Wikipedia und die Herausforderungen

Vor fast zwei Jahren habe ich bei Telepolis fünf Herausforderungen für die Wikipedia formuliert. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Herausforderung 1: Organisation

Vor zwei Jahren war die Wikimedia Foundation organisatorisch denkbar schlecht aufgestellt. Eine Handvoll Angestellte, die mit den gewaltigen Aufgaben einer weltumspannenden Organisation überfordert waren. Es gab zu wenige Entwickler, niemanden der sich professionell mit Finanzen auskannte, dafür einen Visionär an der Spitze der Organisation, der hochfliegende Pläne, aber keinen wirklichen Spaß an Büroarbeit und Verwaltung hatte.

Seither hat sich einiges verändert, sowohl zum Guten wie zum Schlechten. So gab Brad Patrick, der als Interims-Manager eigentlich die Wikimedia neu organisieren sollte, im März frustriert auf. Die Geschäfte wurden danach von dem ehrenamtlichen Vorstand geleitet, der keinerlei Erfahrung im Management internationaler Organisationen hatte und zudem über die ganze Welt verstreut war.

Die neue Vorsitzende Florence Nibrat-Devouard mühte sich zwar redlich, die Organisation zu stärken und zum Beispiel die Arbeit auf Arbeitskreise zu verteilen oder neue Länder-Organisationen einzubinden. Aber einen radikalen Umschwung konnte sie nicht erreichen.

Der Befreiungsschlag soll jetzt aber kommen. Sue Gardner wurde kürzlich als erste reguläre Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation engagiert – und sie hat jetzt die spannende Herausforderung das Exeriment Wikipedia in eine Non-gouvernmental Organisation zu verwandeln. Die Wikimedia Foundation wird ihren Hauptsitz von Florida nach Kalifornien verlegen und dort zumindest teilweise einen Neuanfang machen.

Herausforderung 2: Lizenzproblematik

Die Lizenzproblematik ist ein historisches Problem. Hätte die Creative-Commons-Lizenz bereits im Jahr 2001 existiert, wäre die Wikipedia wahrscheinlich aus dem Schneider. Stattdessen wurde die GFDL gewählt, eine Lizenz die für die Erstellung und Verbreitung von Software-Dokumentationen entwickelt wurde. Bei der Verbreitung von Weltwissen ist diese Lizenz ein nicht zu unterschätzender Hemmschuh – so ist es beispeilsweise unmöglich Wikipedia-Texte lizenzgemäß in einer Zeitung oder Zeitschrift abzudrucken.

Auch diese Herausforderung ist in Arbeit – die GFDL soll mit einer Creative-Commons-Lizenz verschmolzen werden. Wie weit diese Bemühungen gediehen sind, ist nicht ganz klar. Zwar haben Jimmy Wales und Lawrence Lessig schon Erfolge verkündet, die entsprechende Bestätigung der Free Software Foundation steht aber noch aus. Zudem stellt sich die Frage, ob die CC-Lizenz nicht etwas zu frei ist. Genügt es einfach, eine URL zu der Versionshistorie beizusteuern, um die Rechte der Autoren wirklich zu erfüllen? Man stelle sich vor, die Foundation verliert aus irgendwelchen Gründen die Domain wikipedia.org – sind dann alle Rechte hinfällig? Wie können Autorenrechte in einer Umgebung gewahrt werden, in der die Autoren anonym oder synonym auftreten? Hier sind auch Software-Lösungen gefragt, um zum Beispiel den Export und Re-Import von Inhalten zu ermöglichen, ohne die Versionsgeschichte zu entwerten.

Herausforderung 3: Der Kampf mit der Transparenz

Der Kampf mit der Transparenz ist in meinen Augen ein ungelöstes Problem. Auf der einen Seite geben Wikipedia-Autoren in bedenklichem Maße Daten von sich preis, die für jedermann jederzeit abrufbar sind.

Auf der anderen Seite sind die Entscheidungsvorgänge innerhalb der Wikipedia extrem intransparent. Ein Neuling wird immer gegen irgendwelche Regeln verstoßen die irgendwann einmal von irgendwem beschlossen wurden und sich hinter lustigen Abkürzungen wie „BNS“ oder „WNI“ verbergen. Im Prinzip können Interessierte vorangegangene Diskussionen komplett nachlesen – in der Realität verliert man angesichts immer neuer Diskussionsabschnitte, inkonsistenten Archivierungen und der Verteilung von Diskussionen auf immer neue Projektseiten recht schnell den Überblick.

Herausforderung 4: Das Einbinden von Fachleuten

Auch hier muss man eine gemischte Bilanz ziehen. Denn trotz Werbemassnahmen hat Wikipedia zum Beispiel an Universitäten noch keinen tollen Ruf – viele Lehrer und Professoren sehen in der Wikipedia eine Seite, die zum Abschreiben benutzt wird. Auch die Mitarbeit von Firmenmitarbeitern wird durch die Existenz des Wiki-Scanners nicht gerade gefördert.

Auf der anderen Seite arbeitet die Foundation und insbesondere Deutschland hart an einer Akzeptanz durch Fachleute. So spricht Jimmy Wales immer wieder an Universitäten, der Verein richtet zusammen mit Universitäten Konferenzen und Wettbewerbe aus – zuletzt sogar in Südafrika.

Innerhalb der Wikipedia selbst macht die Einbindung von Fachleuten nur wenig Fortschritte – einem Professor oder Ingenieur würde ich die direkte Mitarbeit in der Wikipedia nur empfehlen, wenn sie Usenet-Erfahrung haben. Immerhin gibt es nun in einigen Bereichen funktionierende Redaktionen, die notwendige Arbeiten vorantreiben und Aufgaben verteilen.

Herausforderung 5: Flagge zeigen im feindlichen Umfeld

Es ist beeindruckend, dass Wikipedia noch nicht auf Millionen Dollar Schadensersatz verklagt wurde – jede andere Web 2.0-Seite dürfte mit größerem juristischen Ärger umzugehen haben. In Deutschland wurde Wikipedia gleich mehrfach verklagt und konnte durchweg als Gewinner aus der Sache hervorgehen.

Weniger beeindruckend hingegen ist, wenn Jimmy Wales die chinesische Firma Baidu wegen systematischer Lizenzverstöße nur von Taiwan aus kritisiert und dort behauptet die Foundation könne nicht aktiv gegen Baidu tätig werden. Denn sie könnte natürlich ohne weiteres Autoren finden, deren Rechte missachtet wurde und die im Kampf um ihre Rechte unterstützen.

Fazit:
Im Wesentlichen sind die Herausforderungen von vor zwei Jahren immer noch akut. Immerhin gibt es viel versprechende Lösungsansätze. Um es mit Wikimedia-Board-Mitglied Erik Möller auszudrücken: oft fehlt nur der entscheidende Push, um die entsprechenden Entwicklungen in Gang zu bringen. Und dieser Push muss von der Wikimedia Foundation kommen.

„Licht aus“ ein gewaltiger Reinfall

Wie erfährt man, ob der Aufruf zum symbolischen Licht-Ausschalten ein Erfolg war? Daran dass das Stromnetz zusammenbricht, wie die Vor-Berichterstattung nahe legte? Nicht wirklich. Ein paar ausgeschaltete Lampen, während Kühlschränke, Heizungen und Fernseher weiter laufen – wenn unser Stromnetz nicht mal das aushhält, haben wir ein Problem.

Woran merkt man hingegen, dass die Aktion eine gewaltige Pleite war? Nun – solche Erfolgsmeldungen legen es zumindest nahe:

Rund um den Kölner Dom versammelten sich mehrere Dutzend Menschen bei Regen und stürmischem Wind, um das Bauwerk für fünf Minuten im Dunkel verschwinden zu sehen.

Ein stark übergewichtiger Systemadministrator könnte die selbe Reaktion ernten, wenn er nachts um 3 Uhr nackt über die Domplatte tanzt. Ohne medialen Bohei.