Radiergummi für Ermittlungsfehler

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Radiergummi für Ermittlungsfehler. Jahrelang Hinweise ignoriert? Kein Problem: Schauen wir doch in die Verbindungsdaten, wenn die Justiz dann doch Mal eingeschaltet wurde. Sechs Monate — oder noch besser: zwei Jahre — sollten alles abdecken, was wir verpasst haben.

Nicht vertrauenswürdige V-Männer engagiert? Kein Problem: Mit den Verbindungsdaten schauen wir ihnen nachträglich auf die Finger. Und sehen dann ganz klar, wie sie uns an der Nase herumgeführt hatten. Aber in die Prozessakten müssen wir das nicht geben, oder? Radieren wir den V-Mann aus der Gleichung und alles ist wieder wie vorher. Gebrochene Beine heilen, gebrochene Biografien werden repariert. Die Toten stehen zwar nicht wieder auf, sie werden aber entschädigt.

Verbindungsdaten sind so unfehlbar wie DNA-Tests. Es besteht nie ein Zweifel, wie welche DNA-Spuren zugeordnet werden oder unter welchen Umständen sie hinterlassen wurden. Es gibt keine unregistrierten Handies. Kriminelle verhalten sich wie unbescholtene Bürger und verdecken ihre Spuren nicht. Und wer acht Mal in der Nähe eines Täters ist, wird wohl auch etwas Täter sein. So ein bisschen. Dann schauen wir genau hin. Und machen DNA-Tests. Und sammeln die Verbindungsdaten der Leute ein, die acht Mal in seiner Nähe waren.

Präventiv verachten

Und wieder eine irritierende Meldung:

Auf dem Internetportal Nazis-auslachen.de können Jugendliche jeden Monat zwischen 750 und 250 Euro gewinnen. Am Freitag startete die Kampagne, teilte der Verein „Schüler gegen Antisemitismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit“ mit. Auf der Plattform rufen die Betreiber Jugendliche dazu auf, ihre Videos zum Thema „Nazis auslachen“ online zu stellen und selbst zu bewerten.

„Prävention statt Therapie“ lautet das Motto. Die Idee: Wenn sich die Mehrheit der Jugendlichen auf dem Schulhof oder in der Freizeit täglich über solche Videos unterhält, werden sich labile, der rechten Szene zugeneigte Jugendliche eher selten den Rechtsextremisten zuwenden, weil sie die Verachtung ihrer Mitschüler fürchten, hieß es.

Ahja. Statt Verstand und Toleranz lehren wir einfach Verachtung. Verachtung ist zwar nicht toll – aber wenn wir die Richtigen verachten, ist es schon OK. Und das Ganze hilft gegen Nazis…

Does not compute.

PS:
Da es missverstanden wurde: Ich plädiere nicht für eine Toleranz gegenüber den Intoleranten. Es geht darum, dass man sich schon mit der menschenverachtenden Ideologie der Nazis beschäftigen muss und eben nicht nur Glatzen-Witze machen sollte. Und genau dieser Aspekt fehlt bei der acht so gut gemeinten Aktion. Er wird sogar ins Gegenteil verkehrt.

Hinzu kommt: Nazis sehen sich sehr gerne als arme unterdrückte Minderheit, denen Meinungsfreiheit und Bürgerrechte versagt werden. Wenn man Jugendliche dafür bezahlen muss, dass sie schlechte Witze über Nazis machen, ist das ein Punktgewinn für die Rechtsradikalen.

Unsere Feinde singen unsere Lieder

Eben habe ich an einer Ampel einen kleinen Aufkleber entdeckt, der mich an eine Schäublone erinnert. Darunter eine URL. Ich sehe zu Hause nach – ahja – der „national-soziale Widerstand“.

Das erinnert mich so ein wenig an ein Lied, das Konstantin Wecker in der letzten Folge des alten Scheibenwischer zum Besten gab. Obwohl ich mit Wecker sonst wenig anfangen kann, erinnerte ich mich noch an den Refrain:

Denn unsere Feinde singen unsere Lieder,
Und wenn man Pech hat klatschen Sie sie mit,
denn irgendwie sind wir doch alle Brüder,
im Geiste teils, teils im Profit!
Sie kennen kein Genieren beim Applaudieren,
sie wissen wer ein großer Könner ist,
da gibt es kein sich Zieren beim Tolerieren,
damit die Welt sieht wer ein Gönner ist!
Und unsere Feinde kennen unsere Reime,
Wenn du zitierst wirst, wird dir Angst und Bang.
In den Gesprächen schwimmen sie im Schleime,
und hängen doch am selben Strang!

Übrigens: an der Ampel hängt kein Aufkleber mehr.

Bayern, wie ich es nicht kannte

In den Kommentaren von Stefan Niggemeiers Blog findet sich von diese Schilderung von Marcel, der sich mehrmals als „Halbtürke“ charakterisiert.

Ich bin mir sicher, dass niemand von euch auch je ein gescheites Gespräch mit einem „Nazi” hatte. Ich lebe in einer bayerischen Kleinstadt, in der Türken und Nazis Tür an Tür wohnen, in der man miteinander redet und in der man sich sogar erklärt, warum man eine Gedankenrichtung ausgewählt hat. Nazi ist nicht gleich Nazi.

Wenn ihr mit einem Nazi in der Kneipe sitzt, ihr ihn fragt: „Scheiße, Mann, wieso bist du Nazi?!” Und er antwortet: „Weil ich keinen Bock habe in der Nacht von einer Gruppe betrunkener Türken zusammen geschlagen zu werden.” Was würdet ihr ihm denn da bitte antworten? Ich meine, er hat doch irgendwo recht.

Man wohnt miteinander, redet miteinander und zwischendurch ziehen Gruppen betrunkener Türken herum und schlagen Deutsche zusammen – außer Nazis. Bayern ist doch ein fremdes Land für mich.