Neulich hatte ich einen geschrieenen Dialog auf offener Straße. „Fahr auf dem Radweg!“, brüllte ein Autofahrer hinter mir. Ich – natürlich auf dem Rad – brüllte zurück. „Das ist ein Fußweg!“
Der erboste Fahrer hinter mir muss mich für einen Idioten gehalten haben. Denn der Weg an der Straße An der Piwipp sieht zumindest ganz so aus, wie ein Radweg: breit, flach, leicht rote Pflasterung.
Aber da das hier mein Blog ist, wird Euch nicht überraschen: Es ist ein Fußweg. Er sieht aber so aus, als ob es irgendwann ein nutzungspflichtiger Radweg gewesen sein könnte. Aber irgendwann hat sich die Stadt offenbar umentschieden und hat den Weg zum Fußweg mit Fahrradfreigabe umdeklariert.
Gründe gibt es dafür viele: Zum einen die vielen Unebenheiten, die den Radweg heute fast unbefahrbar machen – schon bei durchschnittlichem Tempo können Gegenstände aus dem Fahrradkorb geschleudert werden. Zum anderen gibt es eine Bushaltestelle, die nicht nur Radfahrer und Fußgänger direkt auf Kollisionskurs bringt, sondern auch beiden die Sicht nimmt. Weil: Bushaltestellen ohne Werbeplakate gibt es hier nicht. Der Grund für die Herunterstufung könnte auch in den vielen Ausfahrten von Geschäften zu finden sein, die Autofahrer dazu verleiten, so lange quer auf dem Weg zu parken, bis sie eine Lücke im Autoverkehr sichten.
Am Anfang der Straße sieht es noch so aus, als würde Fußgängern als auch Radfahrern jeweils ein eigener Weg zugestanden, doch die Beschilderung macht schnell klar, dass es sich nur um eine Fiktion handeln. Sie mögen zwar zwei Wege sehen, lieber Bürger, aber es ist amtlich: Es gibt nur einen Weg. Und den müssen sich Fußgänger mit Radfahrern teilen. Die Radfahrer können jedoch darauf verzichten.
Und Radfahrer sollten auch verzichten, denn der Weg ist dank hoher Bordsteine eine Falle. Sobald man merkt, dass es eine schlechte Wahl war, rechts neben der Fahrbahn zu fahren, kann man so schnell nicht wieder zurückwechseln.
Also muss ich damit leben, dass immer mal wieder ein Autofahrer hinter mir einen Wutanfall bekommt, obwohl ich den Verkehr nicht ausbremsen kann. Ein paar Meter weiter ist eh eine 30er-Zone, die erwähnten Ausfahrten und Busse tun ein übriges, dass hier faktisch nicht viel schneller gefahren werden kann, als ich es mit meinem City-Bike mache.
Liebe Stadt Düsseldorf: Wenn hier irgendwas an der Straße renovieren müsst, sorgt bitte dafür, dass der Fußweg auch wirklich unmissverständlich wie ein Fußweg aussieht.
Vor ein paar Tagen habe ich auf Twitter Bilder und ein Video einer Aktion der Gruppe „Letzte Generation“ gesehen, die mir zu denken gibt: Statt sich an Fahrbahnen festzukleben, besorgten sich Aktivisten zwei Autos und fuhren damit die Autobahn mit 100 km/h entlang und bremsten dadurch den nachfolgenden Verkehr aus.
Das Bild sorgt für Emotionen. Die eine Sichtweise: Da sind zwei Autos, die mutwillig einen Stau verursachen. Die andere Sichtweise: Diese Art der Nötigung ist gerechtfertigt, da wir grade mit einer Kombination von Weltkrisen leben.
Ich habe jedoch eine dritte Sichtweise darauf, eben weil ich in den vergangenen Wochen nach Auslaufen des Neun-Euro-Tickets öfters per Autobahn nach Düsseldorf gefahren bin. Die lautet: Auf dem Bild sind nicht zwei Fahrzeuge, die gegen das Gesetz verstoßen und andere – gefühlt(!) – nötigen, sondern über ein Dutzend.
Während sich die Aufmerksamkeit ganz auf die beiden vorderen PKW konzentriert, betrachte ich eher den hinteren Teil: Nur eine Handvoll von Autos hält klar sichtbar einen Mindestabstand ein. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen, die ich auf im Berufsverkehr machte. Sobald es ein wenig voller wird, rücken sich insbesondere auf der Überholspur Autos ganz dicht auf die Pelle.
Raser müssen viel bremsen
Raser erkennt man dann nicht an ihrem Tempo – sondern an ihren ständig aufleuchtenden Bremslichtern. Da sie ständig zu wenig Abstand halten, ist jede Verzögerung ein Notfall, der mit sofortigem Bremsen beantwortet werden muss.
Und jetzt kommt der Clou: Diese Raser sorgen für mehr Staus als sich viele träumen könnten. Stellt Euch einfach eine Reihe von zehn Autos vor, die mit zu geringem Abstand fahren. Das erste Auto bremst ein kleines bisschen. Der nächste Fahrer kann aufgrund der menschlichen Reaktionszeit nicht sofort reagieren, muss also etwas stärker bremsen, um wieder den Abstand herzustellen. Der nächste muss also noch stärker bremsen – und nach ein paar Wiederholungen wird daraus eine Vollbremsung. Ergebnis: Stau aus heiterem Himmel.
Das geschieht zum Beispiel auf der A57 Richtung Düsseldorf seit Auslaufen des 9-Euro-Tickets wieder fast täglich. Dabei versucht die Verkehrszentrale des Landesbetriebs Straßenbaus NRW das zu verhindern und verhängt mittels elektronischer Schilder Tempolimits, mal 100 km/h, mal 80 km/h, selten sogar mal 60 km/h. Würde sich jeder dran halten, gäbe es an den Auf- und Abfahrten keinen Stau und jeder käme schneller an.
Doch da die Pendler ganz genau wissen, dass die Kamerabilder der Verkehrsüberwachung nicht zu Bußgeldbescheiden führen, werden diese Schilder ignoriert. Man hat die Illusion, dass man schneller vorankommt, aber letztendlich brauchen alle länger, sind alle gestresster, zahlen alle mehr Geld.
Die linke Spur gehört mir!
Ein Grund dafür ist die Überzeugung, dass die linke Spur schnellen Autos vorbehalten ist. Laut StVO haben diese Leute natürlich unrecht: Es gibt kein Benutzungsverbot der linken Spur für langsamere PKW. Manchmal gibt es ein Überholverbot für LKW, ganz selten mal eine Mindestgeschwindigkeit. Aber in der Regel darf man auch links 100 km/h fahren, wenn man jemand anders überholt. Solange man beim Spurwechsel aufpasst, niemand anderen zu gefährden, hat der lahme Kleinwagen mit einem Neupreis von 8.000 Euro genauso viel Recht auf die Überholspur wie ein getunter Porsche für 350.000 Euro. Erst nach Abschluss des Überholvorgangs muss man wieder nach rechts wechseln – unabhängig von Preis, Geschwindigkeit und Hubraum.
Das entspricht aber nicht dem Alltagserleben auf der Autobahn. Ein kleiner – allerdings nicht allzu kleiner – Anteil der Autofahrer, besteht auf ihrem nicht existenten Recht, indem sie andere Fahrer einschüchtern wollen. Dazu gehört das zu dichte Auffahren, das in der Regel seinen Zweck erfüllt. Wer im Rückspiegel einen Wagen mit 2,5 Tonnen im Abstand von weniger als einer Autolänge bemerkt, fühlt sich zu recht gefährdet. Kommt dann noch die Lichthupe dazu, hat man es mit einem Fahrer zu tun, der andere absichtlich gefährdet – natürlich möchte man so viel Abstand wie möglich zu solchen Typen haben.
Diese permanente Eigen- und Fremdgefährdung ist nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern ein strukturelles Problem. Dies illustriert zum Beispiel die „Auto Bild“ in einem Artikel vom Juni. Hier wird ein Truck mit besonders aggressiven Design unter anderem mit dieser Bildunterschrift angepriesen:
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Sprich: Wer dieses Auto kauft, hat sich einen festen Platz auf der Überholspur gesichert. Wenn man das so ausspricht, klingt es natürlich idiotisch. Aber dies ist die Aussage.
Was besonders traurig ist: Dieses Rumgeprotze dient nicht wirklich dem schnelleren Vorankommen. Im Stadtverkehr seht ihr die aggressiven Spurwechsler und Drängler oft an der roten Ampel wieder. Auf einer Autobahn gewinnen sie selten mal einen Kilometer Vorsprung vor den von ihnen Bedrängten. Also gewinnen sie nicht einmal eine Minute.
Wir Menschen sind notorisch schlecht darin, die Zeiteffekte des Gaspedals korrekt einzuschätzen. Wer etwa den Aktivisten vom Anfang über 60 Kilometer nachgefahren ist, statt einen Schnitt von 130 km/h zu fahren, hat weniger als zehn Minuten verloren. Hieraus eine strafbare Nötigung zu konstruieren, wird nicht so einfach sein, wenn man bisherige Urteile berücksichtigt. Ein Großteil der Drängel-Aktionen mit Gefährdung anderer Menschen bringt allenfalls ein paar Sekunden Gewinn. Wir haben es da also in der Regel nicht mit einem Zeitproblem zu tun, sondern mit einem emotionalen Problem.
Einfach mal den Fuß vom Gas nehmen
Wer richtig Abstand lässt, spart nicht nur selbst Sprit, sondern auch allen anderen Autofahrern Zeit. Wenn vor mir jemand 100 km/h fährt – zum Beispiel, weil ein Wohnmobil überholt – muss ich in den allermeisten Fällen nicht einmal aufs Bremspedal treten. Ich gehe einfach vom Gas.
Meine Freunde, es erfüllt mich mit keiner Freude, Euch eins zu sagen: Ihr seid über Jahre einer Kriegspropaganda aufgesessen. Ihr müsst Euch aber deshalb nicht schuldig fühlen: Denn diese Propaganda begleitet Euch wahrscheinlich schon seit Kindertagen und selbst in intellektuellen Kreisen wurde wenig bis gar nicht thematisiert, wie ruchlos hier Geschichtsfälschung betrieben wurde.
Dabei betrifft die falsche Historie unsere ganze Welt. Mehr noch: Es betrifft die gesamte Federation of Planets. Ein Imperium im Kostüm einer Utopie.
Ihr kennt alle die historischen Dokumente. TOS, TNG, DS9, VOY und die deutlich weniger verlässlichen Erzählungen der Kelvin-Timeline, Picard des Älteren und DISC. Natürlich handelt es sich um Fiktionen, darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Und dennoch bilden diese Erzählungen einen elementaren Beitrag zur Legitimierung, sie sind Teil eines popkulturellen Wertegerüsts geworden, ein Modell, wie man sich verhalten sollte.
Wie kann man aus Fiktionen die Realität kristallisieren? Zunächst benötigt man eine Menge davon – was bei Star Trek ja zweifellos der Fall ist. Und dann beginnen wir damit, die Gemeinsamkeiten zu analysieren. Welche Gesellschaft beschreibt Star Trek eigentlich? Dazu lohnt auch ein Blick auf die Kleinigkeiten, bei denen es sich nicht zu lügen lohnt, die von den Erzählern als selbstverständlich erachtet werden. So schreibt Arthur Conan Doyle niemals über die Körperhygiene seiner Zeit, aber wenn ein Gentleman vergeblich nach heißem Wasser klingelt, dann bekommen wir dennoch ein ziemlich detailliertes Bild.
Fangen wir mit dem Großen an: Angeblich spielen die Geschichten in einer Zeit, in der die Menschheit Armut besiegt hat, in der Gewalt, die meisten Krankheiten und Krieg unter den Menschen überwunden sind.
Der Waisen-Feldzug
Und doch: Seht auf die persönlichen Biographien der Offiziere: Captain Picard ist bei Dienstantritt auf der USS Enterprise nicht einmal 50 Jahre alt, hat aber keine Eltern mehr. Sein Erster Offizier: Halbwaise, seine Mutter starb auf ungeklärte Weise in seiner frühesten Kindheit. Deanna Troi, Halbwaise, ihr menschlicher Vater starb vor langer Zeit. La Forge? Eine tote Mutter, im Dienst gestorben. Tasha Yar? Vollwaise, geflüchtet aus einem Failed State, der auf unbekannte Weise an der Föderation hängt. Sogar Chief O’Briens Mutter stirbt, kurz nachdem er selbst Vater geworden ist. Janeways Vater ist tot und erscheint als Vision, um sie ins Jenseits zu ziehen, etc pp. Entweder ist Star Fleet ein Selbsthilfegruppe für Waisen oder das Paradies auf Erden ist ziemlich tödlich.
Oder es ist eine Lüge.
Nun schauen wir uns die breitere Mission der Star Fleet an: Exploration, die Erforschung der Grenzen des bekannten Universums und des menschlichen Wissens. Die Botschaft ist klar: Nein, wir sind keine kriegsführende Flotte. Aber unser Flagship ist mit Waffen ausgestattet, die die meisten Zivilisationen in Schutt und Asche verwandeln können.
Kanonenbootpolitik Next Generation
Tatsächlich wird dieses Schiff höchst selten in unbekannte Gefilde geschickt. Seine Missionen bringen es aber immer wieder an die bereits erforschten Grenzen der Föderation – von Farpoint Station bis zur Neutral Zone. Mal versorgt die Enterprise eine der vielen Siedlergruppen, die quer durch die Galaxie verstreut sind und den einflussbereich der Föderation erweitern. Mal transportiert das Schiff Diplomaten, die ihrer Verhandlungsmission die notwendige Feuerkraft verleihen wollen. Im 19. Jahrhundert kannte man ein Wort dafür: Kanonenbootpolitik. Eine Hegemonialmacht oder gar ein Imperium schickt sein Flaggschiff in die weite Welt, um die eigene Überlegenheit eindrucksvoll zu demonstrieren oder sogar zu erzwingen.
Aber war die Enterprise nicht dennoch ein Forschungsschiff? Doch was hat sie tatsächlich erforscht? Die Bilanz ist eher deprimierend. Die wackere Besatzung der Enterprise trifft zwar immer wieder auf neue Erkenntnisse und Technologien. Aber erforschen sie sie wirklich? Kaum. Immer wieder entdecken die Schiffe der Sternenflotte neue Methoden des Weltraumantriebs, die die Warp-Spulen blass aussehen lassen. Doch in der nächsten Folge ist davon keine Rede mehr.
Die sagenhaften Portale der noch sagenhafteren Iconianer zerstört Picard ganz offen. Schlimmer: Benjamin Lafayette Sisko macht es gleich noch einmal. Die USS Voyager stößt ein halbes Dutzend Mal auf Methoden, schnell nach Hause zurückzukehren oder zumindest unbemannte Sonden hin- und herzuschicken, und stampft sie alle wieder ein. Warp 10 verwandelt Menschen in Echsen? Dann schickt halt keine Menschen damit hin und her! Und um den Omega-Partikel unbesehen zu zerstören, wird sogar die Oberste Direktive außer Kraft gesetzt.
Oder was ist mit den Cytherianern, die Reginald Barclay umprogrammieren, damit er der Enterprise einen neuen Antrieb verpasst? Dieser Antrieb wird nach Rückkehr demontiert und niemand spricht mehr ein Wort davon. Ich fürchte, wenn die Cardassianer in ein paar hundert Jahren in das Gebiet der Cytherianer vordringen, werden sie nur noch Trümmer finden, eine Zivilisation, die von Trikobalt-Geschossen atomisiert wurde.
Utopie-Life-Balance
Eine der wenigen Innovationen, die die Föderation tatsächlich zulässt: klingonischer Kaffee. Denn Sternenflottenoffiziere müssen auch dann wach sein, wenn ein Tag 26 Stunden dauert. Überhaupt stellt sich die Frage: Wie ist diese Föderation überhaupt organisiert? Die Sternenflotte ist nach dem Vorbild der imperialen Flotte des British Empire geformt, mit ein paar offenen Fragen: Was treibt die einfachen Matrosen, wenn sie weder Gehalt noch Ehre zu erwarten haben? Und: Wer hat eigentlich das Kommando? Irgendwie scheint die Admiralität den Laden zu schmeißen und bietet dafür einzelnen Vertretern der Mitgliedsgesellschaften ein Luxusleben zwischen den Sternen.
Das ist vielleicht der größte Defekt der Star-Trek-Saga: Tag für Tag behaupten die Charaktere, dass sie Gewinnstreben, Kriegslust und alles allzu Menschliche überwunden haben – doch wie sie das getan haben? Keine Ahnung. Aber sie pokern immer noch. Und womit bezahlen sie den Luxusurlaub auf Risa? Ein Planet, der sogar sein Klima für den Tourismus reguliert, muss andere Einnahmequellen haben.
Ein weiteres ewiges Mantra ist, dass die Föderation im Gegensatz zu den anderen großen Imperien die Entscheidungsfreiheit des Individuums bewahrt. Da ist es aber komisch, dass wir fast ausschließlich Leute sehen, die in einer militärischen Struktur dienen, und die für Dinge wie Befehlsverweigerung verurteilt werden können. Ist die Föderation womöglich genauso militaristisch ausgerichtet wie die Cardassianer oder die Romulaner? Wir können es nicht wirklich wissen.
He’s alive, alive!
Wenn wir einen Blick auf die vermeintlichen künstlichen Lebensformen wie Data und den Doktor werfen, wird es etwas dunkler. Auch das sollte unbestreitbar sein: Beide Figuren sind nicht künstlich. Denn eins der Haupt-Kriterien für Künstlichkeit ist: Man kann es etwas wieder produzieren. Dass die Holo-Detektoren der Voyager nicht mal eben zwei Doktoren projizieren und damit die Notwendigkeit eines humanoiden Assistenten beseitigen, ist nicht nachvollziehbar. Und dass man Data nach Jahrzehnten nicht replizieren kann, obwohl man zwei Exemplare ausführlich analysiert hat und gleich zwei Labore von Noonien Soong auskundschaften konnte, ist ebenfalls unglaublich.
Worum handelt es sich also? Um Wesen, denen offenbar von vorneherein keine Autonomie, keine vollen Bürgerrechte zugestanden werden. Obwohl ihre Fähigkeiten die ihrer Kameraden in den meisten Bereichen übersteigen, wird ihnen der normale Karrierepfad verweigert. Sind sie schlicht Ausländer, die in einer Armee gleich der des antiken Roms Dienst machen, denen die Armeechefs aber fundamental misstrauen? Das ist zumindest eine plausible Annahme.
Die Zukunft von gestern
Was soll das alles? Ja, Star Trek ist eine Utopie – aber eine, die in die Jahre gekommen ist. Die multiethnische Brückenbesatzung um Captain Kirk war ein visionärer Gegenentwurf zum Kalten Krieg, zu den Weltkriegen, die noch keine Generation vorbei waren. Ein Statement für die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre und gleichzeitig ein Statement für den American Exceptionalism. Zudem musste Gene Roddenberry die Kulissen von anderen Stoffen weiterverwenden, vom Western bis zum Nazi-Drama. Willkommen in der neuen Welt, die doch eigentlich die alte ist.
Literatur, Geschichte, Fernsehen und Filme sind nicht zeitlos und man sollte sie nicht auf einen Sockel stellen, der einen frischen Blick aus nächster Nähe verhindert. Nur wenn man das Heute und das Gestern erfolgreich vereint, haben sie auch noch morgen eine Zukunft.
Heute endet sozusagen das Golden Age Of TV. Die letzte Folge von Better Call Saul ist gesendet und sie nur vergleichsweise wenig Nachhall.
Ich erinnere mich noch an den 9. Oktober 2010, als ich zufällig die erste Folge von Breaking Bad auf arte sah. Es war kein lang erwarteter Moment. Ich wusste nichts von der Serie, die ursprünglich für den Kabelsender AMC gedreht worden war. Ich machte einfach die Glotze an und da segelte die Hose von Bryan Cranston durchs Bild, bevor er schließlich in Macho-Pose in Tiny Whities auf der Straße stand und mit der Knarre in der Hand seinen Tod herausforderte.
Das wäre mir im Prinzip egal gewesen, aber die erste Folge hatte mich dennoch an dem Haken. Vince Gilligan erzählte die Story eines desillusionierten Mittelstandes in Amerika. Walter ist in einer Tretmühle, sein Ego ist in sich zusammengefallen und er sieht sich seiner Optionen beraubt. Als Lehrerkind konnte ich mich immer ein wenig mit der Familie White identifizieren, mit Spannung sah ich den Held der Serie auf dem Weg nach unten. Die Serie elektrisierte viele wie vorher etwa The Sopranos oder The Wire. Oder wenn wir ein deutsches Beispiel wollen: vielleicht Diese Drombuschs? Es geht um eine Familie und um einen Moment in der Zeit. Fünf Jahre vorher oder fünf Jahre später hätte die Serie nicht mehr diesen Erfolg feiern können.
Breaking Bad erschien zu einer ersten Hochphase eines anderen Mediums: des Podcasts. Mit Begierde verfolgte ich, wie zuerst Vince Gilligan in Podcasts wie The Writers Panel mit Ben Blacker auftrat, um dort von seinem kreativen Prozess zu reden. Wie er ursprünglich vorhatte, Jesse nach ein paar Episoden umbringen zu lassen, aus der Serie herauszuschreiben. Und wie sich Aaron Paul einen festen Platz in der Serie erspielte. Wie die Autoren immer wieder den Plot anpassen mussten, weil zum Beispiel Jesses Haus für eine Staffel lang nicht mehr als Drehort zur Verfügung stand. Und wie Bryan Cranston den Schritt von den kleinen Podcasts zu den großen Abendshows unternahm und zu einem Weltstar wurde.
Doch das machte dem Writers Room nichts aus. Sie hatten Albuquerque als Mini-Kosmos neu erfunden, der auf der einen Seite nichts mit Amerika zu tun hat, aber auf der anderen Seite eine ganze Welt in einer Schneekugel war. Immer wieder konnten sie den Fokus in eine andere Richtung drehen. Die Witzfigur Hank wurde auf dem Parkplatz plötzlich dreidimensional und zog Marie mit. Diese Szene, in der beide im Aufzug nach unten fahren… einfach wow. Kleine Gesten und dennoch große Gefühle.
Breaking Bad war nicht perfekt, sondern ein Spiegel unserer Zeit. Viel zu spät bemerkte ich etwa, welchen Frust die anderen Fans gegenüber Skyler entwickelten, weil sie doch die Spielverderberin war und Walt daran hinderte, spannende Dinge zu machen wie Zugüberfälle und kleine Jungs zu ermorden. Ach nein, das war ja nur Todd. Walter bringt Dealer um. Vielleicht machte diese Misogynie Skyler für mich sogar zu einer stärkeren Figur. Sie verkörpert für mich das Wort Survivor. Aber es ist wohl kein Wunder, dass wir sie in den Folgeproduktionen nicht wiedersahen.
Breaking Bad versank in einem Sumpf. Statt mit seiner Hauptfigur richtig abzurechnen, hat Vince Gilligan Walter White ein paar grobschlächtige Comicbuch-Bösewichte an die Seite gestellt, die dann keine Backstory mehr bekamen – dabei war das das vorherige Kennzeichen der Serie: Jeder hat eine Geschichte. Nur so war es möglich, Walter einen versöhnlichen Tod herbeizuschreiben. Er büßt und verhilft Jesse, seinem eigentlichen Sohn, zur Flucht.
Als Better Call Saul angekündigt wurde, hatte ich wenig Hoffnung. Aber Vince Giligan und Peter Gould haben es wieder geschafft, mich in eine Story hineinzuziehen. Noch deutlicher als zuvor waren die Comedy-Elemente: Das Gericht in Albuquerque ist einfach eine Muppet Show. Aber mittendrin kamen immer wieder Elemente der Selbstinspektion eines Amerika, in dem kurze Zeit später Donald Trump das Ruder übernehmen sollte. Zum Beispiel in der Rolle der Betsy Kettleman, die neben einer Tasche voll unterschlagenem Geld sitzen konnte und gleichzeitig behauptete – nein, der Überzeugung war – dass sie nichts falsches getan hatte. Dass Gesetze für sie nicht gelten, weil sie dieses Geld einfach verdiente.
Chuck als Figur war ein Geniestreich, ein Pol, von dem sich Saul abstoßen konnte. Jimmys älterer Bruder lebt in einer Welt ohne Strom, ein Exil, in dem es ihm noch möglich ist an Prinzipien festzuhalten, die eigentlich nie wirklich ernst genommen wurden. Chuck ist das Establishment, das ganz fest die Augen verschließt, wie es zu der von ihm selbst beklagten Misere beigetragen hat. Chuck kann nicht verstehen, wie seine Aktionen seinen Bruder erst zu dem machen, was er verachtet. Zu Saul.
Better Call Saul hatte von den Fehlern der Vorgängerserie gelernt. Kim wurde nicht den Wölfen vorgeworfen. Sie konnte den Weg von Jimmy zu Saul mitbeschreiten, auch wenn ich ihre Motivation oft nicht nachvollziehen konnte. Der Verschluss der Tequila-Flasche symbolisierte den rebellischen Funken von Kim, die sich aus dem Nichts hochgearbeitet hatte, um schließlich in einem Corporate Apartmentb zu stehen und nicht zu wissen, wie es von hier weitergeht. Ob es noch eine Kim gibt, die nicht ausschließlich das Produkt ihrer Umgebung ist.
Was ich mich bei Serien immer wieder frage: In welcher Welt leben diese Leute eigentlich? Ich will sicher nicht im Albuquerque von Walter und Saul leben. Es gibt zwar ein paar interessante Menschen da. Aber sie spielen alle nur Rollen, die von der Gesellschaft vorgegeben werden. Hank muss in der Garage Bier brauen. Marie muss sich ein Problem wie Kleptomanie zulegen. Wäre Ignacio nicht Nacho, würde er Autositze schneidern, bis er das Geschäft von seinem Vater erben kann. In 20 Jahren. Niemand lebt wirklich in Better Call Saul. Je länger wir in die Schneekugel starren, um so mehr bemerken wir, wie klein sie doch ist. Und dass all die kleinen Figuren keine Augenbrauen haben, weil kein Pinsel klein genug war.
Die letzte Staffel war wie bei Breaking Bad eine Enttäuschung. Lalo war wie zuvor Todd ein Enigma, ein Psychopath, der halt tut, was er tut, um den Rest der Welt etwas besser dastehen zu lassen. Seine große Entdeckung: Er hat ein Loch gefunden. Als ob dies irgendetwas in dem Machtkampf der Salamancas gegen den Chicken Man bedeuten würde. Aber bumm, bumm, bumm. Tragisches Finale. Traumata für alle. An keiner Stelle ergibt der Plot noch irgendeinen Sinn, er schleudert die Charaktere nur noch grob in die erwünschte Richtung.
Better Call Saul war eine spannende Charakterstudie, aber letztlich hat sie ihr Ziel verfehlt. Sie sollte zeigen, wie man einen Menschen wie Saul konstruieren kann. Doch wenn wir uns an seine ersten Auftritte erinnern, ist das nicht gelungen. Ein Jimmy, der mit Kim zusammengelebt hat, wird niemals zum Saul, der von Skyler so aus dem Konzept gebracht werden kann.
Dennoch: Es waren 12 wilde Jahre, und ich würde sie nicht missen wollen. Denn sie markieren auch eine Periode, in der kreativ vieles realisiert wurde, was vorher nicht möglich war und mittlerweile auch nicht mehr möglich ist. Netflix muss sparen und es braucht Stoffe, sie mehr als nur einen Moment funktionieren. Disney Plus muss sparen und braucht Stoffe, die keinesfalls mehr Tiefgang haben dürfen als ein Pixar-Film. Amazon Plus muss sparen und brauchts Stoffe, mit denen man Cola verkaufen kann. Die ARD muss sparen, weil Schlesinger.
Bye Albuquerque.
Tschüß, Omaha.
Und auf Wiedersehen, Golden Age Of TV. Vielleicht müssen wir zur Abwechslung wieder selbst leben, statt nur in Dir ein Spiegelbild zu suchen.
Hinz und Kunz und Onkel Paula veröffentlichen in diesen Tagen FAQs zum Neun-Euro-Ticket. Da es jedoch darum geht, Leute auf die Schiene zu führen, wäre es vielleicht besser, etwas niedrigschwelliger zu informieren. Zu den frequently asked questions sollten sich noch die viel zu wenig gestellten Fragen gesellen.
Wirklich neun Euro?
Ja, wirklich neun Euro. Aber nur pro Monat.
Wird es denn klappen?
Kommt ganz darauf an. Wenn Ihr glaubt, dass das Ticket alleine Leute massenweise und dauerhaft auf die Schiene und in den Bus bringt: Nein, das wird nicht geschehen. Dazu muss schon mehr passieren, viele Milliarden müssen investiert, viele Busfahrer gefunden werden. Wenn das passiert – prima!
Wenn Ihr hingegen die vielen Abgesänge in Pressekommentaren gesehen habt, die das Ticket in Bausch und Bogen verdammten: Ich bin nicht ganz so pessimistisch. Während sich alle Welt auf überfüllte Züge zu Ausflugsorten konzentrieren, weiß ich als vormals häufiger Bahnfahrer eins zu schätzen: Man kann auch mal eine Bahn wegfahren lassen. Und dann den nächsten Zug nehmen. Geht Euch eine Currywurst kaufen, genießt die Sonne. Fahrt Bahn, als ob es nicht wirklich wichtig ist, ob ihr exakt um 9:58 Uhr an der Burg Satzvey ankommt.
Ich bin zuletzt 1993 mit der Bahn nach Sylt gefahren.
Keine Angst. Holt tief Luft. Eins nach dem anderen.
Zum einen: Die Bahn von damals ist nicht die Bahn von heute. Auch dann, wenn es oft genug buchstäblich dieselben Züge sind. Man hat sie neu lackiert, den Interregio gibt es nicht mehr und in den Zügen, die ihr mit dem 9-Euro-Ticket benutzten dürft, gibt es keine Speisewagen. Aber erinnert Ihr Euch daran, dass es 1993 keine Klimaanlage gab? Das wird Euch helfen.
Aha? OK.
Zum zweiten: Schaut Euch das Gepäck an, das ihr mitnehmen wollt. Ist es die volle Koffergarnitur von Tchibo oder Reisenthel? Dann ist das IC/ICE-Ticket wahrscheinlich die bessere Alternative für Euch. Vorteil: Die Fernzüge werden wohl leerer sein. Und das U-Bahn-Ticket zur Berliner Museumsinsel ist inklusive.
Kinderwagen und 15 Schultertaschen? Steht sehr früh auf. Oder nutzt die Lücke, wenn die ganzen anderen Leute schon weg sind. Meidet den Berufsverkehr. Die Apps helfen Euch, aber sie liefern keine Gewissheit.
Aber es ist doch eigentlich ganz einfach: Ich guck in den Fahrplan und geh zum richtigen Zeitpunkt zum Bahnhof?
Nun. Ja. Nein. Vielleicht.
Ihr kennt doch sicher jemanden in Eurem Bekanntenkreis, die mehr Erfahrung hat. Fährt die S-Bahn-Linie S12 wirklich pünktlich? Ist an diesem Samstag vielleicht ein Bundesliga-Spiel, von dem ich wissen sollte? Seid sozial, stellt Fragen.
Und dann?
Stell Euch bei den ersten Malen auf ein Abenteuer ein. Ein Lehrer erzählte mir einst stolz von seinen Reisen: Bevor man in einem fremden Land ankommt, sollte man zumindest die Zahlen von Eins bis Zehn und ein paar Phrasen beherrschen. Im Fall des Tickets heißt das: Installiert die Apps. Mindestens den DB-Navigator und die App Eures lokalen Verkehrsverbundes. Und dann versucht, von den Einheimischen zu lernen.
Einheimische? Wovon redest Du?
Nun – es gibt Leute, die jeden verdammten Tag in die Bahn steigen. Die meisten Probleme könnt ihr vermeiden, wenn Ihr deren Verhalten imitiert oder sie fragt, falls ihr nicht weiterkommt.
Die erste Lektion, für die ihr niemanden fragen solltet: Leute können erst in einen Zug einsteigen, wenn andere ausgestiegen sind. Das heißt: Lasst diesen Leuten Platz. Und steigt nicht mit 30 anderen Passagieren an einer Tür ein, wenn 18 andere Türen am Zug sind. Ihr lernt es mit der Zeit, Euch genau zur richtigen Zeit an der richtigen Tür anzustellen.
Das klingt zu kompliziert.
Ja. Nein. Ihr müsst Euch anpassen, wenn ihr das Neun-Euro-Angebot wollt. Payback bezahlt Euch Zehntel-Cents dafür, Eure gesamte Kauf-Historie zu vermarkten, also sollte es doch möglich sein, sich anzupassen. Was an Pfingsten um 9:58 Uhr passiert, wird wahrscheinlich nicht an einem Alltags-Dienstag um 10:13 passieren. Es wäre wirklich toll, wenn uns die Apps dabei helfen würden.
Aber die Bahn… suckt?
Herzlich willkommen im Erwachsenenleben – in einer Welt, die sich verändert. Schnallt Euch an. Natürlich nur metaphorisch. In der Bahn gibt es keine Gurte.
Es ist allgemeiner Sprachgebrauch: Wenn mit Daten nicht unmittelbar der bürgerliche Name des Urhebers, Besitzes oder Objektes verknüpft ist, dann wird das Wort „anonym“ verwendet. Doch in einer Mehrzahl der Fälle ist dies ungenau, irreführend oder einfach falsch. Wir sollten uns endlich an das Wort „pseudonym“ gewöhnen.
Wo ist der Unterschied? Nun, es ist ein ganz gewaltiger: Anonyme Daten können nicht mehr mit einzelnen Personen verknüpft werden, pseudonyme Daten hingegen schon.
Cookies kennen Deinen Namen
Ich schreibe viel über Online-Werbung und quasi alle Daten dort sind nicht anonym, sondern pseudonym. Wenn auf Eurem Bildschirm zum nächsten Mal ein Cookie-Banner aufpoppt, klickt Euch einfach durch die Einstellungen. Ihr müsst nicht alles lesen oder verstehen, lasst einfach mal den Blick schweifen. Dort stehen so Phrasen wie „Ein personalisiertes Inhaltes-Profil erstellen“, „Personalisierte Inhalte auswählen“ oder sogar „Geräteeigenschaften zur Identifikation abfragen“.
Sprich: Die Werbeindustrie verfolgt Eure Schritte von Website zu Website, von Gerät zu Gerät, verknüpft Euer Smartphone mit Eurem Fernseher. So entsteht ein sehr vollständiges – wenn auch ein kommerziell verzerrtes – Profil. In den jeweiligen Datensätzen ist vielleicht nicht Euer Name enthalten. Vielleicht aber doch. Es reicht, dass Ihr Euch irgendwo eingeloggt habt, irgendwo etwas gekauft habt, landen auch Euer Name und Eure Adresse in einer Datenbank. Diese mögen zwar nicht immer mit Euren Cookies verknüpft sein, aber es reicht schon, wenn die verschiedenen Datenbestände nur ganz selten abgeglichen werden. Deshalb: Heute ist die meiste Werbung nicht anonym, sondern pseudonym. Erst recht, wenn Werbefirmen solche Slogans wie „privacy first“ verwenden.
Währungen mit Nummernschild
Auch Bitcoin-Halter erleben derzeit unschöne Überraschungen, wenn sie ihre Digitalware verkaufen wollen. Theoretisch kann Bitcoin verdammt anonym sein: Jeder kann beliebig viele Konten anlegen, die quasi nur durch eine Kontonummer gekennzeichnet sind. Es gibt da aber einen ganz großen Haken: Die Bitcoins selbst haben auch eine Identität. Da alle Zahlungen unlöschbar auf einer öffentlichen Blockchain stehen, ist diese Anonymität schnell verflogen. Was nützt es 2000 namenlose Konten zu haben, wenn Du Dir einen Tesla kaufen willst? Du musst das Geld wieder zusammenführen, Tesla will eine Lieferadresse, etc, pp.
Schlimmer noch: Ein deprimierend großer Teil von Kryptowährungen war mal Teil eines kriminellen Geschäfts. Wer also nach dem nächsten Kurssprung schnell Kasse machen will, könnte sich einem Dilemma gegenübersehen. Ein mit neuen Finanzregulierungen konfrontierter Bitcoin-Dienstleister sagt: Sorry, dafür können wir Ihnen keine Dollar, Yen oder Rubel geben, dieses Bitcoin ist Hehlerware. Wer so unvorsichtig war, einen „Mixer“ benutzt zu haben, könnte mit einer Wallet enden, in der haufenweise kriminelle Bitcoin-Splitter gelandet sind: Ransomware, Betrug, Staaten auf internationalen Sanktionslisten, etc pp. Das ist der Grund, warum Kriminelle früher kofferweise Bargeld transportiert haben: Woher die Geldscheine kommen, ist meist nicht mehr zu ermitteln. Was nutzt eine scheinbar anonyme Kontonummer, wenn alles Geld eindeutig identifizierbar sind? Also, merken: Die meisten Kryptowährungen sind nicht anonym, sondern pseudonym.
Damit will ich nicht sagen, dass es gar keine anonymen Daten gibt. Es gibt sie und es gibt valide technische Umsetzungen, die Anonymität von Individuen zu schützen. Bevor man das Wort verwendet, sollte man aber zumindest nachfragen, ob es sich denn tatsächlich um Anonymität handelt oder ob das Gegenüber schlicht den Unterschied nicht kennt.
Die Pandemie hat viele Worte in den allgemeinen Wortschatz gespült: Inzidenzquote, Kuschelkontakt, Brauchtumszone. Viele davon werden hoffentlich mit der Pandemie verschwinden, einige werden bleiben. Dazu gehört das Wort „Schwurbeln“, das insbesondere auf die sogenannten Querdenker angewendet wird.
Im Duden steht das Wort bereits: „verschwurbelt reden; Unsinn erzählen“ – umgangssprachlich abwertend. Aber wie ein Gewitter über der Ebene hat der Begriff in den vergangenen zwei Jahren neue Energie gewonnen, einen eigenen Charakter entwickelt. Wir verstehen das Wort heute wesentlich spezifischer als früher. Also: Was heißt Schwurbeln eigentlich heute? Hier einige meiner Gedanken.
Schwurbeln ist eine Form des destruktiven Diskurses. Es dient nicht dem Erkenntnisgewinn, sondern lässt alle Beteiligten im Zweifel ratloser zurück.
Schwurbeln basiert nicht einfach auf einem Missverständnis. Wer zum Beispiel nicht verstanden hat, wie der Treibhauseffekt funktioniert und deshalb auf Nachfrage völlig falsch erklärt, was denn die Gründe für Klimaerwärmung sind, ist nach meinem neuen Wortverständnis kein Schwurbler. Er oder sie mag zeitweise so klingen, aber Ignoranz und gezielte Ignoranz sind zwei Paar Schuhe.
Schwurbeln ist ein performativer Akt. Es geht nicht darum, gemeinsam ein Thema zu ergründen, sondern darum, das Gegenüber mit Worten zu überrennen. Es geht nicht darum, Fakten auszudrücken, sondern einen Gemütszustand zu inszenieren.
Lagerdenken ist üblich, bei Schwurblern ist es besonders ausgeprägt. Zum einen unterstützen sie jeden, der zum erwünschten Ergebnis kommt. Diese Solidarität reicht aber nur so weit, wie sie unmittelbar nützlich ist. Wer anderer Meinung ist, soll auch Leute widerlegen, die an Echsenmenschen glauben. Man selbst muss sich jedoch mit überhaupt kein Argument befassen, dass irgendwie mit dem als gegnerisch wahrgenommenen Lager verknüpft ist.
Schwurbler zeichnen sich durch besondere Beliebigkeit aus. Sie können in einem langen Vortrag Zitate von Sun Tsu, Karl Marx, Henry Ford, Winston Churchill, George Orwell und Richard David Precht unterbringen — als ob diese einen gemeinsamen Weltgeist verkörpern. Es ist kein Wunder, dass diese Zitate oft frei erfunden und immer vom Kontext entkernt sind.
Wie zwischen historischen Promis wechseln Schwurbler auch zwischen Gedankenschulen. Sie können von anarchistischem Gedankengut zur Esoterik und dann sofort zu klar faschistischem Gedankengut springen. Wenn das Gegenüber nicht darauf anspringt, wechselt man halt zum nächsten Argument, oder besser: zum nächsten Slogan. Denn selten machen Schwurbler den Eindruck, dass sie wirklich verstanden haben, woher diese Gedankenfetzen stammen. Wer versucht, diesen Kontext wiederherzustellen, verfehlt in den Augen des Schwurblers den Punkt.
Die Verweigerung des Diskurses geht bis hinunter auf die Wortebene. Ein richtiger Schwurbler kann sich sogar darauf versteifen, dass Wasser nicht nass ist. Aber diese Umdeutungen haben ein Muster. Worte haben keine klaren Definitionen mehr, aber sie haben einen Klang. Notzulassung. Natürlich. Experiment. Heilung. Pharma. Freiheit. Jedes Wort ist Schwarz oder Weiß und das ist auch seine zentrale Bedeutung.
Schwurbler stellen viele Fragen, aber nicht, um Antworten zu erhalten. Es ist eine Inszenierung: Wir können gar nicht alles wissen, deswegen müssen wir die Wahrheit in unserem Bauchgefühl suchen. Alles andere ist zum Scheitern verurteilt, eine Anmaßung.
Zuletzt: Schwurbeln hat eine dunkle Seite. Wer frisch verliebt oder hoffnungslos bekifft ist und in der Euphorie viele der oben geschilderten Charakteristiken aufweist, wird allenfalls rumspinnen, fantasieren, fabulieren oder wirres Zeug reden. Als Schwurbler hat man eine Agenda, selbst wenn man sie selbst nicht kennt oder artikulieren kann.
Es ist ein beliebtes Argument von Start-ups, die ein undurchdachtes, unvollständiges, vielleicht sogar ein unmögliches Produkt herausbringen wollen: Ja, es gibt Probleme, aber schließlich wurde ja auch Steve Jobs mit seinem iPhone verlacht. Macht Euch nur lustig, übt nur Kritik, aber ich trete das Erbe von Steve Jobs an und zeige Euch Neidern schon, wie es denn funktioniert. Irgendwann. Die Begeisterung für diesen Mythos ist so hoch, dass sich Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes sogar zu einer Steve-Jobs-Kopie umstylte, um ein nicht existentes Produkt zu vermarkten. Mit gewaltigem Erfolg.
Es ist aber eine Geschichtsfälschung, wenn man behauptet, Steve Jobs sei für sein iPhone verlacht worden. Allein schon die Prämisse ist albern: Apple war schon lange kein Start-up mehr, als das iPhone vorgestellt wurde. Es war keine vage Idee, sondern ein jahrelang gründlich vorbereiteter Produktstart eines milliardenschweren Konzerns, der seine Dominanz in bestimmten Märkten auf einen neuen Markt übertragen wollte. Damals genügte es nicht, die Baupläne an einen Auftragsfertiger in Shenzen zu schicken und dann auf einen vollen Schiffscontainer mit der Ware zu warten. Zu Innovation gehört nicht nur eine Idee und ein Design, sondern auch die Fähigkeit, diese Idee umzusetzen und zu vermarkten.
Schauen wir doch einfach mal ins Presse-Archiv, das mir meine Stadtbibliothek zur Verfügung stellt. Was schrieb die Weltpresse, nachdem Steve Jobs im Januar 2007 das iPhone der Öffentlichkeit vorgestellt hatte?
Fangen wir der Einfachheit halber an mit der Pressemeldung, die Apple selbst ausgesandt hat:
Apple(R) today introduced iPhone, combining three products-a revolutionary mobile phone, a widescreen iPod(R) with touch controls, and a breakthrough Internet communications device with desktop-class email, web browsing, searching and maps-into one small and lightweight handheld device. iPhone introduces an entirely new user interface based on a large multi-touch display and pioneering new software, letting users control iPhone with just their fingers. iPhone also ushers in an era of software power and sophistication never before seen in a mobile device, which completely redefines what users can do on their mobile phones.
„iPhone is a revolutionary and magical product that is literally five years ahead of any other mobile phone,“ said Steve Jobs, Apple’s CEO. „We are all born with the ultimate pointing device — our fingers — and iPhone uses them to create the most revolutionary user interface since the mouse.“
Was auffällt: Viele Features, die wir heute mit dem iPhone verbinden, kommen nicht vor. Etwa ist der App Store nicht erwähnt, dafür aber einige wenige Programme wie Google Maps und die eingebaute Suchfunktion von Google und Yahoo. Apple schließt mit einem wichtigen Absatz: Die Firma ist kein Anfänger, sondern hat die Kompetenz, Neuerungen nicht nur zu denken, sondern auch umzusetzen. Und sie hat eine kampferprobte Rechtsabteilung:
Apple ignited the personal computer revolution in the 1970s with the Apple II and reinvented the personal computer in the 1980s with the Macintosh. Today, Apple continues to lead the industry in innovation with its award- winning desktop and notebook computers, OS X operating system, and iLife and professional applications. Apple is also spearheading the digital music revolution with its iPod portable music players and iTunes online store.
NOTE: Apple, the Apple logo, Mac, Mac OS, Macintosh, iPod, iTunes, Apple TV and Safari are trademarks of Apple. Other company and product names may be trademarks of their respective owners.
Die Financial Times schrieb am 10. Januar 2007:
Apple yesterday laid out ambitious plans to broaden its early lead in the digital entertainment business, announcing an iPod mobile phone and an Apple TV set-top box that together could extend the US technology company’s reach into big new consumer electronics markets.
Speaking at Apple’s annual MacWorld trade show in San Francisco, Steve Jobs, chief executive, claimed the widely anticipated cellular device, the iPhone, represented a breakthrough.
„Apple is going to reinvent the phone,“ he declared, showing off a thin, handheld device with a3.5-inch screen that displays touch-screen controls.
Der britische Guardian:
An sleek black device, almost certain to be found in thousands of handbags and pockets before the end of the year was seen for the first time yesterday when Apple unveiled its widely anticipated iPhone.
The touchscreen handset will combine internet access and iPod music with a built-in 2 megapixel digital camera and video playback features.
Apple’s chief executive, Steve Jobs, launched what he called a „magic“, „super-smart“, super-hyped device, which also provides the more mundane functions of the traditional phone.
Die New York Times:
With characteristic showmanship, Steven P. Jobs introduced Apple’s long-awaited entry into the cellphone world Tuesday, pronouncing it an achievement on a par with the Macintosh and the iPod.
The creation, the iPhone, priced at $499 or $599, will not be for everyone. It will be available with a single carrier, Cingular Wireless, at midyear. Its essential functions — music player, camera, Web browser and e-mail tool as well as phone — have become commonplace in hand-held devices.
But it was the ability to fuse those elements with a raft of innovations and Apple’s distinctive design sense that had the crowd here buzzing.
Apple steigt mit dem iPhone in einen Markt ein, der im Gegensatz zu den Musikplayern bei Einführung des iPod bereits viele starke Konkurrenten aufweist und streckenweise nahezu gesättigt erscheint. Marktbeobachter glauben dennoch, Apple könne auf dem Handymarkt zu einem wichtigen Faktor werden – und nicht nur hier Maßstäbe setzen. Die neuartige Bedienoberfläche, bei der offenbar einige Neuentwicklungen zum Tragen kommen, die in den vergangenen Monaten beispielsweise als Patentanmeldungen bekannt wurden, eignet sich nicht nur für Mobiltelefone.
Noch ist Apples neue Umsatz-Geheimwaffe (wenn sie denn dazu wird) nur ein Prototyp. Was man anderen Herstellern als zu früh angekündigte heiße Luft vorwerfen würde, wirkt auf Apple-Fans wie eine die Konsumlust befeuernde Verheißung.
Etc, pp, usw.
Wichtiger jedoch als die anfänglichen Berichte war die Intensität der Berichterstattung. In den kommenden Wochen erschien kaum eine Ausgabe irgendeines Print-Massenmediums, in der das iPhone nicht thematisiert wurde. Nicht alles davon war positiv: Cisco stritt sich mit Apple um den Namen iPhone. Es gab einige ungeklärte Probleme mit der Börsenaufsicht SEC. Und einige Analysten bezweifelten, dass das iPhone den erfolgreichen Blackberry sofort wegfegen würde. Überhaupt bemühte sich jeder Hersteller von Mobiltelefonen darum, Hoffnung zu verbreiten: Ja, das iPhone ist spannend, aber und unsere Produkte sind solide. Was für sich genommen schon ein riesiges Kompliment für Apple war: Bisher hatte man das mysteriöse iPhone schließlich nur in der Hand des Chefverkäufers gesehen, während die Geräte von Nokia, Blackberry und sonstigen überall auf der Welt von Millionen Leuten benutzt wurden. Warum sollten sie überhaupt über ein Produkt reden, das nicht am Markt war?
Kurzum: Das iPhone war ein unbeschreiblicher Medienhype. Dass man heute ohne Probleme Kolumnen und Analysen von damals findet, die das iPhone kleinredeten und Steve Jobs überhaupt sehr fragwürdig fanden, liegt daran, dass quasi alles Vertretbare gedruckt wurde, solange nur der Publikumsliebling iPhone in der Schlagzeile erwähnt werden konnte. Sie waren jedoch krasse Außenseitermeinungen – zu einer Zeit, als krasse Außenseitermeinungen noch nicht der Kern vieler Geschäftsmodelle waren, aber in der sich neue Blogs irgendwie vom Mainstream abheben mussten.
Wenn Euer Pläne und Visionen also verlacht oder schlicht ignoriert werden, ist Steve Jobs und das iPhone so relevant für Euch wie Mahatma Gandhi.
Es fällt schwer, DAS eine Problem von NFTs zu benennen. Oft konzentrieren sich Leute darauf, dass es eine CO2-verschwendende, umweltschädliche Technologie ist. Doch ich glaube, dieser Vorwurf geht viel zu kurz. NFTs sind eine Querschnitts-Technologie, die eine ganze Reihe von Gesellschaftsproblemen vereint. Man kann sie vielleicht unter dem Schlagwort institutionalisierte Ignoranz oder magisches Denken zusammenfassen.
Der immer wieder vorgebrachte Glaube ist: NFTs werden immer im Wert steigen und gleichzeitig eine neue Egalisierung der Kreativen und ihrer Fans erzeugen. Diese beiden Ziele weisen jedoch in fundamental andere Richtungen: Kunstwerke, die immer mehr an Wert gewinnen, schließen natürlich die Schöpfer weitgehend von diesen Erträgen aus. Irgendwann müssen sie ihr Gemälde, ihre Skulptur, ihr pandimensionelles Fraktal verkaufen, um Miete und Essen zu zahlen – und ab diesem Zeitpunkt sind sie an der Wertentwicklung nicht mehr beteiligt. Van Gogh verstarb in bitterer Armut, seine Werke werden heute für über 100 Millionen Dollar gehandelt.
Es ist kein Zufall, dass der Kunstmarkt explodiert, wenn ein Künstler stirbt. Ein naheliegender Grund: Er kann nicht keine neuen Werke mehr produzieren, sodass jede Nachfrage auf ein Angebot stößt, dass nicht mehr wachsen kann. Ein anderer Faktor ist: Der Künstler kann keine Anteile mehr verlangen. Der Gewinn durch Preissteigerungen geht somit komplett in die Kasse der Händler und sie müssen nicht befürchten, dass der Künstler beim nächsten Werk einen kräftigen Aufschlag verlangt.
Zum anderen: Der Kunstmarkt, der sich nun vermeintlich der breiten Öffentlichkeit öffnet, zeichnet sich vor allem durch eins aus: Die prominentesten als NFT verkauften JPEGs sind von ausgesuchter Hässlichkeit. Es handelt sich wohlgemerkt um keine Hässlichkeit, die den Zustand der Welt oder einen Gemütszustand widerspiegelt. Sie sind unkreativ, massenproduziert, beliebig und… nunja… hässlich. Sicher: Es gibt sicher auch tolle Werke, die als NFT gehandelt werden. Nur wissen die Künstler nicht unbedingt davon.
Die Hässlichkeit ist Teil des Konzepts. Wenn niemand wirklich begreifen kann, ob sich etwas um eine gedankenlose Schmiererei oder um das geilste Kunstwerk der Welt handelt, liegt die komplette Werkschöpfung beim Marketing, beim Händler. Man muss keinen Künstler bezahlen, der sich ständig was Neues ausdenkt, der irgendetwas von sich preisgibt. Das kommerziell ideale NFT hat alle Eigenschaften eines einzelnen Zeichentrickfilm-Blattes: Sie sind sofort wiedererkennbar, liegen zu Zehntausenden vor und wer auch immer sie gezeichnet hat, hat niemals individuelle Rechte daran erworben. Die kämen der Spekulation nur in die Quere.
Nun zum zweiten Ziel: Werden NFTs nicht immer im Wert steigen? Spezifischer: Wird das Werk, das ich als NFT vermeintlich kaufe, nicht immer weiter im Wert steigen? Ich habe noch irgendwo ein Album mit wirklich schönen, limiertierten und ungenutzten Telefonkarten liegen, das sagt: Nein.
Die zentrale Säule für vermeintliche Gewinne in vielen Crypto-Anlagen ist: „Scarcity“ – zu Deutsch: Knappheit. Die Idee ist: Solange man etwas wirklich Einzigartiges oder zumindest Seltenes hat, muss es wertvoller werden. Leute sind mit dieser Idee zu Milliardären geworden. Etwa Ty Warner, der mit seinen „Beanie Babies“ in den USA eine wilde Spekulationsblase ausgelöst hatte. Viele Leute haben ihre Ersparnisse verloren, Warner hingegen ist Milliardär. Und so einige werden einen guten Schnitt gemacht haben, die früh in den Trend eingestiegen und ebenso früh wieder ausgestiegen sind.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass man die oben beschrieben widerstreitenden Ziele der Egalisierung und des Wertgewinns irgendwie vereint oder einen Kompromiss findet. Twitter zum Beispiel nutzt NFTs, um für den kostenpflichtigen Twitter-Blue-Account zu werben. 3 US-Dollar pro Monat – das klingt nicht wirklich nach einem hyperkapitalistischen Plot, oder? Nun: Würden die Leute auch ihre NFTs für 3 oder gar 20 Dollar kaufen, gäbe es kein Problem, das ich entdecken kann.
Wenn jedoch magisches Denken hinzukommt, ist da plötzlich ein Problem. Wer sich ein Angebot auf Opensea ansieht und dort entdeckt, dass ein hässliches Bild eines hässlichen Turnschuhs erst zum Gegenwert von 2000 US-Dollar, dann für 5000 Dollar, dann für 10000 Dollar weiterverkauft wurde – und das alles in nur einem Monat! – dann extrapolieren wir natürlich. Im nächsten Monat ist es sicher 20000 Dollar wert. Schließlich haben wir mit Covid Exponentialfunktionen gelernt.
Wenn man jedoch einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Warum sollte jemand dieses, und nicht eins der 50000 gleichwertigen NFTs kaufen, dann weiß niemand eine Antwort. Dann beginnen die Ausflüchte: Du hast NFTs eigentlich nicht verstanden. Sieh doch nur. 10000 US-Dollar. Die Underpants Gnomes hatten keine Ahnung. FOMO!
Das ist auch vermutlich der Grund, warum NFTs nicht zu einem umweltschonenderen Verfahren umgestiegen sind, was technisch absolut kein Problem wäre. Nur wenn man das Erstellen von NFTs ins Astronomische künstlich verteuert, kann man das Angebot klein genug halten. Doch ein Echtheitszertifikat kann jeder kostenfrei mit Open-Source-Mitteln erstellen.
Deswegen führt auch die Frage, ob nun die Blockchains zentral (sie sind es) oder dezentral sind (sie könnten es sein), nicht wirklich weiter. Das Wertvollste an einem Opensea-Item ist nicht der Link auf irgendein JPG, es ist die Kaufhistorie. Hier steckt der ganze Wert eines NFT. Hier steckt die ganze Fantasie. Hier steckt die ganze Magie.
Glaubt ihr an Magie? Dann spielt Quidditch.
PS: Ich wurde auf Gegenbeispiele aufmerksam gemacht, die auf der anderen Grundprinzipien basieren als OpenSea und daher für einige meiner Kritikpunkte oben nicht anfällig sind. Sie basieren beispielsweise auf der Tezos-Plattform, die pro Mint-Vorgang nicht unheimliche Mengen CO2 verbraucht und auch für Künstler sehr günstige Tarife anbietet.
Das Problem mit diesen Beispielen ist: Der Tezos-Kurs hat laut Coinbase am 4. Oktober 2021 einen Peak erlebt und war da umgerechnet 7,86 Euro wert. Heute sind es 2,65 Euro, ziemlich genau ein Drittel. Der real existierende NFT-Markt hat also eine klare Präferenz gegen diese Modelle, die nach oben skizzierten Gesichtspunkten günstiger für Künstler wären.
In diesen Tagen wird viel über Freiheit und die Pandemie gesprochen — und viel davon ist deprimierend falsch. Kein Wunder: Nicht jeder, den man sprichwörtlich ins tiefe Wasser wirft, lernt sofort zu schwimmen. Das Thema ist viel zu komplex, als dass man aus dem Stegreif erkenntnisbringend argumentieren könnte. Man kann spontan seine Wünsche oder persönlichen Erfahrungen austauschen, aber nicht verantwortungsvoll Entscheidungen für andere treffen. Und das ist der Kern der Pandemie: Die Entscheidungen, die man scheinbar nur für sich trifft, trifft man auch für andere.
Wer über Freiheit nachdenken will — und ich empfehle das Denken vor dem Sprechen oder dem Schreiben — kann sich zum Beispiel diesen Fall vornehmen: Eine Frau hat eine ansteckende, potenziell tödlich Krankheit, ist aber selbst völlig symptomfrei. Als man sie findet, sind bereits viele Menschen erkrankt und wohl einige gestorben. Sie wird ermahnt, Hygienevorschriften einzuhalten und nur noch ordentlich durchgegarte Nahrung zu servieren. Was sie nicht tut.
Die Krankheitsträgerin arbeitet weiter als Köchin. Irgendwann wird es den Behörden zu viel. Die Frau wird zwangsweise in Quarantäne gesteckt und immer wieder getestet. Drei Jahre lang. Und als man sie entlässt, verbietet man ihr als Köchin zu arbeiten. Sie jedoch sieht sich zu Unrecht verurteilt. Sie hat ja nichts gemacht. Und nach einer Unterbrechung, in der sie einen anderen schlecht bezahlten Job ausübt, arbeitet sie unter anderem Namen wieder als Köchin, in Restaurants und sogar in einem Krankenhaus. Wo es zu einem neuen Ausbruch kommt, der Ermittler und schließlich auch die Polizei auf den Plan ruft.
Was soll man mit dieser Person tun? Die Antwort damals war: Man schickt sie wieder in Quarantäne. 23 Jahre lang, bis zu ihrem Tod. Zwar bekommt sie ein eigenes kleines Häuschen, einen neuen Job und kann Tagesausflüge in die Stadt machen — doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Gefangene war. Und bald darauf fand man neue symptomfreie Überträger, die man jedoch nicht in Gefangenschaft schickte.
Es handelt sich hier nicht um einen hypothetischen Fall, sondern um das Leben von Mary Mallon, auch bekannt als Typhoid Mary. In der Wikipedia steht einiges, etwas mehr erfahrt ihr in diesem Podcast.
Man kann den Fall nicht im Nachhinein lösen, die Frau nicht rehabilitieren oder sie nachträglich überreden, man kann ihr auch nicht eine heute bekannte Medizin verabreichen. Man kann die New Yorker Behörden von damals nicht von Rassismus und Korruption befreien. Aber man kann ein wenig nachdenken.