Was wurde eigentlich aus „Wir haben bezahlt!“?

Eben bin ich in einem Blog auf einen Banner der Aktion Wir haben bezahlt gestoßen. Erinnern wir uns: Gulli.com alias die fliks it-solutions GmbH haben im Juni 2006 die Kampagne gestartet – ungefähr zu der Zeit als auch der CCC und die Verbraucherzentralen mit eigenen Aktionen starteten. Ziel war nichts weniger als „günstige, legale und DRM-freie Musik“.

Wenn man sich heute auf der Webseite der Aktion umsieht, stößt man vor allem auf Leere. Zwar stellt Autor Korrupt im Schnitt alle paar Wochen mal eine kleine Meldung aus dem Fundus der DRM-Musikindustrie-Debatte ins Blog, Diskussionsbeiträge finden sich darunter aber kaum noch.

Aber nicht verzagen: In der linken Spalte finden wir eine Rubrik „Mitmachen“. Erster Punkt ist eine Petition. Dort finden sich heute tatsächlich 6600 Einträge, auch aktuell kommen noch einige hinzu. Schönheitsfehler: Die Petition fehlt. Oben steht ein unverbindlicher Vierzeiler ohne Adressaten. Die Betreiber hatten wohl nie vor, irgendwem eine Petition zu übergeben. Es ist schlicht ein Gästebuch.

wirhabenbezahlt

Zweiter Mitmach-Punkt sind die Banner. Auf der Webseite stehen zwei Dutzend grafisch ansprechende Banner bereit, mit denen man auf seiner eigenen Webseite für die Kampagne werben kann. Dritter Punkt ist ein Kreativ-Wettbewerbe, bei dem man Banner und Slogans einreichen kann – wohl eine Quelle der kreativen Banner auf der vorigen Seite. Hier wird auch versprochen die Gewinner des Wettbewerbes auf der Seite bekannt zu geben – fast ein Jahr nach dem Aktionsbeginn scheint diese Krönung noch auszustehen.

Die letzte Aktion stammt vom letzten September. Damals verlinkten die Kampagneros 17 frei verwendbare Songs und boten dazu ein eigenes CD-Cover mit ihrer URL an. Die einzigen Presseveröffentlichungen stammen aus den ersten Tagen nach Gründung der Kampagne.

Man kann also davon ausgehen, dass die Aktion eingeschlafen ist. Aber ist sie überhaupt gestartet? Irgendwelche konkreten Kampagnenziele hat es nie gegeben, die meisten Mitmachmöglichkeiten laufen lediglich darauf hinaus, Links auf die Kampagnenwebseite zu generieren. Weder Künstler noch Musikindustrie werden angesprochen, fundiertes Informationsmaterial fehlt, weitergehende Aktionen wurden anscheinend nie in Angriff genommen. Auch an Kooperationen scheint es kein Interesse gegeben zu haben, wie auch dieses Interview auf jetzt.de zeigt.

Was bleibt? Einige schöne Banner und einige Tausend Links auf eine Webseite.

Unschöne Parallelen

Bei Google Video findet sich eine erschütternde WDR-Reportage, die der These nachgeht, dass sich bei den Krawallen zum G8-Gipfel in Genua 2001 Politik und Polizei gezielt den Schwarzen Block schützten und koordinierten, während friedliche Demonstranten und Journalisten grundlos zusammengeknüppelt, Beweise gefälscht und Menschen schließlich sogar gefoltert wurden.

(via)

Was ich heute sage, ist heute zutreffend

Nachdem es nicht mehr zu dementieren war, hat jemand dem Polizei-Pressesprecher gesteckt, dass doch einer seiner Polizisten in Autonomen-Verkleidung enttarnt wurde. Obwohl er gestern noch das Gegenteil behauptet hat.

SpOn zitiert ihn:

Nachdem die Polizei heute bestätigte, dass ein getarnter Mitarbeiter vor Ort ermittelte, sagte Claasen zu SPIEGEL ONLINE: „Das ist ein neuer Sachstand. Was ich gestern gesagt habe, war gestern zutreffend. Was ich heute sage, ist heute zutreffend.“

Und was wird wohl morgen zutreffend sein? Steinewerfen als verfassungsgemäße Informationssammlung?

Ich hab ja gestern noch für möglich gehalten, dass es sich bei der ganzen Meldung um eine Ente handelt. Aber wenn der zuständige Sprecher erst falsch informiert und ganze zwei Tage nach dem Ereignis nur das Notwendigste zugibt, dann sind weitere Zweifel angebracht. Wenn man dazu dann noch die versammelten offiziellen Falschmeldungen der letzten Tage dazuzählt, ergibt das ein wirklich trauriges Bild von der Glaubwürdigkeit der Polizei.

Bayern, wie ich es nicht kannte

In den Kommentaren von Stefan Niggemeiers Blog findet sich von diese Schilderung von Marcel, der sich mehrmals als „Halbtürke“ charakterisiert.

Ich bin mir sicher, dass niemand von euch auch je ein gescheites Gespräch mit einem „Nazi” hatte. Ich lebe in einer bayerischen Kleinstadt, in der Türken und Nazis Tür an Tür wohnen, in der man miteinander redet und in der man sich sogar erklärt, warum man eine Gedankenrichtung ausgewählt hat. Nazi ist nicht gleich Nazi.

Wenn ihr mit einem Nazi in der Kneipe sitzt, ihr ihn fragt: „Scheiße, Mann, wieso bist du Nazi?!” Und er antwortet: „Weil ich keinen Bock habe in der Nacht von einer Gruppe betrunkener Türken zusammen geschlagen zu werden.” Was würdet ihr ihm denn da bitte antworten? Ich meine, er hat doch irgendwo recht.

Man wohnt miteinander, redet miteinander und zwischendurch ziehen Gruppen betrunkener Türken herum und schlagen Deutsche zusammen – außer Nazis. Bayern ist doch ein fremdes Land für mich.

Agent Provocateur oder nicht?

Bei SpOn findet sich ein lesenswerter Artikel zu der verwirrenden Informationslage in Heiligendamm. Demnach herrscht nicht nur unter den bunt zusammengewürfelten Demonstranten-Gruppen ein Wirrwarr von Gerüchten, auch die offiziellen Informationen scheinen auf eine Art Stille-Post-Kaskade zurückzugehen.

So weiß man auch einen Tag nach der vermeintlichen Enttarntung eines agent provocateur der Polizei nichts Genaues.

Ulf Claassen ist Sprecher der Polizei-Sondereinheit „Kavala“. Auch er habe inzwischen Informationen zu dem Vorfall mit dem „sogenannten Zivil-Polizisten“ vorliegen, sagt Claassen SPIEGEL ONLINE, einen offiziellen Bericht dazu aus der zuständigen Einheit aber nicht. „Tatsache ist, dass wir keinen Beamten vermissen, es handelt sich also um keinen Kavala-Polizisten“, sagt der Polizeisprecher. So etwas gehöre seiner Meinung nach auch „nicht in einen Rechtsstaat, das wäre inakzeptabel und unverhältnismäßig“. Allerdings, was beispielsweise der Verfassungsschutz tue, darüber sei er nicht informiert. Ein Dementi klingt anders.

PS: Wo kaufen echte Autonome eigentlich ihre gebrauchte schwarze Kleidung? Und weisen sie sich untereinander aus? (Ja, ich schließe nicht aus, dass es gar kein Polizist war)

Bildungspolitische Impulse

In dem Deutsche-Startups-Blog gibt es ein Interview mit dem Studivz-Mitgründer Michael Brehm:

Sie gießen aber auch immer wieder Öl ins Feuer. Zuletzt beispielsweise mit der umstrittenen Werbeaktionen für “schülerVZ“. Knapp drei Millionen rosafarbene Post-Its wurden dabei an Schulwände geklebt.

Wir machen sicherlich auch Dinge, die eine traditionelle und konventionelle Firma nicht machen würde. Aber wir haben versucht durch diese Aktion auch auf Themen hinweisen, die Schülern wirklich am Herzen liegen. Deswegen wollten wir die Werbeaktion mit etwas Politischem verbinden. Alle Schüler wurden aufgerufen, die Post-Its mit Wünschen und Anregungen zu beschriften und zurückzusenden. Wenn wir auf diese Weise kleine Impulse in Richtung Bildungspolitik geben können ist das vielleicht auch nicht ganz verkehrt.

Mal ganz abgesehen davon, dass die ach so veralteten Krawattenträger- und Schreibtisch-Firmen sehr wohl solche Aktionen machen und dafür zurecht abgestraft werden, woraus soll denn der bildungspolitische Impuls bestehen? An wen gibt Studivz denn handbeschriebene und im Zweifel zerknüllte Zettelchen weiter – wenn sie denn überhaupt in der Unternehmenszentrale ankommen?

Sehen wir es mal ganz physikalisch: Ein Impuls benötigt einen Leiter. Und Schülervz hat keinen Draht zur Bildungspolitik. Die Impulse können höchstens in die Marketing-Abteilung führen.

PS: Wenn man um Probleme nicht herumreden will, sollte man sich vielleicht nicht unbedingt mit dem Roten Kreuz vergleichen. Ebay wäre beispielsweise viel passender, auch Siemens wäre wohl eine mögliche Referenz für die Probleme von Studivz gewesen.

Anwaltlicher Notdienst rettet Polizei-Vandalen

Die Meldungslage in Heiligendamm lässt heftige Dementis erwarten, aber der obligatorische Verdacht der Autonomen, dass sich Polizisten als Provokateure betätigen hat reichlich Futter bekommen. Die Nachrichtenagentur ddp berichtet:

Am Sicherheitszaun um den G8-Gipfelort Heiligendamm ist die Situation am frühen Mittwochabend kurzzeitig eskaliert. Am Blockadepunkt Galopprennbahn wurde eine Person von mehr als einem Dutzend vermummter Demonstranten angegriffen. Möglicherweise handelte es sich um einen Polizisten, der in der Autonomen-Kleidung unter den Blockierern war.

Der Mann wurde von Kräften des anwaltlichen Notdienstes der Demonstranten aus der Notlage befreit und zur Linie der Polizisten gebracht, die ihn in ihre Reihen zogen. Wie ein Sprecher des Notdienstes bestätigte, hatten mehrere Demonstranten den Mann als Polizisten erkannt. Dieser sei der Auforderung, sich auszuweisen, nicht nachgekommen. Zu möglichen Verletzungen des Mannes wollte sich der Sprecher nicht äußern.

Interview mit einem Mecker-Blogger

Kleinz: Hallo, mein Name ist Kleinz. Ich bin freier Journalist und recherchiere zu „Mecker-Bloggern“. Haben Sie einige Minuten Zeit?“

Torsten: Interessantes Thema. Wie kann ich weiterhelfen? Soll ich Ihnen ein paar Mecker-Blogger aufzählen?

Kleinz: Eigentlich wollte ich eher Sie befragen…

Torsten: Mich? Als Mecker-Blogger? Wie kommen Sie denn darauf?

Kleinz: Nun, in den vergangenen Wochen haben Sie zum Beispiel in Ihrem Blog nahegelegt, dass Leute mit großen Autos ein kleines Hirn haben.

Torsten: Nun, diese Idioten wollten eine illegale Rallye auf nicht-abgesperrten Straßen fahren.

Kleinz: Zugegeben. Aber auch sonst scheinen Sie ja kein besonders positiver Charakter zu sein, wenn man ihr Blog als Maßstab nimmt. Ein Kollege schreibt einen wichtigen Artikel, der die Leser über Online-Durchsuchungen aufklärt, und Sie mäkeln an Details herum. Für die vielbeachtete Aktion der Gruppe Geld oder Leben haben Sie nur Häme und Polemik übrig. Fernseher bezeichnen Sie als Mülltonnen. Und das VIVA-Programm sogar als Berufsberatung für den Kinderstrich. Und das sind nur die Einträge aus den letzten Tagen.

Torsten: Ich sage nur meine Meinung. Wollen Sie mir das Recht dazu absprechen?

Kleinz: Nichts liegt mir ferner. Ich frage nur, wie diese negative Tendenz zu Stande kommt.

Torsten: Gut. Fragen Sie.

Kleinz: Sind Blogger prädestiniert dazu, alles und jeden zu kritisieren?

Torsten: Das kann ich nicht wirklich beantworten. Ich verfolge so ein, zwei Dutzend Blogs mehr oder weniger regelmäßig. Je nach Zählung gibt es aber Zigtausende oder Millionen Blogs, die ich niemals zu Gesicht bekomme.

Kleinz: Sie bloggen nun immerhin fast vier Jahre und gehen auch zu Blogger-Treffen wie re:publica. Irgend eine Ahnung müssen Sie doch haben.

Torsten: Nun, bei den so genannten „A-Bloggern“ kann man wohl eine Tendenz zu eher negativen Postings feststellen. Das ist jetzt nur meine subjektive Sicht. Und es ist ja kaum erstaunlich: Firmen decken Internetseiten mit Abmahnungen ein, die Gesetzgebung macht Online-Publizieren zum Minenfeld und viele Web 2.0-Firmen machen wirklich dumme Anfängerfehler.

Kleinz: Trotzdem gibt es doch sicher genug Positives zu berichten. Die Sonne scheint, fast stündlich werden spannende neue Projekte geboren, Menschen rücken aufeinander zu. Warum schreibt niemand darüber?

Torsten: Das stimmt nicht. Viele Leute schreiben Positives. Zum Beispiel hat Udo Vetter erst gestern ein Posting über Schokolade verfasst. Und Robert Basic findet ganz viele Sachen toll.

Kleinz: Aber als er sich vor kurzem über zickige Journalisten-Blogger echauffierte, bekam er mehr Feedback als bei den meisten seiner positiven Berichte.

Torsten: Das ist richtig. Es ist wohl so, dass man über negative Berichterstattung viel mehr unmittelbare Aufmerksamkeit bekommt. Besonders schön sieht man das an der altehrwürdigen Seite Amiga News. Hunderte von Meldungen über neue Projekte, Software oder Mitmach-Gelegenheiten verschwinden eher unbeachtet in der Versenkung, bei Klagen oder Verleumdungen will dann jeder etwas sagen.

Kleinz: Sind Blog-Leser also sensationsheischende Kampfhähne?

Torsten: Nicht mehr als andere Menschen auch. Die BILD-Zeitung macht ja auch nicht mit der Schlagzeile auf „Tausende Demonstranten friedlich“. Vielleicht liegt es in der menschlichen Natur, dass wir Positives einfach hinnehmen und Negatives hingegen mit höchstem Interesse betrachten. Ich könnte mit im Fall von Blogs auch einen technischen Grund vorstellen: Viele Leute preisen tolle Webseiten oder Angebote nicht mehr in einem separaten Eintrag, sondern werfen ihn nur in einen Social-Bookmarking-Dienst, der dann alle paar Tage eine Liste der empfehlenswerten Links ins Blog ausscheidet.

Kleinz: Fassen wir zusammen: Blogger sind gar nicht so negativ, es erscheint nur so?

Torsten: Möglicherweise. Vielleicht geht es sogar etwas weiter: Eventuell müssten Blogger noch viel negativer werden. So sagte Mercedes Bunz vor kurzem in einem Blogkommentar: „Es braucht wieder mehr negative Kritiken. Mit Begründung natürlich. Vor allem im Feuilleton.“

Kleinz: An der Begründung mangelt es bei einigen Bloggern aber.

Torsten: Das liegt auch etwas an der sozialen Dynamik. Manchmal habe ich den Eindruck, dass vor einigen Jahren mehr nachrecherchiert wurde: Der eine Blogger spann die Recherche des anderen Bloggers weiter, brachte sogar Fakten ein, die der Ausgangsthese widersprachen. Heute sehe ich viel öfter eine Empörungsspirale, bei der Vorurteile innerhalb bestimmter Cliquen verstärkt werden. Auch ich kann mich von dieser Optik nicht frei machen.

Kleinz: Es gibt also keine Blogosphäre, sondern nur noch Cliquen?

Torsten: Ob es „die Blogosphäre“ je gab, kann ich nicht sagen. Auf alle Fälle hat sie sich in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter ausdifferenziert. Aber dazu kann ich nicht wirklich mehr erzählen. Vielleicht sollte man mal eine Studie machen.

Kleinz: Ich bedanke mich für das Gespräch.

Säzzer 2.0?

Erinnert sich noch jemand an die „Säzzer“? Nun: Die Setzer waren ein altertümlicher Berufszweig, die die Textergüsse der Redakteure in Zeitungsform gegossen haben. Bei der jungen taz hatten diese Setzer manchmal eine ganz eigene Vorstellung von den Artikeln, die sie eigentlich nur ins Blatt heben sollten. Und die Revolution: sie schrieben das auch in die Artikel rein. Aus dem Setzer war der Säzzer geworden. Die eigenartige Unart der Sätzer wurde zum Teil der jungen taz-Kultur und schlief folglich in den 90er Jahren ein. (Mehr findet sich zum Beispiel hier.)

säzzer

 

Heute morgen dachte ich, dass diese Tradition wieder aufgelebt sei, als ich auf der Titelseite der Frankfurter Rundschau (sorry – ich meinte natürlich: der neuen FR) den Satz „Diese Zeitung wird bestreikt“ fand. Und das ganze noch auf rotem Grund.

Aber Fehlalarm: Es waren keine Säzzer, noch die streikenden Druckereiangestellten, sondern die Redaktion. Die hat ein Tabu gebrochen und berichtet tatsächlich halbwegs ausführlich über die Druckerstreiks. Sonst vermeiden Verleger eine solche Berichterstattung – schließlich will man dem Tarifgegner keine kostenlose Publicity bringen.