I don’t like Mondays

And he can see no reason
‚Cause there are no reasons
What reason do you need to be sure.

Heute fand ich mich an „I don’t like Mondays“ von den Boomtown Rats erinnert. Ich hab sehr spät erfahren, dass dieses ja eher heiter anmutende Lied sich um eine 16jährige dreht, die von ihrem Fenster aus auf eine Schule schoss, zwei Menschen tötete und neun verletzte. Der noch junge Bob Geldof hörte die Berichte und fand sich zu dem Lied inspiriert. Aus der Wikipedia zitiert: „Während ich dort saß, lehnte ein junges Mädchen namens Brenda Spencer mit einer Pistole aus ihrem Schlafzimmerfenster und schoss auf Leute in ihrer Schule auf der anderen Straßenseite. Was dann passierte, erschien mir als einzigartig amerikanisch. Ein Journalist rief sie an. Sie nahm den Hörer ab, an und für sich schon eine bizarre Unterbrechung, wenn man dabei ist, wildfremde Menschen umzubringen. Er fragte sie, warum sie das tut. Sie überlegte kurz und sagte dann: ‚Nichts los. Ich mag keine Montage.‘

Heute morgen haben wir immer noch keine Ahnung von den Motiven des Mannes, der gestern in Las Vegas über 60 Menschen getötet und Hunderte verletzt hat. Und diese Unwissenheit nagt an der Öffentlichkeit. Wir sind es nicht mehr gewohnt.

Tatsächlich haben wir äußerst selten eine Ahnung, was einen Menschen wirklich dazu treibt, andere zu töten und den eigenen Tod mitzuplanen. Oder Bomben zu legen, Dutzende zu erschießen und sich dann schnell zu verstecken. Wir stecken den Wahnsinn stattdessen in Schubladen. Der Täter war radikalisiert. Der Täter gehörte der IS an. Der Täter war ein Opfer von Bullies. Der Täter war traumatisiert und geistesgestört. In den USA ist eine Schublade besonders groß: Es war ein Angriff auf unsere Freiheit. Wenn einmal eine solche Schublade gefunden ist, sind wir, ist die Öffentlichkeit beruhigt. Man muss sich nicht mehr wirklich viele Gedanken machen. Alles geht seinen Gang. Und wir können mental wieder genau dahin zurückkehren, wo wir vorher waren. Mit ein wenig mehr Angst. Und Ressentiments.

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Diese Schubladen sind hochpolitisch. Ich bin gestern zufällig auf einen Artikel in der Everipedia gestoßen, wo ein ganzer Artikel zu einem Mann aus Arkansas erschien, der ihn — fälschlicherweise — als mutmaßlichen Täter vorstellte. Flugs suchten viele Leute nach Informationen über diesen Mann und konzentrierten sich darauf: Wen hat er auf Facebook geliket? Wen hat er gewählt? Es kam nicht drauf an, die Tat aufzuklären oder zu begreifen, die Nutzer suchten nur schnellstmöglich eine Schublade. Und gezielt wurde einer Frage nachgegangen: War er für Trump oder gegen ihn?

Der Mann ist offenbar Wähler der Demokraten und er klickte auf Facebook-Gruppen, die Donald Trump des Amtes entheben wollen. Flugs verbreitete sich die triumphierende Nachricht: Der Mörder ist ein Trump-Hasser. Trump-Anhänger haben also die moralische Oberhand. Auch nachdem sich herausgestellt hat, dass der Mann eben überhaupt nichts mit den Morden zu tun hatte, obwohl Klicks auf paar Facebook-Gruppen noch weit vom Fanatismus entfernt sind, wird die Nachricht immer weiter verbreitet. Hätte der Mann Trump gewählt, wäre diese Nachricht wahrscheinlich auch schnell weitergetragen worden.

Noch immer wissen wir nicht, was die 16jährige 1979 dazu bewog, auf eine Schule zu schießen. Noch immer wissen wir nicht, warum der Mörder von Las Vegas schoss. Doch eine Schublade wird man sicher bald schon finden.

And he can see no reason
‚Cause there are no reasons
What reason do you need to be sure.

Bad Data

Es ist eine von vielen Stories, die heute zum Thema big data verbreitet werden. Spotify weiß, welche Musik läuft, wenn Du Sex hast. Ach was? Leute speichern Playlists unter Titeln wie „Sex“ oder „Love“ ab und schon hat der mächtige Cloud-Anbieter einen Blick in unser Schafzimmer geworfen. Denn wie einst Kästner fomulierte: „Wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!“

Sorry, aber das ist kein big data, das ist big bullshit. Als Spotify-User kann ich versichern: Die Cloud hat keinerlei Ahnung, welche Musik ich mag und was ich dabei mache. Ich muss schon mindestens zehn Titel vorgeben, damit Spotify annehmbare Vorschläge auf die Playlist setzt. Das kann auch ein besoffener 20-jähriger, der nicht weiß, auf welcher Party er grade gelandet ist und plötzlich vor dem iTunes-Computer sitzt. Spiel die Titel, die jeder kennt. Wenn sich jemand beschwert, klick weiter. Unterdessen empfiehlt mir Spotify die tolle Schunkel-Karnevals-Playliste. Go figure.

Schubladendenken und Golden Oldies

Ich will nicht leugnen, dass Facebook, Google und Co eine Menge über mich herausfinden können. Simples Beispiel: Ich hab Facebook nie gesagt, dass ich heterosexuell bin. Trotzdem bekam ich lauter Single-Frauen-Dating-Scams angezeigt. Aber das war auch schon die höchste Annäherung, die Facebook an mein persönliches Interessenprofil geschafft hat. Ich musste über ein halbes Jahr jeden einzelnen Anbieter von Dating-Apps mehrfach als unerwünscht wegklicken, damit das endlich aufhörte.

Nach den ersten drei unerwünschten Anbietern hätte die allwissende Facebook-Cloud erkennen können: Der Torsten mag keine Dating-Apps. Doch warum sollte Facebook das machen? Die Dating-Börsen bezahlen gut, dass ihre Werbung angezeigt wird. Und wenn Facebook vermeintliche Interessenten streicht, dann werben die Börsen halt im Fernsehen.

Heute zeigt mir Facebook im wesentlichen Werbung für Produkte an, die ich mir vorher schon auf Amazon angesehen habe. Und für einen Kabel-Anbieter, der meine Wohngegend nicht bedient. Ab und zu eine Werbung für Autos — und ich werde in den kommenden fünf Jahren keinen Neuwagen kaufen — oder für Eigentumswohnungen in Monschau. Damit verdient Facebook ein paar Euro im Jahr. Die Inserenten haben das Geld jedoch rausgeschmissen.

In guten Daten ist kein Geschäft

Google ist nicht wesentlich mehr an mir interessiert. Bei Google+ werden mir die doofsten Verschwörungstheorien und die schmalzigsten HDR-Fotografien in die Timeline gespült. Einer der erste Kategorien der YouTube-Startseite ist „Erneut ansehen“, die mir Videos empfiehlt, die ich schon angesehen habe. Wiederholungen als Erfolgsmodell, Olden Goldies. Der Rest bezieht sich auf eine simple Titelauswertung. Ich habe ein Video mit Jim Fallon gesehen? Hier sind weitere Video im Fallon.

Das Interesse von Google an meiner Person ist weitgehend erschöpft, wenn mein Werbeprofil ausgefüllt ist. Welcher Altersgruppe gehöre ich an? Welche vermarktbare Themengebiete interessieren mich? Welche Sprache spreche ich und in welcher Metropolregion lebe ich? Genauer wird es nicht. Dabei könnte Google dank GPS genau wissen, wo ich tatsächlich einkaufe. Doch wer sollte Google dafür bezahlen?

Es ist ein Paradoxon: Facebook, Google und Co wollen mich mit Daten möglichst genau erfassen. Doch ihr Geld verdienen sie damit, mich möglichst ungenau zu kennen. Sonst könnte man mir ja nichts verkaufen. Über mein Datenprofil wird ein Weichzeichner gelegt, der mich unkenntlich macht. Ob privat-kommerziell oder staatlich: Die Technik mag big data sein, das Geschäftsmodell ist aber bad data.

Big government

Gerade im staatlichen Bereich ist der Umgang mit big data oft noch schlimmer. Denn hier gibt es nicht einmal die Kontrolle durch den Markt der Werbekunden. Bestes Beispiel sind die berühmten No-Fly-Listen und die Einreisekontrollen an Flughäfen. Eine von vielen Anekdoten kam diese Woche an die Öffentlichkeit: Ein Niederländer wird als Verdächtiger eingestuft und gleich zweifach verhört und durchsucht, weil er sein Einreiseformular aus Jordanien bearbeitet habe. Wahrscheinliche Erklärung: die US-Behörden haben die IP-Adresse falsch zugeordnet.

Was diesen Vorfall von Tausenden ähnlicher Vorfälle unterscheidet: Die Behörden ließen sich in die Karten sehen, was denn der Verdachtsmoment gewesen sein mag. Eine formelle Überprüfung, warum die Grenzschützer daneben lagen, wird es wohl nicht geben. Ein Reisender ist als Risiko eingestuft worden, in der Statistik wird ein Niederländer als potenzieller Terrorist auftauchen, sodass der Austausch von Fluggastdaten unbedingt notwendig erscheint. Der Fahndungs-Fehlschlag war aus statistischer Sicht ein Erfolg.

Wer viele Daten hat, so heißt es oft, hat heute die Macht. Doch mächtiger ist, der die Daten auslegen kann, wie es ihm grade in den Kram passt.

Der Mensch und das Monster in ihm

Menschen wären nicht so wie sie sind, wenn sich in diesen Momenten nicht irgendwo im Netz ein Breivik-Fanclub treffen würde.

Nach zwei Bier sitzt er vor dem Computer und liest alles nach. Wie verlogen die Gesellschaft doch ist. Wie hinterhältig die Medien. Die Wahrheit, sie steht im Netz und wird nur flüsternd erzählt. Aber er kann es hören. Tag und Nacht. Er macht ein weiteres Bier auf.

Sie hat das Bild dieses starken jungen Mannes gesehen, gegen den alle sind. Sie haben ihm zum Monster abgestempelt. Es war schrecklich, was er getan hat, sicher. Aber die Toten sind tot. Ganz klar: Strafe gab es genug, seine Seele ist zersprungen. Jetzt brauch er Hilfe, der Mensch in dem Mörder.

Über 70 Tote. Eine Rohrbombe im Regierungsviertel. Wumm! Was für eine Leistung. Ein Mann allein gegen alle. Wie sie wohl gelaufen sind. Und der Staat, der rafft es nicht. Bamm. Bamm. Bamm. Und wieder drei Streber weniger. Er hat trainiert, wie Breivik. Mit dem iPod im Wald. Und kleine Sprengfallen gebaut. Wumm! Ein Baum ist umgefallen. Ein geiles Gefühl. Die YouTube-Videos hat er aber wieder gelöscht.

Moslems. Da waren schon wieder drei in der U-Bahn. Lange Bärte. Und geguckt haben sie als ob Ihnen das Land gehört. Aber das ist unser Land! Ihre Freundinnen tun so betroffen über die Toten auf der Insel. Aber nachts alleine rauszugehen trauen sie sich nicht. Weil sie Angst vor den Moslems haben. Erst schlagen sie ihre Frauen und dann sind sie hinter uns her. Aber sie ist stark. Sie denkt nicht dran, klein beizugeben.

Er hat das Internet ausgelesen. YouTube? 60 Stunden werden pro Sekunde hochgeladen und 20 direkt wieder gelöscht. Der Rest? Blah! Pornos? Immer das gleiche. Aber die Wahrheit. Die geht immer runter wie Öl. Habt ihr das Manifest überhaupt gelesen? Sicher: da waren ein paar Schwachpunkte. Aber ich habe die richtigen Links gefunden. Wikileaks, sag ich nur. Und lamestream media. Anonymous. Der Mossad. We didn’t start the fire. George Bush. Dabbelyou. 9/11 was an inside job. It was always burning since the world’s been turning.

Der Breivik ist ein Freak. Geil! Sie dreht die Musik lauter, bis sie nicht mehr hören kann, was sie denkt.

Kommando 25. Oktober

Es war ein brisantes Schreiben, das am Mittwoch in der Zentrale der Deutschen Bank eintraf: Ein unscheinbarer DIN-A-5-Umschlag, der direkt an den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann adressiert war. Doch den Mitarbeitern der Poststelle fiel die Brisanz des Schreibens auf. Ihnen war der Absender des Schreibens aufgefallen: die deutsche Finanzaufsicht BaFin.

Am Donnerstag bestätigte die Frankfurter Staatsanwältin Doris Meier-Scheu: „Das war eine Konstruktion, die wohl funktioniert hätte“ – auch wenn es sich nicht um eine gewerblich-professionelle oder gar militärische Bombe gehandelt habe. „Man muss dafür keine Sprengmeister-Ausbildung haben, aber es ist auch nicht so, dass sie jeder bauen könnte“, sagte ein Sprecher des LKA. Der Inhalt des Schreiben hätte bei demjenigen, der den Brief öffnet, „ernsthafte Verletzungen an Bilanz und Konten“ verursachen können.

Die betriebs-volkswirtschaftliche Bombe war ein krudes Konstrukt, wäre aber wirksam gewesen. Hätte Ackermann das Schreiben geöffnet, hätte die Deutsche Bank auf dem schnellsten Wege 3,1 Milliarden Euro beschaffen müssen. Die anarchistischen Absender hatten sich in den vergangenen Jahren unbefugt Zugang zu Ackermanns Hirn verschafft und hatten den heute 63-jährigen dazu gebracht, eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zu propagieren.

Nachdem Spezialisten des Bundesfinanzministeriums alarmiert wurden, konnte die Bombe schnell neutralisiert werden: Der Brief wurde von Spezialisten außerhalb der Zentrale der Deutschen Bank isoliert zur Explosion gebracht. Schließlich bekannte sich die bekannte fiskal-terroristisch-anarchistische BaFin zu dem Anschlag. In einem Schreiben war die Rede von „drei notwendigen Kapitalerhöhungen gegen Banken, Bankiers, Zecken und Blutsauger“. Die Ermittler befürchten daher, dass noch zwei weitere Schreiben verschickt worden sein könnten. Der Briefkasten der Commerzbank wurde unter notarieller Aufsicht von Beamten der GSG-9 versiegelt.

Abendgebet norwegischer Kinder

Lieber Gott,

wenn mich ein verrückter Extremist erschießt, lass es bitte nicht umsonst gewesen sein. Ich will, dass mir wenigstens auf der Titelseite eines Schmutzblatts 1000 Kilometer von meiner Heimat, meinem Grab entfernt gedacht wird. Schließlich können die tapferen Journalisten nicht unbegrenzt den blonden Teufel, den Teufels-Killer auf die Seite 1 drucken. Und bitte belästige meine Eltern nicht. Ich hab ja die passenden Fotos auf Facebook hochgeladen.

Amen.

Presseinformation des Presserats vom 22. Mai 2009:

Den hier festgehaltenen besonderen Begleitumständen der Tat von Winnenden hat der Presserat in einigen Fällen jedoch Rechnung getragen. So zeigten mehrere Zeitungen und Zeitschriften Bildergalerien der Opfer, vorwiegend als Porträtbilder. Der dezente Umgang in diesen Bildergalerien ohne sensationelle Aufmachung und unangemessene Formulierungen, sondern lediglich mit dem Hinweis, dass es sich im Folgenden um die Opfer des Amoklaufs handelt, hält der Presserat für mit dem Pressekodex vereinbar.

Andererseits hat der Presserat Fälle sanktioniert, bei denen Fotos und Namen der Opfer lediglich zur Illustration einer Geschichte benutzt wurden. Hier haben Redaktionen Opferfotos als sensationelles Element zweckentfremdet, um auf die Story aufmerksam zu machen. Der jeweilige Kontext der Verwendung war für den Ausschuss hier ausschlaggebend. Als Symbolfoto können Opferfotos nicht benutzt werden.
[…]
Generell stellt der Presserat fest, dass das Mediennutzungsverhalten der Gesellschaft sich durch das Internet sehr gewandelt hat. Visualisierung ist wichtiger geworden, der Umgang der Menschen mit eigenen Daten wie Fotos etc. hat sich stark verändert. Dies hat auch Folgen für die Art der Berichterstattung und die Spruchpraxis des Presserats.

Warum der Internet-Alarmknopf dämlich ist

Es gibt Momente, da rollen sich die Zehennägel. Heute hatte ich zwei davon. Über den einen habe ich schon geschrieben, der zweite ereignete sich zur Tagesschau. Denn tatsächlich hat es der Bund der Kriminalbeamten geschafft, seinen uralten Vorschlag eines Internetalarmknopfes mit Oslo zu verbinden und damit ist die Hauptnachrichtensendung zu kommen.

Sehen wir uns den Vorschlag kurz an:

Wer im Internet rechtsradikale Inhalte, islamistisches Gedankengut oder Hinweise auf einen Amoklauf entdecke, müsse die Seite einfrieren und an eine Alarmzentrale weiterleiten können, sagte der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Klaus Jansen, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Ein in Echtzeit übermittelter Notruf im Netz sei schneller und effektiver als ein Anruf bei der örtlichen Dienststelle, die damit unter Umständen wenig anzufangen wisse.

Der kurze Draht zur Notrufzentrale lasse sich ohne viel Aufwand mit einer datenschutzrechtlich geprüften Software auf dem eigenen Rechner installieren, erklärte Jansen. Eingehen solle der Netzalarm „bei einer nationalen Zentrale, die rund um die Uhr mit speziell geschulten Polizisten, Soziologen oder Psychologen besetzt ist“.

Warum finde ich das so dämlich? Beweissicherung und schnelle Weiterleitung an Fachleute ist doch sicher richtig, nicht?

NEIN!

Einige der Gründe:

  • Eine datenschutzrechtlich geprüfte Software? Das soll wohl bedeuten, dass die Menschen, die auf den Alarmbutton klicken nichts zu befürchten haben. Das ist jedoch reiner Blödsinn. Denn natürlich fallen bei einer solchen Software Daten an, mit denen der Absender ermittelt werden kann. Das ist schlichtweg nicht zu vermeiden — erst recht nicht, wenn man die Bilanz staatlicher IT-Projekte der letzten Jahre ansieht. Und zweitens macht man sich mit der Erstellung von Kopien bestimmter Inhalte — wie die immer wieder zitierte Kinderpornografie — strafbar. Der Polizei bleibt nichts andere übrig als in ernsten Fällen den Tippgeber zu ermitteln. Die vermeintliche Anonymität gilt also nur, solange sich niemand für die Identität interessiert.
  • Der vermeintliche Datenschutz hat auch einen anderen Hintergrund. Es sollen natürlich nicht nur Straftaten gemeldet werden, sondern abweichendes Verhalten, Anzeichen, Verdachtsmomente. Polizisten, die Informationen über per se nicht-strafbares Verhalten sammeln — das ist keine gute Idee.
  • Was soll man denn da klicken? Der Attentäter von Oslo hat ganz kurz vor der Tat ein Manifest verschickt, das zum großen Teil aus den Beiträgen von Rechtspopulisten bestand. Was hätte ein Psychologe daraus machen sollen? Hätte er auf Seite 647 angelangt die Schlussfolgerung gezogen: das ist ernst, wir müssen handeln! — es wäre zu spät gewesen. Vor allem: was soll er in der Cyber-Zentrale irgendwo im Bundesgebiet tun? Im Erfolgsfall kann die Polizei später aus einer Million Hinweisen den heraussuchen, der dann doch ernst genommen werden musste.
  • Eine Zentrale kann keine Kompetenz in der Fläche ersetzen. Wenn die örtliche Polizei nicht mit URLs umgehen kann, ist das ein Fehler, der dort angegangen werden muss. Wenn Beamten kein Internetanschluss zur Verfügung steht, ist die Lösung nicht, dass man sie umgeht. Man muss ihnen Rechner und Kompetenzen geben. Man stelle sich vor, das Wirtschaftsdezernat könnte noch nicht mit Euro umgehen oder würde Ermittlungen einstellen, weil ein Beamter nicht weiß, wie ein Schweizer Franken aussieht. Es spricht nichts dagegen, einen Bürger an ein Fachkommissariat weiterzuleiten. Aber ihn auf eine obskure Internet-Zentrale umzuleiten, ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich — es ist dumm. Denn natürlich fehlt der Berliner Zentrale das lokale Wissen, um die Hinweise wirkungsvoll zu bearbeiten.
  • Es gibt sooooo viel Bullshit, Verrückte, Verzweifelte, Arschlöcher. Wenn ich jedem hinterher recherchieren würde, der sich bei mir oder den Redaktionen, für die ich arbeite, meldet — ich könnte nichts anderes mehr tun. Ein Browser-Button, den jeder bedienen kann — was da ankommt, dürfte ein Sittengemälde der düstersten Art sein. Viele Menschen können einen andere Meinung nicht von einer Straftat unterscheiden. Und Hass alleine ist keine Straftat.
  • Ein Screenshot hat keinerlei Beweiskraft. Ein Browserfenster zu erzeugen, in dem Klaus Jansen einen Selbstmordanschlag mit Erdhörchen-Bomben ankündigt, kostet mich keine zwei Minuten. Zudem: Es mag sich noch nicht überall herumgesprochen haben: Aber das Internet ist nicht durchweg identisch mit einem Browser-Fenster. Ich hab auch Mal eine Selbstmorddrohung im IRC erhalten.
  • Zum 100. Geburtstag von McLuhan schallt zwar der Satz „The medium is the message“ von allen Häuserwänden — aber wieso sollte ich eine Bedrohung anders behandeln, je nachdem ob ich sie in der Kneipe, im Schützenverein, per Telefon oder auf Facebook gelesen habe. Wenn nicht Mal die Mülltrennung vernünftig funktioniert — woher nehmen die Kriminalbeamten die Hoffnung, dass Anzeigen per Medium sortiert werden können und schließlich im Staatsapparat wieder korrekt zusammengeführt werden?

Islamophobe bomben alleine

Der „Standard“ schildert, wie die Ungewissheit nach den Anschlägen von Oslo in ein islamophobes Spekulieren ausartete:

Im Journalistenalltag entzieht man sich nicht leicht solchen Mechanismen: alle melden, dass es so ist, also muss nachgezogen werden. Die internationalpolitische Redaktion von derStandard.at entschließt sich, zu warten: die norwegischen Behörden und niemand anderer soll sagen, was Sache ist.

Dass es viel Material zu Spekulieren gab, war unter anderem der Nachrichtenagentur Reuters zu verdanken. Die sandte kurz nach dem Bekanntwerden der Anschläge diese Meldung heraus:

Norway attack: Likely suspected groups

(Reuters) – A massive bomb shattered Norway’s main government building in Oslo Friday, killing two people, police were quoted as saying by local news agency NTB.

There was no claim of responsibility, though NATO member Norway has been the target of threats, if not bombs, before, notably over its involvement in conflicts in Afghanistan and Libya. Prime Minister Jens Stoltenberg was safe, NTB said.

Here are details of some of the Islamist militant groups with a record of links to plots in Europe.

Insgesamt sechs islamistische Gruppen wurden aufgezählt – ohne jeden Bezug zu Norwegen. Die Meldung ist inzwischen gelöscht.

Diese Haltung zeigte sich dann auch in der Berichterstattung vieler deutscher Medien. So erfuhr ich in der 20-Uhr-Tagesschau, dass „vieles“ für einen islamistischen Hintergrund spreche, nur eine Bestätigung fehle noch. Dabei hatten die norwegische Polizei und Regierung solche Mutmaßungen zurückgewiesen, die überall zitierten Terrordrohungen waren alles andere als konkret, der Tatablauf untypisch. Aber Terror und Islamismus — das passt prima zusammen. Oder sollten wir es eine traurige Routine nennen, die sich bei vergangenen Bomben-Anschlägen mit vielen Opfern eingebürgert hat?

Zum Beispiel brachte Welt.de die vermeintliche Verknüpfung gestern am späten Abend so auf die Titelseite:

„Die Gefahr geht vom politischen Islam aus“ – dahinter steckt dieser Kommentar vom 4. März, in dem unter anderem der Begriff „Islamophobie“ als Kampfbegriff des politischen Islames ausgemacht wird:

Liberale „Islamkritiker“ werden in deutschen Feuilletons als „Panikmacher“ denunziert und pauschal mit populistischen rechtsextremen Fremdenfeinden in Verbindung gebracht. Dies erinnert an die Art, wie Linke und Linksliberale in den 70er- und 80er-Jahren den Begriff „Antikommunismus“ in eine Stigmatisierungsvokabel umgemünzt haben.

Dass sich der Wind gedreht hat, hat Welt.de auch mitbekommen. Ein aktueller Artikel beginnt so:

Dass es ein Einzeltäter war, ist bisher keineswegs erwiesen. Die zuständigen Polizeibehörden haben auf den Pressekonferenzen, die eben auf BBC World live übertragen wurden, nichts dergleichen gesagt. Stattdessen wurde ein Polizeichef gefragt, ob er denn nicht überrascht sei, dass hinter den Anschlägen offenkundig keine Islamisten steckten.

Fazit: Die Islamisten bomben für den politischen Islam, die Anti-Islamisten bomben alleine.

Die Anti-Anti-Terror-Truthiness

Regelmäßig rollen sich mir die Zehennägel hoch, wenn ich Statements von Überwachungs-Hardlinern lese. Wenn zum Beispiel Dieter Wiefelspütz die Bundesjustizministerin mit dem Wort „fundamentalistisch“ charakterisiert – wie will man sich nach solchen Beleidigungen noch rational unterhalten? Wie will man den Weg zur Realität zurückfinden und an echten Problemlösungen arbeiten?

Aber gestern abend hat mir ein anderer Beitrag kurz den Atem geraubt. Am Sonntag hat Unternehmer-Journalist Richard Gutjahr einen Appell gegen Überwachungsgelüste geschrieben: Die Anti-Terror-Lüge, der auf Twitter ohne jede Kritik weiter verbreitet wird. Bei flüchtigen Überfliegen bin ich zunächst an dieser Stelle hängen geblieben:

Ob Schuhbomber, Times Square Bomber, Kofferbomben in Regionalzügen am Kölner Hauptbahnhof – in den meisten Fällen waren es Zivilisten, nicht die Geheimdienste, die bevorstehende Anschläge vereitelt haben.

Die Kofferbomben von Köln sind zwar ein anschauliches Beispiel dafür, wie die immer wieder erweiterten Anti-Terror-Befugnisse ins Leere liefen. Aber welche Zivilisten haben den Anschlag vereitelt? Die Bomben in dem Zug (der nicht weit an meiner Wohnung vorbeifuhr) zündeten nur deshalb nicht, weil es die Täter nicht hinbekommen hatten. Die Zivilisten, die den Bombenanschlag verhinderten, sind also die Bombenleger selbst. Und ihre Identität wurde nicht zuletzt aufgrund von Videoaufnahmen der Überwachungskameras am Kölner Hauptbahnhof festgestellt visualisiert (siehe Kommentar).

Aber gut, solche Detailfehler passieren, wenn man es eilig hat und nur einen Punkt machen will. Dann schaute ich mir die Statistik in der Mitte des Artikels an, die belegen sollte:

Auch einfache Steuerbetrüger werden angezapft – die „Anti-Terror-Gesetze“ machen’s möglich

Auch hier hat es sich Richard Gutjahr viel zu einfach gemacht. Die Statistik, der er da in bunten Farben in sein Blog gehoben hat, ist zwar Anlass für viel legitime Kritik wie die unsachgemäße Prüfung oder die mangelnde Information der Betroffenen. Das allerdings hat mit Anti-Terror-Gesetzen so gut wie nichts zu tun. Denn in der Statistik wird aufgeführt, welche richterlichen Anordnungen gemäß Paragraph 100a StPO vollzogen wurden. Die Anti-Terror-Gesetze hingegen betreffen Zugriffsrechte der Geheimdienste, die sich um solche Formalien nicht scheren müssen. (Update: Um es nochmal deutlicher zu sagen: Gutjahr verwendet zur Kritik der Anti-Terror-Gesetzgebung ausgerechnet die eine Statistik, die eben die zentralen Maßnahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung ausschließt. Geheimdienste brauchen keine richterlichen Anordnungen und Geheimdienste hören auch nicht den Kleindealer von nebenan ab. Die Statistik der Anti-Terror-Kämpfer wird komplett anders aussehen.)

Telekommunikationsüberwachung durch gerichtliche Anordnung und durch Geheimdienste – wo ist der Unterschied, wird mancher fragen. Nun: Das eine ist eine rechtsstaatliche Maßnahme, die in der Praxis mangelhaft durchgeführt wird, das andere ist eine Überwachung, die der rechtsstaatlichen Kontrolle weitgehend entzogen ist. Deshalb haben wir ja den Streit um die Evaluierung. Zudem: mir ist kein Politiker bekannt, der eine Abschaffung des Abhörens von Drogendealern fordert, weil das gegen Terrorismus nichts helfe.

Lange Rede, kurzer Sinn: der flammende Appell von Richard Gutjahr hat das Thema komplett verfehlt. Oder Um es mit dem Hitchhiker’s Guide to the Galaxy zu sagen:

So, ten out of ten for style, but minus several million for good thinking, huh?

Wer sich tatsächlich für das Thema interessiert: Zur Debatte stehen jetzt zum Beispiel die Gesetze, die den Geheimdiensten Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst weitreichende Befugnisse etwa zur Abfrage von Konten- und Flugpassagierdaten einräumen. Ohne Verlängerung weiter gültig sind — wie zum Beispiel die Badische Zeitung auflistet — Strafvorschriften gegen ausländische terroristische Vereinigungen (Paragraf 129b) und gegen den Besuch von terroristischen Ausbildungslagern (Paragraf 89a); neue Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes für die Abwehr von internationalen Terrorgefahren.

Wer also Kritik an der real existierenden Anti-Terror-Gesetzgebung üben will, hat mehr als genug zu tun. Ich wiederhole es nochmals: ernste Themen verlangen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Fakten. An Polemik besteht weiß Gott kein Mangel.

No fly list – the system works

Wie das Schmierblatt metro.co.uk berichtet, hat ein britischer Einwanderungsbeamter Kreativität und Initiative bewiesen:

Hier klicken, um den Inhalt von Twitter anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von Twitter.

@flueke)

CCC: Anarchisten mit RAF-Kontakten?

Die niederländische Zeitung Telegraaf hat ein Portrait über den „meesterhacker“ Rop Gonggrijp veröffentlicht, der jüngst wegen seines zeitweiligen Engagements für Wikileaks in den Fokus der amerikanischen Behörden und somit auch in die Schlagzeilen geriet.

Wenig schmeichelhaft ist die Beschreibung seiner Kontakte zum deutschen Chaos Computer Club:

Op zijn twintigste verhuisde Gonggrijp met wat vrienden naar Amsterdam, waar hij in contact kwam met hackers en techneuten binnen de kraakbeweging. Volgens Siebelt kreeg hij in die tijd nauwe banden met Duitse anarchisten van de Chaos Computer Club (CCC), die weer banden hadden met RAF-terroristen. CCC zorgde in 1987 voor grote opschudding met een inbraak in de Amerikaanse NASA-computers. „Een jaar later werd bekend dat een aantal CCC’ers samenwerkten met de Russische geheime dienst KGB om in Amerikaanse computers in te breken”, zegt Siebelt.

Dass irgendwann Mal RAF-Kontakte des CCC dokumentiert worden wären, ist mir neu – ich bezweifle auch, dass es hier wesentliche Verbindungen gab, die über das Triviale hinaus gehen.

Aber wenn es um Wikileaks geht, muss ja irgendwo eine Terror-Verbindung bestehen, oder?