as a breaching experiment, and the appropriateness of such experiments has recently been under community debate.

After being notified on his talk page about the new project, Jimmy Wales deleted the Wikiversity page as being "out of scope" (later referring to it as disruptive) and blocked the primary contributor, Privatemusings. The page was restored by SB Johnny, who also undid the block; finally, Wales redeleted the pages, restored the block, and desysopped SB Johnny. Gbaor resigned his Wikiversity adminship in protest of Wales‘ actions.

Don’t mess with Jimbo!

Seitenhiebe auf Fefe

Felix von Leitner und ich haben furchtbaren Streit. Es klingt zumindest so. Weil: ich habe Vorbehalte gegen eine bestimmte Einstweilige Verfügung, er hingegen findet alle Einstweilige Verfügungen doof – außer natürlich denen, bei denen sein Verein auf der Gewinnerseite steht. Uns trennen also Welten.

Desweiteren beschwert sich Felix, dass er auf Twitter meine Seitenhiebe auf ihn nicht lesen kann, obwohl er offenbar die Retweets kennt. Logik 2.0. Um das Geheimnis zu lüften: diese „Heckenschützen“-Seitenhiebe sind eigentlich genau das, was ich zum Beispiel hier, da und dort aufgeschrieben habe, natürlich mit erheblich weniger Text. Das Muster ist immer gleich: Leute lesen bei Fefe eine Ente oder ein paar völlig aus dem Zusammenhang gerissene Faktenschnippsel und reichen den Link massenhaft weiter. Ich schnappe das zufällig auf und schreibe denjenigen kurz zurück, was daran nicht stimmt.

Meist handelt es sich meist um Kleinigkeiten, Petitessen. Zum Beispiel wenn er triumphierend Analograuschen auf einer Digitalaufnahme entdeckt – obwohl der Ersteller ausdrücklich sagt, dass er keine Digitaltechnik verwendet hat. Oder wenn er aus einer gekürzten Agenturmeldung eine finstere Verschwörungstheorie bastelt, obwohl der so schmerzlich vertuschte Fakt einen Klick weiter steht. (Ja, Focus Online gehört auch zu meinen Auftraggebern, nein, das ist nicht der Grund für die Kritik.) Etc, pp. Früher habe ich Felix auch schon Mal direkt gemailt. Aber irgendwie war er an Korrekturen erheblich weniger als an meinen Tweets interessiert.

In den meisten Fällen wäre nur ein ein Minimum an Neugierde, ein weiterer Klick nötig, um zu erkennen, dass eine Meldung falsch ist, dass der Kontext ein ganz anderer ist, dass eine Quelle ganz und gar unglaubwürdig ist. Manchmal würde es auch genügen die verlinkten Artikel überhaupt mal zu lesen.

Dann würde einem vielleicht auch auffallen, dass ich mich im Bildblog keinesfalls für grenzenlose Gerüchterstattung ausspreche. Um den Eindruck zu erwecken hat Fefe natürlich wieder den Part mit den Konjunktiven und dem Dementi – absichtlich oder aus Leseschwäche? – mal wieder in den falschen Zusammenhang gestellt. Und natürlich ist eine Einstweilige Verfügung nicht alternativlos: wenn jemand Lügen erzählt ist es oft am ehesten, wenn man ihm offen widerspricht. Auch für einen kurzfristigen Triumph gegen Springer würde ich nicht zu Mitteln greifen, die für Journalisten das Äquivalent zum „Hackerparagraphen“ sind.