Überwachungslogik (5)

Der Verkehr lahm gelegt, die Polizei überlastet, die Bevölkerung in Panik — und nur wegen eines vergessenen Koffers. Wie soll ich rechtzeitig zu meinem wichtigen Termin kommen?

Vielleicht sollten wir vergessliche Menschen internieren. Natürlich nur vorübergehend. Bis der Terrorismus beendet ist.

Überwachungslogik (3)

Die einfachste Methode, ein Gemetzel zu vermeiden: man muss möglichst viele Männer mit Maschinenpistolen auf Plätzen mit vielen Menschen stationieren.

Überwachungslogik (2)

Wenn Vorratsdatenspeicherung gegen unmittelbar bevorstehende Anschläge hilft, warum hilft nicht auch Google Street View?

Lassen Terroristen ihre Schläfer-Camps verpixeln?

Steuersünder sind wertvoll

Ich bin mal gespannt, wie lange die Steuersünder-Liste noch auf dem Markt ist, wenn die Identität des Informanten mittlerweile plakatiert wird:

Die CD mit Schweizer Kontodaten mutmaßlicher deutscher Steuerflüchtlinge stammt nach FTD-Informationen von der britischen Großbank HSBC. Es ist ein Datensatz, der schon einmal Schlagzeilen machte.
Dabei soll es sich um jene Daten handeln, die der 37-jährige Informatikspezialist der HSBC Private Bank in Genf, Hervé Falciani, bereits im vergangenen August den französischen Behörden angeboten hatte.

Vielleicht fällt die Finanzierung leichter, wenn man einen unparteiischen Mittler einsetzt. So würde Wikileaks das Geld bestimmt nehmen.

Aber vielleicht könnte man sich das Geld auch sparen. Ein kleiner Rückkanal der SWIFT-Daten aus den USA könnte ja auch wertvolle Erkenntnisse bringen. Aber Steuerhinterzieher stehen – anders als Raubkopierer – ja nicht unter Terrorismusverdacht.

Scannen Sie den?

Nackt! Scanner! Nein! Nicht! Niemals! Privat! Sphäre!

Aber über Körperscanner müssen wir doch mal reden dürfen?

Die Lebkuchen-RAF

Irgendwie bekomme ich das nicht zusammen. Die Meldung beginnt so:

CSU-Chef Seehofer sieht im Attentat auf den Passau Polizeichef einen „Angriff auf unseren Rechtsstaat“, sein Innenminister Herrmann und CDU-Innenexperte Bosbach ziehen Parallelen zu Taten der RAF. Indes tappen die Fahnder tappen im Dunkeln.

Und so hört sie auf:

Das Messer, mit dem die Tat begangen wurde, gehörte ihm selbst. Er hatte das Messer mit einer zwölf Zentimeter langen Klinge wegen einer Nachbarschaftsaktion vor der Tür seines Reihenhauses hingelegt. Im Freien waren Adventskalender mit Lebkuchen aufgehängt. Mit daneben liegenden Messern konnten sich andere Anwohner Lebkuchen abschneiden. Unklar ist, ob das Messer den Täter zu dem Attentat animiert hat.

Erinnert sich noch jemand an den 5. September 1977 als ein paar Terroristen auf der Vincenz-Statz-Straße ein Bündel Waffen fanden und die Gelegenheit nutzten, die fünf Begleiter des Hanns-Martin Schleyer zu erschießen? Oder an die zwei Handfeuerwaffen, die Jürgen Ponto auf seiner Veranda aufbewahrte?

Gelegenheit macht Diebe – aber auch Terroristen?

Prophet Sodann

Peter Sodann hat keine Chance auf das Bundespräsidentenamt. Das weiß er, das wissen wir. Seine Aufgabe: Er soll für Stimmung sorgen. Ein paar realitätsferne Vorschläge, die an den Grundlagen der Gesellschaft rütteln – sofern sie denn jemand ernst nähme. Wir kennen das ja. Und so poltert er in Stammtischmanier gleich los, Ackermann gehört doch verhaftet. Jawohl!

Unverhoffte Unterstützung könnte er bekommen. Denn das FBI verschiebt grade mal wieder seinen Fokus:

The Federal Bureau of Investigation is struggling to find enough agents and resources to investigate criminal wrongdoing tied to the country’s economic crisis, according to current and former bureau officials.

The bureau slashed its criminal investigative work force to expand its national security role after the Sept. 11 attacks, shifting more than 1,800 agents, or nearly one-third of all agents in criminal programs, to terrorism and intelligence duties. Current and former officials say the cutbacks have left the bureau seriously exposed in investigating areas like white-collar crime, which has taken on urgent importance in recent weeks because of the nation’s economic woes.

The pressure on the F.B.I. has recently increased with the disclosure of criminal investigations into some of the largest players in the financial collapse, including Fannie Mae and Freddie Mac. The F.B.I. is planning to double the number of agents working financial crimes by reassigning several hundred agents amid a mood of national alarm.

Eine spannende Entwicklung: Die US-Regierung zieht Drittel verwandelt ein Drittel der Bundespolizei in einen Geheimdienst, der nur noch dann der Verfassung und dem Rechtsstaat verpflichtet ist, solange niemand „Terrorismus“ ruft. Und nun werden siese Leute auf die Jagd geschickt nach Kriminellen Maipulatoren.

Besonders diese Zitat stimmt bedenklich:

“To fix our system and prevent a repeat of the events we now see,” they wrote in a letter this month to Robert S. Mueller III, the F.B.I. director, “we have got to set an example by bringing the full might of federal law enforcement against the people who illegally profited or destroyed companies at the expense of our country.”

Es geht nicht um Kriminalität und Recht, es geht um nationale Interessen. Und da fallen ja bekanntlich viele Schranken.

Herr Ackermann muss sich keine Gedanken machen, in Guantanamo aufzuwachen. Wenn die Agenten jedoch die gleichen Methoden anwenden wie bei ihren Terrorermittlungen, dürften auf die Deutsche Bank ein paar sehr merkwürdige Geschäftsvorschläge zukommen. Und den Blackberries würde ich an ihrer Stelle nicht allzu viel Vertrauen schenken.

Hass lernen

Manche Dinge versöhnen einen sogar mit Johannes B. Kerner und dem Dschungelcamp. Das da zum Beispiel:

Auf den ersten Blick wirkt alles wie in einer gewöhnlichen Kindersendung. Eine fröhliche Moderatorin, vielleicht zwölf Jahre alt, die in einem bunten Studio vor himmelblauem Hintergrund sitzt. Und ein fröhlicher Komoderator, der sich ein rosa Hasenkostüm aus Plüsch übergezogen hat, so dass er wie ein lebensgroßer Bugs Bunny aussieht. Gemeinsam gestalten sie die Kindersendung „Pioniere von morgen“ und beantworten Fragen von Kindern.

[…]

Dieser Satz scheint sein Markenzeichen zu sein, Assud ist der neue Star der Sendung „Pioniere von morgen“; schon bei seinem ersten Auftritt hat er angekündigt, „alle Juden aufzufressen“. Der neue Plüsch-Hassprediger war nötig geworden, weil die Sendung solche Figuren verschleißt. Vor Assud gab es die Biene Nahoul und eine Maus namens Farfour. Beide sind inzwischen gestorben – natürlich den Märtyrertod, der grausam inszeniert wurde

Der wackere Schäuble

Die FAZ porträtiert Bundesinnenminister im Licht der Terroranschläge als missverstandenen, aber unverdrossen wackeren Helden.

Zu alledem konnten und wollten die Dienste und der Innenminister wochenlang nichts Konkretes sagen. Schäuble, unterdessen in einem Sturm von Kritik und Verwünschungen stehend, musste darauf hoffen, dass die Zeit ihm recht gebe, und beten, dass er nicht auf blutige Weise recht bekäme. Als der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) am Dienstagnachmittag dieser Zeitung ein Interview übermittelte, sagte er darin wörtlich: „Derzeit haben wir keine konkreten Anhaltspunkte für eine Anschlagsplanung.“ Das war wohl eine falsche Auskunft, denn zur selben Zeit lagen etwa fünfhundert Polizisten rund um das Terroristenversteck im Sauerland auf der Lauer.

Um nicht misszuverstanden zu werden: dass die Polizei ein paar verhinderte Mörder gefasst hat, ist ein großer Erfolg – aber muss man aber so dick auftragen? Denn faktisch stimmt die Lobrede der FAZ hinten und vorne nicht. Es waren eben nicht „zwölf Fässer voller Sprengstoff“. Selbst wenn die Fässer nicht vorher ausgetauscht worden wären, hätte die Polizei gestern lediglich eine brandgefährliche und legal zu erwerbende Substanz gefunden. Auch die Zahl von „fünfhundert Polizisten rund um das Terroristenversteck“ erscheint mir unwahrscheinlich – ansonsten wäre es mehr als peinlich, dass ein Verdächtiger aus dem Haus fliehen und einem BKA-Beamten die Waffe entwinden und diesen anschießen konnte. Zudem wurden ja auch andere Gebäude durchsucht. Dass der FAZ-Autor Sicherheitsbehörden Minister und Strafverfolger für das Vermelden und das Verschweigen von Anschlagsplänen gleichermaßen lobt, erscheint zumindest inkonsequent.

Insofern ist auch die Exklusiv-Information der FAZ – dass nämlich ausgerechnet die umstrittenen Onlinedurchsuchungen zu dem Ermittlungserfolg geführt hätten – auch sehr mit Vorsicht zu genießen. Der gleiche Autor beschreibt nämlich in einem ausführlicheren Artikel jede Menge Ermittlungsarbeit – von der angeblich entscheidenden Onlinedurchsuchung ist da jedoch keine Rede mehr.

PS: In einem Interview mit der Süddeutschen dementiert FDP-Innenexperte Max Stadler dieses Gerücht:

Mit dem Fall bin ich ja nicht ganz unvertraut. Ich kann Ihnen sagen: Nach meinem Wissenstand haben heimliche Online-Durchsuchungen von Festplatten keine Rolle gespielt. Hier hat ganz normale Polizeiarbeit zu diesem Fahndungserfolg geführt, also Telefonüberwachung, Überwachung des E-Mail-Verkehrs, Observationen und ähnliches. Das hat mit Online-Überwachung nichts zu tun.

Mein Chemielehrer war eine Niete

In einer Infobox klärt Spiegel Online über TATP auf.

Eine TATP-Bombe ist einfach herzustellen: „Alles was man an Fähigkeiten dafür braucht, ist das Wissen aus dem Chemieunterricht der zehnten Klasse“, sagt der Cottbuser Kampfstoffexperte Wolfgang Spyra.

Also ich habe mich in der zehnten Klasse noch mit den Feinheiten der Wasserstoff-Brückenbindung und ähnlich unergiebigen Stoffen auseinandergesetzt – ich habe nicht Explosivstoffe unter Verwendung von Säureverdünnungen als Katalysatoren zusammengemischt. Sprengstoffexperten sind halt keine Lehrplanexperten.

Flüssigsprengstoffe auf Wasserstoffperoxid-Basis wurden unter anderem bei den versuchten Anschlägen auf britische Flugzeuge im vergangenen Jahr verwendet, sagt Kampfstoffexperte Spyra.

Verwendet wurden sie zum Glück nicht. Ob sie überhaupt existierten, ist AFAIK mehr als zweifelhaft. EU-Parlamentarier scheinen diese Meinung zu teilen.

TATP-Bomben seien allerdings in der Herstellung und beim Transport höchst gefährlich: Die kleinste Erschütterung bringt sie zur Explosion. „Wenn ein Selbstmordattentäter mit einer solchen Bombe im Auto in eine Menschenmenge rast, ist die Überlebenschance gleich Null.“

Und wie ist die Überlebenschance für den Zehntklässler bei der Herstellung?

PS: Tagesschau.de hat den Experten Spyra auch in einem Infokasten verfrachtet. Dort wird sein Name allerdings verschwiegen, das Zitat mit der Autobombe ist aber identisch.

2. PS: Kaum habe ich drüber gebloggt, ist der Infokasten aus dem Tagesschau-Artikel wieder verschwunden. Ich platziere ihn mal hier:

Screenshot Tagesschau.de: TATP-Infokasten