Citizendium – auf ein Neues

Larry Sanger – wir erinnern uns – war der erste Chefredakteur der Wikipedia und ist im Streit aus dem Projekt ausgeschieden. Im vergangenen Jahr warf er dem Projekt den Fehdehandschuh hin: mit seinem „Citizendium“ wollte er alles besser machen.: besser geschriebene und zuverlässige Artikel, Fachverstand noch und nöcher, keinen Streit unter den Editoren. Als Grundlage für die neue, bessere Online-Enzyklopädie wollte er die Wikipedia ja grade noch akzeptieren.

Vier Monate später ist das Projekt noch in der Experimentierphase: Das Wiki ist nicht öffentlich einsehbar, trotzdem soll es schon begeisterte Mitarbeiter geben. Doch es scheint derzeit nicht ganz so gut zu laufen, denn Sanger verkündet im Citizendium Blog einen Kurswechsel: Er will Wikipedia-Artikel nicht mehr als Grundlage nehmen, sondern die Enzyklopädie von Grund neu errichten. Die Begründung klingt freilich wie Pfeifen im Walde:

We probably have had as much or more activity as Wikipedia did in its early months, and a similar number of contributors, but–well, the passion hasn’t been the same. I have been idly puzzling over what the difference might be. Then it occurred to me, a few days ago, that Citizendians (or maybe we’ll be “Citizens”) are just disheartened by the fact that their first obligation seems to be to edit mediocre Wikipedia articles.

Lieber Graf Nayhaus

Wahrscheinlich lesen viele ihre Politik-Kolumne bei der Netzeitung mit Faszination. Aber Ihr größter Fan, so scheint es, das sind Sie selbst. Mit Spannung verfolgen Sie die Schilderung Ihrer journalistischen Heldentaten, hinter denen Politik und Welt lediglich zur Kulisse verkommen. Anders kann ich mir die aktuelle Kolumne Wenn man beim Seitensprung erwischt wird nicht erklären.

Ich hatte mir gestern die Frage gestellt, ob Seehofer eigentlich auch etwas zu seinem außerehelichen Verhältnis gesagt hat oder ob das im Mediengewitter untergegangen ist. Diese Frage haben Sie tatsächlich beantwortet. Was darauf folgt, ist lediglich eine Reminiszenz an die Vergangenheit. Sie empfehlen Seehofer sich wie ihr alter Freund Horst Ehmke zu verhalten. Der hatte als Geheimdienstbeauftragter ein Verhältnis mit einer 25jährige Tschechin und – das war der kluge Schachzug – hat einen Deal mit Ihnen, lieber Graf Nayhaus, abgeschlossen. Die Geschichte brachten Sie erst, als der Minister seine Freundin geheiratet hatte.

Dieses Verhalten empfehlen Sie Seehofer allen Ernstes als Vorbild für seine Informationspolitik zu diesem Zeitpunkt. Nun – es mag Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein – aber für einen solchen Deal längst zu spät ist. Seehofer ist schon bloßgestellt, kein Deal der Welt kann das mehr verhindern. Er scheint seine Geliebte auch nicht heiraten zu wollen. Dazu hat er gerade seinen Hut für den Parteivorsitz in den Ring geworfen. Meinen Sie wirklich, dass Seehofer jetzt ganz dringend mit Ihnen über eine Homestory verhandeln sollte? Oder wollten Sie nur berichten, wie Sie einmal von einem Ministerverhältnis erfahren haben? Und dass Sie im Februar mit richtig wichtigen Leuten eine Party feiern?

Kleine Bosheiten

Redaktionen können in den Texten selbst über die Maßen objektiv und neutral sein, das Layout bietet immer noch allerhand Möglichkeiten kleine Akzente zu setzen. Sicher kann es reiner Zufall sein, wenn Kokain-Statistiken ausgerechnet unterhalb der Meldung platziert werden, dass der 1. FC Köln den Trainer Christoph Daum verpflichtet.

Und ich will auch Golem nichts unterstellen, aber…

Vista und Zeta

…aber unter eine Windows-Vista-Meldung direkt die Verspätung des Mini-Betriebssystems Zeta als Top-Meldung zu setzen, lässt Interpretationen viel Raum.

CSU-Flachwitze

Da sich sonst keiner drüber lustig macht:

Sat.1 versucht seine Telenovela «Verliebt in Berlin» mit der Wiederverwertung der Lisa Plenske retten. Mit mäßigem Erfolg. Mein Tipp: Horst Seehofer könnte mehr Realismus in die Serie bringen.

Die ARD kann sich nicht ganz für einen Nachfolger von Sabine Christiansen entscheiden. Meine Favoriten: Edmund Stoiber und Oskar Lafontaine übernehmen den Polit-Talk. Gäste laden sie nur einmal pro Monat ein.

Gut gemeint

Via Lawblog: Die Welt versucht sich heute an einem fundierteren Blick auf die Operation Mikado. Kreditkarten: Der Weg zur Unfreiheit ist mit guten Absichten gepflastert

Leider ist der erste Satz folgender:

Gut, dass die Polizei diese Woche einen Kinderpornoring ausheben konnte.

Ja, es wäre gut gewesen. Leider hat die Polizei keinen „Ring“ ausgehoben. Sie haben Leute gefunden, die mutmaßlich Kinderpornos per Kreditkarte gekauft haben. Bisher habe ich nichts davon gehört, dass sich die Beschuldigten kannten oder Kinderpornos ausgetauscht oder gar produziert hätten. Das mag in dem einen oder anderen Fall so sein – ich weiß es nicht. Primär haben wir es aber wohl mit einem Verkäufer und zirka 300 deutschen Kunden zu tun. Dafür spricht auch die lange Zeit, die sich die Staatsanwaltschaften offenbar bei den Durchsuchungen ließen. Bei einem Kinderporno-Ring muss man zeitgleich zuschlagen, weil sich die Mitglieder sonst gegenseitig warnen würden. Wenn sich die Durchsuchten so wenig kennen wie ich den Amazon-Kunden fünf Straßen weiter, ist eine solche Aktion natürlich unnötig.

Schade ist jedenfalls, dass selbst bei den Bedenkenträgern die Legende des Ermittlungserfolgs unreflektiert übernommen wird.

You must remember this

Neulich wunderte ich mich über einen taz-Artikel. Darin warf die Autorin einer Fernsehsendung doch tatsächlich vor, dass alles geklaut sei. Ich sehe es jedoch als zentrale Eigenschaft von solchen Vorabendserien, dass sie hauptsächlich das zeigen, was der Zuschauer kennt und schon x-mal gesehen hat. Sobald jemand aus der Masse heraussticht und den altbekannten Sujets tatsächlich einen neuen Blickwinkel, einen neuen Dreh verpasst hat, ist das schon wieder eine Sensation und wird in den folgenden Jahren dutzendfach kopiert. Ein ewiger Kreislauf.

Da heute Casablanca im Fernsehen lief, möchte ich auf meine Lieblings-Adaption dieses Klassikers verweisen. Fast jede Familienserie hatte Mal eine Casablanca-Folge, Mal in Schwarz-Weiß und in furchtbar künstlichen Vierziger-Jahre-Kostümen, mit Here’s lookin at you, kid und vielleicht auch mit einem schmierigen Schmuggler.

Meine liebste Adaption des Casablanca-Themas – wer mich kennt, kann es fast erraten – stammt aus der Serie Deep Space Nine. In der Folge Profit ans Loss wurde das Thema mit den vorhandenen Figuren umgesetzt, die sich nicht verbogen, um den Plot haargenau nachzubilden. Der Ferengi Quark in der Rolle des coolen Nachtclubbesitzers, eine Cardassianerin als Ilsa Lund und der altbekannte Kampf des Guten gegen das Böse. Die Anleihen an das Original sind natürlich schamlos, aber das ist Teil des Spiels. Und trotzdem schaffen es die Figuren, der Geschichte ihren Stempel aufzudrücken. Besonders deutlich wird das in der Szene, in der Natima zu Quark kommt, um die Herausgabe der Tarnvorrichtung zu erzwingen Und anders als Ilsa schießt sie tatsächlich auf ihren Ex-Lover. Ein Ferengi ist halt kein Bogart.

BTW:

Sally: You’re wrong.
Harry: I’m not wrong, he wants…
Sally: You’re wrong.
Harry: …he wants her to leave that’s why he puts her on the plane.
Sally: I don’t think she wants to stay.
Harry: Of course she wants to stay. Wouldn’t you rather be with Humphrey Bogart than the other guy?
Sally: I don’t want to spend the rest of my life in Casablanca
married to a man who runs a bar. I probably sound very snobbish to you but I don’t.
Harry: You’d rather be in a passionless marriage.
Sally: And be the first lady of Czechoslovakia.
Harry: Than live with the man you’ve had the greatest sex of you life with, and just because he owns a bar and that is all he does.
Sally: Yes. And so had any woman in her right mind, woman are very practical, even Ingrid Bergman which is why she gets on the plane at the end of the movie.

Bürgeruniversität – Klassenkampf oder wie?

Der Begriff des Bürgers kennt viele Facetten. Den Bürger in Uniform zum Beispiel. Oder den mündigen Bürger. Das Wort Bürger ist auch eine Vokabel des Klassenkampfes – man denke nur an die bürgerlichen Parteien und die bürgerliche Presse. Doch eigentlich ist das doch Schnee von gestern – egal wie schlecht bezahlt oder gebildet wir sind – Bürger sind wir doch alle, oder? Wir zahlen Steuern, wir können wählen, etc pp…

Nicht unbedingt. So differenziert die taz heute zwischen Bürger- und Massen-Universitäten. Ich war auch einer Massen-Universität und fühle mich trotzdem ganz bürgerlich.