Das Internet und die Konsequenzen

Bundesanwältin Monika Harms hat dem Spiegel ein Interview gegeben und sich dabei argumentativ relativ gut geschlagen. Allerdings haben die Argumentationsketten durchaus große Löcher.

Islamistische Terroristen kommunizieren über das Internet, und deshalb sollten wir in bestimmten Fällen heimlich in die Computer schauen dürfen.

Also für mich bedeutet es zunächst einmal, dass man Beamte braucht, die erstens mit Computern umgehen können und zweitens die entsprechende Ausstattung haben. Als ich das letzte Mal ein Polizeirevier betreten habe, wurde die Anzeige noch mit Schreibmaschine aufgenommen, weil der historisch durchaus interessante Rechner mal wieder den Dienst versagte.

Auch eine andere Stelle weckt Bedenken:

Deshalb bin ich überzeugt davon, dass die Online-Durchsuchung notwendig ist – nicht, um etwa Wirtschaftsstraftaten aufzuklären, sondern in einem engumgrenzten Deliktfeld wie beispielsweise dem islamistischen Terrorismus.

Klingt beruhigend – aber wie soll man das denn gesetzlich beschränken? Weiter oben hat Harms noch ausgeführt, dass die Brandstifter und Farbbeutelwerfer von Hamburg und Berlin gesetzlich nicht so einfach von den Mördern der Al Quaida zu trennen sind. Hofft Frau Harms etwa auf eine freiwillige Selbstbeschränkung der Ermittlungsbehörden und Innenpolitiker?

Die Waagschale des Antiamerikanismus

Claus Christian Malzahn berichtet im Spiegel über einen US-Film, der dokumentiert, wie Unschuldige in Guantanamo zu Tode gefoltert wurden – systematisch und mit Deckung der Regierung. Malzahn glaubt dem Film, er bezeichnet ihn als „verstörenden Einblick“. Diese Verstörung merkt man. Denn der Autor wendet sich gegen seinen eigenen Text. Der ist ihm zu glatt. Es mögen Fakten sein, aber es sind antiamerikanische Fakten. Die konnte Malzahn nicht für sich stehen lassen. So kann man wohl diesen Absatz am Schluss des Artikels erklären.

Die Nörgler in Europa, die seit Jahren das dumme Lied vom amerikanischen Faschismus singen, sollten sich deshalb nicht zu früh auf Gibneys Film freuen. Sie haben zur Aufklärung der amerikanischen Verfehlungen in Afghanistan und im Irak so gut wie nichts beigetragen.

Aha. Was? Wie? Was hat die ganze Story mit Europa zu tun? Von wem redet er da?

Ganz einfach: Um die Story ausgewogener zu machen, sucht Malzahn etwas, was er in die andere Waagschale legen kann. Und da er zu dem Zweck offenbar nichts hat bis auf einige liberale US-Medien, erklimmt er selbst die Waagschale und springt wütend darin herum. Aber es geht noch weiter:

Gibneys Film liegt auf dieser Linie amerikanischer Selbstkritik der vergangenen Jahre. Noch ist offen, ob „Taxi to the Dark Side“ in den USA schnell ein TV-Network finden wird. Auf Dauer werden die TV-Imperien aber nicht an ihm vorbeikommen.

Fassen wir die Aussagen des Artikels zusammen: Die USA sind ein Land, dessen Regierung in Gefängnissen Unschuldige zu Tode foltern lässt und dessen „TV-Imperien“ diese Wahrheit systematisch unterdrücken. Aber kein Faschismus!

Disclaimer: Ich halte Faschismusvorwürfe gegen die USA auch für dumm – was dort abläuft ist etwas anderes. Allerdings habe ich selten eine so absurde Entgegnung gelesen.

Alles getan

Die politische Diskussion um den Abbau der Bürgerrechte für in meinen Augen untaugliche Anti-Terror-Maßnahmen kann Leute in die Depression treiben.

Laut Netzeitung sagt Günther Beckstein

Ich fürchte, dass wir uns mit der SPD erst nach einem hoffentlich nie kommenden Terroranschlag einigen können. Wenn es dazu kommt, werden wir in jedem Falle auch eine Diskussion über die Mitschuld bekommen.

Ja, in der Tat. Eine Frage, die man Schäuble und Beckstein stellen könnte: Warum habt ihr mit viel Brimborium Maßnahmen verabschiedet, die keinen einzigen Terroranschlag der letzten Jahre verhindert hätten?

Aber auch die Genossen der SPD sollten sich Fragen gefallen lassen:

«Für mich ist klar, dass wir diese Ermittlungsmaßnahme brauchen. Ebenso klar ist aber, dass sie nur mit sehr hohen Hürden und in extremen Ausnahmefällen zum Einsatz kommen kann», sagte Wiefelspütz. Er rechne mit einer Größenordnung von etwa zehn bis 20 Fällen pro Jahr.

[…] was Wiefelspütz als «unfair» zurückwies. «Die Arbeit an den Details dieser rechtlich heiklen Maßnahme hat gerade erst begonnen. Da ist es nur logisch, dass es im Moment noch mehr Fragen als Antworten gibt.»

Man stelle sich vor, der Mann kauft ein Auto. Er weiß zwar nicht, was ein Turbo-Differential-Matrix-Kompensator ist, aber er braucht unbedingt einen. Dass er die Erklärung des Verkäufers nicht versteht, zeigt nur, wie toll der Turbo-Diff ist. Dafür kann man dann ruhig eine hohe Hypothek aufnehmen.

Denn diese Hypothek zahlen ja erst diejenigen ab, die ihre Emails nicht im Sekretariat ausdrucken lassen.

Gab es die Flüssigbomben denn nun?

Heute morgen habe ich im Radio ein Servicestück gehört, was Passagiere mit ins Flugzeug nehmen dürfen. Demnach bleiben allein am Flughafen Düsseldorf täglich acht Tonnen Flüssigkeiten zurück.

Erinnern wir uns: diese tollen Sicherheitsregeln wurden eingeführt, nachdem im letzten Jahr ein Terrorkomplott aufgedeckt wurde. Doch ob es jemals auch nur einen Prototypen dieser Flüssigkeitsbomben gegeben hat, ist nach wie vor unklar. Ich tippe mal: nein.

PS: Thomas Wigold beschreibt ein weiteres Kuriosum: die Israelis haben überhaupt kein Interesse, Getränke an Bord zu verbieten. Aber was wissen die schon von Terroristen?

Die BH-Bombe

Eine der schönsten Szenen in „An Unconvenient Truth“ war die Stelle an der der ehemalige Vize-Präsident – die frühere zweite Hand am Atombombenkoffer – am Flughafen gezeigt wird. Routiniert lässt Gore alles über sich ergehen. „Seht her, ich war mächtig, bin aber geläutert. Ich ziehe meine Schuhe aus wie jeder von Euch.“

Letzte Woche gab es allerhand Berichte, wie geduldig und gut die Flugreisenden die neuen Verbote von Flüssigkeiten im Handgepäck ertragen. Ein Verbot, das ich etwas widersinnig finde. Ich glaube nicht wirklich daran, dass Terroristen auf der Flugzeugtoilette höchst brisante Sprengstoffe zusammenmixen.

Das ZDF-Magazin Frontal hat dem Thema einen interessanten neuen Twist gegeben. Sicherheitsmängel auf deutschen Flughäfen heißt die Schlagzeile. Das wirkt immer. ZDF-Reporter demonstrieren wie man aus mitgebrachten Feststoffen und Flaschen aus dem Duty-Free-Shop eine Bombe basteln kann. Kronzeuge: Der Ex-Chef der GSG9. Wow. Respekt.

Zeigt der Beitrag aber wie sinnlos die neue Flüssig-Kontrolle ist? Nein. Frontal21 will mehr Kontrollen. Oder die Duty-Free-shops schließen. Oder was auch immer. Denn alles andere wäre ja ein Zugeständnis an die Terroristen.

Es geht hier weder um Panikmache, noch um Handlungsanleitungen für Übeltäter. Unsere Pflicht ist es auf einen bestehenden Misstand hinzuweisen, damit er schnellstmöglich behoben wird. Diese Bombe hätte auch in einem Flugzeug detonieren können, weil deutsche Flughäfen nicht sicher sind.

Das ZDF hat Recht. Wir müssen es nur immer weiter treiben. Wir müssen nur eine Anleitung veröffentlichen, wie Terroristen mit einem handelsüblichen BH den Piloten einer Verkehrsmaschine erwürgen können, um Tausende von Menschen zu töten, die westliche Gesellschaft einmal mehr ins Chaos zu stürzen und somit Kim Jong Il das Zeichen zum Start seiner Atomraketen zu geben. Und schon werden die Kontrollen am Flughafen noch etwas unangenehmer und kein BH darf mehr an Bord eines Flugzeugs.

Eine reizvolle Aussicht? Nicht wirklich.

Ehrenrettung für Bombenbauanleitungen und Terroristen?

Drei Monate nach den versuchten Bombenanschlägen auf Regionalzüge berichten Zeitungen von neuen Erkenntnissen. Die Bomben hatten mehr Sprengkraft als damals vermutet wurde. Eine Ehrenrettung für Bombenbauanleitungen im Internet: nach den Anschlägen hatte man den Eindruck, dass die vielzitierten Terrorbausätze kaum gefährlich sind. Und wenn doch: dann vor allem für den Bombenbauer.

Die taz berichtet:

Dabei bauten die Experten die Bomben detailgetreu nach. Sie machten allerdings nicht den technischen Fehler der Attentäter, der eine Detonation der Bomben verhindert hatte. Die Fachleute bescheinigten den Sprengsätzen, die die Täter nach einer Anleitung aus dem Internet zusammengesetzt hatten, eine gewaltige Wirkung.

Mit der Neueinschätzung der Bomben geht offenbar auch eine Neueinschätzung der Täter einher.

Danach verfestigt sich der Eindruck, dass nicht nur fähige Bombenbauer, sondern auch sorgfältig planende, intelligent vorgehende Täter am Werk waren, die aus religiösem Eifer möglichst viele Menschen ins Jenseits befördern wollten. […] An jenem Tag stellten die Extremisten die beiden Kofferbomben in die Regionalzüge, die auf dem Kölner Hauptbahnhof auf ihre Abfahrt warteten. Danach begaben sie sich zum Flughafen und hoben nur Minuten nach der geplanten Explosionszeit gen Beirut ab. Sie seien fest vom Erfolg ihres Anschlag überzeugt gewesen, sagte Hamad in seiner Aussage.

Moment Mal – das soll Anzeichen von Intelligenz und Sorgfalt sein? Ja sicher: die Täter waren nicht grenzdebil und sie waren auch keine Selbstmordattentäter.

Aber ist es wirklich so intelligent, ausgerechnet im Kölner Hauptbahnhof die Bomben zu platzieren? Dort, wo überall Kameras hängen? Regionalzüge halten an bedeutend weniger überwachten Bahnhöfen, die Bahn versteckt ihre Kameras auch nicht. Auch die Uhrzeit überrascht bei der Ansage: Jeden Tag sind die Regionalzüge und Bahnsteige im Berufsverkehr überfüllt. Das in der taz abgebildete Überwachungsfoto zeigt jedoch die Uhrzeit 12:34 und einen ziemlich leeren Bahnsteig an. Die Anschläge von Madrid und London haben gezeigt, dass sorgfältig arbeitende Terroristen ganz bewusst den Berufsverkehr nutzen, um möglichst viele Menschen umzubringen.

Ich möchte den versuchten Massenmord nicht verharmlosen, aber man sollte die Fakten nicht verdrehen. Zum Glück waren die Verbrecher nicht halb so schlau wie sie dachten. Und nicht selbstmörderisch genug, um sich selbst in die Luft zu sprengen. Zum Glück.