Missverständnisse zu Bitcoins und Geld

Grade ist der Hype um die „Cryptowährung“ Bitcoin besonders hoch. Was mir auffällt: Selbst die größten Fans haben einige sehr vage Vorstellungen, was Bitcoin überhaupt ist. Oder was Geld ist. Damit unterscheiden sie sich freilich nicht von den meisten anderen Leuten.

Gerade das Durchbrechen der 10000-Dollar-Marke wird von vielen als unumstößlicher Erfolg der Währung gesehen. Doch eigentlich ist es das nicht — im Gegenteil. Denn Geld ist nicht aus einem Selbstzweck da. Es dient dazu, dass man handeln kann.

Ganz simpel gesagt: Wer das Gut X braucht und dafür seine Arbeitskraft Y anbieten kann, ist dank Geld nicht darauf angewiesen, dass sein Arbeitgeber das Gut X hat, um es dann bei ihm abzuarbeiten. Der Bauer muss dank Geld keinen Autohändler suchen, der Wirsingköpfe gegen Winterreifen eintauscht. Durch ein funktionierendes Geldsystem ist sichergestellt, dass sich Handel an Handel an Handel reiht, so dass möglichst viele Geschäfte gemacht werden können, die — so zumindest das Ziel der Volkswirtschaftslehre — dazu führen soll, dass möglichst viele Güter verteilt werden können. Wer ein Gut X loswerden will, soll möglichst einen zahlungskräftigen Interessenten finden. Wer eine gewinnbringende Idee hat, soll die Gelegenheit bekommen, an das notwendige Kapital zu gelangen.

Die Pizza-Theorie des Geldes

The Coinspondent verlinkte kürzlich einen lustigen kleinen Twitter-Account: @bitcoin_pizza. Hier wird tagtäglich verzeichnet, wie viel 10000 Bitcoins wert sind. Zu diesem Betrag hatte nämlich im Jahr 2010 jemand Pizza gekauft. Hätte er auf den Kauf verzichtet, besäße er heute — theoretisch — den Gegenwert von über 100 Millionen US-Dollar. Für nur acht Jahre ist das eine erstaunliche Rendite bei einem quasi nicht vorhandenem Risiko. Weder Apple-Aktien, noch Amazon-Seedfunding können da mithalten.

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Wer diese Geschichte hört und selbst Bitcoin besitzt, wird daraus zunächst mal eine Lehre ziehen: Es ist höchst dumm, Bitcoins für den täglichen Bedarf auszugeben. Denn morgen könnte das Geld, das man für schnöden Hunger ausgegeben hat, schon 20 Prozent mehr wert sein. Nächsten Monat: das Dreifache. Vielleicht. Seine normalen Besorgungen erledigt man also mit ganz normalem Geld, die Kryptowährung kommt nur in groben Ausnahmefällen zum Einsatz. Bitcoin ist also prima als Spekulationsobjekt, aber derzeit ein lausiges Geld.

Durch diesen Motivator haben wir auch derzeit keine wirkliche Bitcoin-Ökonomie. Wenn eine Pizzeria ihre Speisen gegen Bitcoin anbietet, muss sie ihre Lieferanten doch weiterhin in Euro bezahlen und auch die Angestellten haben ein Anrecht auf ihr Gehalt in einer Währung, die ihr Vermieter in Rechnung stellt. So kommt der Waren-Geld-Kreislauf nicht wirklich in Schwung. Das Geschäft mit Bitcoin ist daher meist ein Umtausch von Geld zu Geld. Man verdient Bitcoins nicht, man muss sie meist kaufen. Und wer nur Bitcoins einnimmt, muss sie größtenteil wieder verkaufen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist teuer, ineffizient und macht vermeintliche Vorteile der Dezentralität zunichte.

Die hohe Volatilität verhindert auch, dass ein Kreditgeschäft entsteht. Wie viel Prozent Zinsen würdest Du verlangen, um jemandem Bitcoin für ein Jahr zu leihen? 100 Prozent? 300? Das sind keine attraktiven Zinssätze. Stattdessen werden ständig neue Währungen geschaffen, die widerum als Spekulationsobjekte angepriesen werden. Und die meisten Leute, die ihr Geld in ICOs stecken, werden es wohl verlieren. Das vorherrschende Erfolgsmodell derzeit ist: Kaufe früh und finde rechtzeitig vor dem Absturz jemand Dümmeren, der dir die Tokens abkauft. Das mag eine individuelle Erfolgsstrategie sein, insgesamt betrachtet zahlen aber die meisten Leute drauf.

Bitcoin rettet Venezuela nicht

Gestern hatte ich mich in eine kleine Diskussion mit Leuten gestürzt, die tatsächlich der Auffassung waren, dass Bitcoin ein effektives Gegenmittel gegen die Wirtschaftskrise in Venezuela seien. Dies zeigte mir, wie wenig Basis-Zusammenhänge der Ökonomie erkannt werden.

Um die Situation in Venezuela äußerst kurz zu schildern. Hugo Chávez hatte ein sozialistisches Regime geschaffen, das im Wesentlichen darauf beruhte, die gewaltigen Ölgewinne des Landes insbesondere für die Millionen Armen des Landes umzuverteilen. Nun ist Chavez tot, die Ölgewinne großteils verschwunden und das Land in einer so gewaltigen Wirtschaftskrise, dass es selbst für klassische Mittelstandsberufe schwer geworden ist, genügend Nahrung zu erhalten. Ein Symptom für den gewaltigen Niedergang der Wirtschaft ist die Hyperinflation der Landeswährung Bolívar.

In Zeiten von Hyperinflation suchen sich Menschen naturgemäß Ersatzwährungen. Die Regierung in Venezuela hat das jedoch weitgehend verhindert: Der Handel zum Beispiel mit US-Dollar ist streng reglementiert. Die Regierung hat mehrere viel zu niedrige Wechselkurse festgesetzt, die von unterschiedlichen Bevölkerungsteilen in Anspruch genommen werden können. Das ist natürlich eine Einladung für Korruption, für Schwarzmärkte und Kriminelle, die diese künstlichen Wechselkurse ausnutzen und damit Geld verdienen. Der Effekt: Normalbürger kommen nicht an US-Dollar — zumindest nicht in ausreichendem Maße, um ihre Bedürfnisse zu decken. Zudem: Der Dollarstrom kann nicht im Lande bleiben, da viele lebenswichtige Güter nicht mehr im Lande transportiert werden. Und die Importeure können mit dem immer wertloseren Bolívar nicht arbeiten.

Die Realität der Korruption

Natürlich liegt die Idee nahe, dass Bitcoins nun die ideale Lösung sind. So könnte beispielsweise jemand eine große Mining-Operation anwerfen und die Leute mit Bitcoins als Ersatzwährung versorgen. Schließlich weiß doch jeder, dass Energie in Venezuela fast kostenlos ist. Problem daran: Das ist nur die halbe Wahrheit. Zwar werden Energieformen heftig subventioniert, aber auch rationiert. Schon vor anderthalb Jahren hat die Regierung Maduro eine Zwei-Tage-Woche für Staatsdiener eingeführt und dies mit der Energieknappheit begründet. Schon damals sah es so aus, als müsse die Regierung stürzen – wie kann ein Land unter solchen Bedingungen weiter existieren? Die Regierung ist noch im Amt und die Bedingungen sind immer schlimmer geworden. Bitcoin-Farming klappt nicht, wenn man nur stundenweise Strom hat. Und um mit Bitcoins zu bezahlen, braucht man neben Strom auch viele Geräte, die für teure Dollar zu importieren wären.

Um es auf ein Beispiel runterzubrechen, das vielleicht auch Digital-Begeisterte verstehen, die nie Mangel erlebt haben: Wenn genug Leute tatsächlich die kostenlosen Nachladestationen für Elektro-Autos zum Bitcoin-Mining verwenden, werden diese Stationen nicht lange kostenfrei bleiben. Da hilft kein persönlicher Freiheitsdrang – jemand verhält sich asozial, und alle müssen schließlich dafür bezahlen.

Zurück zu Venezuela: Schwarzmarkt-Handel ist nicht unbedingt ein Aufbäumen gegen das Regime. Staatdiener und Militärs verdienen prächtig daran, dass sie wegsehen, wenn sie bei illegalen Geschäften wegsehen oder Güter wie Strom illegal umleiten. Wer meint, dass niemand den Handel mit der dezentralen Währung Bitcoin unterbinden könne, kennt leider — oder: zum Glück — die Realität in autokratischen Regimen nicht. Natürlich lässt sich Schwarzhandel nicht völlig vermeiden. Regierungen können ihn aber verdammt teuer machen. So hat Venezuela sogar die Kontrolle über Bäckereien übernommen. Wer Brot will, muss halt in der offiziellen Währung bezahlen. Oder ein Vielfaches in einer anderen Währung. Und nach Jahren der Misswirtschaft haben nicht mehr allzu viele Menschen die Wahl, ein Vielfaches auszugeben. Und wer es dennoch tut, stützt sogar das System, das den Handel eigentlich verbietet.

Keine Ersatzwährung

Um aus einer Hyperinflation herauszukommen, benötigt man gewöhnlich eine neue Währung. In Deutschland war dies beispielsweise die Rentenmark, in Brasilien der Real. In Venezuela wird es nicht Bitcoin sein.

Zum einen: Das Blockchain-System wäre sofort überlastet, wenn jeder Brotkauf eines Landes in der Blockchain abgelegt werden müsste. Zum zweiten: Als Land, das aus einer Wirtschaftskrise kommt, wäre es eine verdammt unkluge Wahl sich an eine Währung zu hängen, die international als Spekulationsobjekt gesehen wird. Wenn sich der Bitcoin-Kurs mal wieder verdoppelt – was mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit passieren wird — müssten sich dann auch die Preise der venezulanischen Exporte wieder verdoppeln oder die Export-Güter in einer endlosen Preisspirale nach unten immer weiter nach unten angepasst werden – das Ausbluten des Landes ginge schlichtweg weiter. Zudem ist es für ein Land, das hoffentlich grade eine Autokratie überwunden hat, eine verdammt schlechte Idee ein Geldsystem einzuführen, das sämtliche Kontenbewegungen für jeden offen ausstellt. Neue Autokraten würden diese Möglichkeit, die Ausgaben der Bevölkerung komplett zu kontrollieren, vermutlich dankbar und ohne Skrupel ausnutzen.

Kurzum: Wer mit Bitcoin Millionen oder vielleicht nur Tausende verdient hat, kann sich freuen. Ein anderes oder gar besseres Währungssystem hat er jedoch noch lange nicht geschaffen.

„Radfahrer können doch schieben“

Ich bin Mitglied in ein paar hyperlokalen Facebook-Gruppen und dort wurde eine Aktion von Polizei und dem ADFC diskutiert, bei der so genannte „Geisterradler“ angesprochen wurden, wenn sie die Rheinbrücke auf der falschen Seite überqueren.

Ich kenne das Problem. Ich fahre zwar nicht täglich, aber relativ oft über die Kölner Brücken. Gerade auf der Deutzer Brücke ist die Anzahl der in Gegenrichtung kommenden Radler enorm. Und da sie mal komplett links, mal in der Mitte, mal auf dem Fußweg fahren, ist das durchaus nicht ungefährlich. Insofern ist es schön, wenn aufgeklärt wird. (Update: zumindest auf einer Seite darf man in beide Richtungen fahren.)

Was mir aber in der Diskussion mehrfach aufgefallen ist, waren Äußerungen wie diese: „Also ich habe früher auch gelernt, dass man sein Rad notfalls auch mal schieben muss, um eine Straße zu überqueren.“ Die erschienen mir etwas merkwürdig, da mir nicht ganz klar wurde, was Schieben mit dem Fahren auf der falschen Brückenseite zu tun hat. Doch waren mehrere Leute über solche Kommentare sehr begeistert, und ich begriff: Das Schieben ist nur eine Metapher. Sie steht für: „Radfahrer können sich gefälligst verpfeifen.“

    Ich steh hier mal eben mit Warnblinker in zweiter Reihe auf der Radspur. Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.
    Eine Baustelle blockiert völlig unnötig den Radweg? Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.
    Radfahrer sind keine richtigen Verkehrsteilnehmer. Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.

Und so langsam geht mir das auf den Keks.

Die Haltung kommt nicht von ungefähr. Dass irgendwer freiwillig oder gar als Berufstätiger mit dem Fahrrad den Rhein überquert, war für die Stadtplaner vor 30 oder 40 Jahren allenfalls eine Ausnahme. Verständlich — denn kaum jemand tat es. Und seien wir ehrlich: Die Radfahrer beschwerten sich auch weniger über Behinderungen, weil sie sie schlichtweg ignorieren. Schon lange bevor in meinem Viertel die Einbahnstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung freigegeben wurden, fuhren Radfahrer bereits gegen den Autoverkehr. Das war auch kein riesiges Problem. Doch diesen Luxus können wir uns allesamt nicht mehr leisten. Die Zahl der Radfahrer hat sich vervielfacht, die Autos verbreitert und das Blinken ist irgendwann 2014 aus der Mode gekommen.

Für erstaunlich viele ein Albtraum: Radfahrer erobern die Straße.

Ich verstehe die Frustration vieler Leute. Ich muss nur mal eine halbe Stunde um den Block gehen, um mehrere Fahrradfahrer zu sehen, die sich scheinbar an keine Regel halten. Wenn ich gleich den Fußweg auf der Luxemburger Straße entlang gehe, kommt mir unter Garantie ein Radfahrer auf einem relativ engen Bürgersteig entgegen — ohne jedes Schuldbewusstsein. Abends wimmelt es von Radfahrern ohne Licht. Bringdienst-Fahrer starren auf ihr Smartphone, während sie im Affentempo mit ihrer riesigen Warmhaltebox auf dem Rücken zum nächsten Kunden jagen.

Allerdings bin ich auch selbst Radfahrer und ich weiß: Es ist einfach, Gesetze zu missachten — es ist hingegen gar nicht so einfach, sich an das Gesetz zu halten. An vielen Stellen in Köln wird es uns Radfahrern geradezu unmöglich gemacht. Radwege sind in einem unbenutzbaren Zustand oder enden einfach im Nichts. Zweispurige Hauptverkehrsstraßen werden zur unfreiwilligen Mutprobe, wenn SUVs mit 30 Zentimeter Abstand vorbeibrausen. Selbst Fahrradständer werden mit hohen Bordsteinen umgeben. Ist ja nicht schlimm – notfalls können die Radfahrer ja schieben.

Der Radweg führt ins Nichts – wo geht es nun weiter?

Es stimmt: Wir Radfahrer schieben nicht gerne. Wir tun sogar alles mögliche, um nicht abzusteigen. Das Schieben ist nicht nur sehr viel mühsamer, als eben mal mit dem Auto zu stoppen. Es macht auch meist keinerlei Sinn. Ein Radfahrer, der sein Fahrrad durch eine Baustelle schiebt, benötigt wesentlich mehr Platz als ein Radfahrer auf seinem Sattel. Und wen stören wir schon, wenn Verkehrsschwellen kurz auf dem Fußweg umgehen? Die wurden ja eh nur für Autofahrer eingerichtet.

Wenn man will, dass sich Radfahrer an die Regeln halten, muss man ihnen auch Gelegenheit geben, dies zu tun. Radfahrer sind wie Fußgänger und Autofahrer Verkehrsteilnehmer — und keine Lückenbüßer zweiter Klasse. Es hat knapp fünf Jahre gedauert, bis ich in meiner Umgebung alle Tricks und Wege gefunden habe, um mich in den allermeisten Fällen an die Verkehrsregeln zu halten. Ich weiß genau, wie schnell ich an welcher Stelle fahren muss, um an der Inneren Kanalstraße nicht an jeder einzelnen Ampel warten zu müssen. Ich weiß, an welcher Stelle ich mit dem Fahrrad auf einen Parkplatz ausweichen kann, um mir 600 Meter regelgerechten Umweg plus vier Ampeln zu ersparen. Ich kenne die Schleichwege, die mich auf die richtige Seite einer Brücke bringen.

Doch nicht jeder hat fünf Jahre Erfahrung. Und nicht jeder will Schleichwege suchen.

Gerade die Kölner Brücken sind ein Albtraum. Wer zum Beispiel aus Richtung Südstadt auf die Severinsbrücke fahren will, darf auf keinen Fall den Schildern Richtung Severinsbrücke folgen. Denn die führen für Radfahrer in eine Sackgasse. Stattdessen muss man am Blaubach links statt rechts abbiegen. Was kein Vergnügen ist, da man auf einer viel und schnell befahrenen vierspurigen Straße an einer unübersichtlichen Stelle auf eine der linken Spuren wechseln muss. Dann fährt man zum Waidmarkt, biegt in die Severinsstraße ab, die nicht Richtung Rhein führt. Dann überquert auf einer Brücke die Auffahrt zur Severinsbrücke, um dann in einer Unterführung eine andere Auffahrt zur Severinsbrücke zu unterqueren, um dann die doppelt so steile Auffahrt für Radfahrer zu nehmen.

Aber macht ja nichts, wir können ja schieben.

I don’t like Mondays

And he can see no reason
‚Cause there are no reasons
What reason do you need to be sure.

Heute fand ich mich an „I don’t like Mondays“ von den Boomtown Rats erinnert. Ich hab sehr spät erfahren, dass dieses ja eher heiter anmutende Lied sich um eine 16jährige dreht, die von ihrem Fenster aus auf eine Schule schoss, zwei Menschen tötete und neun verletzte. Der noch junge Bob Geldof hörte die Berichte und fand sich zu dem Lied inspiriert. Aus der Wikipedia zitiert: „Während ich dort saß, lehnte ein junges Mädchen namens Brenda Spencer mit einer Pistole aus ihrem Schlafzimmerfenster und schoss auf Leute in ihrer Schule auf der anderen Straßenseite. Was dann passierte, erschien mir als einzigartig amerikanisch. Ein Journalist rief sie an. Sie nahm den Hörer ab, an und für sich schon eine bizarre Unterbrechung, wenn man dabei ist, wildfremde Menschen umzubringen. Er fragte sie, warum sie das tut. Sie überlegte kurz und sagte dann: ‚Nichts los. Ich mag keine Montage.‘

Heute morgen haben wir immer noch keine Ahnung von den Motiven des Mannes, der gestern in Las Vegas über 60 Menschen getötet und Hunderte verletzt hat. Und diese Unwissenheit nagt an der Öffentlichkeit. Wir sind es nicht mehr gewohnt.

Tatsächlich haben wir äußerst selten eine Ahnung, was einen Menschen wirklich dazu treibt, andere zu töten und den eigenen Tod mitzuplanen. Oder Bomben zu legen, Dutzende zu erschießen und sich dann schnell zu verstecken. Wir stecken den Wahnsinn stattdessen in Schubladen. Der Täter war radikalisiert. Der Täter gehörte der IS an. Der Täter war ein Opfer von Bullies. Der Täter war traumatisiert und geistesgestört. In den USA ist eine Schublade besonders groß: Es war ein Angriff auf unsere Freiheit. Wenn einmal eine solche Schublade gefunden ist, sind wir, ist die Öffentlichkeit beruhigt. Man muss sich nicht mehr wirklich viele Gedanken machen. Alles geht seinen Gang. Und wir können mental wieder genau dahin zurückkehren, wo wir vorher waren. Mit ein wenig mehr Angst. Und Ressentiments.

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Diese Schubladen sind hochpolitisch. Ich bin gestern zufällig auf einen Artikel in der Everipedia gestoßen, wo ein ganzer Artikel zu einem Mann aus Arkansas erschien, der ihn — fälschlicherweise — als mutmaßlichen Täter vorstellte. Flugs suchten viele Leute nach Informationen über diesen Mann und konzentrierten sich darauf: Wen hat er auf Facebook geliket? Wen hat er gewählt? Es kam nicht drauf an, die Tat aufzuklären oder zu begreifen, die Nutzer suchten nur schnellstmöglich eine Schublade. Und gezielt wurde einer Frage nachgegangen: War er für Trump oder gegen ihn?

Der Mann ist offenbar Wähler der Demokraten und er klickte auf Facebook-Gruppen, die Donald Trump des Amtes entheben wollen. Flugs verbreitete sich die triumphierende Nachricht: Der Mörder ist ein Trump-Hasser. Trump-Anhänger haben also die moralische Oberhand. Auch nachdem sich herausgestellt hat, dass der Mann eben überhaupt nichts mit den Morden zu tun hatte, obwohl Klicks auf paar Facebook-Gruppen noch weit vom Fanatismus entfernt sind, wird die Nachricht immer weiter verbreitet. Hätte der Mann Trump gewählt, wäre diese Nachricht wahrscheinlich auch schnell weitergetragen worden.

Noch immer wissen wir nicht, was die 16jährige 1979 dazu bewog, auf eine Schule zu schießen. Noch immer wissen wir nicht, warum der Mörder von Las Vegas schoss. Doch eine Schublade wird man sicher bald schon finden.

And he can see no reason
‚Cause there are no reasons
What reason do you need to be sure.

Die Polizei als Profit-Center

Die Regierung Trump hat neue Pläne. Ihr Budgetentwurf ist absolut unrealistisch — also suchen sie neue Einnahmemöglichkeiten, die nicht als „tax“ gelten. Der Justizminister Jeff Sessions hat dazu einen Plan.

“We hope to issue this week a new directive on asset forfeiture — especially for drug traffickers,” Sessions said in his prepared remarks for a speech to the National District Attorney’s Association in Minneapolis. „With care and professionalism, we plan to develop policies to increase forfeitures. No criminal should be allowed to keep the proceeds of their crime. Adoptive forfeitures are appropriate as is sharing with our partners.“

Das klingt in der Theorie gut und ist auch für Autoren von US-Krimiserien eine willkommene Gelegenheit, Polizisten in alberne Autos zu stecken. Doch die Realität ist weit weniger komisch.

Zum einen beschränkt sich die Beschlagnahme eben nicht nur auf Schuldige. Die Praxis erinnert zu oft an Straßenräubertum. Frei paraphrasiert: Ich glaube, dass Du schuldig bist, also nehme ich Dir Deinen Besitz ab, bis Du Deine Unschuld beweist.

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Zum anderen: Wenn man die Polizei zum Profit-Center ausbaut, geschehen solche Dinge wie der Aufstand in Ferguson. Insbesondere die schwarze Bevölkerung wurde dort wie in vielen anderen Kommunen wegen nichtigster Verstöße mit horrenden Bußgeldern abkassiert — denn die Polizei musste Profit bringen. Folge: Die Polizei wurde immer mehr als Feind wahrgenommen.

Wenn die Regierung Trump diese Praxis nun ausbauen will, wird das System vielleicht umschlagen: Ab einem gewissen Punkt kann nicht mehr nur eine Minorität oder die ärmere Bevölkerungsteile abkassieren — zumal illegale Einwanderer ja radikal abgeschoben werden sollen. Was passiert, wenn man weiße NRA-Mitglieder abkassieren will, haben wir im vergangenen Jahr in Oregon gesehen, als eine Miliz ein Naturschutzgebiet besetzte und zum Staatsstreich aufrief.

Die Demontage von Trump – und warum das keine guten Nachrichten sind.

Aktuell gehen Gerüchte um, dass Trump den Special Counsel Robert Mueller feuern will, der ja im Auftrag von Trumps eigenem Justizministerium eine unabhängige Untersuchung wegen Russlandkontakten leiten sollte. Problem dabei: Formell müsste Trump dazu auch quasi die ganze Leitungsebene des Justizministeriums herauskegeln.

Dass das von Republikanern bestimmte Parlament jetzt eingreift, scheint angesichts des bisherigen Verhaltens von Paul Ryan naiv zu sein. Die gewählten Abgeordneten hatten viel vor und sie sind in Zeitverzug. Als nächstes wollen sie ein Gesundheitsgesetz durchbringen und das wird sich auf Dauer wohl nicht verhindern lassen. Am vom Trump vorgelegten Budget werden sie herumstreichen, aber wohl kein Impeachment beginnen. Tax cuts, tax cuts, tax cuts.

Für 2018 sieht es derzeit nicht besonders gut für die Republikaner aus. Die wähler‘ erwartet einen ständigen Strom von neuen Erfolgen wie einen neuen Verfassungsrichter, Abschaffung von Obama-Programmen oder neue Law&Order-Gesetze. Am besten jedoch: Arbeitsplätze. Diese Erfolge müssen wohl aus den ‚red states‘ selbst kommen, denn die US-Bundesregierung ist personell derzeit offensichtlich nicht in der Lage bundesweite Programme zu entwerfen und auch umzusetzen. Problem dabei: Einige dieser Staaten stehen seit der „Tea Party“-Bewegung unter streng ideologischer Kontrolle und sie können nicht liefern, was sie versprachen. Kansas zum Beispiel steckt wegen der ach so wachstumsfördernden Steuerpolitik in einer riesigen Budget-Krise.

Bullies sind keine tollen Verwalter

Viele munkeln, dass der US-Präsident eine Art Präsidialdiktatur aufbauen wolle. Falls er das vorhatte, hat er die Chance vertan. Dazu bräuchte er breite Unterstützung aus dem Parlament und aus allen Regierungsbehörden. Wir haben gesehen wie viele Leute Erdogan entfernen musste, selbst nachdem er Wahl um Wahl gewonnen hat, selbst nachdem es einen Putschversuch gegeben hat, der von der breiten Bevölkerung abgelehnt wurde. Es ist zu befürchten, dass Trump seine Rolle als Oberbefehlshaber der Streitkräfte nutzt, um die patriotische Stimmung zu Krisenzeiten zu heben. Doch das wird ihm meiner Meinung nach keine jubelnden Mehrheiten bescheren.

Mir scheint daher eine andere Variante wahrscheinlicher: Das Präsidialamt und die US-Bundesregierung wird Stück um Stück entmachtet. Wer freiwillig für nicht überaus großzügige Regierungsgehälter arbeiten will, wenn er weiß dass seine Bosse Bullies sind, ist wahrscheinlich selbst ein Bully. Insofern wird es in Washingtoner Regierungsapparat von Abzockern nur so wimmeln, die anderen Leuten das Leben schwer machen.

Wer irgendwas politisch durchsetzen will, wird sich andere Wege suchen müssen. Wer eine Schule bauen will oder eine Brücke reparieren, wer ein Investitionsprogramm in Gang setzen will, hat aus Washington keine Unterstützung zu erwarten. Wenn die Feds etwas tun, machen sie es wohl schlecht und verlangen dafür horrend hohe Gegenleistungen.

Red states and blue states

Im Gegenzug können lokale Staatsanwälte, die Jeff Sessions neuen War on Drugs für idiotisch halten, ihre Drogenfälle fern von der Bundeszuständigkeit halten. Im Bereich Legal Marihuana haben wir bereits einen absoluten Konflikt zwischen Staats- und Bundesgesetzen, den die Bundestaaten weitgehend gewinnen. Und um alle Staatsanwälte in allen Bundesstaaten an die Kandare zu nehmen, bräuchte Trump die unermüdliche Arbeit der Leute, die er über kurz oder lang wohl feuern wird. Die andere Seite der Medaille: Leute wie Sheriff David A. Clarke können ihre Machtfantasien wohl ohne große Hindernisse ausleben.

Gleichfalls gestärkt werden die ungekrönten Könige ihrer jeweiligen Regionen: Die Koch Brothers beispielsweise können tun, was sie wollen. Keine Umweltauflagen mehr, nicht mal Leute, die Umweltauflagen verfolgen. Oder Gesetze über poltische Geldspenden. Und das ist eigentlich das Ziel der vielen Kampagnen der Finanziers der Ultrarechten: Eine ohnmächtige Bundesregierung.

Comedy in Zeiten von Trump

Did you hear this? I love this story. Oh my goodness.

Zum Osterfest im Weißen Haus kam ein Gast, der nur einmal pro Jahr kommt. Es war *trommelwirbel* Melania Trump!

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Kein Witz: Diese Pointe habe ich diese Woche in gleich drei verschiedenen Comedy-Shows gehört. Dass Melania ihren Mann anstupsen musste, damit der zur Nationalhymne Haltung annahm — das kam in jeder Show. Und das zeigt uns: Comedy in Zeiten von Trump hat ein Problem.

Ich weiß: Ich schwimme hier gegen den Strom. Alle Welt verehrt grade die heilige Göttin Comedy, die uns die Trumpiaden erträglich macht. Und doch: Was da allabendlich über die Bildschirme flimmert, mag im Einzelnen furchtbar komisch sein – zusammengenommen ist es jedoch sehr deprimierend. Ich genieße zwar, wie Stephen, Seth, Trevor, Jimmy und Conan Tag für Tag, Samantha und John Woche für Woche Donald Trump durch den Kakao ziehen. Doch tolle Comedy ist es nicht. Und die Wahrheit(TM) erst recht nicht.

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Comedians arbeiten sich an Widersprüchen und Stereotypen ab — und die Regierung Trump überschwemmt sie förmlich damit. Es ist wie eine DDOS-Attacke auf Comedy. Zu Beginn seiner aktuellen Staffel erklärte John Oliver noch optimistisch, dass sich nicht vorrangig mit Trump, sondern lieber mit den richtigen und wichtigen Themen beschäftigen wolle. Er hatte keine Chance. In den fast 100 Tagen seit Amtsübernahme haben wir nicht einen Tag erlebt, wo sich das Weiße Haus nicht lächerlicher machte, als es alle Comedians zusammen vermochten. Sean Spicer macht Hitler-Vergleiche, Donald Trump lässt seine Haltung zu China in zehn Minuten von Xi Jinping umdrehen. Und dann das Bild von Sarah Palin, Kid Rock und Ted Nugent im Oval Office. Wer sein Publikum amüsieren will, verbringt große Teile seiner Sendezeit damit, die Geschehnisse des Tages mit einem hämischen Tonfall nachzuerzählen statt sie zu reflektieren.

Der Spalter der Nation

Würde es Trump wirklich stören, dass die New Yorker Comedy-Shows über ihn lachen — er müsste sich komplett neu erfinden. Er tut es nicht, weil er das nicht wirklich kann. Aber dazu kommt: Das Gelächter ist eigentlich ganz in seinem politischen Interesse. Sein Erfolg beruht nämlich nicht darauf, dass er die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen könnte. Sondern darauf, dass eine enorm große Minderheit im Lande die vermeintliche liberale Elite zum Kotzen findet. Und in dieses Narrativ passt es prima, wenn sich auch der letzte drittklassige Komiker einen Trump-Akzent aufsetzt und meint, sich aufs moralisch hohe Ross setzen zu können. Und wenn sich Komiker aufs hohe Ross setzen, sieht das in der Regel nicht wesentlich besser aus als Ted Nugent im Oval Office.

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Zwar haben die Parodien in Sendungen wie Saturday Night Life sicher dazu beigetragen, dass das Gewinner-Image Trumps in breiten Bevölkerungsschichten angegriffen wurde. Doch Trevor Noah sagte kürzlich in einem Interview mit dem Magazin The New Yorker, dass Comedy in solchen Zeiten einen negativen, anti-aufklärerischen Aspekt haben könnte. Denn wenn die Leute ein Phänomen verlachen, dann ist die Motivation gering, dagegen auch etwas zu tun.

Die Nachrichten von vorgestern

Und dennoch arbeitet sich Trevor Noah Abend für Abend an genau den gleichen Lächerlichkeiten ab wie zuvor schon seine Kollegen. Seine Grafik-Abteilung packt dazu einige lustige Film-Plakate und dann kommt ein mehr oder weniger lächerliches Korrespondenten-Stück. Ein paar Minuten pro Woche wird ein ernstes Thema wie die Trinkwasser-Krise präsentiert. Aber wer die Medien auch nur flüchtig verfolgt, kennt die präsentierten Stories längst. Einen Impuls zum Aktivwerden bietet die Sendung allenfalls, wenn sie dem Publikum einen hämischen Hashtag vorschlägt.

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Comedian Aparna Nancherla kritisierte noch vor der Amtsübernahme in der Village Voice:

The most cliché Trump jokes — his orange skin, emphatic hand gestures, and tween-like reflexes on social media — have been hashed and rehashed, hashtagged and retweeted. In fact, many Trump jokes just start with commenting on something he’s already tweeted. It’s an easy way to fulfill our quasi-contractual obligation as comedians to roast the powerful.

Folge dieser Klischeeparade sei eine Normalisierung. Und das ist der Stand der Comedy heute. Einige der Klischees, die immer wieder auftreten:

  • Trumps Haar- und Hautfarbe
  • Putin persönlich hat die Wahl gehackt.
  • Donald Trump will Sex mit seiner Tochter haben.
  • Die Trump-Söhne sind dämlich, seine Tochter Tiffany ein Versager.
  • Grab them by the pussy
  • Melania ist ein Trophy Wife
  • President Steve Bannon
  • Donald Trump liest nicht.
  • Donald Trump hat keine Ahnung.
  • Donald Trump spielt viel, viel Golf.
  • ….

Gerade die Witz über Melania schlagen mir inzwischen übel auf. Die nicht so subtilen Andeutungen, dass die Frau des Präsidenten eigentlich eine Prostituierte ist, haben längst auch die super-sympathischen Comedians wie Seth Meyers und Jimmy Fallon in ihrem Repertoire. Abwechselnd wird sie als geldgeiles Trophy Wive oder als Geisel eines Psychopathen karikiert, dazu als strunzdämliche Frau, die so ziemlich das Gegenteil von Michelle Obama verkörpert. Der letzte Punkt mag stimmen, aber in der Masse sind die Witze bei einem Maß angelangt, das wir bei einer uns sympathischeren Frau als untolerierbar, gar als menschenverachtend empfinden würden.

Comedy als Schlammcatchen

Was hier geschieht, kann man als „mudding the water“ bezeichnen. Dieses Schlagwort wird in Zusammenhang mit Trump immer wieder gebraucht. Es bedeutet, dass Trump weite Teile der Bevölkerung nicht überzeugt, dass er die Wahrheit sagt. Er überzeugt sie aber damit, dass auch alle andere Politiker lügen. Dies macht es Leuten, die tatsächlich die Wahrheit sagen wollen, unheimlich schwer gehört zu werden. Zum einen ist die Wahrheit selten so sexy wie eine gerissene Lüge. Zum anderen: Warum sollte man ihm oder ihr glauben? In einer gesellschaftlichen Debatte, die im Wesentlichen nur noch die Lager „Pro Trump“ und „Anti Trump“ kennt, kann man den vermeintlichen Gegner schnell ablehnen, bevor er auch nur ein Wort von Belang gesagt hat.

Das gleiche geschieht in der Comedy: Autoren und Publikum werden gerade auf die Flachwitze festgelegt. Wer nicht annähernd so lächerlich wie Donald Trump ist, bekommt auch nicht annähernd so viel Sendezeit. Und die Wahl von 2016 hat eins gezeigt: Sendezeit entscheidet Wahlen.

Falls sich das Niveau der Debatte wieder heben sollte, bleiben die Comedy-Shows erst einmal außen vor. Denn sobald sich ein Herausforderer positionieren sollte, werden die ersten Fragen sein: Sieht seine oder ihre Frisur nicht irgendwie lächerlich aus? Hat der Ehepartner etwas Dämliches gesagt? Findet sich im großen Interviewarchiv aus den letzten 20 Jahren nicht der eine Satz, der einen Kandidaten vom Start an lächerlich machen und damit disqualifizieren kann? Comedy kann Leute aus der Schockstarre befreien. Sie kann jedoch auch Veränderung unsagbar schwer machen.

Der heilige Jon

Die Vorstellung, dass Comedy als alternatives, womöglich sogar besseres Mittel zur Nachrichtenvermittlung dienen könnte, verdanken wir wohl John Stewart. Der hatte die „Daily Show“ von einer lächerlichen Newsparodie in der Amtszeit von George W. Bush zu einem Medium gemacht, das an der politischen Agenda mitschrieb. Was Stewart in seiner Sendung durch den Kakao zog, war am Tag darauf Gesprächsthema. Selbst wenn die Show auch zu besten Zeiten nur wenige Millionen Zuschauer hatte, die Meinungsmacher hörten alle zu.

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Doch Stewart hatte komplett andere Rahmenbedingungen. Er war quasi der einzige auf weiter Flur, der noch Witze über Politik machte und dabei sein eigenes Wertesystem auf die Comedy übertrug. Der sich über Politiker mokierte, aber die Politik nicht aufgab. Er lud Autoren und Politiker in seine Sendung, die erzählen konnten, wie es besser geht. Und er lud konservative Autoren in seine Sendung ein, um sie herauszufordern. Diesen Luxus haben heutige Comedians nicht mehr. Statt dicker Bücher zählen erst Mal nur die 140-Zeichen-Rants von Trump. Und es wird viel Arbeit kosten, das wieder zu ändern.

Ich bewundere insbesondere die Bemühungen von Samantha Bee und John Oliver, in ihrer Comedy mehr als nur den schnellen Witz zu ergründen, auch Stephen Colbert und Seth Meyers tun, was sie können. Im derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Klima, sind sie jedoch Getriebene. Aber auch sie stellen sie nicht so sehr den Status in Frage, als dass sie die Welt sehr bestimmt in Gut und Böse aufteilen. Statt eine gesellschaftliche Debatte anzutreiben, wird das Ergebnis gleich als absolut vorausgesetzt.

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tl;dr: Comedy über Trump ist zwar lustig, aber im Endeffekt eher lähmend. Wer das Niveau der Debatte steigern will, muss auch das Niveau der Comedy wieder anheben.

Citation needed

Die erste Woche Trump war in einem Aspekt besonders erfolgreich: Er hat das Niveau der Debatte gesenkt. Habe ich früher vielleicht einmal pro Woche einen Hoax aus meinen Timelines getilgt, musste ich es in der vergangenen Woche gleich mehrfach täglich tun. Wurde das Visa Waiver-Programm für Deutsche aufgehoben? Nein. Hat Mike Pence behauptet, Frauen würden sich vergewaltigen lassen, wenn man ihnen dann Abtreibungen gewährt? Nein. Hat Trump in einem offiziellen Foto seine Hände vergrößern lassen? Wohl nicht, es spricht nichts dafür. Menschen die ich schätze, haben all das in sozialen Netzwerken verbreitet – und noch viel mehr.

Die meisten meiner Leser kennen wahrscheinlich den XKCD-Comic von dem „Wikipedian Protester“, der dem mächtigen Mann auf der fahnenstrotzenden Bühne ein simples Schild entgegenhält: [Citation needed]. Diese Warnung wurde in Wikipedia-Artikeln angebracht, wenn Behauptungen nicht belegt waren und dringend eine glaubwürdige, überprüfbare Quelle brauchten. Wurde die nicht in angemessener Zeit nachgeliefert, wurden die entsprechenden Abschnitte aus dem Wikipedia-Artikel entfernt. Die utopische Vorstellung, man könnte an die hohe Politik ähnliche Ansprüche stellen, ist mir höchst sympathisch.

SEMI-PROTECT THE CONSTITUTION

Es ist wichtig, den Mächtigen dieses Schild entgegenzuhalten. Wenn Donald Trump erst behauptet von einem — überhaupt nicht wahlberechtigten — Profi-Golfer von Wahlbetrug erfahren zu haben und sich anschließend einen Verschwörungstheoretiker als Quelle aussucht, dann müssen Journalisten festhalten, dass dies Lügen sind. Und sie müssen die Abgeordneten verantwortlich machen, die über die Gesetze abstimmen. Und die Leute, die für sie stimmen.

Das mit der Verantwortung ist aber keine Einbahnstraße. Wir dürfen uns nicht ausschließlich darauf verlassen, dass Snopes, die Washington Post oder Correctiv die Wahrheit schon zu Tage fördern wird. Denn in einem Umfeld, in dem Bullshit dominiert, ist es einfacher, weiteren Bullshit anzuhäufen. Trump mag keine Fakten auf seiner Seite haben. Die Unterstützung der meisten seiner Wähler ist ihm für Maßnahmen wie dem nun vollzogenen Einreiseverbot sicher. Zwar liefert der Präsident seinen Wählern keine unmittelbare Verbesserungen ihres Lebens, er liefert ihnen aber etwas fast Gleichwertiges: Die Leute, die systematisch als Feindbild aufgebaut wurden, regen sich furchtbar auf. Wenn „die Medien“ Trump beschimpfen, muss der ja irgendetwas richtig machen. Wenn Clinton gegen ihn ist, muss er ja etwas gegen die Korruption in Washington tun.

But she is Madonna!

Fakten zu delegitimisieren ist relativ einfach. Millionen Menschen beteiligen sich am Women’s March? Eine dumme Rede von Madonna reicht für viele vermeintlich Konservative aus, um dieses Ereignis als irrelevant, gar als Bestätigung von Trumps Politik zu betrachten. Zeigt man ihnen unwiderstreitbar, dass eine ihrer Überzeugungen falsch ist, zucken sie mit den Achseln und verweisen auf zehn andere Fake-Stories, die die „liberals“ erfunden haben. Ab einem gewissen Punkt kann man diese Leute nicht mehr erreichen. Aber die Leute, die noch nicht so abgestumpft sind, kann man nicht erreichen, wenn man mit schlechtem Beispiel vorangeht.

Statt nur von den Mächtigen Quellen und Glaubwürdigkeit zu verlangen, müssen wir uns auch mehr auf unsere eigene Glaubwürdigkeit Gedanken machen. Gerade das mediale Stille-Post-Spiel kostet unendlich viele Ressourcen und führt die Debatte immer wieder auf Abwege. Gerade bei Journalisten sehe ich immer mehr die Unart, dass Textausschnitte getwittert werden, die irgendein skandalöses Zitat oder eine Schlussfolgerung enthalten – der Kontext oder die Quelle fehlen jedoch. Zwar mag das Zitat am Tag des Tweets noch einfach auffindbar sein, verschwindet es mit immer größerer Wahrscheinlichkeit schon bald hinter einer Paywall. Die GIF-Sucht hat auch andere Folgen. Mehrfach habe ich in den vergangenen Tagen gesehen, dass jemand einen falschen Tweet korrigiert und das falsche Original sogar gelöscht hat – doch jemand anders hatte das GIF mit der Falschbehauptung schon kopiert und unter eigenem Namen weiter verbreitet.

Stille Post mit Photoshop

Unsere Erinnerung macht Nichtigkeiten groß. In einem Jahr werden sich noch viele Leute an die Geschichte erinnern, wie Trump seine Hände vergrößern ließ — sie ist einfach zu sexy. Gerade dieses Beispiel zeigt auch, wie wichtig Quellenkritik geworden ist. Mit viel Energie hatten Trump-Gegner Fotos verglichen und kleine sogar Animationen daraus gebaut, um die empörende und absolut sinnlose Manipulation zu beweisen. Die Washington Post ist der Sache nachgegangen, und hat festgestellt dass das Bild, das auf Twitter so viel Verbreitung fand, gar nicht aus dem Weißen Haus selbst stammte. Wer die Quelle mit Verstand und Hintergrundwissen betrachtete, musste das bemerken. Wer nur retweetet, sieht hingegen nur die Story, die so sexy erscheint.

Lange Rede, kurzer Sinn:

Retweetet nicht alles, was Euch grade am Empörendsten vorkommt. In den meisten Fällen reicht eine Minute, um einen Gegenbeleg zu finden.

Wenn ihr Zitate als Grafik teilt, gebt bitte auch eine Quelle an. Retweetet keine Zitate ohne Quelle.

Wenn ihr einen Fehler macht — und das ist in dem Klima nur allzu verständlich — dann korrigiert den transparent. Es reicht nicht aus, einen Tweet oder ein Posting hinterherzuschicken. Löscht Eure Falschbehauptungen unmissverständlich. Und informiert Eure Quellen. Wenn die darauf bestehen ihren Irrtum online zu lassen, sind sie es nicht wert, dass man sie weiter anhört.

Wo sind die Ergebnisse?

Liebe Geheimdienste,

ihr wiederholt gebetsmühlenhaft, dass es vollkommene Sicherheit nicht gibt. Doch wenn man sich ein bisschen den Teppich anhebt, sieht man, dass ihr in den letzten Jahren vollkommene Kontrolle angestrebt habt. SIM-Karten, Viren in der Festplatten-Firmware, Industriespionage, Big-Data-Analysen ganzer Bevölkerungen. An der Politik vorbei und erst recht am Bürger vorbei.

Nundenn. Schwamm drüber. Wir können Euch eh nicht zur Verantwortung ziehen. Seien wir praktisch. Nennen wir es ein Experiment. Die ganzen Überwachungsbefugnisse, die ihr immer wieder fordert und nur zu 90 Prozent bekommt, habt Ihr Euch heimlich zu 99 Prozent gesichert. Wir sehen also heute das Ergebnis, wenn jeder Politiker auf der ganzen Welt immer nur „Ja“ zu euch gesagt hätte.

Und was ist das Ergebnis? ISIS taucht aus dem Nichts auf und setzt die lustigen kleinen Gadgets ein, auf die ihr Eure kleinen lustigen Wanzen installiert habt, und lockt Teenager in den Krieg. Knastbrüder — und zwar exakt die Sorte, die ihr so gerne im Auge habt –  marschieren mit automatischen Waffen durch europäische Städte. Flugzeuge verschwinden und irgendjemand in einem Wohnzimmer in Großbritannien wertet Luftbilder aus, um ein wenig mehr Infos zu bekommen als durch die Propagandakanäle dringt. Und 14jährige in Syrien filmen, was wir sonst nie erfahren würden.

Mal ehrlich: Ist das Experiment gelungen? Seid ihr mit den Ergebnissen wirklich so zufrieden? Meint ihr wirklich, ihr habt mehr vorzuweisen als — verzeiht die Metapher — einen Großflughafen ohne Passagiere und Eröffnungsdatum? War es das, ist es das wirklich wert?

Reden wir über Google — und alle anderen

Was mich bei der ganzen „Zerschlagt Google!“-Diskussion überrascht ist, dass niemand einen überzeugenden Grund vorbringen kann, wo a) Google seine Macht derzeit tatsächlich schon missbraucht und was b) eine Abtrennung der Suche an dem vermeintlichen Missbrauch ändern würde.

Nachdem dutzendweise Startups mit eigenen Websuchen aufgemacht haben, wissen wir zweierlei: Google verhindert den Markteinstieg von Konkurrenten nicht. Und: Diese sind gnadenlos unterlegen, sofern sie nicht auf Google-Ergebnisse zugreifen. Ein simpler Algorithmus und eine Datenbank reichen eben nicht aus um eine Websuche zu bauen, mit der man heutzutage arbeiten will. Microsofts Bing illustriert das meiner Meinung nach besonders schön. Der Dienst mag in den USA konkurrenzfähige Erlebnisse liefern, in Deutschland tut er es nicht. Wir haben also Marktzutrittsschranken, die die Marktmacht der Google-Suche ohne wettbewerbswidriges Verhalten erklären können.

Klar: Google hat seine Marktmacht ausgenutzt

Google ist keineswegs heilig zu sprechen und der Konzern hat in meinen Augen mehrmals seine Marktmacht bei der Suche genutzt, um in andere Märkte vorzudringen. Das Debakel um die bezahlte Produktsuchmaschine? Eindeutig ein Fall für die Kartellwächter. Die Promotion des Google-Browsers Chrome auf der Startseite? Fragwürdig. Trotzdem war Google durchweg besser als die Konkurrenz. Zwar hat Chrome Google-Suchdienste eingebaut, doch der Konzern musste von niemandem verpflichtet werden, auch Konkurrenzdienste zu ermöglichen. Und Chrome wird sogar von direkten Google-Konkurrenten umgebaut.

Die Beweisführung erschöpft sich meist in hierzulande großmäulig erscheinenden Aussagen von Sergej Brin oder Eric Schmidt. Dann gibt es die Beschwerden von Firmen, die meinen Google schulde ihnen Geld oder sie hätten ein Anrecht auf den ersten Platz in der Google-Suche. Doch eine echte Marktanalyse fehlt. Und eine Folgenabschätzung, wenn man Datensammlung und Datenverknüpfungen generell verbieten will. Dass man alle Navigationssysteme zehn Jahre nach hinten werfen würde, wäre nur die erste Folge. Wer vermisst ernsthaft Stadtplandienste, die sich über Abmahnungen finanzierten?

Die Plattform hat sich geändert

Die Debatte um einen Missbrauch der Google-Suche ist mindestens fünf Jahre zu spät — heute spielt die Musik längst in anderen Bereichen. Android ist die Power-Plattform Googles, die in alle mögliche Geräteklassen vordringen soll. Und auch bei seinem Mobilbetriebssystem hatte Google seine Marktmacht für sich genutzt — der hauseigene App-Werbedienst wurde bevorzugt.

Dass Google Adblock aus seinem App-Store geworfen hat, weckt natürlich Misstrauen. Doch Google hätte recht — wenn Google sich zu solchen Fragen äußern würde — wenn sie ins Felde führten, dass die Werbeblocker anderen Apps ins Gehege kamen. Als Plattformbetreiber konnte sich Google nur zwischen den App-Entwicklern entscheiden, die ihre Apps durch Werbung — und zwar nicht nur durch Google-Werbung — finanzieren wollten und den Adblockern.

Im Chrome-Webstore hingegen sind die Adblocker noch erhältlich und filtern zum Beispiel Werbung aus YouTube-Videos heraus. (Der Vertrag mit Adblock Plus ist natürlich auch ein Fall für Wettbewerbs- und Kartellrecht, aber da nach mehreren lautstarken Ankündigungen bisher kein Verfahren eingeleitet wurde, gehe ich davon aus, dass auch hier Google auf der legalen Seite ist.)

Jeder macht es

Wenn man Google brechen will, kann man nicht alleine Google regulieren. Denn der Konzern macht in seinem Geschäftsbetrieb fast nichts, was nicht andere auch machen — und das erheblich dreister. Google-Anzeigen kann man besser abschalten als andere, sie sind weniger neugierig als Facebook und Co, sie sind in der Regel auch unaufdringlicher. Der Zwang zur eigenen Plattform? Apple ist fünf Mal schlimmer. Und selbst europäische Unternehmen schöpfen Nutzerdaten ab, wo sie es nur können. Die Verkehrsdurchsage im Radio (und in Apps) basiert heute zum Teil darauf, dass Handies ihren Standort ständig in die Zentrale funken und zum Beispiel von Vodafone ausgewertet werden.

Die Marktmacht macht Google zum Sonderfall, aber die Bereitwilligkeit des Konzerns auf staatliche Einschränkungen einzugehen lässt den Kartellwächtern keinen Raum die ganz großen Geschütze auszupacken. Die deutsche Regierung wollte kein nutzbares Streetview, also hat Google aufgehört. Auf YouTube soll Urheberrecht vor Meinungsfreiheit gehen? Google implementiert ein Löschprogramm. Was immer die Staaten wollten, Google hat fast immer gekuscht. Bis fast keine einzige nachvollziehbare Forderung mehr übrig blieb.

Google baut seine Plattform, regulieren wir sie. Und zwar so, dass sich auch Facebook, die Telekom, Vodafone, Samsung, Unity Media, Lenovo, Kabel Deutschland, United Internet, Amazon, Rocket Internet und sogar Threema sich an die Regeln halten müssen. Und natürlich die Staaten, die in Sachen Offenheit meilenweit hinter Google hinterherhinken. Falls sie überhaupt in die Richtung gehen.