Die untoten Webpiraten

Allen war es klar: Kaum ist die Bundestagswahl vorbei, werden alle Parteien ihre Aktivitäten im Social Web stark zurückfahren, die zur Schau gestellte Dialogbereitschaft wird sich – wie üblich – als leeres Wahlversprechen erweisen. Youtube-Kanäle verwaisen, Twitter-Accounts setzen Staub an, die dynamischsten Blogs werden plötzlich statisch. Doch von einer Partei hätte man das nicht erwartet: die Piratenpartei bleibt im Netz. Logisch. Schließlich ist das die Partei derer, die eh im Netz leben. Wo sollen sie auch sonst hin?

Tja, zumindest wäre das eine rationale Erwartung gewesen. Doch zu viel erwartet. Als heute drei Handvoll Piraten eine kleine Nackt Unterwäsche-Demo gegen Nackt- Körperscanner an drei Flughäfen starteten, erfuhr man als erstes auf Spiegel Online davon:

An mehreren deutschen Flughäfen will die Piratenpartei nach Informationen von SPIEGEL ONLINE am Sonntag um 14 Uhr gegen die Einführung der Nacktscanner protestieren. Dabei planen die Aktivisten, sich an den Sicherheitsschleusen der Flughäfen bis auf die Unterwäsche auszuziehen. „Unser Motto ist: ‚Ihr braucht uns nicht scannen – wir sind schon nackt'“, erklärte der Sprecher der Bundespartei, Simon Lange. Offen ließ er, an welchen Flughäfen und in welchen Städten die Aktionen genau stattfinden werden. Bislang hätten sich acht Landesverbände der Idee angeschlossen, sagte Lange.

Tja, 14 Uhr ist seit sechs Stunden Vergangenheit – wo erfahren wir nun mehr davon? Auf Piratenpartei.de? Nein, auf der Startseite herrscht Scheigen. Wie steht es mit dem Live-Portal, auf dem alle sozialen Aktivitäten gebündelt werden? Nichts, die neuesten „News“ stammen vom September. Im Piraten-Wiki, der Schaltstelle der vereinten Dezentralität? Nichts. Auf Twitter finden sich ein paar Links zu einer einzigen Fotogalerie einer der Aktionen – viel mehr ist man aber damit beschäftigt, die Twitter-Icons mit Piratenlogos zu verzieren. Warum soll man auch einen Bohei um eine Aktionsform machen, die ab 15 Grad Außentemperatur von jedem Ortsverein der Landjugend immer wieder gerne genommen wird?

Alles in allem wundert es kaum, dass die dpa bis zum Abend nur eine kleine Acht-Zeilen-Meldung zu Stande bringt, die alleine von 15 halbnackten Piraten am Berliner Flughafen weiß, aber nichts von den Schwester-Aktionen am Düsseldorfer und Frankfurter Flughafen.

Ob bei so viel Durchhaltevermögen die informierte Debatte in Form der liquid democracy große Überlebenschancen hat, darf bezweifelt werden.

PS: Gegen 21 Uhr hat die Piratenpartei eine Pressemitteilung ohne jegliche Information über die einfach messbare Teilnehmeranzahl auf ihre Startseite gestellt – und mal eben zwei Stunden vordatiert. Das kann die CDU auch.

11616 Piraten

Laut Piraten-Wiki hat die Piratenpartei in Deutschland inzwischen 11616 Mitglieder. Das Bundestagsmandat ist dahin, aber immerhin gibt es vielversprechenden Nachwuchs. Und da ist ja noch der Sitz im Europaparlament.

Wäre es nicht an der Zeit, dass solche Nachrichten zuerst von den Piraten verbreitet würden? Oder dass das Zensursula-Revival effektiv begleitet würde? Oder dass die Open-Access-Petition durch aktive Arbeit der Partei über 100.000 Unterstützer findet?

Wo ist die Sacharbeit, Piraten? Wir warten. Noch immer.

Wort zum Sonntag, 18 Uhr

Liebe Piraten,

es hat nicht geklappt. Keine fünf Prozent, keine drei Prozent, nicht einmal zwei. Aber ihr habt nicht wirklich an den Einzug in den Bundestag geglaubt? Oder daran, dass die Abstimmungen bei StudiVZ irgendwas mit dem amtlichen Endergebnis zu tun haben? Aber immerhin: Eins Komma ein paar Gequetschte sind beeindruckend, wenn die Wahlarithmetik Stimmen für Euch im Lager Schwarz-Gelb verbucht.

Jetzt ist es Zeit, nach vorne zu sehen. Ich bin mir sicher, dass am Wahlabend bittere Verschwörungstheorien auftauchen werden, die das Ergebnis erklären sollen – so etwas wie ein vorgeblicher Medienboykott. Macht die Augen auf: die Piraten haben größere und positivere Medienaufmerksamkeit bekommen als jede andere neu gegründete Partei in den letzten 10 Jahren.

Die Piraten haben allerhand erreicht. Natürlich hat es die üblichen Geburtswehen gegeben, aber 9000 Mitglieder sind beeindruckend. Wenn davon die Hälfte tatsächlich aktiv werden, dann habt ihr eine Basis für Netzpolitik. Fangt damit an.

In den nächsten Jahren heißt es: die außerparlamentarische Politik zu erobern. Damit meine ich nicht „Und alle so Yeah“, es geht um tatsächliche Politik. Mit 9000 Leuten kann man allerhand erreichen, auch ohne eine Stimme in den Parlamenten (okay: Stadtratsmandate ausgenommen). Wenn man im Wahlkampf mal eben mehr als 70000 Euro für einen (überraschend guten) Werbespot mobilisieren kann, wie viele Kongresse und Lobby-Aktionen lassen sich damit finanzieren?

Aber vorher ist viel zu erledigen. Einer der Punkte auf der To-Do-List: sich über die eigenen Ziele gewiss werden. Denn selbst in der manchmal so homogen erscheinenden Netz-Gemeinde gibt es sicher politische Grabenkämpfe. Ist das Auto ein Gadget und sollte daher möglichst frei fahren können oder ist es ein Umweltverschmutzer für Leute, die mehrere Stunden am Stück auf das Internet verzichten können? Sind Waffen ein Gadget? Haben Arbeitslose nur Pech oder sollten sie Unkraut jäten? Wo soll der Strom für den Quadro-Core-Prozessor herkommen und wer soll dafür bezahlen? Oder etwas näher an der Lebenswirklichkeit: Wie kann man effektiv dem Spam Einhalt gebieten ohne Meinungs- und Gewerbefreiheit zu gefährden?

Ein anderer Punkt: Funktionäre heranziehen, die Politik lernen. Leute, die jenseits der Inszenierung die poltischen Entscheidungsmechanismen kennen. Die wissen, was die Junge Freiheit ist. Die auch mal charismatisch sein können. Die Konzepte entwickeln, die über „Nein, das da wollen wir nicht“ hinausgehen. Netzneutralität, Meinungfreiheit und öffentlicher Rundfunk, um ein paar Beispiele zu nennen. Eine überzeugende Lösung im Bereich Urheberrecht erwarte ich von Euch nicht, aber darum drücken sich auch die anderen herum.

Eine weitere Herausforderung: Sucht Frauen. Es ist kein Zufall, dass die Piraten eine Frauenquote unterhalb von Gayromeo hat. Wie will man die Gesellschaft beeinflussen, wenn man nicht mal die Geschlechtergrenze überwinden kann?

Ich bin mir nicht sicher, wo die Piraten in vier Jahren sein werden. Aber es stehen interessante Zeiten an. Enjoy the ride.

Kostenloskultur

Nochmal zur Piratenpartei. Als ich mir gestern die Vorstellung der Vorstandskandidaten angehört habe, kam es bei allen wie aus einem Munde: Die Piratenpartei steht nicht für eine „Kostenlos-Kultur“! Solche Behauptungen in der Presse seien irreführende Verzerrungen.

Im gerade beschlossenen Wahlprogramm heißt es dazu:

Wir PIRATEN fordern für Privatleute ohne kommerzielle Interessen das Recht, Werke frei verwenden und kopieren zu dürfen. Der Einsatz von Maßnahmen, wie die DRM-Technologie oder ähnliche Kopierschutzmechanismen, die diese und andere rechtmäßige Nutzungen einseitig verhindern, soll untersagt werden.

Fassen wir zusammen: Alle sollen alles frei kopieren dürfen, sofern sie es nicht kommerziell machen. Den Unterschied zur „Kostenlos-Kultur“ sehen wohl nur die Piraten, die ein fortgeschrittenes Verständnis von Dialektik haben.

Ballast abwerfen

Es gibt gute und weniger gute Gründe über die Piratenpartei zu lästern – auf alle Fälle gibt es viele. Aber es gibt auch einige, die Piraten mit Interesse zu verfolgen.

Als Jörg Tauss heute nachmittag beim Bundesparteitag seine Rede mit „Liebe Piratinnen und Piraten“ begann, kam tatsächlich ein Zwischenruf: „Piraten sind geschlechtsneutral“. Ein erfrischender Ansatz um die Binnen-I-Debatte zu beenden, bevor sie Schaden anrichten kann.

Andererseits: Die Gender-Blindheit der Piratenpartei ist wohl damit zu erklären, dass sie eigentlich nur aus Jungs besteht. Und wenn doch ein paar Doppel-X-Chromosom-Träger vorhanden sind, gilt wohl das, was Terry Pratchett in „Feet Of Clay“ ungefähr so formuliert hat: „Das Geschlecht ist egal, solange Du Dich wie einer von den Jungs verhälst“.

Too much information

Ich habe die erste Pressemitteilung der Piratenpartei erhalten. Yay!

Berlin, 2.7.2009 – Der Landesverband Berlin der Piratenpartei traf sich gestern zu einem außerordentlichen Parteitag in der Karaokebar „Monster Ronson’s“ in Berlin-Friedrichshain.

Ahhhhja…. ist die Karaoke-Bar wirklich so wichtig?

Um die personell schnell anwachsende Partei intern zu strukturieren und zugleich ihre Unkonventionalität und Offenheit zu erhalten, bilden Piraten anstelle klassischer Bezirksverbände in Crews lokal gebundene, dynamische Einheiten. Medienpirat Aaron Koenig stellte das von den Aachener PIRATEN übernommene und leicht modifizierte Crew-Konzept vor, bei dem sich Piraten unter einem Schiffsnamen wie „die Flying Dutchmen“ oder „die Konrad Zuse“ unter einem Käpt´n und Navigator zusammenfinden.

OK. Karaoke-Bars und Promotion a la Jägermeister sind wohl doch eine wesentliches Element der Parteiarbei.

Politische Partner-Vermittlung

Piraten-Pauli: Gabrile Pauli will mit einer neuen Partei das System verändern, während die Piratenpartei trotz unerwartetem Wahlerfolg bei der Europawahl immer noch händeringend Unterschriften sammeln um überhaupt zugelassen zu werden. Eine politische Ehe auf Zeit scheint sinnvoll – im Parteiprogramm der Piraten ist jedenfalls noch viel Platz.

Unabhängigstenste Aufsichtsfunktionsträger: Nachdem der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar die Internet-Sperrliste nicht beaufsichtigen will, muss sich die Große Koalition eiligst um ein anderes Aufsichtsorgan bemühen, bevor das überaus sorgfältig durchdachte Sperrgesetz in knapp 30 Stunden die letzten Hürden im Bundestag übernimmt. Ich nominiere den ZDF-Fernsehrat, der mit bewährtem Proporz und einem Gespür für die Komplexität der sich schnelllebigen Medienwelt sicherlich auch nicht vor dieser Verantwortung zurückschreckt.

Die Piratenpartei – klarmachen zum Ändern?

Für unwissende Medien ist die Piratenpartei die mit den kostenlosen Downloads. Böse Absicht? Kaum.

Denn obwohl die Piratenpartei in Deutschland über zweieinhalb Jahre existiert und über 1000 Mitglieder hat, ist sie in der netzpolitischen Arbeit in Deutschland heute noch nicht zu entdecken. Sicherlich: man sieht auf den wenigen Demos immer mal wieder Banner der Piratenpartei, selbst auf die Beine gestellt haben die Piraten meines Wissens aber noch nichts. So demonstrieren in Karlsruhe die Gamer, Zensurgegner sammeln sich in einem herrlich unverbindlichen AK Zensur, der CCC streckt seine Fühler nach Nicht-Nerds aus – und nirgends ist die Piratenpartei an der Spitze oder nur vorne dabei.

Das wäre irrelevant, wenn denn die neue Organisation ihre Kräfte gesammelt und in ein durchdachtes Konzept gesteckt hätte. Leider erlebt man eine Enttäuschung, wenn man das Parteiprogramm nachliest. Selbst im Bereich Urheberrechte – was ja zweifellos die Keimzelle dieser europäischen Bewegung ist – steht nicht wirklich mehr als die eingangs erwähnten kostenlosen Downloads drin. Zwar werden auch so nette Dinge wie „Förderung der Kultur“ erwähnt – wie die denn aussehen soll, das wissen die Piraten nicht. Immerhin: die Kulturflatrate wurde als Sackgasse identifiziert. Welches Modell die Piraten für die Zukunft vorsehen, ist mir absolut unklar. Spannende Konzepte, gangbare Alternativen? Bisher Fehlanzeige.

Die Piratenpartei hat ihr Nahziel erreicht: sie haben sich wohl für die Wahlkampfkostenerstattung qualifiziert. Die knapp 230000 Stimmen der Europawahl in Deutschland werden – vielleicht (siehe Kommentare unten) – zirka 200000 Euro in die Kassen der Partei spülen. Das ist keinesfalls üppig für einen Bundestagswahlkampf, für eine Büroadresse zur Koordination der netzpolitischen Arbeit reicht es aber. Die Piraten sind jetzt in der Bringschuld: sie müssen ihre Ressourcen nutzen und zeigen, dass sie als Bewegung eher den Grünen als der STATT-Partei. Dass sie politische Arbeit machen und nicht nur ein Wahlverein sind.

Klarmachen zum Ändern? Sicher, aber fangt nun endlich damit an. Denn jetzt zählt es.