Allgemeine Geschäftsbedingungen sollte jeder Nutzer lesen. Dringend. Das gilt offenbar nicht für die, die AGBs schreiben. So zumindest scheinen die Geschäftsbedingungen des Online-Speichers Wuala entstanden zu sein:
via)Pax Romana und Vergeltung
Ich möchte ja zu allerlei politischen Anlässen aus „The West Wing“ zitieren. Gerade Angesichts der gezielten Tötung von Osama Bin Laden in Pakistan fällt mir ein Zitat des ganz und gar fiktionalen Präsidenten Bartlett ein:
Did you know that two thousand years ago a Roman citizen could walk across the face of the known world free of the fear of molestation? He could walk across the Earth unharmed, cloaked only in the protection of the words civis Romanus — I am a Roman citizen. So great was the retribution of Rome, universally certain, should any harm befall even one of its citizens. Where was Morris’s protection, or anybody else on that airplane? Where was the retribution for the families, and where is the warning to the rest of the world that Americans shall walk this Earth unharmed, lest the clenched fist of the most mighty military force in the history of mankind comes crashing down on your house?!
Ein paar Folgen später ließ Präsident Bartlett einen Terror-Führer ermorden. US-Soldaten fingen das Flugzeug eines arabischen Politikers ab, erschossen ihn und vernichteten alle Beweise.
Wo Korruption enthüllt wird, wird Datenschutz plötzlich wichtig
Während sich alle Welt fragt, wie Sony für das Leaken seiner Playstation-Datenbank angemessen bestraft werden kann, macht Indien Nägel mit Köpfen. Ein neues Datenschutzgesetz ist auf dem Weg und es sieht sogar Haftstrafen vor:
The UPA government is planning to set up a three-member Data Protection Authority of India, whose main functions would include monitoring and enforcing compliance of the proposed data protection laws and to “investigate any data security breach”. […] The Act proposes a maximum punishment of five years and/or fine of Rs 7 lakh for the first offence and Rs 10 lakh for every subsequent offence.
Endlich kümmert sich jemand um die skandalösen Umgang der Industrie mit den Daten der Bürger. Es ist schon zum Mäusemelken, wenn selbst die Unesco Bewerberdaten in die Welt pustet. Privatsphäre ist kein Privileg, sondern ein Recht. Und der Staat muss es schützen!
The Bill, a copy of which is with The Sunday Express, proposes to put in place a system to protect not just the privacy of an individual and secure all intercepted material, including phone taps, but also his “honour and good name”. The proposed law also aims to empower an individual or group of individuals to take legal recourse to protect the “confidentiality of his private or family life”; seek protection from “search, detention or exposure of lawful communication”: have privacy from surveillance: ensure confidentiality of his banking and financial transactions as well as his/her medical and legal information.
Ja, der indische Gesetzgeber denkt noch an die Familie. Jedermann wird in Zukunft geschützt von diesen Halunken, die in Indien offenbar wahllos Telefone abhören und das Privatleben des einfachen Mannes und seiner Familie in den Schmutz zerren. Intimste Details: die Akne der Tochter, der Bankauszug der Kreditkarte der Mutter.
Work on drafting the Bill began in December last year after the uproar over selective leakage of intercepted phone conversations between corporate lobbyist Niira Radia and her clients.
Auf Deutsch: alles oben Geschriebene ist reine Fantasie. Das Interesse für Datenschutz ist erst ausgebrochen, als die grassierende Korruption im Lande wieder einmal publik wurde, die mittlerweile immer mehr Menschen zum entschlossenen Protest antreibt. Nach einem Hungerstreik eines Aktivisten und breiter öffentlicher Unterstützung sah sich die Regierung zu einem Anti-Korruptionsgesetz genötigt. Das geplante Datenschutz-Gremium kann aber einen Deckel drauf halten, wenn die Korruption aufgedeckt wurde. Mitgeschnittene Gespräche, mitgefilmte Geldübergaben? Privat! Überweisungen auf das Firmenkonto der Ehefrau? Geht die Öffentlichkeit nichts an!
Manchmal fällt es echt schwer, nicht zynisch zu werden.
(via)
Von Polizist zu Polizist
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter, Landesverband Niedersachsen informiert seine Mitglieder und die interessierte Öffentlichkeit über das neuste verbale Scharmützel zwischen dem niedersächsischen Innenminister Schünemann und der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Das liest sich dann so:
Am 06.04.2011 berichtete die Presse über einen verbalen Angriff des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann CDU gegen die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung. „Sie muss sich hier bewegen. Es ist mehr als problematisch, dass wir hier noch keine Regelung haben”, sagte Innenminister Schünemann am 06.04.2011 in Hannover und wurde dafür als Hardliner gescholten, der über das Ziel hinausgeschossen sei.
Die Rollen sind klar verteilt: der ausgewogen-rationale Landes-Polizeiminister und das keifende liberale Berlin.
Doch irgendwie hatte ich das Wortgefecht anders in Erinnerung. Oder um die dapd zu zitieren:
Im Streit um die Vorratsdatenspeicherung attackiert Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als „Sicherheitsrisiko“. „Die Justizministerin schützt durch ihre ideologische Blockadehaltung Pädophile und Terroristen und wird damit selber zu einem Sicherheitsrisiko in unserem Land“, sagte Schünemann der Zeitung „Die Welt“
Solche allzu zielgruppenorientierte Information macht mich regelmäßig ratlos. Glaubt der BDK-Landesverband, dass seine Mitglieder keine Nachrichten hören, keine Zeitung lesen? Oder gilt die Parole, dass sich die braven Beamten nur klammheimlich über die Tiraden ihres Arbeitgebers freuen dürfen? Oder will man sich von der Wortwahl distanzieren, möchte dem politischen Gegner aber keinen Fußbreit entgegen kommen?
Sperren und Löschen – warum nicht einfach beides?
Stefan Tomik kommentiert auf FAZ.net zum Ende der Websperren:
Nur einzelne Unionspolitiker blieben bis zuletzt dabei, dass solche Sperren das Löschen der Inhalte an der Quelle hätten ergänzen können. Dafür wurden sie als Ewiggestrige abgestempelt. Dabei hätte nichts dagegen gesprochen, beides parallel zu betreiben. Wenn es jetzt heißt, das Löschen funktioniere schneller als noch vor Beginn der großen Debatte über „Zensursula“, dann liegt das auch an einer verbesserten Zusammenarbeit im Kampf gegen Kinderpornographie, die es ohne diese Debatte wohl nicht gegeben hätte.
Da hat Tomik einen richtigen Halb-Gedanken. Denn eigentlich ist die Frage unvermeidlich: Warum benötigten wir die Debatte um Netzsperren um die internationale Zusammenarbeit zu verbessern? Ich schreibe nun schon seit 10 Jahren zum Thema — und kein Fachmann äußerte je einen Zweifel daran, dass die internationale Zusammenarbeit der Polizeibehörden dringend verbessert werden musste. Die wichtigsten juristischen Hürden waren bereits vor knapp fünf Jahren weitgehend beseitigt: Kinderpornografie war international geächtet und Microsoft vertrieb sogar schon ein Tool um Hashwerte von Missbrauchs-Bildern auszutauschen. Dennoch tat sich wenig.
Stattdessen bauten nach und nach Länder wie Großbritannien, Schweden, Italien in den letzten Jahren ihre eigenen Sperrsysteme auf — und plötzlich war die internationale Zusammenarbeit nicht mehr so drängend. Die Diskussion um Websperren in Deutschland hat enthüllt, dass nicht Mal in Europa ein geregelter Austausch von essentiellen Informationen bestanden hat. Der Erfolg der Maßnahmen wurde nie überprüft. Wenn ein Kinderporno-Ring mit Hunderten und Tausenden Verdächtigen in ganz Europa enttarnt wird, fragt niemand: wie kamen diese Menschen an den Sperren vorbei? Kein Wissenschaftler darf die Sperrlisten ansehen. Die für die britischen Internetsperren zuständige Internet Watch Foundation verweigerte mir gar Auskunft darüber, ob sie jemals eine Seite gesperrt habe, die schon zwei Jahre offline war. Die Botschaft: alles ist in guten Händen. Gehen Sie weiter. Es gibt nichts zu sehen! Und es gibt nichts, womit man Gipfeltreffen oder Fachkonferenzen belasten sollte. Unser System funktioniert jedenfalls prima! Sperren und Löschen? Die Frage stellte sich nicht. Sperren reichte ja schon.
Selbst wenn Websperren keinen negativen Effekt hätten, selbst wenn Staaten das Mittel nicht dazu nutzen wollten ihre Glücksspieleinnahmen oder Staatsdogmen zu sichern, selbst dann ist die Frage zu stellen: haben die Websperren nicht dazu beigetragen, sinnvolle Schritte zu verhindern?
Koalitions-Kompromisse
Es heißt, man sollte weder bei Wurst, noch bei Gesetzen zu viel über die Entstehung erfahren. Also seht schnell weg:
Die Koalition will Kinderpornos im Internet löschen statt sperren. Damit hat sich in der Koalition die FDP durchgesetzt. Der geplante Verzicht auf Websperren gegen Kinderpornos liegt der Unions-Fraktion aber schwer im Magen. Führende Unions-Abgeordnete fordern dafür Gegenleistungen der FDP bei den Anti-Terror-Gesetzen. „Einen Verzicht auf Internet-Sperren gegen Kinderpornografie wird es nur geben, wenn gleichzeitig zahlreiche befristete Anti-Terror-Befugnisse der Geheimdienste entfristet werden“, sagte Fraktionsvize Günter Krings (CDU) der Neuen Osnabrücker Zeitung
Gerüchten zufolge wird bei der nächsten Koalitionsverhandlung eine Jungfrau in einen Vulkan gestoßen. Der Triumpf der Unvernunft wird als wertvolle Verhandlungsmasse dienen, um ein paar Wochen einfach das Richtige zu tun.
Netzsperren: Drei verpasste Jahre
Im Oktober 2008 habe ich meinen ersten Artikel über das Gesetz geschrieben, was später als „Zensursula“ bekannt wurde.
In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt erklärte die Ministerin: „Wir schließen die Datenautobahn der Kinderpornographie.“ Die Abgeordneten des Bundestages seien über alle Parteigrenzen hinweg bereit, eine entsprechende Gesetzesinitiative zu unterstützen.
Ziel der Sperre sei die steigende Zahl von kommerziellen Seiten, die Kinderpornographie verbreiten. „Ich zerstöre da einen lukrativen Markt, der auf dem Rücken zerschundener Kinder aufgebaut ist. Es ist unsere Pflicht, aktiv zu sein“, sagt die Ministerin. „Ich will einen Damm bauen gegen die Flut der Bilder, indem wir den Zugang für den Kunden blockieren.“ Entsprechende Bilder wirkten oft wie eine Einstiegsdroge für den Konsumenten, der einfache Zugang sorge für einen „permanenten Hunger nach Nachschub“. Auf den Listen des Bundeskriminalamtes (BKA) seien schon über 1000 Webseiten verzeichnet.
Zweieinhalb Jahre ist das her. Es wird weitere Monate dauern, bis das Zugangserschwerungsgesetz endlich aus den deutschen Gesetzbüchern verschwunden ist. Und dann steht ja noch die Auseinandersetzung auf EU-Ebene an.
In diesen drei Jahren habe ich wie viele andere – entschuldigt das Wort – Netizens einen Aufbaustudiengang Realpolitik gemacht. Bis heute glaube ich, dass viele der beteiligten Politiker gute Absichten hatten. Doch in dieser Zeit haben wir plumpe Lügen gehört, Unverstand, Spitzfindigkeiten. Wir haben gesehen, wie ernste Themen zur politischen Verhandlungsmasse wurden. Wir sahen Profis beim Taktieren zu, lernten neue Arten der Intrige kennen und konnten nichts machen als immer wieder zu sagen: Das ist der falsche Weg. In der Zeit habe ich auch viel über Kindesmissbrauch gelernt. Mir blieb die Horrorshow erspart, die Bilder anzusehen, die auf den Festplatten so vieler Computer liegen. Unmenschlicher Nervenkitzel? Krankhafte Triebe? Und das Leid der Kinder — da möchte man gerne die Augen verschließen.
Man könnte nun sagen: Ende gut, alles gut. Wie haben alle etwas gelernt. Dank „Zensursula“ wurde eine scheinbar in Konsum und Privatleben verlorene Generation wieder politisiert. Und das vermeintliche Tabu Kindesmissbrauch wurde wieder ans Licht gezerrt, so dass jetzt vernünftige Maßnahmen zur Bekämpfung des Leids ergriffen werden können.
Doch wenn wir uns die Bilanz ansehen, ist da ziemlich wenig. Wir haben keine Ersatzpläne. Nach wie vor wissen wir viel zu wenig über den realen Kindesmissbrauch. In der Zeit, in der um die symbolische Netzsperre gerungen wurde, sind keine wissenschaftlichen Studien entstanden, die uns weiter helfen könnten. Wir haben weiterhin kaum Präventionsangebote, die Pädophilen helfen nicht zum Täter zu werden. Oder denjenigen, die keine pädophile Neigungen haben und dennoch Kinder missbrauchen.
Dass Bilder von Kindesmissbrauch im Internet getauscht werden, können wir nicht gänzlich verhindern. Es ist eine inhärente Eigenschaft der Freiheit. Die Unverletzbarkeit der Wohnung, dicke Wände verhindern auch, dass wir den alltäglichen Missbrauch in den Wohnungen sehen. Trotzdem greifen wir nicht zu Abrissbirnen und Vorschlaghämmern, um Gucklöcher in die Wände von Kinderzimmern zu schlagen.
Die drei Jahre sind weitgehend verloren. Wir stehen noch immer ratlos vor der Realität.
Twitter als Kommunikations-Überholspur? Oder eine Gated Community?
Viel Häme haben sich die Hauptstadtjournalisten mit der wirklich skurrilen Fragestunde zu den Twitter-Aktivitäten im Bundespresseamt eingehandelt. Wie kann man im Jahr 2011 Twitter nicht kennen? Was sollen die albernen Fragen? Da wird die Regierung mal etwas offener und die Hauptstadtjournalisten fürchten um ihr Herrschaftswissen!
So nachvollziehbar die Reaktion auf die Vorstellung aus dem „Raumschiff Berlin“ ist, nach ein paar Tagen sollte man anfangen Mal etwas darüber nachzudenken. Natürlich ist Hauptstadtjournalismus ein extrem arbeitsteiliges Geschäft. Die Personen, die in der Bundespressekonferenz sitzen, müssen in der Regel nicht mit Twitter arbeiten. In meinen Augen sollten sich Kommunikationsarbeiter mit neuen Medien auseinandersetzen, aber ich will mir da kein abschließendes Urteil erlauben. Vor fünf Jahren wurde ihnen erzählt, sie müssten Second Life lernen. Ein gewisses Misstrauen, eine gewisse Trägheit ist verständlich.
Journalisten als „vierte Gewalt“ haben die Aufgabe, die Regierung zu überwachen. Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass die Journalisten die notwendigen Informationen bekommen. Wenn also Reisen von Angela Merkel zuerst über Twitter angekündigt werden, mag das für uns Außenstehende wie eine Petitesse erscheinen – sie sorgt aber dafür, dass komplette Arbeitsprozesse umgelegt werden müssen. Die Journalisten, die im Zweifel am Samstagabend alleine am Schreibtisch sitzen, müssen die Nachrichten aus den verschiedensten Kanälen abgleichen. Gehen relevante Informationen über einen neuen Kommunikationskanal, müssen sie diesen in ihre Arbeitsmittel integrieren. Mit einem Twitter-Account alleine ist es da nicht getan – die Medien müssen auch ständig einen aktuellen Überblick haben welcher Politiker tatsächlich twittert, welche Fake-Accounts unterwegs sind. Noch schlimmer: Sie müssen sich mit ironischen Kommentaren, schlechten Wortwitzen und haufenweise uninformierten Missverständnissen herumschlagen. Und das für ein nicht greifbares Endergebnis: Ich als Leser blättere weiter, wenn ein Zeitungsjournalist Twitter-Anekdoten zum Besten gibt.
Gleichzeitig nutze ich Twitter intensiv und gerne. Grade eben habe ich mit einem Tweet eine Frage an DradioWissen geschickt, die wenige Minuten später auf Sendung beantwortet wurde. Früher hätte ich womöglich eine Hörer-Hotline anrufen müssen und meine Frage wäre vielleicht ans Ende der Sendung gestellt worden, wo sie dann natürlich aus dem Kontext gerissen worden wäre. Ebenfalls kann ich Mal eben einem Spitzenpolitiker einen kleine Frage an den Kopf werfen und bekomme tatsächlich sofort eine Antwort von ihm. Das Zeitalter der neuen Offenheit ist da. Jeder aus dem Volk kann die Regierenden endlich zur Rede stellen. Yay!
Das Problem: nicht jeder kann es. Auf dem Web Content Forum in Köln sagte der General Manager von Welt Online: Das iPad ist noch kein Massenmedium, es ist noch nicht in der U-Bahn, nicht auf dem Spielplatz angekommen. Selbst wenn jeder ein iPad hätte und von dort seine Twitter- und Facebook-Aktivitäten steuern würde – wer würde es für einen direkten Dialog mit „der Politik“ nutzen. Wer aggregiert sich den Reiseplan von Frau Merkel zusammen und lässt das in seine Wahlentscheidungen einfließen? Entsteht über die Kurz-Kurz-Echtzeit-Kommunikation ein wirklicher Dialog?
Vorläufige Diagnose: Wir „Twitter-Kinder“ (so nannte es Julia Seeliger eben auf DradioWissen) sind noch ein ziemlich kleiner Haufen — und ziemlich homogen dazu. Akademiker-Kinder unter sich. Wir repräsentieren das Volk besser als jeder Deutschlandtrend und wissen besser Bescheid als jeder Fachmann. Über alles. Und je nach politischer Meinung und persönlichen Vorlieben bilden wir Blasen, in denen wir nur mit Gleichgesinnten zu tun haben. Ein bisschen Widerspruch mag vorkommen, aber das nur am Rande, als intellektuelle Herausforderung. Wer nicht in unser Schema passt, wird entfollowt. Twitter ist das Äquivalent einer „gated community“, in der sich die Wohlhabenden eines Landes von der normalen Bevölkerung abgrenzen. Doch statt elektrischen Zäunen, Wachmännern und Videoüberwachung benötigen wir nur unsere Kommunikationsfilter. Ist das die Zukunft der Kommunikation?
Nachtrag: Stefan Niggemeier hat für die FAZ bei den Hauptstadtjournalisten nachgefragt:
Sarah Palin ist eine Warnung dafür, wie Politiker, die etwa über Facebook direkt mit den Wählern kommunizieren, sich kritischer Nachfragen durch Journalisten entziehen können. Am vergangenen Mittwoch zeigte sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf Youtube und beantwortete dort vorher ausgewählte Fragen von Bürgern. Die Presse meint, er tue das auf Kosten klassischer Interviews. „Er versucht die ganze Zeit, uns zu umgehen“, sagt der Sprecher des Journalistenverbandes. „Wir glauben, dass jeder Staatsbedienstete sich Journalisten und ihren Fragen stellen muss.“
Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Beleidigtsein von Journalisten, die ihrem Informationsmonopol nachtrauern, und der berechtigten Sorge, ob Politiker sich ihrer Rechenschaftspflicht entziehen.
Die nukleare Vernunft des Franz-Josef Strauß
CDU-Generalsekretär Gröhe geht in die Offensive. Nicht die CDU, sondern die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt habe die Atomkraftwerke nach Deutschland gebracht. Eine historische Tatsache. Und wer hat im Dienste der Vernunft gegengesteuert?
Welt Online: Das ist doch, was viele Ihnen heute vorwerfen: Wenn die Stimmung umschlägt, ändert die CDU über Nacht ihre Politik.
Gröhe: Wir reagieren auf eine schreckliche Katastrophe, nicht auf bloße Stimmungen. Angesichts der täglichen Nachrichten aus Japan wäre es fatal gewesen, rechthaberisch mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Im Übrigen haben schon Franz Josef Strauß und Ernst Albrecht politische Entscheidungen in Sachen Kernenergie verändert, weil sie um die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz wussten.
Franz-Josef Strauß, gesellschaftliche Akzeptanz und Nukleartechnik — da fällt mir vor allem ein Kapitel ein: Der Atom-Granatwerfer Davy Crocket, den Strauß damals für die Bundeswehr kaufen wollte. Oder um die Wikipedia zu zitieren:
In der Praxis zeigten beide Antriebe M-28 und M-29 eine geringe Treffergenauigkeit; demnach hätte die Waffe vor allem über die sehr starke Radioaktivität gewirkt: Selbst bei Einstellung auf geringe Sprengkraft produzierte die M-388 eine direkte Anfangsstrahlung mit einer letalen Strahlendosis von über 100 Sievert innerhalb von 150 Metern, und eine ebenfalls meist halb-letale Dosis von etwa 50 Sv innerhalb von 430 Metern.
Auf Grund der Ungenauigkeit der Waffe, der geringen Entfernung der Geschützmannschaften zum Ground-Zero und folglich der nur schwer kalkulierbaren Zugrichtung eines möglichen Fallouts (Radioaktiver Niederschlag), war davon auszugehen, dass die bedienende Geschützmannschaft bei der Explosion des atomaren Sprengkopfes auch schwere Strahlenschäden erleiden könnten. Daher war der Einsatz dieser Waffe lediglich als letzter Ausweg aus einer verzweifelten Bedrohungslage vorgesehen.
Politiker sahen bei der Verwendung der Davy Crockett nicht die Gefahr der Auslösung eines Atomkrieges. Daher wollte unter anderem der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den Mangel an Soldaten der Sowjetunion gegenüber durch die Davy Crockett ausgleichen. Aus Angst, die Kontrolle über den Einsatz von nuklearen Waffen zu verlieren, verkauften die Vereinigten Staaten keine nuklearen Kleinstwaffen an NATO-Partner.
Lange Rede, kurzer Sinn: im Kampf gegen den Kommunismus hätte Strauß Deutschland notfalls in eine atomare Wüste verwandelt. Keine Politik der verbrannten Erde, sondern eines verstrahlten Landes. Aber anders als beim Starfighter, lieferten die USA einfach nicht. Ein Sieg der Vernunft und der Weitsicht des großen CSU-Vorsitzenden.
Kein Whistleblower
Die Öffentlichkeit weiß nicht, wer er ist. Niemand fragt. Und das ist ihm wohl ganz recht.
Das als vertraulich markierte Protokoll der BDI-Sitzung, in der Landesvorsitzender Brüderle seine Gedanken zur Atompolitik zum Besten gab, ging an 39 Empfänger. Industriegrößen. Einer davon steckte es der Süddeutschen Zeitung. Und besiegelte so mit das Wahlergebnis der Landtagswahlen. Ein, zwei Prozent zwischen den Lagern hin- und her zu schieben hätte den kompletten Ausgang der Wahl beeinflusst.
Trotzdem fragt niemand: wer ist der Whistleblower? War es ein BDI-Vorstand? Jemand in der Poststelle? Niemand rühmt seinen Mut, niemand macht sich Sorgen um seine Sicherheit. Warum eigentlich nicht?