Ein Missverständnis über Comedy

Die Debatte um das Umweltsau-Liedchen ist unsäglich, also lasst uns darüber schweigen. Treten wir einen, zwei oder gar drei Schritte zurück, und fragen uns: Was ist Satire eigentlich? Was ist Comedy, was ist ein Witz? Und hier ist mir etwas ausgefallen: Leute scheinen immer mehr der Meinung zu sein, dass Satire und Humor grundsätzlich auf jemandes Kosten geht. Und das ist falsch.

Satire, Comedy, das ganze Humorhandwerk — richtet sich nicht primär gegen eine Gruppe. Man spielt mit Wahrnehmungen, überzeichnet, setzt neue Kontexte oder Perspektiven. Es ist eine Suche nach Identitäten und den Kratzern darin. Man schnappt sich einen Geigenbogen und versucht, ob man damit einen Mülltonnendeckel zum Singen bringen kann.

Comedians betrachten die Welt und versucht sie anhand des Witzes zu verstehen. Zuweilen haben sie keine Ahnung, warum ein bestimmter Witz funktioniert und warum ein anderer Witz nicht funktioniert. Es ist ein lebenslanges Lernen, aber mit genug Jahren kann man Witze schreiben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für andere lustig sind.

Aber ich verliere mich in Allgemeinplätzen. Versuchen wir es mit einem Beispiel. Von 2012 bis 2015 lief auf Comedy Central die Sketch-Comedy-Show: Zutiefst albern, laut, schreckliche Perücken und Akzente. Und eine der Nummern von Key und Peele war Luther, der „Anger translator“. Peele spielte Obama mit seiner fast stoischen Redeweise und den komischen Pausen. Ihm zur Seite stand Key als „Anger translator“, der die distinguierte Rede des Präsidenten in eine schrille Wut-Tirade umsetzte. Seht es Euch an.

Szene aus dem Sketch

Also: Das ist ganz klar ein Witz auf Kosten von Obama, weil er so einen Stock im Arsch hat.

Oder etwa nicht…?

Geht es vielleicht nicht um Obama, sondern um die Hysterie, die auf diesen überdisziplinierten Middle-of-the-road Präsidenten tagtäglich einprasselt? Oder war es etwa ein Spaß darauf, dass der erste schwarze Präsident mit seiner Ivy-League-Ausbildung so gar nicht zu der Community passte, für die er angeblich stand? Egal, das Publikum lachte.

Und dann passierte das: Zur alljährlichen Ansprache beim White House Correspondents‘ Dinner lud Obama den Anger Translator als Co-Redner ein. Und er brachte eine Comedy-Routine zu Stande, die bis heute Legende ist. Gutes Timing, ein gutes Skript, ein perfektes Zusammenspiel zwischen den beiden Charakteren. Guckt es Euch an. Und dann: Guckt es Euch nochmal an.

Screenshot Rede CSPAN

Lange Rede, kurzer Sinn: Humor muss nicht um sich treten, um witzig zu sein — weder nach oben, noch nach unten. Es ist natürlich, dass sich ab und an Menschen verletzt fühlen. Das Parkett ist voll und Comedians tanzen aussschweifend, zuweilen auch mit geschlossenen Augen. Weil sie wissen wollen, was passiert. Weil sie wissen müssen, was passiert. Und wenn sie Leuten absichtlich auf die Zehen treten wollen, dann sitzt schon der erste Tritt.

Wir brauchen bessere WLAN-Einstellungen

Die Süddeutsche Zeitung berichtet über eine neue Schwachstelle im Kurznachrichtendienst RCS. Darin wird der Angriffsvekor beschrieben:

Um eine solche Falle aufzustellen, brauchen Hacker wenig mehr als einen Laptop. Fake-Hotspots könnten kriminelle Hacker beispielsweise am Flughafen neben einer Airline-Lounge betreiben, um potenziell lukrative Opfer zu finden. Sobald die Zielperson in dem falschen Wlan eine Website aufruft, leiten die Hacker die Anfrage auf eine von ihnen kontrollierte Webpage. Das Opfer kann sich dagegen nicht wehren.

Vielleicht sollten wir dies auch als Sicherheitslücke begreifen. Denn der normale Android-Nutzer hat keinerlei Möglichkeiten, Fake-APs zu erkennen. Schlimmer noch: Das Gerät übernimmt es für ihn, sich in ungesicherte Netze einzuwählen.

Ein Beispiel: Ich habe mich neulich an einem privaten Router eingeloggt, der noch die Standard-Kennung für das WLAN nutzte. „FRITZ!Box 6490“ oder ähnliches. Kurze Zeit später bemerkte ich, dass mein Datenverkehr beim weg durch die Stadt immer wieder mal stockte und dass unvermutet eine WLAN-Verbindung angezeigt wurde. Die Lösung: Mein Handy versuchte sich schlicht bei jedem der Router mit diesem WLAN-ID einzuloggen. Was nicht klappt, da die Netze passwortgeschützt sind. Und es gibt Tausende davon.

Ein Screenshot einer WLAN-Liste

Ich habe vergeblich nach einer Möglichkeit gesucht, dies abzuschalten. Der Android-Dialog zu WLANs bietet jedoch keinerlei Option dafür. Obwohl jeder Router eine eindeutige MAC-Adresse hat, unterscheidet Android nicht. Ich kann mir die MAC-Adresse eines Routers auch nicht anzeigen lassen, um zu entscheiden ob es der richtige ist. Erst wenn ich mich bereits verbunden habe, bietet mir Android an, die Details zu dem Netzwerk nachzulesen. Darunter sind die Geräte-IP, der Verschlüsselungs-Standard und die MAC-Adresse. Damit anfangen kann ich jedoch nichts.

Dabei wäre die Lösung relativ einfach. Neben der Option ein Netzwerk zum Autologin zu wählen oder nachträglich zu löschen, sollten wir auch die Möglichkeit haben, uns nur bei einem bestimmten Router einzuloggen. Natürlich bietet eine MAC-Adresse keinen vollendeten Schutz – ein Hacker kann sie ja beliebig manipulieren. Jedoch kann sie dem Nutzer eine Möglichkeit geben, die Gefährdung wesentlich zu reduzieren.

Neben dem Sicherheit- wäre es auch ein Komfort-Gewinn. So musste ich zum Beispiel die Freifunk-APs aus meiner WLAN-Liste nehmen, weil mir die Datenverbindung immer wieder abhanden kam. Solange eine WLAN-Verbindung erhältlich ist, krallen sich Smartphones daran und lassen den Mobilfunk außen vor. Der Empfang von Freifunk ist jedoch meist schlecht, die Datenrate unterirdisch. Und plötzlich setzen Streams aus, Chat-Nachrichten kommen nicht an, dringende Emails gelangen nicht zu mir.

Lange Rede, kurzer Sinn: wir brauchen bessere WLAN-Einstellungen. Warum hatten wir sie nicht von Anfang an?

Impeachment-Podcasts

Es gibt wohl kein besseres Themas für Podcasts als das Impeachment-Verfahren gegen US-Präsident Donald Trump. Jeden interessiert das Thema irgendwie und trotz eines Überangebots an Berichterstattung gibt ein großes Bedürfnis nach einzelnen Stimmen, die Ordnung ins Chaos bringen. Zudem: Der Werbemarkt floriert und man kann endlich gutes Geld mit Podcasts verdienen. Ergebnis: US-Medien haben in den letzten Wochen eine ganze Flut an Spezial-Podcasts gestartet – von CNN bis zu Buzzfeed. Sogar Rudy Guiliani plante einen eigenen Podcast.

Ich habe mir alle angehört und fand die Erfahrung spannend. Denn obwohl sich mittlerweile ein recht einheitliches Podcast-Format herausgebildet hat — vom musikalischen Intro über die Anzahl der Gäste bis zum Tonfall des Moderators — sind die Ansätze sehr verschieden. Sie illustrieren, wie Medienunternehmen funktionieren, wie sie mit Standpunkten und Neutralität umgehen und welches Publikum sie suchen, um Geld zu verdienen. Ein Überblick.

 

Buzzfeed und iHeartRadio: Impeachment Today

Buzzfeed und iHeart Radio haben in ihrem Impeachment-Podcast die gesammelte Kompetenz zur Millenial-Bespaßung zusammengeworfen. Moderiert wird die Sendung vom Buzzfeed-Redakteur Hayes Brown, der ständig viel zu gut gelaunt zu sein scheint. Seine Attitüde: Er trifft seine Zuhörer auf ein IPA-Bier und erzählt ihnen, was heute wieder voll krasses passiert ist. Es ist ein wenig so, als ob er dem Hörer die letzte Folge von Games Of Thrones nacherzählt. Dabei lässt er kaum ein Klischee aus. Um die Abfolge der Zeugen zu erklären, greift Brown etwa zu einem Pokémon-Vergleich.

Trotz der kumpeligen Attiüde ist der Podcast sehr professionell: prägnant, auf den Punkt, durchformatiert. Nach ein paar Minuten, in denen Brown das Tagesgeschehen zusammenfasst gibt es den „Nixon-O-Meter“, auf dem jeweiligen Tag eine Wertung verpasst wird. Dann ein Studiogespräch mit einem Reporter oder einem Experten. Oder ein Hintergrundstück zu einer Person. Am Schluss gibt es dann noch den „Kicker“, also ein Share-Quote, ein Tweet oder ein Meme, das den Tag möglichst prägnant zusammenfassen soll.

Alles in allem ist der Podcast sehr gut produziert und versucht zwischen „News“ und „Noise“ zu unterscheiden. Die allzu gute Laune, die dabei verbreitet wird — Slogan: „Impeachment. What a time to be alive! 🍑“ — stößt mit manchmal etwas störend auf. Der Informationsgehalt hält sich aber deutlich in Grenzen — viel zu bemüht, versucht das Format zu vermeiden, dass die Aufmerksamkeit abschweift und die Hörer einfach auf den nächsten Podcast wechseln. Deshalb lohnt eher für Leute, die sich noch nie mit den Unterschieden zwischen Senat und Repräsentenhaus befasst haben und dringend eine positive Attitüde suchen.

 

Washington Post: Impeachment Inquiry

Deutlich anders ist die Herangehensweise der Washington Post — wenn auch nicht weniger professionell. Die Hauptstadt-Zeitung baut hauptsächlich auf eigene Reporter und das eigene Motto: „Democracy dies in darkness“. Statt um die Unterhaltung der Zuhörer geht es um pure Information und Analyse. Wer hat was gesagt? Was bedeutet das im Kontext des Verfahrens? Welche Bezüge muss der Zuhörer ziehen, um die gesamte Tragweite zu verstehen?

Der Podcast ist deutlich mehr aktualitätsorientiert — deshalb kann es auch schon mal passieren, dass gleich zwei Folgen an einem Tag veröffentlicht werden. Zielgruppe sind offenbar die Polit-Junkies, die sich dauernd auf dem Laufenden halten wollen. Gleichzeitig muss man sagen: Die Investitionen von Jeff Bezos ins Digitale und Multimediale haben sich gelohnt. Wir haben es mit Reportern zu tun, die am Mikrofon trainiert sind, zuweilen untermalt Hintergrundmusik die aktuelle Zusammenfassung.

Während der Buzzfeed-Podcast zu gut gelaunt, kommt die Washington Post stellenweise etwas zu trocken rüber. In Gesprächen mit den eigenen Reportern wird ab und zu etwas Persönlichkeit eingebracht, was dann teilweise wieder zu Lasten der Genauigkeit geht.

 

NBC News: Article II: Inside Impeachment

Wie sehr das Ursprungs-Medium auf einen Podcast wirkt, kann man bei NBC verfolgen. Wir kennen den Vorwurf seit vielen Jahren, dass Journalisten und insbesondere Fernseh-Nachrichtenprogramme eine Pseudo-Neutralität entwickelt haben: Sie wollen grundsätzlich beide Seiten eines Konflikts darstellen — selbst wenn es eigentlich nur eine Seite gibt. Ergebnis: Experten für den Klimawandel mussten sich konstant den Bildschirm mit Leuten teilen, die aus eigener Überzeugung oder gegen Bezahlung die Realität negierten und deren einziges Arguiment daraus besteht, die andere Seite niederzuschreien. Oder anders gesagt: Good TV.

Diese Haltung merkt man auch noch im Jahr 2019 und auch in einem Podcast, der sich ja nicht an die Konventionen des Bildschirms halten müsste. Schließlich gibt es hier auch keine Splitscreens wo bis zu acht Leute durcheinander reden. Dennoch zeigt sich der Gedanke, dass sich journalistische Fairness in Sendeminuten manifestiert, auch hier. Oft hören wir etwa erstaunlich lange die Einlassungen von Devin Nunes, selbst wenn der absolut nichts Erhellendes sagt. Denn schließlich hat auch der Podcast lange O-Töne von den Zeugen und Demokraten.

Immerhin: Im Podcast tut niemand mehr so, dass alles legitime Standpunkte wären. In einer Episode rechtfertigt sich der für das Weiße Haus zuständige Korrespondent Geoff Bennett sogar, dass seine Analyse so einseitig ausfällt.

And when I say that, I realize that we live in an era in which the President has cast the pursuit of truth as a partisan enterprise. And so saying things that are steeped in my own reporting and my own just knowledge of how this whole thing has worked because I’ve been so close to it for three months, it sounds as if I’m editorializing. It sounds as if I’m being partisan. But it really is not. It’s a reflection of the now 15 witnesses who have provided 112 hours of testimony, our reporting based on that testimony, and then the 11 transcripts that we’ve read so far.

Man kann aus dem Eingeständnis eine positive und eine negative Erkenntnis ziehen. Über Jahrzehnte haben Medien aus falsch verstandener, institutionalierter und ineffektiver Neutralität immer extremeren Positionen eine Plattform geboten, während der gesellschaftliche Diskurs immer mehr von Leuten bestimmt wird, die keinerlei Neutralitätsgebot mehr kennen. Der Impeachment-Prozess ist auf viele Weise das Ergebnis dieser Entwicklung: So sind es auch Artikel in etablierten Medien wie Politico, The Hill und The New York Times, auf die sich die Verschwörungstheorien stützen, die Trump und Konsorten zu ihrem Vorgehen in der Ukraine inspiriert haben. Die positive Nachricht: Die institutionalisierten Journalisten bemerken es nun.

CNN: The Daily DC: Impeachment Watch

CNN hatte dieses Neutralitätsproblem in den vergangenen Jahren auf die Spitze getrieben. Man lädt nicht nur die eifrigsten und lautesten Partisanen in die eigenen Sendungen ein, man engagiert sie direkt. Dies gipfelte in einem Anstellungs-Vertrag für Trumps Kampagnen-Manager Corey Lewandowski, obwohl der eine Breitbart-Reporterin sogar physisch angegriffen haben soll und offensichtlich keinerlei Interesse an einer faktenbasierten oder ehrlichen Berichterstattung hat.

Screenshot CNN-Podcast

In „Impeachment Watch“ zeigt CNN, das eine solche Drehtür zwischen Politik und Massenmedien nicht nur Schreihälse nach vorne holt, sondern auch institutionelles Gedächtnis nutzbar macht. Dies wird zum Beispiel klar, wenn Samantha Vinograd auftritt, die unter Obama im National Security Council gearbeitet hat. Diese Perspektive bietet durchaus interessante Punkte. So kennen die ehemaligen „political operatives“ das Geschäft und verschwenden keine Zeit damit, sich darüber zu amüsieren, dass Republikaner einem Zeugen wie David Holmes keine Fragen stellen, sondern die TV-Übertragungen lieber für eigene Statements nutzen. Denn natürlich spielt der Zeitablauf des Verfahrens eine große Rolle und man will der amerikanischen Öffentlichkeit über Thanksgiving die wichtigsten Talking Points mitgeben.

 

Vox: Impeachment, Explained

Ezra Klein hat einen ähnlichen Weg gewählt. Seine Karriere startete er als Wahlkämpfer für die Demokraten, sattelte aber recht schnell zum Politjournalismus über. Mit VOX.com hat er das onlinejournalistische Äquivalent der TED-Talks geschaffen: Hier bietet er dem Publikum nicht nur einen Point Of View an, sondern erklärt auch in langen Hintergrundstücken, wie man zu diesem Standpunkt gelangen musste. Wöchentlich spricht Klein in seinem Podcast mit Autoren über ihre neuen Bücher über Politik und Gesellschaft, indem er über mehr als eine Stunde den Eindruck erweckt, jedes Buch tatsächlich gelesen zu haben. Kleins Fairness-Doktrin lässt sich so beschreiben: Wer ein Argument vorzubringen hat, hat einen Platz im öffentlichen Diskurs. Dabei lädt er auch konservative Denker ein, zieht dort aber eine Grenze zum „Denker“. Sprich: Trump-Fans wird man bei ihm nicht hören. Klein hat die These der Demokraten, dass „government“ eine positive Kraft ist, die das Leben der Menschen verbessern soll, auf seinen Journalismus übertragen.

In Impeachment, Explained gibt es zirka einmal pro Woche einen Podcast, der die Hintergründe des Impeachment-Prozesses erläutert. Es ist in gewisser Weise ein Best Of der Berichterstattung der vergangenen Woche bei VOX. So erklärt Klein in „What’s wrong with the Republican Party?“ eine seiner liebsten Thesen: Der politische Prozess hat sich hauptsächlich geändert, weil sich die republikanische Partei geändert hat — von einer werteorientierten Partei nach europäischem Vorbild zu einem prinzipienfreien Kampagnentool, das mal von Abtreibungs-Gegnern, mal von der NRA, mal von radikalen Steuer-Gegnern genutzt wird und sich zu ständig neuen Extremen aufschaukelt.

Klein beleuchtet die Situation aus demokratischer Perspektive, separiert sich aber klar von den institutionellen Demokraten selbst. Dadurch, dass er immer einen Schritt vom aktuellen Geschehen zurücktritt, kann er Unterschiede klarer benennen. So wird bei ihm deutlicher als bei anderen, dass EU-Botschafter Gordon Sondland, einen wichtigen Punkt für eine Impeachment-Anklage gerade nicht unterstützt wollte — nämlich, dass die Militärhilfe für die Ukraine aus politischen Gründen zurückgehalten werden sollte.

 

Crooked Media: Rubicon – The Impeachment of Donald Trump.

Ein Gegenstück zu Ezra Klein ist Crooked Media. Doch statt sich dem Journalismus zu verschreiben, haben die Gründer, die allesamt Posten in der Obama-Regierung hatten, eine andere Strategie gewählt: Sie betreiben politischen Aktivismus mit den Mitteln des Journalismus. So wie Trump-Anhänger sich einst stolz als „deplorables“ präsentierten, hat „Crooked Media“ den Vorwurf angenommen, dass die Medien immer auf Seiten der Demokraten seien. Und produziert Shows, die sich durchweg an „the Resistance“ reden.

Immerhin macht Chefredakteur Brian Beutler aus diesem Umstand kein Geheimnis. Trumps Getreue werden etwas durchweg als „henchmen“ bezeichnet. Wenn er einen O-Ton von David Nunes einspielt, blendet er auch gleich künstliches Gelächter ein, um keinen Zweifel daran zu lassen, wie lächerlich er die Argumente der Gegenseite findet. Das zentrale Thema des Podcasts ist eine unbändige Wut. Wie der Titel sagt: Donald Trump hat den „Rubicon“ überschritten. Und wie vermutlich jeder mit großem Latinum weiß, war das der Punkt, als Julius Caesar mit seiner Armee die römische Republik beendete und aus dem Imperium ein Kaiserreich machte.

Die Wut ist das Erfrischende an dem Podcast. Zuweilen machen Beutler und sein Gast einen Punkt, der im Wirrwarr der aktuellen Berichterstattung unterging. Etwas lähmend wird es dann jedoch meist im zweiten Teil der Sendung, wenn es nicht mehr um Empörung geht, sondern um eine Art Brainstorming: Wie kann man die Blöße des Präsidenten am effektivsten im politischen Prozess gegen ihn einesetzen? Es ist eine kleine Planungs-Session inoffizieller demokratischer Strategen. Und wenn man Wut im Bauch hat — will man dann wirklich durch den legislativen Kalender blättern? Hier zeigt sich, dass Crooked Media nicht etwa das Geschöpf von Aktivisten wie AOC ist, sondern eine Bastion im Clinton-Lager darstellt: Zentristisch, institutionell, leidenschaftlich und zutiefst awkward.

 

WNYC: Impeachment: A Daily Podcast

Brian Lehrer ist ein Urgestein des NPR-Rundfunks in den USA. Seit 1989 hat er eine Call-In-Show, in der die insbesodnere politischen Themen des Tages besprochen werden. Dabei hat er Autoren zu Gast, Experten und einmal die Woche den Bürgermeister von New York City Bill de Blasio. Die Gesprächspartner dürfen zuerst über ihre Arbeit sprechen und müssen sich dann einigen Hörerfragen stellen.

Screenshot Brian Lehrer Podcast

Lehrers Heimatstation WNYC ist grade voll auf den Podcast-Zug aufgesprungen und hat auch meinen Lieblings-Podcasts-Client Pocket Casts gekauft. Deshalb gibt es nun einen eigenen Impeachment-Podcast. Der ist freilich nur eine Auskopplung aus Lehrers täglichen Sendung, die sich in mindestens einem Segment mit der Amtsenthebung und dem Neuen aus Washington beschäftigt.

Wer wissen will, was an dem Tage grade die Geschichte ist, über die jeder sagt, dass jeder über sie spricht, ist bei Brian Lehrer richtig. Seine väterliche, immer freundliche Stimme geht leicht ins Ohr, er leitet die Gäste gekonnt durch alle wichtigen Argumente und bringt auch mal Widerspruch an, wenn dieser bereits medial hörbar war. Beim Anruf-Part muss man sich aber auch auf Schocks gefasst machen. Denn wie die scheinbar so klaren Narrative bei dem anrufenden Publikum aufgenommen werden, ist oft genug überraschend. Hier hat die Redaktion sogar eine neue Form der Interaktion gefunden: Hörer sollen ihren eigenen „Article Of Impeachment“ gegen Trump schreiben, auf die dann die Trump-Unterstützer und Konservative schließlich live auf Sendung antworten können sollen.

Steltermania – Über Karneval und Humor

Wir sind nun am Tag vier des üblichen Pseudo-Skandals zum Kölner Karneval angekommen. Ganz Deutschland diskutiert über die Frage: Darf man Witze über Doppelnamen machen??? Und was denkt Bernd Stelter dazu, der Nicolás Maduro der deutschen Comedy?

Was mich etwas enttäuscht: Es wurde so viel drüber geschrieben, doch irgendwie fällt es niemandem auf: Da war überhaupt kein Witz. Bernd Stelter hat den Namen von Annegret Kramp-Karrenbauer einfach nur höhnisch ausgesprochen — und das war es auch schon. Keine Pointe, nichts. Nur ein paar Prämissen: Er baute darauf, dass das schon ausreicht. Niemand im Festsaal mag die Politiker da oben, niemand mag Emanzen — und niemand will eine sein.

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Das Haupt-Problem an der Kalkulation: Wir schreiben das Jahr 2019. Und tatsächlich stand eine Zuschauerin auf und geigte Stelter für ein paar Sekunden(!) die Meinung. Wir sind wirklich in einem Humor-Entwicklungsland, wenn es uns so bemerkenswert erscheint, dass ein Comedian angeschnauzt wird. Aber nein, es war nicht einfach ein Comedian. Die Frau hat ein ein Heiligtum, den Status Quo, den Karneval beleidigt. Oder in den Worten der Geheiligten Schrift des Express:

Hätte er Witze über Religionen, Minderheiten oder unter der Gürtellinie gemacht, könnte man das Verhalten der Dame noch im Ansatz verstehen. Doch es ging schlicht: um einen Doppelnamen. Unfassbar! Der Kölner Karneval ist weltoffen, das soll auch so bleiben. Aber eines muss klar sein: Egal ob Randalierer oder Sitzungsstörer – solche Typen haben hier im Kölner Karneval nichts zu suchen.

Die katholische Gürtellinie

Um Gottes Willen – Bernd Stelter soll Witze über Religion machen? Wo er doch beabsichtigt niemanden zu beleidigen? Was soll das für ein Witz sein? Kardinal Meisner war über Jahrzehnte ein Witz – und er konnte immer versichert sein, dass der Karneval auf seiner Seite ist. Im Großen und Ganzen. Leute wie Stelter suchen lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner für ein Saalprogramm, das sie wortgleich fünf bis zehn Mal am Tag heraustrompeten können. Eintrittspreis: 40 Euro. Kölsch geht extra. Und ihr braucht eine Menge Kölsch.

Ich fände es wirklich komisch – in beiden Sinnen des Wortes — wenn diese Episode einen positiven Effekt hätte. Die Lehre sollte aber nicht sein: Du darfst keine Witze über Doppelnamen machen. Sondern: Du sollst richtige Witze machen. Und das ist schwere Arbeit, für die es Profis braucht.

Comedy ist vergänglich. Wer meint, dass ein Witz, der vor 50 Jahren gut war, heute noch unverändert gut ist, sollte sich in eine Humorklinik begeben. Wer meint, dass die gleichen Doofwitze der immer gleichen Nasen das sind, was den Kölner Karneval groß macht — die Technik ist inzwischen soweit, dass man ein Hologramm von Dieter Hallervorden auf die Bühne stellen kann. Palimm-Palimm! Haben sie eine Flasche Pommes? Zeitlos! Gegen Aufpreis auch mit Kölschem Akzent. Gesprochen von einem Bläck Fööss. Oder einem Kasalla.

Wer Witze machen will, sollte neugierig sein. Die Lebenswirklichkeit einatmen und ständig reflektieren. Ich erwarte von Comedians keine perfekt ausgewogenen Berichte, die uns Journalisten Konkurrenz machen. (Meta-Pointe!) Aber Comedy sollte zumindest eine emotionale Wahrheit transportieren. Und Comedy sollte ein Dialog sein. Wer mit einer Nummer nicht ab und zu Schiffbruch erleidet, traut sich einfach nichts, sondern sucht lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Heil Alaaf!

Im Zuge der Debatte wird immer wieder ein Karnevals-Redner zitiert. 1973 schaffte es Jonny Burchhardt, dass ihm ein kompletter Saal auf sein „Sieg“ von der Bühne mit einem spontanen „Heil“ antwortete.

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Er wechselte flugs zu einem Frisör-Witz, um sein Publikum nicht zu viel Zeit zu lassen. Die durften um Gottes Willen nicht darüber nachdenken, dass der Redner da vorne sie grade als Nazis vorgeführt hatte. Ich nehme an, das ist das letzte dokumentierte Beispiel von Humor im Kölner Karneval, bei dem das Publikum tatsächlich motiviert wurde, über sich und die eigenen Lebensumstände nachzudenken.

Um Kant zu zitieren: Comedy ist der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Einst stand Karneval für das erste, nun ist er das zweite.

Ich liebe Comedy. Ich gucke viel zu viel Comedy. Ich gehe in Comedy-Clubs. Und ich warte eigentlich darauf, dass mich Leute beleidigen. Das passiert jedoch nie. Denn ich bin die Zielgruppe, die lachen soll, weil sie den Eintritt bezahlt. Neulich versuchte ein junger Comedian, der im Ausland geboren war, eine Ungeheuerlichkeit: Er nannte uns im Publikum — ungeheuerlich! — „Kartoffeln“. Weil: Deutsche. Ich wartete verzweifelt auf die Pointe, aber es kam keine. Doch da kamen allenfalls ein paar Schocklacher: Da auf der Bühne hat jemand ein Pipi-Wort gesagt!

Comedians: Wenn ich lachen soll, strengt euch an. Stellt die Glaubenssätze meiner Existenz in Frage. Verachtet meinen Musikgeschmack. Erzählt mir über meinen Job, aber gebt mir das Gefühl, dass ihr Ahnung habt, wovon ihr sprecht.

Und Publikum: Wenn ihr 40, 60, 150 Euro für eine Eintrittskarte einer Sitzung bezahlt, dürft ihr Profis erwarten. Profis, die auch mal ein Publikum lesen und ihre Nummern anpassen können. Nicht um sie zu verschonen, sondern um den Punkt zu finden, wo es tatsächlich weh tut. Und das heißt nicht, dass das in eine Beleidigungsorgie ausarten soll. Man soll halt etwas spüren. Ein wirklicher Witz pro Stunde — ist das denn zu viel verlangt?

Falls ihr hingegen nur Blondinenwitze hören wollt, zahlt das Kölsch mit einem Aufpreis dafür, dass Ihr Euch für ein, zwei Stunden nicht mit Ehepartnern und Freunden unterhalten musstet. Und dann schwankt stillvergnügt — mit Betonung auf „still“ — nach Hause.

Das Grundproblem mit Artikel 11, Artikel 13 und dem ganzen Rest

Ich hab jetzt doch mal in die konkreten Vorschriften zu der vorgeschlagenen EU-Urheberrechtsreform geguckt — und es ist schlichtweg ein schlechtes Gesetz. Über die vielen Kompromisse, Missverständnisse und handwerklichen Fehler wurde ja genug geredet — aber ich glaube das eigentliche Problem sind die Grundannahmen. Der Gesetzestext geht davon aus es gebe hier einen Informationsmarkt im Ungleichgewicht. Man muss schlicht einer Seite etwas wegnehmen und schon pendelt sich wieder ein gesundes Gleichgewicht ein.

Die vorgeschlagene Maßnahme ist quasi ein Strafzoll — man verzeihe mir die Metapher. Das Problem: Strafzölle bringen nur Geld ein, wenn etwas importiert wird. Die Urheberrechts-Lobbyisten sagen: Da Google, Facebook und Co von Informationen leben, kommen sie ohne unsere Infos nicht aus. Wir sitzen am längeren Hebel. Wie bei Amazon und New York City stellt sich heraus: Nein.

Das kommt für niemanden überraschend, der die letzten Jahre ein wenig Aufmerksamkeit auf das Thema verwendet hat. Wir können es an so vielen Stellen sehen. Derzeit verlieren hunderte Kollegen in den USA ihre Jobs, weil Facebook ein bisschen müde war, wie viel Arbeit ihnen Nachrichten machen und wie sehr das Image der Firma leidet, weil das Management mit dem Problem ‚Fake News‘ einfach nicht umgehen kann. Zuckerberg versucht nicht mal den Journalismus abzustrafen und tut es trotzdem. Was passiert wohl, wenn man eine Steuer draufschlägt?

Nächste Woche wird die deutsche Werbewirtschaft ihre Zahlen publizieren — und ich wette die Suchmaschinen-Einahmen von Google sind wieder gestiegen. Und zwar nicht, weil sie so perfekt die besten journalistischen Produkte integriert haben, sondern weil Leute nach Bluetooth-Kopfhörern googeln und Kopfhörer-Hersteller die Gelegenheit ergreifen, dort zu annoncieren.

Wisst ihr, wer der aktuelle Star der Werbeszene ist? Amazon. Weil: Wo kann man besser seine Ware anpreisen als in einem Katalog von quasi jedem lieferbaren Produkt? Hier in Deutschland macht Otto das gleiche. Wir sind vermutlich nur wenige Jahre davon entfernt, dass ALDI Werbeschaltungen in seinem ALDI-Prospekt einführt. Es wird ziemlich schwer zu begründen sein, dass Amazon, dass ALDI Urhebern ein Stück des Geldes abgeben soll, weil die kreativ Schaffenden Musikvideos produzieren und die Äußerungen der Kanzlerin analysieren.

(BTW: Plattformen wie Amazon sind in der EU-Urheberrechtsreform ausdrücklich von der Haftung ausgeschlossen worden. Obwohl es auf diesen Marktplätzen sehr wohl substantielle Urheberrechtsprobleme gibt: Produktbeschreibungen und Produktfotos werden haufenweise geklaut.)

Wenn man über den „value gap“ reden will, muss man über den „value gap“ reden. Wie finanzieren wir die Infrastruktur, die wir für eine informierte Öffentlichkeit brauchen? Muss die durch und durch datengetriebene Werbefinanzierung zurückgedrängt werden? Wie stellen wir dann sicher, dass nicht nur die Großverdiener wichtige Informationen erhalten? Nur an den Symptomen herumzudoktern, wie es diese Reform versucht, wird uns dabei nicht helfen.

Kommt alle mal wieder runter!

Robert Habeck hat seinen Twitter- und seinen Facebook-Account gelöscht. Ich halte den Schritt mittelfristig für einen Fehler und keine wirklich durchdachte politische Botschaft, aber ich verstehe sie menschlich.

Was ich nicht verstehe, ist der riesige Bohei, der nun darum veranstaltet wird und der sogar in meine Timelines rüberschwappt. Es gibt Leute, die ihm zustimmen und Leute, die in der Löschung mehr als ein persönliches Statement sehe. Und das ist Okay so. Was ich befremdlich finde, ist die Sprache.

Zum Beispiel bei denen, die sich auf Habecks Seite schlagen:

https://twitter.com/Schroeder_Live/status/1082311198794747905

Zum Beispiel bei denen, die sich nicht auf Habecks Seite schlagen:

https://www.facebook.com/micky.beisenherz/posts/10157331324466535

Habeck wurde gelyncht? Really? Weil er einen Trip ins Alttestamentarische unternahm??? Wovon redet ihr da eigentlich?

KOMMT MAL ALLE WIEDER RUNTER. Man kann auch über Dinge diskutieren, ohne in die absurdesten Metaphern oder Superlative zu verfallen.

Framing-Vorwürfe als Framing

Es ist wie bei so vielen Befähigungen: Ein bisschen Medienkompetenz ist manchmal schlimmer als gar keine. Gestern fiel mir zum Beispiel dieser Tweet auf, der eifrigst verbreitet wurde:

Quelle: https://twitter.com/mikofLohr/status/1071867429205229570

Die Botschaft des Tweets ist klar: Die Medien benutzen jeden Trick, um die legitimen Proteste in Frankreich als gewalttätig erscheinen zu lassen. Ein klassisches Beispiel von Framing: Jemand wählt einen Bildausschnitt so, dass ein gezielt falscher Eindruck erzeugt wird. So scheint es zumindest.

Doch auch nur eine flüchtige Betrachtung des Ganzen sollte zeigen: Beide Bilder zeigen unterschiedliche Szenen. Die Objektive der Fotografen beim Winzfeuer zeigen nach unten – jemand müsste sich schon unmittelbar vor das Feuerchen legen, um Triumphbogen und Flammen gleichzeitig auf das Bild zu bekommen. Aber selbst dann bekäme man kein annähernd scharfes Bild hin.

Das wichtigere Problem ist aber: Niemand in Paris musste in den letzten Tagen solche Tricks verwenden. Es wimmelt von Fotos, auf denen man brennende Autos sieht — und das sind keine Spielzeugautos, die mit Tele-Objektiven fotografiert wurden. Die Rauchschwaden, das Polizeiaufgebot und das Tränengas über den Champs-Élysées bestimmen die Bildberichterstattung. Und zumindest ein Teil der Demonstranten inszeniert dies absichtlich so – denn nur über drastische Bilder kann man Politiker vermeintlich zum Einlenken bewegen.

Zweites Beispiel: Die Facebook-Präsenz Perlen des Lokaljournalismus zeigt diese Ausschnitte einer ungenannten Zeitung:

Quelle: https://www.facebook.com/perlendeslokaljournalismus/photos/a.260690807442526/1099530543558544/

Ganz klar: Zwei Mal die gleiche Person, jedoch unterschiedliche Namen und Altersangaben. Der hervorgehobene Kommentar (124 Likes!) darunter weiß zwei Erklärungen zu identifizieren – beide wenig schmeichelhaft:

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sich dem Tweet gewidmet, der inzwischen auf einem anderen Account 32000 Retweets und eine Reihe irreführender Artikel angesammelt hatte. Ihr Ergebnis: Die Fotos stammen nicht mal vom selben Tag. Das gleiche Ergebnis bei T-Online.

You are not the product

Solche Sätze werden wir in den nächsten Tagen öfter hören.

Though Facebook has made a few changes to make privacy control better, that basic calculus has not changed, and the old adage still applies: If you’re not paying for something, you are the product.

Wenn Du für einen Dienst nicht zahlst, dann bist Du das Produkt! Das ist ein schöner Sinnspruch, der Menschen zu gesundem Misstrauen auffordert. Und dennoch ist er falsch. Und zwar in Sachen Facebook/Cambridge Analytica ganz entscheidend falsch, da er den Blick dafür verstellt, was hier passiert ist.

Wären die Nutzer das Produkt, wäre Facebook niemals so nachlässig mit den Daten umgegangen. Wäre der Nutzer das Produkt, wäre das Geschäft eigentlich abgeschlossen, sobald ihr einmal die Facebook-App auf Eurem Smartphone installiert habt, wo Euer Adressbuch liegt.

Doch das eigentliche Produkt seid nicht ihr selbst, es ist Eure Aufmerksamkeit. Facebook konnte so nachlässig mit seinen Daten sein, da die Werbetreibenden mutmaßlich keinen Ausspielkanal hatten, mit dem sie die erhobenen Daten verwerten konnten — außer eben Werbung auf Facebook zu schalten, zielgenaue Inhalte auf Facebook zu posten. Kalkuliert war eine Win-Win-Situation. Irgendwelche App-Betreiber bekommen Zugang zu Daten, mit denen sie mehr Aufmerksamkeit generieren können, die sie irgendwie in Geld umwandeln. (Oder auch nicht. Zynga lässt grüßen.)

Wer jedoch mehr Aufmerksamkeit und mehr Geld haben will, muss immer zu Facebook zurückkommen, muss die Leute zu mehr Klicks animieren und damit auch wieder die gewonnenen Daten zurück zu Facebook überführen. Was Facebook nutzen wollte, um mehr Werbeplätze zu verkaufen.

Anzeige wegen einer Anzeige

Ich berichte nun schon einige Jahre über Online-Werbung und manches begreife ich einfach nicht. Zum Beispiel: Warum gibt es immer noch „Rogue Redirects“ – also auf Websites eingeschmuggelte Werbeskripte, die den Nutzer auf einer fremde Betrugs-Website umleiten?

Ich habe im vergangenen Jahr schon mal über die Nerv-Pop-Ups berichtet. Und viele andere haben es auch getan. Doch obwohl eigentlich jeder Marktteilnehmer über die Masche Bescheid weiß, klappt sie immer noch. Es ist auch furchtbar einfach: Man bucht unter falschem Namen Werbeplätze auf mehr oder weniger renommierten Websites und sobald die Auslieferung beginnt, schiebt man dem Werbe-Netzwerk eine kleines Zusatz-Skript unter.

Als Nicht-Branchen-Insider nahm ich an, das Thema wäre schnell gegessen. Wenn Google, Appnexus und Co endlich mal auf den Dreh gekommen sind und auf die Dringlichkeit des Problems hingewiesen werden, dann basteln sie schnell einen Filter. Dieser Filter muss ja nichts besonderes können. Er muss nur die Frage beantworten: Öffnet dieses Skript ohne Nutzerinteraktion eine neue Website, die wir nicht kennen? Doch niemand programmiert diesen Filter und schaltet ihn frei. Und so geht es immer weiter. Mal werden Schrott-Apps verhökert, mal werden die persönlichen Daten der Opfer meistbietend verkauft.

Was auch erschreckend ist: Das Schweigekartell. Ich habe Dutzende von Firmen drauf angesprochen, wieso denn solche Betrug seit Jahren toleriert wird. Auch viele Medien, die diese zutiefst rufschädigenden Skripte auf ihren Webseiten ausgeliefert hatten, schweigen zu den an sich sehr einfachen Fragen: Woher kam die Anzeige? Und was wollt ihr dagegen tun?

Heute habe ich mal eine neue Methode ausprobiert. Als ich von der Website des Kölner Stadt-Anzeigers auf eine Scareware-Website weitergeleitet wurde, die mir etwas von der Vireninfektion meines Computers vorgelogen hat und die mir irgendeine Adware installieren wollte, habe ich Strafanzeige gegen unbekannt gestellt.

Es wäre doch zu schön, wenn sich die nagelneuen auf Internetvergehen spezialisierten Kommissariate und Staatsanwaltschaften mal diesem Problem widmen, das nur existieren kann, wenn die Betrüger tagtäglich tausende Opfer finden, wenn in der langen Lieferkette der Online-Werbung niemand Identitäten der Kunden überprüft. Ich wünsche mir, dass bei den Firmen endlich Ermittler anrufen, denen es egal ist, wenn die Beihilfe zum Betrug durch Non-Disclosure Agreements abgedeckt ist. Und die auch zur Vernehmung vorladen können. Denen ein „Passiert garantiert nicht wieder“ nicht reicht, sondern ein wenig Druck machen. Es müsste ja gar nicht so viel Druck sein. Nur so viel, dass es sich nicht mehr rechnet den kriminellen Abschaum der Werbebranche auf seine Plattformen zu lassen.

I don’t like Mondays

And he can see no reason
‚Cause there are no reasons
What reason do you need to be sure.

Heute fand ich mich an „I don’t like Mondays“ von den Boomtown Rats erinnert. Ich hab sehr spät erfahren, dass dieses ja eher heiter anmutende Lied sich um eine 16jährige dreht, die von ihrem Fenster aus auf eine Schule schoss, zwei Menschen tötete und neun verletzte. Der noch junge Bob Geldof hörte die Berichte und fand sich zu dem Lied inspiriert. Aus der Wikipedia zitiert: „Während ich dort saß, lehnte ein junges Mädchen namens Brenda Spencer mit einer Pistole aus ihrem Schlafzimmerfenster und schoss auf Leute in ihrer Schule auf der anderen Straßenseite. Was dann passierte, erschien mir als einzigartig amerikanisch. Ein Journalist rief sie an. Sie nahm den Hörer ab, an und für sich schon eine bizarre Unterbrechung, wenn man dabei ist, wildfremde Menschen umzubringen. Er fragte sie, warum sie das tut. Sie überlegte kurz und sagte dann: ‚Nichts los. Ich mag keine Montage.‘

Heute morgen haben wir immer noch keine Ahnung von den Motiven des Mannes, der gestern in Las Vegas über 60 Menschen getötet und Hunderte verletzt hat. Und diese Unwissenheit nagt an der Öffentlichkeit. Wir sind es nicht mehr gewohnt.

Tatsächlich haben wir äußerst selten eine Ahnung, was einen Menschen wirklich dazu treibt, andere zu töten und den eigenen Tod mitzuplanen. Oder Bomben zu legen, Dutzende zu erschießen und sich dann schnell zu verstecken. Wir stecken den Wahnsinn stattdessen in Schubladen. Der Täter war radikalisiert. Der Täter gehörte der IS an. Der Täter war ein Opfer von Bullies. Der Täter war traumatisiert und geistesgestört. In den USA ist eine Schublade besonders groß: Es war ein Angriff auf unsere Freiheit. Wenn einmal eine solche Schublade gefunden ist, sind wir, ist die Öffentlichkeit beruhigt. Man muss sich nicht mehr wirklich viele Gedanken machen. Alles geht seinen Gang. Und wir können mental wieder genau dahin zurückkehren, wo wir vorher waren. Mit ein wenig mehr Angst. Und Ressentiments.

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Diese Schubladen sind hochpolitisch. Ich bin gestern zufällig auf einen Artikel in der Everipedia gestoßen, wo ein ganzer Artikel zu einem Mann aus Arkansas erschien, der ihn — fälschlicherweise — als mutmaßlichen Täter vorstellte. Flugs suchten viele Leute nach Informationen über diesen Mann und konzentrierten sich darauf: Wen hat er auf Facebook geliket? Wen hat er gewählt? Es kam nicht drauf an, die Tat aufzuklären oder zu begreifen, die Nutzer suchten nur schnellstmöglich eine Schublade. Und gezielt wurde einer Frage nachgegangen: War er für Trump oder gegen ihn?

Der Mann ist offenbar Wähler der Demokraten und er klickte auf Facebook-Gruppen, die Donald Trump des Amtes entheben wollen. Flugs verbreitete sich die triumphierende Nachricht: Der Mörder ist ein Trump-Hasser. Trump-Anhänger haben also die moralische Oberhand. Auch nachdem sich herausgestellt hat, dass der Mann eben überhaupt nichts mit den Morden zu tun hatte, obwohl Klicks auf paar Facebook-Gruppen noch weit vom Fanatismus entfernt sind, wird die Nachricht immer weiter verbreitet. Hätte der Mann Trump gewählt, wäre diese Nachricht wahrscheinlich auch schnell weitergetragen worden.

Noch immer wissen wir nicht, was die 16jährige 1979 dazu bewog, auf eine Schule zu schießen. Noch immer wissen wir nicht, warum der Mörder von Las Vegas schoss. Doch eine Schublade wird man sicher bald schon finden.

And he can see no reason
‚Cause there are no reasons
What reason do you need to be sure.